E-Mail an Sigrid Beer, MdL (24.6.2015)


Von: Wolfgang Gerstenhöfer [mailto:wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de]
Gesendet: Sonntag, 2. August 2015 13:15
An: 'Sigrid.Beer@landtag.nrw.de'
Cc: Gebauer, Yvonne; 'renate.hendricks@landtag.nrw.de'; 'monika.pieper@landtag.nrw.de'; 'petra.vogt@landtag.nrw.de'; 'schulpflegschaft-hildegardis@arcor.de'; 'Elterninitiative'
Betreff: AW: Zukunft der Gymnasien (G8/G9)

 

Sehr geehrte Frau Beer,

 

vielen Dank für Ihre Erläuterungen und die damit verbundene Mühe.

 

Lassen Sie mich vorab eine Frage stellen:

 

Haben Sie das Buch "Anna, die Schule und der liebe Gott - Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern" von Richard David Precht gelesen?

 

Nach meiner Überzeugung sollten sich alle Bildungs- und Schulpolitiker, zu denen ich mich auch zähle, für die von Herrn Prof. Dr. Precht geforderte Bildungsrevolution engagieren.

 

"Nun ich gebe zu, dass ich auf Ihre Aufforderung „Geben Sie doch endlich offen und ehrlich zu, daß Sie, daß Ihre Partei gemeinsam mit der SPD die Fehler von CDU und FDP, die bei der Einführung von G8 gemacht worden sind, jetzt ausnutzen, um die Ihnen verhaßte Schulform "Gymnasium" zu diskreditieren, um endlich die von Ihnen propagierte Einheitsschule flächendeckend umsetzen zu können.“ nicht reagiert habe, es schien mir auch weder eine Frage noch ein Argument zu sein, sondern eine ideologische Unterstellung Ihrerseits."

 

Interessant finde ich, daß Sie auf meine "ideologische Unterstellung" zwar nun in gewisser Weise eingegangen sind; sie aber nicht entschieden zurückgewiesen haben. Warum haben Sie das nicht getan, wenn es denn tatsächlich eine falsche Annahme meinerseits sein sollte?

 

Sie selbst haben durch Ihre Aussage in dem Interview, auf das ich mich mit meiner E-Mail vom 24.6.2015 bezogen hatte, meine Sicht auf die Schulpolitik von SPD und Bündnis 90/Die Grünen quasi bestätigt.

 

Sie haben G8 genutzt, um für die Schulformen zu werben, die ein Abitur nach wie vor nach neun Jahren ermöglichen, und dies sind - natürlich ganz zufällig - die Schulformen, die primär von "linken" Schulpolitikern eingeführt und bevorzugt werden. Oder stimmt das etwa nicht?

 

Ist es nicht so, daß Frau Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) jüngst in einer Regierungserklärung nur die integrativen Schulformen (Sekundar- und Gesamtschulen) explizit erwähnt hat - sicher ganz ohne jede Absicht und ohne jeden Hintergedanken?

 

"Die Schulkonferenz berät die Empfehlungen des Runden Tisches und beschließt ein für sie passendes Konzept von Lernzeiten. Die Lehrkräfte entscheiden für ihren Unterricht und nach Absprache mit den Kolleginnen und Kollegen, was konkret sinnvoll ist."

 

Das ist doch genau das, was in der Praxis nicht funktioniert. Sie schieben doch den Schwarzen Peter wieder den einzelnen Gymnasien zu. Wenn das so klappen würde, dann hätten wir die Probleme doch gar nicht, um die es hier geht.

 

"Weniger Hausaufgaben und Nachmittagsunterricht bedeuten Zeit für Verein, Familie, Muße."

 

Auch diese Gleichung geht nur dann auf, wenn während des Unterrichts genügend Zeit bleibt, um den Stoff zu bewältigen und ausreichend zu üben.

 

"Der Vergleich mit früher hakt. Es gibt heute andere Lehrpläne als früher, auch wurde die Stundentafel der Sekundarstufe 1 an allen Schulformen nach Beschluss der Kultusministerkonferenz geändert."

 

Das mag durchaus sein, daß es inzwischen andere Lehrpläne gibt. Auch hier gilt allerdings: Wären die Lehrpläne an G8 wirklich angepaßt worden, hätten wir die Probleme nicht, die Anlaß für diesen E-Mail-Wechsel sind. Irgendetwas kann also nicht stimmen. Oder?

