Stellungnahme zur Rede von Christian Lindner, die er als Bundesvorsitzender auf dem 75. Ordentlichen Bundesparteitag der FDP am 27. April 2024 gehalten hat:

Im Mittelpunkt der Rede von Christian Lindner steht die Forderung nach einer Wirtschaftswende.

 

Die FDP als eigenständige Partei darf alles fordern, am besten wären liberale Forderungen und Vorschläge. Sie muß dabei nur zwischen den Forderungen und Vorschlägen als Partei einerseits und als Teil der Regierung andererseits unterscheiden.

 

Denn als an der Bildung einer Koalitionsregierung beteiligte Partei ist sie an den bestehenden Koalitionsvertrag gebunden und muß sie Rücksicht auf ihre Partnerparteien nehmen. Ansonsten gefährdet sie nicht nur den Bestand, sondern vor allem auch die Glaubwürdigkeit der Regierung.

 

Das scheint der Führung der Freien Demokraten aber entweder nicht bewußt oder gleichgültig zu sein. Sie läßt von einem Bundesparteitag Forderungen an die eigene Regierungsarbeit beschließen, von denen sie genau weiß, daß sie mit den von ihr selbst gewählten Koalitionspartnern gar nicht oder zumindest weitgehend nicht umsetzbar sind.

 

Damit erhöhen sie die Erwartungen der Anhänger dieser "neuen" FDP noch mehr, von denen ihr klar sein muß, das sie nicht erfüllt werden können. So verprellt man auch noch die letzten Wähler, die man in den vergangenen zehn Jahren gewonnen hat, und verliert sie wahrscheinlich wieder an die AfD, eine Splitterpartei oder an die Gruppe der Nichtwähler.

 

Welche Strategie steckt dahinter? Man könnte fast meinen, daß es darum geht, die FDP in der Versenkung verschwinden zu lassen. Wer steckt dahinter? Cui bono?

 

Nun aber zur Rede selbst:

 

"…Jeden Tag setzen wir uns ein für Freiheit, für den Respekt vor Leistung und Eigentum. Die politischen Umstände sind von Krisen geprägt, von Wahlentscheidungen, die nicht immer klare Mehrheiten hervorbringen. Aber wir zumindest wissen in Zeiten der Krise und auch in unübersichtlichen politischen Zeiten, wofür wir stehen…Umso mehr kommt es auf jede und jeden bei uns an, deutlich zu machen, dass wir nichts aufgegeben haben von unseren Überzeugungen, sondern dass wir weiter die einzige Kraft der Freiheit in Deutschland sind…"

 

Kraft der Freiheit, Freunde der Freiheit… Freiheit ist für Liberale ein entscheidender Faktor. Nomen est omen: liber, libera, liberum - frei; liberalis - die Freiheit betreffend, freiheitlich. Und dennoch geht es dem Liberalismus nicht nur um Freiheit, sondern auch um Gleichheit und Brüderlichkeit.

 

Der Appel von Lindner ist der Versuch, die Freien Demokraten, die Frei(heitlich)en Demokraten zusammenzuhalten, sie mit Blick auf die bevorstehenden Wahlkämpfe - Europawahl, Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, Kommunalwahlen in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz. Thüringen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt - in die Pflicht zu nehmen. In Wahrheit rächt sich aber nun der Versuch, in den vergangenen zehn Jahren Wähler und Mitglieder der AfD zurück- bzw. hinzuzugewinnen. So manche Frei(heitlich)e Demokraten in der FDP stehen der AfD ideologisch näher als den Liberalen.

 

Sie haben eine "liberale Grundhaltung", die so ähnlich wie die der folgenden ehemaligen FDP-Mitglieder sein dürfte: Torben Braga, Petr Bystron, Alexander Dilger, Andreas Galau, Ronald Gläser, Axel Hahn, Thomas Jürgewitz, Enrico Komning, Steffen Kotré, Jobst Landgrebe, Dagmar Metzger, Wilko Möller, Gerold Otten, Frank Pasemann, Marcus Pretzell, Martin Reichardt, Klaus Remkes, Frank Scheermesser, Robby Schlund, Jörg Schneider, Martin Johannes Sichert, Marianne Spring-Räumschüssel, Beatrix von Storch, Hans-Thomas Tillschneider, Sven Tritschler (ehemals Bundesvorsitzender des Stresemann-Clubs), Marc Vallendar, Sebastian Wippel, Christian Wirth und Daniel Zerbin.

 

Wähler der AfD gewinnt man aber nicht dadurch zurück, daß man versucht, ihnen eine "AfD light" zu bieten. Nicht Aktionismus und Populismus sind gefragt, sondern Liberalismus, die Ideologie von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit!

 

"…In meinem Ministerium habe ich neulich einen jungen Mann kennengelernt. Er hat eine Hospitation im Finanzministerium gemacht. Er studiert eigentlich in Frankfurt. Er kam 2015 als Flüchtling nach Deutschland…"

 

Wäre es nach Lindner und seinen Frei(heitlich)en Demokraten gegangen, dann hätte er diesen jungen Mann gar nicht kennenlernen können. Er wäre nämlich an der Grenze aufgehalten worden. Hat Lindner das vergessen? Die Freien Demokraten wollten - nach meiner Überzeugung nicht nur nicht liberal, sondern auch noch verfassungswidrig - die Grenzen - wie die AfD - schließen - außer für Familien mit kleinen Kindern - also die Flüchtlinge ihrem Schicksal auf ihrer Flucht und in den EU-Staaten mit Außengrenzen überlassen und damit vor allem den Druck auf das ohnehin völlig überforderte Griechenland noch weiter erhöhen.

