75 Jahre FDP - Höhen und Tiefen des organisierten Liberalismus

Heute und morgen vor 75 Jahren, am 11. und 12. Dezember 1948, wurde in Heppenheim an der Bergstraße unter dem Motto "Einheit in Freiheit" die FDP, die Freie Demokratische Partei, als Zusammenschluß von 13 mehr oder weniger liberalen Parteien der sich auf dem Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen ("Trizone") im Aufbau befindlichen Bundesrepublik Deutschland gegründet, die gleichzeitig zu Landesverbänden der neuen Bundespartei wurden.

 

Als kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder Parteien in Deutschland zugelassen wurden, bildeten sich auch bürgerlich-liberale Vereinigungen, die sich in ihrer Tradition im Wesentlichen auf die Deutsche Demokratische Partei (DDP), die Deutsche Volkspartei (DVP) und die württembergische Demokratische Volkspartei (DVP), teilweise allerdings auch auf die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in der Zeit der Weimarer Republik, des Deutschen Reichs vom 14. August 1919 beriefen und in denen zum Teil auch ehemalige Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und Beamte des NS-Staates eine Heimat suchten.

 

So gingen der Gründung der FDP die Gründungen der Demokratischen Partei Saar (DPS/1945-1951 und 1955-1957), der Partei Freier Demokraten (PFD) in Hamburg (1945-1948), der Liberalen Partei Rheinland-Pfalz (LP/1945-1948) und des Sozialen Volksbunds (SV) in Hessen-Pfalz (1946-1948),  der Bremer Demokratischen Volkspartei (BDV/1945-1952) und der Freien Demokratischen Partei Bremen (FDP/1946-1948), der Freien Demokratischen Partei Bayern (FDP/1946-1948), der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDP/1946-1948) in Hessen, der Demokratischen Volkspartei (DVP) in Württemberg-Baden (1945-1948) und in Württemberg-Hohenzollern (1946-1948), der Demokratischen Partei (DemP) in Baden (1946-1948) und der Freien Demokratischen Partei (FDP) in der Britischen Zone (Hamburg, Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schleswig-Holstein, Nordrheinprovinz und Westfalen/1946-1948) sowie der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDP; ab 1951 LDPD) in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) von 1945 bis 1990 voraus.

 

Diese Parteien, die sich zunächst auf kommunaler und Landesebene bildeten, gründeten - mit Ausnahme der Demokratischen Partei Saar - im Juli 1946 einen gesamtdeutschen Koordinierungsausschuß. Dieser traf sich im November 1946 in Coburg, um die Gründung einer zonenübergreifenden gesamtdeutschen liberalen Partei vorzubereiten.

 

Die Gründung der Demokratischen Partei Deutschlands (DPD) fand am 17. März 1947 auf einer Konferenz in Rothenburg ob der Tauber statt, an der Politiker aus allen vier Besatzungszonen teilnahmen. Sie hatte sogar bereits eine Doppelspitze, allerdings nicht eine Frau und ein Mann, sondern zwei Männer: Theodor Heuss (DVP) und Wilhelm Külz (LDP). Die Geschäftsstellen der Partei wurden in Frankfurt am Main, als Sitz der Bizonenverwaltung, und Berlin, als Sitz der Ostzonenverwaltung, eingerichtet.

 

Wegen des angeblich zu konzilianten politischen Kurses von Külz gegenüber den sowjetischen Militärbehörden wurde er von der Vorstandssitzung der DPD am 18. Januar 1948 in Frankfurt am Main ausgeladen. So hatte er  im Gegensatz zum ebenfalls eingeladenen Vorsitzenden der CDU in der SBZ, Jakob Kaiser, am "1. Deutschen Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden" am 6. Dezember 1947 teilgenommen, der von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) organisiert worden war. Theodor Heuss warf der LDP vor, sie habe sich für "die russische Auffassung von deutscher Einheit" entschieden.

 

Arthur Lieutenant, neben Ernst Mayer einer der beiden Geschäftsführer, erklärte für die LDP daraufhin, daß unter diesen Umständen und Vorwürfen für die "Ost-Liberalen" eine weitere Zusammenarbeit "zunächst unmöglich" sei. Das war das faktische Ende der DPD. Eine formale Auflösung gab es nicht, man kam einfach nicht mehr zusammen, so fand zum Beispiel nach Külz’ Tod am 10. April 1948 keine Nachwahl eines Vorsitzenden statt.

 

Bereits Anfang Juli 1945 hatten die ehemaligen DDP-Mitglieder Wilhelm Külz, Eugen Schiffer sowie dessen Schwiegersohn Waldemar Koch zur Gründung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDP) als gesamtdeutscher Organisation aufgerufen, die jedoch aufgrund der zögerlichen Genehmigung in den drei Westzonen lediglich in der Ostzone konstituiert wurde.