 

"Rot-Grün hat sich 2004 für die Einführung von G8 entschieden, allerdings in einer anderen Form. Demnach wäre die Sekundarstufe 1 unverändert geblieben, die Sekundarstufe 2 wäre auf zwei Jahre verkürzt worden mit der Möglichkeit auch ein zusätzliches Förderjahr zu absolvieren, also weiterhin drei Jahre Oberstufe zu haben."

 

Das mit dem Förderjahr klingt für mich vernünftig. Wenn das Ihrer Überzeugung nach der bessere Weg gewesen wäre, hätten Sie denn das nicht nach Ihrer Regierungsübernahme ändern können? (Schade, daß Sie nun auf die Umsetzung in Sachen Inklusion mit keiner Silbe eingehen. Sie werden wissen warum ...)

 

"Außerdem wurde das Modellprojekt G9 eingerichtet. Gymnasien konnten sich melden, wenn sie einen neunjährigen Weg zum Abitur anbieten wollten. 12 Gymnasien haben davon Gebrauch gemacht."

 

Könnte es sein, daß hier die Frist für die Gymnasien, sich dafür zu entscheiden, ein bißchen zu kurz gewesen ist? Warum können sich Gymnasien nicht auch jetzt noch dafür entscheiden?

 

"Direkt nach der Regierungsübernahme wurde mit einem Nachtragshaushalt dafür gesorgt, dass Lehrerstellen, die auf dem Papier existierten, aber nicht mit Geld hinterlegt waren, auch wirklich ausfinanziert wurden und besetzt werden konnten. Der Runde Tisch Schulzeitverkürzung tagte bereits 2011. Er wurde jetzt erneut eingerichtet, weil sich herausgestellt hat, dass die Empfehlungen nicht überall umgesetzt worden waren und man deshalb eine größere Verbindlichkeit braucht. Gleichzeitig wurde am Runden Tisch erneut geprüft, ob die Grundsatzentscheidung, G8 zu verbessern, weiterhin von der breiten Mehrheit geteilt wird und ob die Empfehlungen zielführend  sind, wo sie zu verändern, wo zu präzisieren sind. Besonders in der Frage der Verbindlichkeit gibt es weitere Veränderungen.

 

Die Empfehlungen wurden in untergesetzliche Regelungen wie Erlasse umgesetzt. In Schulleitungsdienstbesprechungen und Qualitätszirkeln sind die Umsetzungsprozesse und die  Begleitung mehrfach besprochen. Die Schulen sind gehalten, in Schulkonferenzen über die Umsetzung an der Schule konkret zu beraten, zu beschließen und der Schulaufsicht zu berichten.

 

Über die Schulkonferenzen haben Schülerinnen und Schüler wie auch Eltern die Möglichkeit die Umsetzung einzufordern und mitzugestalten. Die Schulaufsicht begleitet über die Qualitätszirkel.

 

Es gibt Muster KLP auf den Seiten von Qu-LiS. Verantwortlich sind die Schule und die Lehrkraft. Wir haben die Verbindlichkeit der Empfehlungen erhöht, aber es bleibt selbstverständlich bei dem Prinzip der pädagogischen Verantwortung der Schule und Lehrkraft."

 

Sehen Sie den Widerspruch? Gibt es verbindliche Vorgaben, die umgesetzt werden müssen, oder liegt der Schwarze Peter wieder bei den einzelnen Gymnasien, bei den einzelnen Lehrern?

 

Ich bin sehr für selbständige Schulen. Ich bin letztendlich sogar für eine Privatisierung der Schulen. Aber dann müssen die handelnden Personen auch entsprechend qualifiziert werden und sein. Das sind sie aber nicht. Meine Erfahrung und Meinung.

 

Sie überfordern Schulleiter, Lehrer, Schüler und Eltern. Sie arbeiten nach dem Motto "Friß, Vogel, oder stirb."

 

Und dann wundern Sie sich darüber, daß ich dahinter die Absicht vermute, die Gymnasien zugunsten der Sekundar- und Gesamtschulen, der integrativen Schulformen zu diskreditieren, um sie dann abschaffen zu können?

 

Ich befürchte, daß sich für die Schülerinnen und Schüler, für die Gymnasiasten an den meisten Gymnasien in der Praxis nichts ändern wird. Der Druck wird bleiben. Sie haben vielleicht (offiziell) weniger Hausaufgaben und Nachmittagsunterricht; sie müssen die Nachmittage und Abende aber trotzdem nutzen, um den Stoff zu bewältigen, für die die Vormittage nicht ausreichen.