 

"…viele, die er kennt, und andere, die gerne als Talente nach Deutschland kommen wollen, viel zu hohe Hürden empfinden. Sprachbarrieren, Mängel in der Willkommenskultur…"

 

Agitation und Propaganda wirken. Dann sollten die Freien Demokraten mit der Willkommenskultur für Menschen aus dem Ausland beginnen und auch für ein anderes Klima in der Bevölkerung sorgen.

 

Man kann nicht Ressentiments gegenüber Ausländern schüren und gleichzeitig eine Willkommenskultur erwarten.

 

Wie soll eine Willkommenskultur für Fachkräfte aus dem Ausland entstehen, wenn der Begriff Migration ständig mit dem Attribut irregulär verknüpft wird und alle Menschen, die zu uns kommen, "über einen Kamm geschert werden" und nicht mehr zwischen Asylbewerbern, Flüchtlingen und Einwanderern differenziert wird?

 

Das ist Wasser auf den Mühlen der AfD und ihrer Anhänger und bestärkt sie in ihren Vorurteilen. Das Einwanderungsrecht mag liberal sein, der kommunikative Umgang damit und mit den Menschen, die zu uns kommen, ist es leider nicht. Und es wird nicht besser…

 

"…Ein baden-württembergisches Unternehmen muss erwägen, in der Schweiz zukünftig zu investieren. Und das, so sagte es der Aufsichtsratschef, weil die Schweiz wettbewerbsfähiger und günstiger sei. Nicht, weil die Löhne niedriger sind, sondern weil in der Schweiz die Beschäftigten im Jahr 375 Stunden mehr arbeiten als in Baden-Württemberg…"

 

Auch hier werden leider Vorurteile bedient und geschürt. Die Arbeitszeit sagt nichts über die Produktivität aus. Manche schaffen an einem Tag mehr als andere in sechs Tagen. Das weiß auch Christian Lindner.

 

"…Was wir benötigen, ist ein nüchterner Realismus, der beschreibt, wie die Lage ist und der dann den Mut zum Handeln aufbringt, damit die Lage sich verbessert. Das verstehen wir unter Wirtschaftswende…"

 

Zeitenwende, Energiewende, Klimawende, Verkehrswende... Habe ich noch eine Wende vergessen? Und nun noch eine Wirtschaftswende...

 

In der politischen Kommunikation sind Begriffe äußerst wichtig. Wollen die Freien Demokraten an die Wende von 1982 erinnern, anknüpfen?

 

Der Unterschied besteht allerdings darin, daß die FDP seinerzeit den Regierungswechsel alleine mit der Union ermöglichen konnte. Heute ist sie auf zusätzliche Unterstützung angewiesen. Union und Bündnis 90/Die Grünen? Eher nicht. Union, AfD und mindestens vier fraktionslose Abgeordnete? Den Freiheitlichen in der FDP würde es gefallen.

 

Die FDP wird nur eine Zukunftschance als konstruktiver Teil der sogenannten Fortschrittskoalition haben. Davon bin ich überzeugt - wie es übrigens auch Gerhart Baum ist. Ansonsten wird sie sich von der politischen Bühne verabschieden.

 

Auf der einen Seite hätte sie dann zwar noch einmal die Chance, eine liberale Partei zu werden, aber auf der anderen Seite bleibt es fraglich, ob sie davon genügend Wähler überzeugen kann, um wieder in den Bundestag zu kommen.

 

"…Aber es ist eine Entwicklung, die über zehn Jahre angedauert hat. Von Platz sechs bis Platz 22 [im weltweiten Standortranking der Wettbewerbsfähigkeit]. Während der längsten Zeit von 2014 an haben CDU, CSU und SPD regiert. Wenn Markus Söder heute sagt, die Zukunftsperspektive für Deutschland ist eine neue große Koalition, dann erinnere ich an die Ergebnisse der letzten großen Koalition, die unseren Wohlstand nicht gemehrt, sondern nur verwaltet und verteilt hat…"

 

War die sozialliberale Koalition aus Bündnis 90/Die Grünen, FDP und SPD als Fortschrittskoalition nicht dafür angetreten, dies zu ändern? Warum liebäugeln jetzt die Frei(heitlich)en Demokraten wieder mit der Union?

 

"…Wachstum ist für uns ja kein Selbstzweck. Sondern er hat einen tieferen Sinn, unser Einsatz für ein Wirtschaftswunder…"

 

Wirtschaftswunder? Ist quantitatives Wachstum für die Frei(heitlich)en Demokraten tatsächlich kein Selbstzweck?

 

Wachstum um jeden Preis kann nicht die Lösung sein. Haben die Frei(heitlich)en Demokraten vergessen, daß genau diese Strategie zu dem Wahlergebnis am 22. September 2013 geführt hat.

 

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler läßt grüßen... Hatte er nicht auch so viel Ahnung von Wirtschaft wie Robert Habeck, nachdem er als erster Bundesminister für Gesundheit von der FDP krachend an Horst Seehofer gescheitert war?