 

Im Oktober 1946 erreichten die Liberaldemokraten bei den einzigen freien Landtagswahlen in den sowjetisch besetzten Gebieten zwischen 7,8 Prozent in Groß-Berlin (Ost) und 29,9 Prozent in Sachsen-Anhalt, wo sie mit Erhard Hübener sogar den einzigen nichtkommunistischen Ministerpräsidenten stellten.

 

Auch wenn die gesamtdeutsche liberale Partei nicht verwirklicht werden konnte, so opponierte die LDP in der SBZ gegen die Machtergreifung durch die SED und hatte dabei einen großen Zulauf an jungen Leuten. Der Widerstand wurde jedoch bis 1950 gebrochen, wobei insbesondere die im Jahr 1951 vollstreckten Todesurteile gegen Arno Esch und fünf seiner Kommilitonen und die langjährige Gefängnisstrafe Wolfgang Natonecks zu nennen sind.

 

Warum fand der "Gesamtvertretertag der liberalen, demokratischen Parteien aus den nicht sowjetisch besetzten Teilen Deutschlands und seiner Hauptstadt Berlin" und damit die Gründung der FDP gerade im ehemaligen Kurmainzer Amtshof (Amtsgasse 5) in Heppenheim statt? Am 10. Oktober 1847 hatten sich bei der Heppenheimer Tagung die gemäßigten Liberalen im Vorfeld der Märzrevolution getroffen. Die "Heppenheimer Versammlung", die im Gasthof "Zum halben Monde" stattfand, sollte als ein Treffen der 18 führenden süd- und westdeutschen Liberalen den Auftakt zur deutschen Revolution von 1848/49 bilden.

 

Die FDP war nach der ersten liberalen Partei, der Deutschen Fortschrittspartei aus dem Jahr 1861, der erste Versuch,  alle Liberalen (wieder) zu vereinen und für alle Aspekte des Liberalismus zu stehen - mit Blick auf den Staat, die Gesellschaft und die Wirtschafts- und Sozialordnung. Daher sollte sie auch Liberaldemokratische Partei heißen. Das scheiterte an Deutschnationalen und (ehemaligen) Nationalsozialisten, die sich der FDP bedienen wollten, ähnlich wie im Verband der Unabhängigen in Österreich, aus dem die FPÖ hervorgegangen ist. (Hin und wieder liest man auch von einem nationalliberalen Lager. Nach meiner Überzeugung waren es aber keine Nationalliberalen, sondern Deutschnationale, Nationalisten und Rechtskonservative.)

 

Die Bezeichnung Freie Demokratische Partei (FDP) wurde als Kompromiß von den Delegierten mit 64 gegen 25 Stimmen gebilligt. Nur mit Mühe gelang es, das liberale und das deutschnationale Lager zusammenzuhalten. Die gemeinsame programmatische Schnittmenge waren der wirtschaftspolitische Grundsatz einer freien marktwirtschaftlichen Ordnung und die Ablehnung jeglicher Sozialisierungsbestrebungen.

 

Als erster Vorsitzender der neu gegründeten Partei wurde Theodor Heuss quasi als Vertreter der "entschiedenen Liberalen" mit 72 Ja-Stimmen und 15 Enthaltungen gewählt. Als dessen Stellvertreter bestimmten die Delegierten Franz Blücher (81 Stimmen) quasi als Vertreter der Deutschnationalen ("Nationale Sammlung").

 

 In den engeren Vorstand wurden gewählt: Thomas Dehler (85), August-Martin Euler (69), Fritz Oellers (62), Hermann Schäfer (76), Carl-Hubert Schwennicke (89) und Eberhard Wildermuth (89). Der Vertraute von Theodor Heuss, Ernst Mayer, fiel hingegen mit nur 31 Stimmen durch, wurde aber später als Geschäftsführer benannt.

 

Daneben wurden zwei Vertreter der Jungdemokraten (Alfred Rauschenbach und Wolfgang Mischnick) und zwei Vertreter der Frauenorganisation (Ella Barowsky und Lotte Friese-Korn) als Mitglieder des Vorstandes gewählt. Hinzu kamen noch jeweils die Vorsitzenden der Landesverbände und folgende vier Personen: Hermann Höpker-Aschoff, Hermann Dietrich, Wolfgang Glaesser und Hans Reif. August Weber, von September 1930 bis Juli 1932 Vorsitzender der Fraktion der Deutschen Staatspartei (vormals Deutsche Demokratische Partei) im Reichstag, wurde nicht gewählt.