 

Gut, daß Sie und ich unsere Schulzeit hinter uns haben. Leider ist das für meine beiden Töchter kein Trost ... (Und sie sind sicher nicht dümmer, als ich es gewesen bin, als ich zwischen 1977 und 1986 ein Gymnasium in Köln besucht und mit der Abiturnote 2,0 verlassen habe.)

 

Nehmen Sie - gemeinsam mit Ihren Kolleginnen und Kollegen im Landtag - Ihre (schul- und bildungs)politische Verantwortung wahr und verstecken Sie sich bitte nicht hinter der "pädagogischen Verantwortung (oder Freiheit) der Schule und Lehrkraft"!

 

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Wolfgang Gerstenhöfer

 

 

Von:vera.esders@landtag.nrw.de [mailto:vera.esders@landtag.nrw.de] Im Auftrag von Sigrid.Beer@landtag.nrw.de
Gesendet: Dienstag, 30. Juni 2015 15:57
An: wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de
Betreff: WG: Zukunft der Gymnasien (G8/G9)

 

Sehr geehrter Herr Gerstenhöfer,

 

ich danke für Ihre Mail und unternehme gerne noch einen Versuch der Erläuterung. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die ideologischen Annahmen (s.u.) nicht bei mir liegen.

 

Mit besten Grüßen

Sigrid Beer

 

 

 

Sehr geehrte Frau Beer,

 

Ihre E-Mail habe ich erhalten. Für Ihre guten Wünsche anläßlich der Sommerferien danke ich Ihnen.

 

Kann es sein, daß Sie meine E-Mail gar nicht gelesen oder nicht verstanden haben? Sie sind in Ihrer Antwort zumindest nicht auf den Inhalt meiner E-Mail eingegangen.

 

Nun ich gebe zu, dass ich auf Ihre Aufforderung „Geben Sie doch endlich offen und ehrlich zu, daß Sie, daß Ihre Partei gemeinsam mit der SPD die Fehler von CDU und FDP, die bei der Einführung von G8 gemacht worden sind, jetzt ausnutzen, um die Ihnen verhaßte Schulform "Gymnasium" zu diskreditieren, um endlich die von Ihnen propagierte Einheitsschule flächendeckend umsetzen zu können.“ nicht reagiert habe, es schien mir auch weder eine Frage noch ein Argument zu sein, sondern eine ideologische Unterstellung Ihrerseits.

 

Das ist sehr bedauerlich, weil diese Rückmeldung hätten Sie sich und mir auch ersparen können.

 

Ich versuche es deshalb noch einmal:

 

"Die neuen Vorgaben legen bei den Gymnasien, die nicht Ganztagschule sind, maximal einen Tag in der Woche Nachmittagsunterricht in den Klassen 5-7 fest und maximal zwei Tage in den Klassen 8 und 9. Lernzeiten in der Schule helfen, Hausaufgaben sinnvoll zu reduzieren."

 

Wer soll die Hausaufgaben sinnvoll reduzieren? Wer entscheidet, was sinnvoll ist?

 

Die Schulkonferenz berät die Empfehlungen des Runden Tisches und beschließt ein für sie passendes Konzept von Lernzeiten. Die Lehrkräfte entscheiden für ihren Unterricht und nach Absprache mit den Kolleginnen und Kollegen, was konkret sinnvoll ist.

 

Wie sollen diese Maßnahmen zu einer Entlastung der Schüler führen?

 

Weniger Hausaufgaben und Nachmittagsunterricht bedeuten Zeit für Verein, Familie, Muße.

 

Diese Maßnahmen ändern doch nichts daran, daß der Unterrichtsstoff, für den früher neun Schuljahre zur Verfügung standen nun in acht Jahren bewältigt werden soll.

 

Der Vergleich mit früher hakt. Es gibt heute andere Lehrpläne als früher, auch wurde die Stundentafel der Sekundarstufe 1 an allen Schulformen nach Beschluss der Kultusministerkonferenz geändert.

 

"Wir Grüne und auch ich persönlich habe die überstürzte Einführung von G8 – ohne Schulbücher, ohne Lehrpläne, ohne Mensen – kritisiert. Die Entwicklungen an den Schulen sind aber weiter gegangen. Dabei sind die Schritte nicht überall gleichermaßen gemacht worden."