 

Wachstum - das neue alte "goldene Kalb" der FDP? Wachstum? Nein. Wachstun! Die Werbeagentur hat wieder übernommen - JetztOderNow. Marketing statt Politik und Populismus statt Liberalismus...

 

Die 1980er sind zwar inzwischen sehr beliebt, aber als Perspektive der Politik halte ich sie für bedenklich.

 

Orientieren sich die Frei(heitlich)en Demokraten an dem Slogan "Deutschland. Aber normal."?

 

Liberale orientieren sich mittlerweile eher an Hans Christoph Binswanger, Mathias Binswanger, Herman Daly, Ulrike Herrmann, Tim Jackson, Jørgen Randers, Oliver Richters, Irmi Seidl, Andreas Siemoneit, Robert Skidelsky, Angelika Zahrnt und Matthias Zimmer.

 

Es geht nicht um Kapitalismus, sondern um eine liberale und damit soziale und ökologische Marktwirtschaft im Sinne des Ordoliberalismus. Denn die verbindet Ökonomie und Ökologie und schafft damit Freiheit, Sicherheit und Wohlstand.

 

"…Die Durchhaltefähigkeit der Ukraine bei der Verteidigung ihres Rechts auf Selbstbestimmung, die Verteidigung der eigenen territorialen Integrität ist auch eine Aufgabe von uns. Wir unterstützen die Ukraine, weil sie unsere First Line of Defence gegen Putin ist. Geben wir uns doch keiner Illusion hin, Putin hat die Ukraine angegriffen. Er meint aber uns alle und unsere Lebensweise. Er will nicht nur die Ukraine unterwerfen und von der Landkarte entfernen. Er will auch Europa spalten. Er will die NATO spalten. Er will, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sich aus Europa zurückziehen. Putins Ziel ist nicht die Ukraine. Putins Ziel ist es, Macht über uns ausüben zu können. Und das darf ihm niemals gelingen…"

 

Schön, daß dafür auch und gerade Marie-Agnes Strack-Zimmermann steht. Sie ist für mich glaubwürdig, eine Liberale. Sie ist das Feindbild der Freiheitlichen, die die Frei(heitlich)en Demokraten in der FDP in den vergangenen zehn Jahren angelockt haben. Man kann nur hoffen, daß ihr Wirken von Brüssel aus nicht ab-, sondern eher zunimmt.

 

Strack-Zimmermann habe die AfD als Scheiße und ihre Wähler als Fliegen bezeichnet. Dies wird von bestimmten Kreisen behauptet und verbreitet. Das hat sie nach meinem Verständnis nicht getan. Allerdings gilt auch hier: "Wem der Schuh paßt, der zieht ihn sich an."

 

Ich kann ihr Buch "Streitbar - Was Deutschland jetzt lernen muss" allen Mitgliedern und Anhängern der FDP sehr empfehlen.

 

Die Liberale Strack-Zimmermann wird ein großer Gewinn für die Europäische Union, für das Europäische Parlament sein, vor allem wenn man an ihre Vorgängerin Nicola Beer denkt - und deren Verhältnis zum Klimawandel, zu Viktor Mihály Orbán und zum Nationalismus.

 

Ich hätte Strack-Zimmermann der FDP spätestens ab Mai 2021, eigentlich schon seit April 2019 als Bundesvorsitzende gewünscht.

 

Sattdessen mußte sie im April 2019 Nicola Beer Platz machen. Gut, daß diese nun für sie Platz machen mußte … Vizepräsidentin der Europäischen Investitionsbank … Es freut mich für Werner Hoyer, daß er nur wenige Tage mit ihr zusammenarbeiten mußte, und ich hatte schon befürchtet, daß sie ihn beerben soll. Das ist zum Glück nicht geschehen.

 

"…In einigen Jahren wird das von mir auf den Weg gebrachte Sonderprogramm zur Stärkung der Bundeswehr verbraucht sein…"

 

Und ich hatte gedacht, dieses Sonderprogramm hätte die von der Ampelkoalition gebildete Bundesregierung und Bundestagsmehrheit auf den Weg gebracht. So kann man sich irren… Selbstbild? Selbstüberschätzung?

 

"…Auch in unserer Gesellschaft selbst ist Wachstum doch kein Selbstzweck. Es geht doch nicht jeder und jedem in unserem Land gut. Verschließen wir doch nicht die Augen davor. Im Gegenteil: Wir sehen doch die Menschen, die zu uns gekommen sind…"

 

Sind es nicht gerade die Frei(heitlich)en Demokraten die genau dies tun: Die Augen vor der Armut verschließen?

 

Es ist eine Schande und ein Armutszeugnis für unser Land und unsere Gesellschaft, daß es - vor allem mit Blick auf den Artikel 1 unseres Grundgesetzes (Verfassungsprinzip Menschenwürde) - Tafeln, Obdach- und Wohnungslosigkeit, das Suchen nach Pfandflaschen im Müll und das sogenannte Containern geben muß. Für Liberale ist das unerträglich.

