E-Mail vom 20.10.2011

Lieber Herr Lindner,
 
auch wenn ich mich aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Rat der Stadt Elsdorf und mir rund um Qualität und Quantität der Fraktions- und Koalitionsarbeit aus der Elsdorfer Kommunalpolitik zurückgezogen habe, habe ich die Fahne der FDP immer hochgehalten und wollte ich dies eigentlich auch weiter tun.
 
Inzwischen fällt es auch mir immer schwerer, dies guten Gewissens noch zu machen. Es geht hier vor allem um das ständige Hin und Her rund um das Thema Steuern.
 
Eines vorab: Ich halte die Forderung nach einer Vereinfachung unseres Steuersystems und auch den Einstieg in weitere Steuersenkungen bzw. in die Beseitigung der sogenannten "kalten Progression" für unabdingbar, und sie steht für mich auch nicht im Widerspruch zum grundsätzlichen Ziel des Schuldenabbaus.
 
Leider muß ich Ihnen in meiner Eigenschaft als Kommunikationsberater sagen, daß führende FDP-Politiker - erst recht in der Kombination mit Unionspolitikern - sich in den vergangenen Wochen und Monaten gerade bei diesem Thema eher wie eine Laienspielschar verhalten. Das ist höchst unprofessionell, was hier geboten wird.
 
Sehen Sie mir diesen Vergleich nach, aber so kommt es bei mir - vor allem über die Medien - an - und leider nicht nur bei mir.
 
Erst hieß es im Bundestagswahlkampf, daß wir nur einen Koalitionsvertrag unterschreiben werden, der eine einfaches, niedriges und gerechtes Steuersystem vorsieht. Dies haben wir dann zwar mehr oder weniger erreicht, aber dann ... Dann ging es mit dem Hin und Her los.
 
Nach der Abwahl von Herrn Dr. Guido Westerwelle wurde das Thema neu verpackt und mit der Haushaltskonsolidierung verknüpft. So weit so gut. Und nun?
 
Jetzt geht die Diskussion schon wieder los. Kaum hat Herr Dr. Philipp Rösler mit Herrn Dr. Wolfgang Schäuble neue Steuerpläne vorgestellt, die aus meiner Sicht sehr halbherzig sind (Warum führt man nicht sofort einen automatischen Ausgleich ein - wie z. B. in der Schweiz, in Frankreich oder Kanada?), da wird das Thema vom Koalitionspartner CSU wieder in Frage gestellt bzw. zunichte gemacht. Wie lange soll das noch so weiter gehen?
 
Sicher muß man auf verändernde Situationen reagieren (können) - wie die Banken-, Finanz- und letztendlich Wirtschaftskrise - und kann nicht stur an einem einmal gefaßten Beschluß festhalten, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern.
 
Aber diese Achterbahnfahrt, die wir um das Steuersystem veranstalten, ist mittlerweile für niemanden mehr nachvollziehbar und nur noch peinlich. Da frage ich mich, warum Guido auf sein Amt als Bundesvorsitzender verzichten mußte? Da hätte er auch gut und gern weitermachen können.
 
Wenn es den Repräsentanten der FDP - gemeinsam mit den Koalitionspartnern CDU und CSU - nicht gelingt, gerade bei diesem Thema mit einer Stimme zu sprechen, dann sehe ich schwarz oder besser orange.
 
Inzwischen muß leider auch ich sagen, daß die Piratenpartei für die Grundsätze des Liberalismus steht, die von (vielen) FDP-Politikern nicht mehr gelebt werden.
 
Selbst Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die bisher immer noch für das Thema Bürgerrechte stand und nach meinem Gefühl eine hohe Glaubwürdigkeit - auch durch ihr Verhalten seinerzeit beim Thema "Großer Lauschangriff" - besitzt bzw. besaß, ist bei dem Thema Trojaner-Einsatz meines Erachtens zu zurückhaltend.
 
Und Herr Daniel Bahr verprellt - für meine Begriffe völlig ohne Not - die Ärzte, vor allem die Fachärzte mit dem Thema Wartezeiten. Was sollte das?
 
Wer arbeitet denn freiwillig länger, ohne dafür mehr Geld zu bekommen? Wollen wir jetzt die Zwangsarbeit für freiberuflich tätige Ärzte einführen? Ist das liberal?
 
Wir sollten uns vielleicht lieber endlich mal um ein freiheitliches Gesundheitssystem kümmern, das auf dem generationengerechten und damit auch zukunftssichereren Anwartschaftsdeckungsverfahren beruht und zum Beispiel eine Gebührenordnung vorsieht, bei der alle Beteiligten wissen, wie viel sie für eine Leistung bezahlen müssen und bekommen können.
 
Freundlich-liberale Grüße
Ihr Wolfgang Gerstenhöfer