 

Ihre Partei wollte doch auch G8 einführen. Hätten Sie es besser gemacht? Die ebenfalls völlig überstürzte und planlose Umsetzung der Inklusion deutet darauf hin, daß Sie es nicht besser gemacht hätten.

 

Rot-Grün hat sich 2004 für die Einführung von G8 entschieden, allerdings in einer anderen Form. Demnach wäre die Sekundarstufe 1 unverändert geblieben, die Sekundarstufe 2 wäre auf zwei Jahre verkürzt worden mit der Möglichkeit auch ein zusätzliches Förderjahr zu absolvieren, also weiterhin drei Jahre Oberstufe zu haben. Schwarz-gelb hat dann umgeschwenkt auf die verkürzte Sekundarstufe 1. Das Gesetz wurde im Juni 2006 beschlossen und die Schulen mussten bereits nach den damaligen Sommerferien die Umstellung leisten, ohne Zeit zur Vorbereitung. Das ist ein deutlicher Unterschied.

 

Was haben Sie denn seit Ihrer Regierungsübernahme konkret für eine Verbesserung der Situation in den einzelnen Gymnasien getan?

 

Unter anderem:  Wir haben die Leitungszeit für Schulleitungen (Entlastungsstunden für die Leitungstätigkeit) erhöht und den Klassenfrequenzrichtwert (nach dem sich Klassengrößen berechnen) gesenkt. Wir haben den Ganztag ausgebaut und Mittel für Schulsozialarbeit erhöht. Das betrifft alle Schulformen, Gymnasien haben genauso daran Anteil. Außerdem wurde das Modellprojekt G9 eingerichtet. Gymnasien konnten sich melden, wenn sie einen neunjährigen Weg zum Abitur anbieten wollten. 12 Gymnasien haben davon Gebrauch gemacht.

 

Ihre Parteifreundin Frau Sylvia Löhrmann ist immerhin bereits seit dem 15.7.2010 Ministerin für Schule und Weiterbildung. Der Runde Tisch hat am 5.5.2014 getagt ... und nun haben wir bereits den 26.6.2015 ... Das ist für mich sehr viel verlorene, vertane Zeit!

 

Direkt nach der Regierungsübernahme wurde mit einem Nachtragshaushalt dafür gesorgt, dass Lehrerstellen, die auf dem Papier existierten, aber nicht mit Geld hinterlegt waren, auch wirklich ausfinanziert wurden und besetzt werden konnten. Der Runde Tisch Schulzeitverkürzung tagte bereits 2011. Er wurde jetzt erneut eingerichtet, weil sich herausgestellt hat, dass die Empfehlungen nicht überall umgesetzt worden waren und man deshalb eine größere Verbindlichkeit braucht. Gleichzeitig wurde am Runden Tisch erneut geprüft, ob die Grundsatzentscheidung, G8 zu verbessern, weiterhin von der breiten Mehrheit geteilt wird und ob die Empfehlungen zielführend  sind, wo sie zu verändern, wo zu präzisieren sind. Besonders in der Frage der Verbindlichkeit gibt es weitere Veränderungen.

 

Und was tun Sie denn jetzt ganz konkret, damit die Schritte überall gleichermaßen gemacht werden?

 

Die Empfehlungen wurden in untergesetzliche Regelungen wie Erlasse umgesetzt. In Schulleitungsdienstbesprechungen und Qualitätszirkeln sind die Umsetzungsprozesse und die  Begleitung mehrfach besprochen. Die Schulen sind gehalten, in Schulkonferenzen über die Umsetzung an der Schule konkret zu beraten, zu beschließen und der Schulaufsicht zu berichten.

 

Sicher können wir nun munter positive und negative Beispiele austauschen. Das hilft den Schülerinnen und Schülern an den Gymnasien, an denen die Umsetzung - aus welchen Gründen auch immer - eben nicht funktioniert, leider gar nicht.

 

Über die Schulkonferenzen haben Schülerinnen und Schüler wie auch Eltern die Möglichkeit die Umsetzung einzufordern und mitzugestalten. Die Schulaufsicht begleitet über die Qualitätszirkel.

 

"Auch wenn mir das Wort entschlacken nicht gefällt, so geht es aber doch im Kern um die Frage was sollen unsere Kinder und Jugendlichen wie lernen. Dafür müssen nicht Inhalte über Bord geworfen werden, sondern intelligent miteinander verknüpft."