 

"…Anders gewendet: Wirtschafts- und wachstumsfreundliche Politik ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit…Gerade ist eine Studie veröffentlicht worden, wie junge Menschen die Politik sehen. Da waren alle erschüttert, wie viele junge Menschen in den vergangenen zwei Jahren sich plötzlich vorstellen können, die AfD zu wählen. Schaut man sich die Themen an, die die jungen Menschen bewegen, dann stehen ganz oben wirtschaftliche Fragen: Inflation, also die Angst um das eigene wirtschaftliche Vorankommen…Anders gesagt: Die Wirtschaftswende ist das beste Demokratiefördergesetz, das man haben kann…"

 

Gebraucht wird wohl weniger eine Wirtschaftswende á la "12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende", sondern eine liberale Wirtschaftsordnungspolitik mit dem Ziel einer liberalen Marktwirtschaft und einer unbürokratischen, kundenorientierten Verwaltung: Vielfalt, Wettbewerb, Transparenz und Teilhabe.

 

Damit, aber auch mit einer freiheitlich-demokratischen Alternative zur AfD und einer konstruktiven Zusammenarbeit innerhalb der Regierungskoalition fördert man die Demokratie und geht gegen Demokratie- und Parteienverdrossenheit vor.

 

Da niemand sagen kann, was sozial gerecht ist, sollten Liberale die soziale Gerechtigkeit den anderen Parteien überlassen und sich auf Gleichheit im Sinne von Rechts- und Chancengleichheit und Brüderlichkeit im Sinne von Solidarität und Subsidiarität, von Hilfe zur Selbsthilfe und Subjekt- statt Objektförderung konzentrieren.

 

"…Wir können es schlicht nicht wissen und deshalb sollten wir nicht politisch entscheiden, welche Branche, welche Technologie, welches Unternehmen Zukunft haben soll. Wir können es nämlich schlicht nicht wissen. Wir könnten das Falsche subventionieren und deshalb ist unser ordnungspolitischer Ansatz nicht, Politikerinnen und Beamte sollten die zukünftige Wirtschaftsstruktur bestimmen. Es sollte der marktwirtschaftliche Wettbewerb, die Bereitschaft zu unternehmerischem Risiko, der Erfindungsreichtum von Ingenieuren und Technikern sein und die Entscheidungen der Menschen, die die Wirtschaftsstruktur bestimmen…"

 

Hier kann ich Lindner nur zustimmen und ihn dazu ermutigen, gemeinsam mit den freiwillig gewählten Koalitionspartnern der FDP Lösungen zu finden - und nicht gegen sie.

 

"…Deshalb ist meine Befürchtung, dass die Lieferketten-Richtlinie aus Brüssel genauso wie das deutsche Lieferkettengesetz in die Kategorie fallen: Gut gemeint, schlecht gemacht. Und das ist eben der Unterschied zwischen einer Politik, die auf Gesinnung setzt und die im Alltag praktisch zu beobachtenden Ergebnisse zu oft ignoriert…"

 

Hier stellt sich nun leider wieder die Frage, ob Lindner vergessen hat, daß seine Partei und er Teil der Bundesregierung sind. Auch bei mir verfestigt sich der Eindruck, daß diese Regierung keine Gesetze formulieren kann: Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden ("Heizungsgesetz"), Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz), Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag, Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937 (EU-Lieferketten-Richtlinie), Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen Bildung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung, …

 

"…Wer die Akzeptanz des Klimaschutzes durch drakonische Freiheitseinschränkungen gefährdet, der hat am Ende nichts gewonnen, sondern nur die AfD gestärkt. Das Bemerkenswerte - und ich freue mich, gerade in den ostdeutschen Landtagswahlkämpfen darauf hinzuweisen - ist, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen die Novelle des Klimaschutzgesetzes gestimmt hat. Die Union hat gegen ein marktwirtschaftliches, freiheitsfreundliches Klimaschutzgesetz gestimmt. Die Union würde also billigend in Kauf nehmen, dass es Freiheitseingriffe bis zum Fahrverbot gibt. Man kann also ruhigen Gewissens sagen: Die Klimakleber wollen durch Blockaden die Menschen behindern, die CDU hätte es per Gesetz getan, und das sollten die Menschen wissen…"

 

Und dennoch wollen nicht wenige Frei(heitlich)e Demokraten, daß die FDP die Ampelkoalition aufkündigt und genau mit dieser Union koaliert, wahrscheinlich sogar unter Beteiligung der AfD.

 

Innerhalb der FDP wurde dafür sogar wieder eine neue Initiative gegründet: Die Liberale Mitte Bayern.

 

Mitte? Mitte zwischen Union und AfD? An der Spitze der 94jährige Hans Helmut Rösler und "der alte weiße, heterosexuelle Cis-Mann" Albert Duin. So hat er sich in einem offenen Brief an Christian Lindner selbst bezeichnet, den er mit "Danke für Nichts" beendet hat. Seine Nähe zu den Anhängern des Libertarismus ist nicht neu. Er hatte auch schon gute Kontakte zu dem Verein "Liberale Zukunft Deutschland", der eng mit der libertären Partei der Vernunft (PDV) verbunden ist.