 

Der große Einfluß der Deutschnationalen machte sich auf dem Bundesparteitag vom 18. bis zum 23. September 1951 in München deutlich: Die FDP verlangte die Freilassung (Amnestie) aller "so genannten Kriegsverbrecher" und begrüßte die Gründung des Verbands deutscher Soldaten (VdS) aus ehemaligen Wehrmachts- und SS-Angehörigen, zu dessen Vorsitzenden der ehemalige Generaloberst der Wehrmacht, Johannes Frießner, gewählt worden war.

 

Ein gutes Jahr später, auf dem Bundesparteitag vom 18. bis zum 22. November 1952 im Kurhaus Bad Ems standen sich ein Deutsches Programm und ein Liberales Manifest gegenüber. Letztendlich wurde kein Beschluß gefaßt und der innerparteiliche Konflikt blieb ungelöst.

 

Die nach Werner Naumann, ehemals Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und zuvor persönlicher Referent von Joseph Goebbels, benannte Naumann-Affäre machte den Versuch von Nationalsozialisten mehr als deutlich und publik, die Partei zu unterwandern, die vor allem in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen viele rechtskonservative und nationalistische Mitglieder hatte.

 

Nachdem die britischen Besatzungsbehörden in der Nacht zum 15. Januar 1953 sieben prominente Vertreter des Naumann-Kreises ("Gauleiter-Kreis") verhaftet hatten, setzte der FDP-Bundesvorstand eine Untersuchungskommission ein, bestehend aus Thomas Dehler (Vorsitz), Fritz Neumayer und Alfred Onnen, die insbesondere die Zustände in der nordrhein-westfälischen FDP scharf rügte.

 

Die Mitglieder des ersten Bundesvorstands, Franz Blücher, August-Martin Euler, Hermann Schäfer und Carl-Hubert Schwennicke, beteiligten sich am 23. April 1956 an der Gründung der Freien Volkspartei (FVP), nachdem die sogenannte Euler-Gruppe, 16 FDP-Bundestagsabgeordnete, darunter die vier "FDP-Minister", bereits am 22. Februar 1956 die FDP-Bundestagsfraktion verlassen und sich am 15. März 1956 im Bundestag als "Demokratische Arbeitsgemeinschaft" organisiert hatte und auf dem FDP-Bundesparteitag vom 20. bis zum 22. April 1956 aus der FDP ausgeschlossen worden war.

 

In den folgenden Jahren verlor der rechte Flügel an Kraft, die extreme Rechte suchte sich zunehmend Betätigungsfelder außerhalb der FDP.

 

Nachdem man sich vermeintlich von diesen Kreisen getrennt hatte, war es daher auf dem Bundesparteitag in Mainz vom 27. bis zum 29. Oktober 1975 nach der "Naumann-Affäre" und den Entwicklungen ab dem Jahr 1956 ("Jungtürken-Aufstand") und vor allem seit dem Jahr 1969 (Sozialliberale Koalition) eine sehr bewußte Entscheidung, den Zusatz "Die Liberalen" einzuführen und damit diese Entwicklung deutlich und aus den Freidemokraten Liberale zu machen, ohne den eingeführten Parteinamen zu ändern.

 

Und es war zu Beginn des Jahres 2015 anscheinend ebenfalls eine sehr bewußte Entscheidung, öffentlichkeitswirksam auf dem traditionellen Dreikönigstreffen am 6. Januar den Zusatz "Die Liberalen" wieder abzuschaffen und durch den Ausdruck Freie Demokraten zu ersetzen. Aus den Liberalen, die sich synonym auch als Freie Demokraten bezeichnet haben, wurden Frei(heitlich)e Demokraten, Freiheitliche (Demokraten) ...

 

Man besann sich auf eine unrühmliche Vergangenheit, um Wähler und Mitglieder vom rechten Rand zurückzugewinnen, aber auch neu zu gewinnen. Immerhin waren nicht wenige (ehemalige) FDP-Mitglieder und -Wähler wie Alexander Dilger, Axel Hahn, Jobst Landgrebe, Dagmar Metzger, Marcus Pretzell, Klaus Remkesan, Beatrix von Storch und Hans-Thomas Tillschneider an der Gründung der Partei "Alternative für Deutschland (AfD)" am 6. Februar 2013 und deren Aufstieg beteiligt gewesen.

 

Wohin wird die Reise der FDP gehen? Vergangenheit oder Zukunft? FPÖ oder NEOS? Rechtspopulismus oder Liberalismus?

 

75 Jahre FDP

 

"Schattenjahre - Die Rückkehr des politischen Liberalismus"

 

Die Geschichte der liberalen Parteien