 

Und wer ist mit dieser Aufgabe nun konkret beauftragt? Bis wann und wie wird dafür gesorgt, daß das von den einzelnen Lehrerinnen und Lehrern flächendeckend praktisch umgesetzt wird?

 

Es gibt Muster KLP auf den Seiten von Qu-LiS. Verantwortlich sind die Schule und die Lehrkraft. Wir haben die Verbindlichkeit der Empfehlungen erhöht, aber es bleibt selbstverständlich bei dem Prinzip der pädagogischen Verantwortung der Schule und Lehrkraft.

 

"Ja, wir müssen über den Leistungsdruck reden, der auf Kindern und Jugendlichen lastet und über die Anforderungen und Erwartungen, mit denen wir Kindern und Jugendlichen begegnen. Das betrifft aber nicht erst den Übergang in eine weiterführende Schule. Das beginnt schon in der Kita und Grundschule. Welche Leistungserwartungen gibt es? Welche Noten haben welchen Stellenwert? Dazu brauchen wir eine intensive und breite Debatte."

 

Nicht reden ist gefragt, sondern handeln. Den Schülern läuft die Zeit davon. Jeder Tag ist ein Tag zu viel bzw. zu wenig für unsere Kinder, die bekanntlich unsere Zukunft sind oder sein sollen.

 

"Der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehen!" Dieser Satz von Johann Wolfgang von Goethe fällt mir dazu ein.

 

Die Schul- und Bildungspolitik ist mindestens seit 1949 Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen. Und dabei geht es leider nicht um Inhalte und Methoden, um personelle und sächliche Ausstattung, sondern fast ausschließlich um Schulformen.

 

Ihre Einschätzung überrascht. Allgemein wird gerade NRW für die Überwindung der ideologischen Auseinandersetzungen durch den Schulkonsens von 2011, den Ministerin Löhrmann maßgeblich angeregt und verhandelt hat, gelobt. Er mag Ihnen nicht gefallen, aber dass nicht gehandelt wird und der Streit um Schulformen nicht überwunden wurde, können Sie doch nicht wirklich behaupten In Niedersachsen wird ein solcher Schulkonsens händeringend gewünscht. Die Euphorie um die Wiedereinführung von G9 ist dort schon verflogen. Ruhe ist dort nämlich nach der  Entscheidung genau nicht eingekehrt.

 

Den folgenden Spruch habe ich vor einigen Tagen gelesen, und er paßt meines Erachtens sehr gut: "Wir sind die Schüler von heute, die in den Schulen von gestern mit Lehrern von vorgestern und Methoden aus dem Mittelalter auf die Probleme von morgen vorbereitet werden."

 

Wenn Ihnen etwas an der gymnasialen Bildung liegt, dann sorgen Sie gemeinsam mit Frau Löhrmann dafür, daß die Gymnasiasten "nicht für die Schule, sondern für das [reale] Leben lernen" und dies mit ausreichend Zeit und mit der Chance, auch ein Leben neben der Schule zu führen ...

 

Ich sehe Ihren Antworten auf meine Fragen mit großem Interesse entgegen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Wolfgang Gerstenhöfer


Von: Wolfgang Gerstenhöfer [mailto:wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de]
Gesendet: Freitag, 26. Juni 2015 20:59
An: 'Sigrid.Beer@landtag.nrw.de'
Cc: 'vera.esders@landtag.nrw.de'; Gebauer, Yvonne; 'renate.hendricks@landtag.nrw.de'; 'monika.pieper@landtag.nrw.de'; 'petra.vogt@landtag.nrw.de'; 'schulpflegschaft-hildegardis@arcor.de'
Betreff: AW: Zukunft der Gymnasien (G8/G9)

 

Sehr geehrte Frau Beer,

 

Ihre E-Mail habe ich erhalten. Für Ihre guten Wünsche anläßlich der Sommerferien danke ich Ihnen.

 

Kann es sein, daß Sie meine E-Mail gar nicht gelesen oder nicht verstanden haben? Sie sind in Ihrer Antwort zumindest nicht auf den Inhalt meiner E-Mail eingegangen.

 

Das ist sehr bedauerlich, weil diese Rückmeldung hätten Sie sich und mir auch ersparen können.

 

Ich versuche es deshalb noch einmal:

 

"Die neuen Vorgaben legen bei den Gymnasien, die nicht Ganztagschule sind, maximal einen Tag in der Woche Nachmittagsunterricht in den Klassen 5-7 fest und maximal zwei Tage in den Klassen 8 und 9. Lernzeiten in der Schule helfen, Hausaufgaben sinnvoll zu reduzieren."