 

"…Viel zu lange haben wir es in Deutschland denjenigen schwer gemacht zu kommen, die wir in unserem Arbeitsmarkt dringend brauchen. Aber viel zu lange haben wir es denjenigen leicht gemacht zu bleiben, die nicht in den Arbeitsmarkt einwandern wollten, sondern nur in unseren Sozialstaat. Genau das haben wir umgedreht. Das ist die neue Realpolitik im Bereich der Einwanderung. Nach ihrem Leitbild müssen wir den Arbeitsmarkt insgesamt in den Blick nehmen. Schauen wir auf das Bürgergeld. Die Mehrheit der Deutschen stimmt uns zu: Ein Schicksalsschlag darf nicht dazu führen, dass Menschen ins Bodenlose fallen. Ein Schicksalsschlag, weil man zeitweilig nicht in der Lage ist zu arbeiten oder einen Arbeitsplatz verliert, das darf nicht zum Verlust der Existenz oder der Teilhabe am Leben führen. Diese Meinung teilt eine Mehrheit der Menschen in Deutschland. Aber eine Mehrheit der Deutschen teilt auch unsere Überzeugung, dass das Bürgergeld eben kein bedingungsloses Grundeinkommen ist, sondern dass eine Gegenleistung zu erwarten ist. Die Gegenleistung für Solidarität ist, sie nur so lange und so weit wie nötig in Anspruch zu nehmen…"

 

Welches Menschenbild müssen Christian Lindner und seine Frei(heitlich)en Demokraten haben? Ein liberales Menschenbild sieht anders aus.

 

Einerseits fordern sie, den Menschen zu vertrauen, sagen sie, daß die Menschen keine Beamten und Politiker, keine Gesetze, Richtlinien, Erlasse und Satzungen brauchen, damit sie vernünftig, verantwortlich und nachhaltig agieren, andererseits mißtrauen sie ihnen, unterstellen ihnen, nicht arbeiten, sich aushalten lassen, der Gemeinschaft auf der Tasche liegen zu wollen, ohne selbst einen Beitrag zu leisten. Wie paßt das zusammen?

 

Und dann sagt Lindner:

 

"…Aber im Kern ist Arbeit Teil unseres Lebens, und zwar nicht der lästige Teil. Arbeit sollte nicht der lästige Teil unseres Lebens sein. Arbeit strukturiert den Alltag. Arbeit sorgt für soziale Teilhabe. Arbeit vermittelt Sinn. Arbeit gibt den Menschen das Gefühl, gebraucht zu werden. Deshalb ist Arbeit von hohem Wert. Sozial ist nicht, dafür zu sorgen, dass Menschen sich Arbeitslosigkeit leisten können. Sozial ist, dafür zu sorgen, dass mehr Menschen Freude daran haben, sich einzubringen in unserer Gesellschaft..."

 

Er widerspricht sich selbst, führt seine eigene Argumentation ad absurdum.

 

Als Liberaler bin ich ein leidenschaftlicher Anhänger und Verfechter der liberalen Idee (Juliet Rhys-Williams, Milton Friedman) der negativen Einkommensteuer, des liberalen Bürgergelds, des (bedingungslosen) Grundeinkommens, weil es dazu beitragen würde, die Artikel 1 und 2 unseres Grundgesetzes ("Die Würde des Menschen ist unantastbar." und "Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit") endlich zu verwirklichen, und es sich insofern aus der liberalen und damit sozialen und ökologischen Marktwirtschaft im Sinne des Ordoliberalismus ergibt, als es für ein Mehr an "Waffengleichheit" zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sorgen würde.

 

Arbeitnehmer und Arbeitgeber würden sich im Sinne der Marktwirtschaft ("Vertragsfreiheit") eher auf Augenhöhe begegnen und ehrenamtliche und gesellschaftliche Arbeit, die unbezahlbar ist - wie z. B. die Erziehung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen -, mehr Anerkennung erfahren.

 

Das Grundeinkommen würde alle Sozial-, alle Transferleistungen ersetzen. Die Auszahlung erfolgt durch die Finanzämter. Die Sozialbürokratie könnte weitestgehend abgeschafft werden.

 

Dabei spricht das liberale Menschenbild dafür, daß Menschen grundsätzlich arbeiten, Leistungen erbringen und damit auch Anerkennung bekommen wollen. Menschen mögen bequem sein; sie sind aber von Natur aus nicht faul.

 

Was nutzen alle liberalen Freiheiten, Menschen- und Bürgerrechte, wenn man Angst um seine wirtschaftliche Existenz, vor materieller Not haben muß oder zu irgendeiner Arbeit gezwungen wird?

 

Es ist eine Schande und ein Armutszeugnis für unser Land und unsere Gesellschaft und für Liberale unerträglich, daß es - vor allem mit Blick auf das Verfassungsprinzip Menschenwürde - Tafeln geben muß. Das gilt genauso für Obdach- und Wohnungslosigkeit, das Suchen nach Pfandflaschen und Essensresten im Müll, das sogenannte Containern und das zunehmende Betteln auf den Straßen und in öffentlichen Verkehrsmitteln.

 

Das (bedingungslose) Grundeinkommen ist für mich die konsequenteste und unbürokratischste Variante der negativen Einkommensteuer, für Einkommensbezieher bzw. Steuerzahler haben wir es ansatzweise bereits in Form des Grundfreibetrags.

 

Dann hätten wir auch endlich einen sozialen Staat und nicht nur einen "Sozialstaat". Einen Staat, der sich nicht nur sozial nennt, sondern tatsächlich sozial ist, ohne die Menschen zu bevormunden und zu gängeln:

 

Dieser freiheitliche und gleichzeitig soziale Staat sorgt nicht selbst quasi bevormundend für die soziale Sicherheit seiner Bürger (z. B. durch Zwangssysteme wie die sogenannte Bürgerversicherung), läßt seine Bürger aber nach dem liberalen Grundwert der Brüderlichkeit auch nicht im Regen stehen und stellt daher sicher, daß jeder für seine soziale Sicherheit vorsorgen kann und vorsorgt.

 

Hinzu sollte nach meiner Überzeugung eine liberale Steuer- und Sozialreform kommen, die sich weitgehend an dem Kirchhof-Modell orientiert, den Sozialausgleich von den "Sozialversicherungen" auf das Transfersystem verlagert und auf indirekte Steuern verzichtet, da diese unsozial sind, weil sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einzelnen nicht berücksichtigen.

 

Nimmt man die aktuellen direkten und indirekten Aufwendungen und Kosten für alle Transferleistungen aller Gebietskörperschaften zusammen, dürfte sich kein allzu großer zusätzlicher Finanzierungsbedarf ergeben.

 

"…Aber gleichzeitig sehen wir doch, dass durch die Rente mit 63 oft genug diejenigen mit den höchsten Renten, gesunde Menschen ohne Abschläge in den Ruhestand eintreten können. Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn Menschen, die gesundheitlich beeinträchtigt sind und nicht mehr können, in den Ruhestand gehen…"

 

Wie zynisch kann man sein? Die Menschen sollen also so lange arbeiten, bis sie krank sind, bis sie nicht mehr arbeiten können, bis man sie am besten im Sarg von ihrem Arbeitsplatz wegträgt. Soll das liberal sein?

 

Eine "Rente mit 63" ohne Abschläge gibt es schon seit dem Jahr 2015 nicht mehr. Es gibt die "Altersrente für langjährig Versicherte": Nach 35 Versicherungsjahren können Versicherte der Jahrgänge 1949 bis 1963 sie ab 63 Jahren vorzeitig in Anspruch nehmen - allerdings mit einem Abschlag von bis zu 14,4 Prozent. Für jeden Monat, den man vorzeitig in Rente geht, werden 0,3 Prozent von der Rente abgezogen und das dauerhaft für die gesamte Zeit der Rente. Für alle, die im Jahr 1964 oder später geboren sind, liegt das Renteneintrittsalter auch nach 35 Versicherungsjahren bei 67 Jahren.

 

Wäre die FDP noch eine Rechtsstaatspartei, wäre ihr auch das Thema Vertrauensschutz geläufig und wichtig. Ist es nicht schon schlimm genug, daß die Regeln der gesetzlichen Rentenversicherung, der Sozialversicherungen jederzeit vom Gesetzgeber einseitig zu Lasten der Versicherten geändert werden können? Im Bereich der Individualversicherung wäre das undenkbar. Vertrag ist Vertrag.

 

"…Die erste Bedingung war: Eine Kindergrundsicherung muss möglichst bürokratiearm sein. Sie soll nicht zu zusätzlichem Aufwand bei den Menschen, aber auch nicht beim Staat führen. Jetzt sagt die Kollegin im Bundeskabinett, Frau Paus, die Kindergrundsicherung sei die Verwirklichung einer Bringschuld des Staates. Also der Staat sei verpflichtet dafür zu sorgen, dass seine Sozialleistungen wirklich bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen. Er trage die Verantwortung, er habe eine Bringschuld. Das teile ich schon weltanschaulich nicht. Ich finde, dass es durchaus eine Verantwortung auch bei den Bürgerinnen und Bürgern gibt und weiterhin geben muss. Die zweite Vorbedingung für die Kindergrundsicherung war, keinen Anreiz für die Eltern zu schaffen, nicht zu arbeiten…Deshalb war die Vorbedingung: Kindergrundsicherung ja, aber kein zusätzlicher Anreiz, auf die Aufnahme von Arbeit zu verzichten…Ich fasse das mal zusammen: Wir stellen 5.000 neue Staatsdiener ein, die zwei Milliarden  Euro verteilen, damit danach die gesamte Stadt Aschaffenburg sich aus der Arbeit abmeldet. Ein solches Modell hat den Status der Absurdität erreicht…Wäre es nicht besser, diese Milliarden einzusetzen, in mehr und qualitätsvolle Kinderbetreuung, damit niemand gegen den eigenen Willen in Teilzeit verbleibt, weil man weiß, die Kinder sind gut untergebracht?.."

 

Hätte die Ampelkoalition ein (liberales) Bürgergeld eingeführt, das diese Bezeichnung verdient und die FDP selbst mal gefordert hat, dann bräuchte man auch keine Kindergrundsicherung und auch nicht mehr, sondern deutlich weniger Beamte.

 

Lindner teilt weltanschaulich nicht, daß der Sozialstaat dafür sorgt, daß seine Unterstützung gezielt bei denjenigen ankommt, die diese benötigen, daß er effektiv und effizient ist. Welche Weltanschauung ist das? Ist das dieser Libertinismus von Anna Schneider: "Die Freiheit beginnt beim Ich"?

 

 

Den Vorschlag, das Geld in die Kinderbetreuung zu investieren, halte ich für gut. Auch hier stellt sich aber wieder die Frage, ob Lindner vergessen hat, daß die FDP eine Regierungspartei ist und die Ergebnisverantwortung gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und SPD trägt.