 

Wer soll die Hausaufgaben sinnvoll reduzieren? Wer entscheidet, was sinnvoll ist?

 

Wie sollen diese Maßnahmen zu einer Entlastung der Schüler führen?

 

Diese Maßnahmen ändern doch nichts daran, daß der Unterrichtsstoff, für den früher neun Schuljahre zur Verfügung standen nun in acht Jahren bewältigt werden soll.

 

"Wir Grüne und auch ich persönlich habe die überstürzte Einführung von G8 – ohne Schulbücher, ohne Lehrpläne, ohne Mensen – kritisiert. Die Entwicklungen an den Schulen sind aber weiter gegangen. Dabei sind die Schritte nicht überall gleichermaßen gemacht worden."

 

Ihre Partei wollte doch auch G8 einführen. Hätten Sie es besser gemacht? Die ebenfalls völlig überstürzte und planlose Umsetzung der Inklusion deutet darauf hin, daß Sie es nicht besser gemacht hätten.

 

Was haben Sie denn seit Ihrer Regierungsübernahme konkret für eine Verbesserung der Situation in den einzelnen Gymnasien getan?

 

Ihre Parteifreundin Frau Sylvia Löhrmann ist immerhin bereits seit dem 15.7.2010 Ministerin für Schule und Weiterbildung. Der Runde Tisch hat am 5.5.2014 getagt ... und nun haben wir bereits den 26.6.2015 ... Das ist für mich sehr viel verlorene, vertane Zeit!

 

Und was tun Sie denn jetzt ganz konkret, damit die Schritte überall gleichermaßen gemacht werden?

 

Sicher können wir nun munter positive und negative Beispiele austauschen. Das hilft den Schülerinnen und Schülern an den Gymnasien, an denen die Umsetzung - aus welchen Gründen auch immer - eben nicht funktioniert, leider gar nicht.

 

"Auch wenn mir das Wort entschlacken nicht gefällt, so geht es aber doch im Kern um die Frage was sollen unsere Kinder und Jugendlichen wie lernen. Dafür müssen nicht Inhalte über Bord geworfen werden, sondern intelligent miteinander verknüpft."

 

Und wer ist mit dieser Aufgabe nun konkret beauftragt? Bis wann und wie wird dafür gesorgt, daß das von den einzelnen Lehrerinnen und Lehrern flächendeckend praktisch umgesetzt wird?

 

"Ja, wir müssen über den Leistungsdruck reden, der auf Kindern und Jugendlichen lastet und über die Anforderungen und Erwartungen, mit denen wir Kindern und Jugendlichen begegnen. Das betrifft aber nicht erst den Übergang in eine weiterführende Schule. Das beginnt schon in der Kita und Grundschule. Welche Leistungserwartungen gibt es? Welche Noten haben welchen Stellenwert? Dazu brauchen wir eine intensive und breite Debatte."

 

Nicht reden ist gefragt, sondern handeln. Den Schülern läuft die Zeit davon. Jeder Tag ist ein Tag zu viel bzw. zu wenig für unsere Kinder, die bekanntlich unsere Zukunft sind oder sein sollen.

 

"Der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehen!" Dieser Satz von Johann Wolfgang von Goethe fällt mir dazu ein.

 

Die Schul- und Bildungspolitik ist mindestens seit 1949 Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen. Und dabei geht es leider nicht um Inhalte und Methoden, um personelle und sächliche Ausstattung, sondern fast ausschließlich um Schulformen.

 

Den folgenden Spruch habe ich vor einigen Tagen gelesen, und er paßt meines Erachtens sehr gut: "Wir sind die Schüler von heute, die in den Schulen von gestern mit Lehrern von vorgestern und Methoden aus dem Mittelalter auf die Probleme von morgen vorbereitet werden."

 

Wenn Ihnen etwas an der gymnasialen Bildung liegt, dann sorgen Sie gemeinsam mit Frau Löhrmann dafür, daß die Gymnasiasten "nicht für die Schule, sondern für das [reale] Leben lernen" und dies mit ausreichend Zeit und mit der Chance, auch ein Leben neben der Schule zu führen ...

 

Ich sehe Ihren Antworten auf meine Fragen mit großem Interesse entgegen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Wolfgang Gerstenhöfer

 

Von:Sigrid.Beer@landtag.nrw.de [mailto:Sigrid.Beer@landtag.nrw.de]
Gesendet: Freitag, 26. Juni 2015 18:15
An: wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de
Cc: vera.esders@landtag.nrw.de
Betreff: AW: Zukunft der Gymnasien (G8/G9)

 

​Sehr geehrter Herr Gerstenhöfer,

vielen Dank für Ihre Mail.

Uns erreicht eine Reihe von Zuschriften vor allem von besorgten Eltern. Wir haben uns sorgfältig mit den vorgebrachten Problemen und Argumenten beschäftigt und auch bei Besuchen vor Ort ein umfangreiches Bild verschafft.

Wir Grüne und auch ich persönlich habe die überstürzte Einführung von G8 – ohne Schulbücher, ohne Lehrpläne, ohne Mensen – kritisiert. Die Entwicklungen an den Schulen sind aber weiter gegangen. Dabei sind die Schritte nicht überall gleichermaßen gemacht worden. Die Frage G8/G9 kann nicht theoretisch gelöst werden. Das zeigen die Entwicklungen gerade jetzt auch in Niedersachsen. Die Diskussion in Niedersachsen hat die Debatte in NRW wieder neu entfacht und in NRW zu einem erneuten Runden Tisch geführt.

Dieser Runde Tisch von Verbänden und Initiativen hat sich mit sehr großer Mehrheit gegen eine Umstellung auf G9 ausgesprochen und stattdessen Empfehlungen zur Verbesserung des gymnasialen Bildungsgangs ausgesprochen und konkrete Entlastungsmaßnahmen für die Schülerinnen und Schüler vorgesehen. Diese wurden vom Schulministerium in Erlassen u.ä. umgesetzt. Zurzeit läuft der weitere Umsetzungsprozess an den Schulen, da dieses Mal ein höheres Maß an Verbindlichkeit der Empfehlungen gesetzt wurde.

Dass in Niedersachsen die Rückkehr zu G8 beschlossen wurde, hat keineswegs zur Ruhe in den Schulen geführt. Gute Unterrichtskonzepte bleiben auf der Strecke, die Schulen beklagen die Umstellungsprozesse, die jetzt erneut auf sie zukommen. „Vielleicht wäre es besser gewesen, G  8 zu entschlacken. Man hat jetzt im Grunde den gleichen Fehler gemacht wie 2004, als man erst den Beschluss gefasst hatte, die Zeit am Gymnasium um ein Jahr zu kürzen und sich dann um die Details gekümmert hat. Auch diesmal ist erst die grundsätzliche Entscheidung getroffen worden, ohne die Schwierigkeiten zu antizipieren oder sich um die Folgen Gedanken gemacht zu haben.“ (W. Schimpf, Vorsitzender der Direktorenvereinigung in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 20.5.2015)

Auch wenn mir das Wort entschlacken nicht gefällt, so geht es aber doch im Kern um die Frage was sollen unsere Kinder und Jugendlichen wie lernen. Dafür müssen nicht Inhalte über Bord geworfen werden, sondern intelligent miteinander verknüpft. Wir haben gute Beispiele in NRW, dass der Prozess gelingen kann, so u.a. das Dalton-Gymnasium Alsdorf als Preisträger des deutschen Schulpreises. Eine Schule, die sich durch ihre individuelle Förderung und das Leistungsniveau auszeichnet.

http://www.daltongymnasium-alsdorf.de/

Das ist nur eine Schule von vielen, die sich durch ihre Schulentwicklung auszeichnen.

Die Frage, die sich der Runde Tisch stellte war: Entwickeln wir die Schule weiter nach vorne oder lenken wir jetzt alle Energien der Schule in eine Rückabwicklung?

Wir wollen, dass die Anstrengungen in der Schule auf die Unterrichtsentwicklung, gute Lernzeiten und eine gute Rhythmisierung konzentriert werden und nicht von Rückabwicklung geschluckt werden. Das soll für NRW gelten. Diese Anstrengungen kommen auch den heutigen Schüler*innen und Schülern schon direkt zur Gute.

Die neuen Vorgaben legen bei den Gymnasien, die nicht Ganztagschule sind, maximal einen Tag in der Woche Nachmittagsunterricht in den Klassen 5-7 fest und maximal zwei Tage in den Klassen 8 und 9. Lernzeiten in der Schule helfen, Hausaufgaben sinnvoll zu reduzieren.