 

"…Deshalb, egal ob bei Bürgergeld oder Rente, sollten wir nicht mehr bezahlen, wenn Menschen nicht arbeiten, sondern wir sollten belohnen, wenn Menschen im Arbeitsleben verbleiben wollen…Deshalb ist nicht die Idee verrückt, zu glauben, dass es Menschen gibt, die gerne arbeiten und auch sogar mehr zu arbeiten bereit sind. Verrückt ist zu glauben, es sei verrückt, dass es Menschen gibt, die gerne arbeiten…"

 

Selbstverständlich gibt es Menschen, die gern und auch gern mehr und/oder länger arbeiten wollen. Gerade Lindner gehört doch zu denen, die dies im Zusammenhang mit dem Konzept des Bürgergelds immer wieder in Frage stellen und anzweifeln.

 

Es ist aber bereits jetzt schon so, daß immer weniger Menschen die gleiche oder sogar mehr Arbeit bewältigen müssen und dabei auch noch hochmotiviert und kreativ sein sollen. Noch mehr Mehrarbeit kann nicht die Lösung sein.

 

Wollen die Frei(heitlich)en Demokraten noch mehr Menschen in die Krankheit, in die Erwerbsminderung treiben?

 

Die Frage ist doch, ob noch mehr Überstunden und eine längere Lebensarbeitszeit tatsächlich Wachstum fördern und den Fortschritt sichern oder ob sie noch mehr Menschen ins Burnout treiben, die Zahl der Erwerbsgeminderten und damit die Kosten der Volkswirtschaft erhöhen.

 

So werden Gewinne privatisiert und Kosten sozialisiert. Das ist nicht liberal.

 

Individuelle Lösungen sind gefragt. Gefragt sind auch die Sozial- und Tarifpartner. Jeder Mensch, jede Branche, jedes Unternehmen, jede Stelle ist anders.

 

Zu einer liberalen und damit sozialen und ökologischen Marktwirtschaft gehören Tarifverträge für alle Arbeitnehmer. Deshalb gibt es die gesetzliche Möglichkeit, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Jedes Vollzeit-Arbeitsverhältnis muß grundsätzlich zu einem Einkommen führen, das deutlich über dem Existenzminimum liegt.

 

Kapitalismus ist keine Marktwirtschaft, schon gar keine liberale Marktwirtschaft.

 

"…Ich werde nie verstehen, warum manche kein Problem damit haben, hochprofitablen Unternehmen, wie Intel, Milliardensubventionen zu zahlen. Aber den Handwerksbetrieben und dem Mittelstand die Belastungen zu reduzieren soll ein No-Go sein. Damit wir uns nicht missverstehen - freundliche Grüße an den Landesverband Sachsen-Anhalt - natürlich ist die Intel-Förderung vor dem Hintergrund der Resilienz der Lieferkette verantwortbar. Wir brauchen Halbleiter, sonst werden andere Glieder unserer Wertschöpfungskette entfallen. Andere Branchen in Deutschland brauchen einen solchen Resilienzbonus nicht, weil sie nicht diese Bedeutung in der Wertschöpfungskette haben. Worum es mir geht, ist, was man auf der einen Seite für wenige tut, das soll man auf der anderen Seite dem Mittelstand, dem Rückgrat unserer Wirtschaft nicht vorenthalten. Es wäre nämlich nicht nur ökonomisch klug, sondern es wäre möglicherweise auch rechtlich geboten. Ich muss mir jetzt aus beruflichen Gründen sehr vorsichtig ausdrücken. Aber es gab ja Mitglieder der früheren FDP-Bundestagsfraktion, die gegen den Solidaritätszuschlag vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt haben. Wenn man die inzwischen ergangenen Rechtsprechungen zum Solidaritätszuschlag verfolgt, so ist - wie gesagt, ich drücke mich aus beruflichen Gründen vorsichtig aus - die Erfolgswahrscheinlichkeit dieser Klage jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Bevor also die Bundesregierung sich von Karlsruhe rechtlich dazu zwingen lässt, komplett und sofort auf den Soli ohne Plan zu verzichten…sollten wir lieber die klare politische Entscheidung treffen, planvoll Schritt für Schritt auf ihn zu verzichten. Denn er ist inzwischen für Mittelstand, Handwerk und Industrie eine Sondersteuer auf wirtschaftlichen Erfolg geworden, die wir uns schlicht nicht mehr leisten können…"

 

Resilienzbonus? Ausnahmen bestätigen die Regel? Auch hier wieder die bekannte Frage, ob Lindner vergessen hat, daß die Partei, deren Bundesvorsitzender er ist, an der Bildung der Bundesregierung beteiligt ist.

 

Die FDP ist ein Teil dieser sogenannten Fortschrittskoalition. Sie bestimmt also gemeinsam mit ihren Partnern die Ziele.

 

Hier sind nun Argumentationsfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Überzeugungskraft, Durchsetzungsvermögen, Ausdauer, Schlagfertigkeit und Beharrlichkeit, aber auch die Kenntnisse der Stärken und Schwächen, der "roten Linien" und der Befindlichkeiten der Koalitionspartner, die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Setzen von Prioritäten, zur Einigung und zum Kompromiß gefragt.

 

Nicht reden und fordern, machen. Dafür wurde die FDP gewählt.