Wir nehmen die Sorgen der Eltern ernst. Ja, wir müssen über den Leistungsdruck reden, der auf Kindern und Jugendlichen lastet und über die Anforderungen und Erwartungen, mit denen wir Kindern und Jugendlichen begegnen. Das betrifft aber nicht erst den Übergang in eine weiterführende Schule. Das beginnt schon in der Kita und Grundschule. Welche Leistungserwartungen gibt es? Welche Noten haben welchen Stellenwert? Dazu brauchen wir eine intensive und breite Debatte.

Wir haben uns die Abwägung und Entscheidung nicht leicht gemacht. Die Schulen brauchen Verlässlichkeit in der Schulentwicklung, Raum und Ruhe. Wir begleiten die Entwicklungsprozesse und bleiben mit den Schulen, mit Eltern und Schüler*innen im Dialog.

Für die Sommerferien wünsche ich eine erholsame Zeit

Mit freundlichen Grüßen

Sigrid Beer

___________________________

Sigrid Beer MdL

Parlamentarische Geschäftsführerin

Schulpolitische Sprecherin

Stlv. Mitglied im Petitionsausschuss

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag NRW

Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf

Parl. Geschäftsführung

antje.meier-dost@landtag.nrw.de

Fon: 0211-884-2281, Fax: 0211-884-3511

Büro Düsseldorf: vera.esders@landtag.nrw.de

Fon: 0211-884-2603/2805; Fax: 0211-884-3517

Büro Paderborn: petra.tebbe@landtag.nrw.de

Fon: 05251-6938410; Fax: 05251-6938462

sigrid.beer@landtag.nrw.de

www.sigrid-beer.de

 

Von: Wolfgang Gerstenhöfer [mailto:wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de]
Gesendet: Mittwoch, 24. Juni 2015 08:55
An: 'sigrid.beer@landtag.nrw.de'
Cc: Gebauer, Yvonne; 'renate.hendricks@landtag.nrw.de'; 'monika.pieper@landtag.nrw.de'; 'petra.vogt@landtag.nrw.de'
Betreff: Zukunft der Gymnasien (G8/G9)
Wichtigkeit: Hoch

 

Sehr geehrte Frau Beer,

 

mit großem Interesse habe ich heute Morgen Ihr Interview in WDR 2 gehört.

 

Interessant und sehr bezeichnend waren vor allem Ihre Hinweise auf die Alternativen zum Abitur am Gymnasium.

 

Geben Sie doch endlich offen und ehrlich zu, daß Sie, daß Ihre Partei gemeinsam mit der SPD die Fehler von CDU und FDP, die bei der Einführung von G8 gemacht worden sind, jetzt ausnutzen, um die Ihnen verhaßte Schulform "Gymnasium" zu diskreditieren, um endlich die von Ihnen propagierte Einheitsschule flächendeckend umsetzen zu können.

 

Die von Ihnen genannten Maßnahmen, die angeblich zu einer Entlastung führen sollen, werden den Druck auf die einzelnen Gymnasien, auf die Schüler und Lehrer weiter erhöhen.

 

Sie wollen weniger Ganztage und weniger Hausaufgaben. Sehr schön, aber ...

 

Was wurde an den Lehrplänen geändert? Was wurde getan, um die Schulleitungen und Lehrer zu qualifizieren und vor allem zu motivieren?

 

So manche Schulleiter sind noch nicht einmal in der Lage, Stundenpläne zu gestalten, die den neuen Anforderungen gerecht werden. Wie kann das sein?

 

An der Menge des zu bewältigenden Unterrichtsstoffs und an den Lehrmethoden muß sich etwas ändern, wenn man G8 haben möchte.

 

Weniger Ganztage und weniger Hausaufgaben führen doch nur dazu, daß in der verbleibenden Zeit der Druck noch stärker wird.

 

Wenn es Ihnen tatsächlich um die Schüler, um die Gymnasiasten geht, dann setzen Sie G8 aus.

 

Einen Schritt vor dem Abgrund ist es besser, einen Schritt zurück zu machen und eine Brücke zu finden, als einfach weiter zu gehen ...

 

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Wolfgang Gerstenhöfer

 

Übrigens sehe ich die Idee einer Gesamtschule durchaus positiv, wenn es denn wirklich um Chancengleichheit und nicht um Gleichmacherei und Ergebnisgleichheit ginge bzw. geht. Leider ist die (ideologisch begründete) Gesamtschule, wie wir sie in der Praxis kennen, keine solche Schule, die fördert und fordert und zu entsprechenden Abschlüssen führt ...