 

"…Denn die Wirtschaftswende ist nicht ein Projekt der Freien Demokraten. Die Wirtschaftswende muss ein Projekt dieses Landes sein. Und deshalb muss jede und jeder, jede politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Kraft ihren Beitrag leisten. Wir sind bereit zu diskutieren. Wir sind offen für andere Vorschläge. Für eines aber sind wir nicht offen: Dass sich nichts ändert. Denn das wäre unverantwortbar…"

 

Wenn diese "Wirtschaftswende" kein Projekt der FDP ist, dann frage ich mich, warum man sie zum Gegenstand eines Bundesparteitags macht und im Vorfeld das FDP-Präsidium bereits am 22. April 2024 den Beschluß "12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende" quasi als Ultimatum an die Koalitionspartner gefaßt hat.

 

In seinen Interviews hat Lindner immer wieder betont, daß es nicht um Wahlkampf und nicht um Parteipolitik ginge. Und ich dachte immer, daß genau das der Sinn eines Parteitags wäre, Parteipolitik zu machen... So kann man sich täuschen…

 

Welche Strategie, welche Taktik steckt dahinter? Steckt überhaupt ein Sinn hinter diesem Vorgehen?

 

Arme FDP!

 

Welches Ziel verfolgen die Freien Demokraten? Glaubt man, damit die Wähler zurückzugewinnen, die man durch die Ampelkoalition verprellt hat?

 

Ist das politische Todessehnsucht? Torschlußpanik?

 

Es ist mir ein Rätsel, was man mit diesen Provokationen bezweckt und wen man erreichen will. Liberale sind es wohl eher nicht.

 

Die Freien Demokraten kommen einfach nicht in dieser Regierung an. Warum hat man sich überhaupt auf diese sogenannte Fortschrittskoalition eingelassen, wenn man so mit ihr hadert?

 

Entweder beendet man eine Koalition oder man versucht, Lösungen zu finden, die man gemeinsam mit den jeweiligen Koalitionspartnern umsetzen kann und nicht mit der jeweiligen Opposition.

 

"…Europa ist ein Projekt der Freiheit und deshalb der Freien Demokraten. Und wir sind eine gesamtdeutsche Partei mit einem gesamtdeutschen Anspruch. Wir sind die Partei von Hans-Dietrich Genscher, der in jeder Phase seiner politischen Tätigkeit in Zeiten der deutschen Geschichte, als manche den Glauben an die deutsche Einheit aufgegeben hatte, daran festgehalten hat. Und deshalb ist es selbstverständlich unser Anspruch, auch in den ostdeutschen Parlamenten vertreten zu sein…Parlamente mit Freien Demokraten sind bessere Parlamente…"

 

Ob Hans-Dietrich Genscher dieser Bundesparteitag gefallen hätte, auch wenn der "mitteldeutsche Antrag", wieder in die Kernspaltung einzusteigen, mit knapper Mehrheit abgelehnt wurde? Thomas L. Kemmerich? Robert Malorny?

 

Die Entscheidung, aus der Kernspaltung auszusteigen, war eine gute und richtige Entscheidung von FDP und Union im Jahr 2011, nachdem man sich lange Zeit in einer falschen Sicherheit gewiegt hat.

 

Marie-Agnes Strack-Zimmermann hätte Genscher als "großartige Spitzenkandidatin", als Kampfansage an die Bürokraten à la Ursula von der Leyen und an die AfD und damit auch an die Freiheitlichen in der FDP sicher gefallen.

 

Die Freien Demokraten müssen konstruktive Lösungen mit den von ihnen freiwillig gewählten Koalitionspartnern finden, nicht ständig die von ihnen mitgebildete Regierung kritisieren und in Frage stellen und damit aufhören. mit einem Bruch der Koalition zu liebäugeln.

 

Ich frage mich, wie Christian Lindner auf die Idee kommt, daß diese FDP bei der nächsten Bundestagswahl ein zweistelliges Ergebnis erzielen könnte. Pfeifen im Wald?

 

Erst hat man die Liberalen nach und nach verprellt, dann die "neuen" Wähler, um die man sich vor allem seit dem Jahr 2015 sehr bemüht hat, die aber erwartungsgemäß keine sozialliberale Koalition tolerieren.

 

Die Freien Demokraten müssen für sich klären, welchen Weg sie gehen wollen. Die aktuellen Aussagen von Christopher Vogt und Oliver Luksic, aber auch dieses unsäglichen Bijan Djir-Sarai stimmen mich wenig zuversichtlich für die Zukunft der FDP und des organisierten Liberalismus in unserem Land.

 

Djir-Sarai hätte sich mit seiner politischen Gesinnung zu deren aktiven Zeit sicher gut mit Alfred Dregger, Peter Gauweiler, Manfred Kanther, Franz Josef Strauß und Friedrich Zimmermann verstanden, wenn ich mir auch nicht ganz so sicher bin, ob dies auf Gegenseitigkeit beruht hätte - vor allem mit Blick auf seine Herkunft.

 

Jüngst habe ich das Buch "Brückenschläge - Zwei Generationen, eine Leidenschaft" gelesen, das im Jahr 2013 erschienen ist. Ich kann es allen Liberalen, Freien Demokraten und vor allem Christian Lindner, der es übrigens seinerzeit gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher quasi geschrieben hat, wärmstens empfehlen.

 

Der Inhalt hat mich im Jahr 2024 doch einigermaßen positiv überrascht. Ich gebe daher die Hoffnung auf eine liberale FDP nicht auf!

 

Gerade lese ich das Buch "Hans-Dietrich Genscher - Die Biographie" von Hans-Dieter Heumann. Auch sehr empfehlenswert - für Liberale und alle, die es sein möchten!