Hat die FDP ihren Kern, ihren Markenkern wiedergefunden? (24.10.2015)

Zu diesem Ergebnis ist Sebastian Nerz, ehemaliger Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland (14. Mai 2011 bis 28. April 2012), in einem Gastbeitrag für Zeit Online vom 23. Oktober 2015 gekommen. Dieser hatte die Piratenpartei als sozialliberale Grundrechtspartei, die sich unter anderem für politische Transparenz einsetzen will, bezeichnet.


http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-10/sebastian-nerz-fdp-piratenpartei-gastbeitrag


Was war bzw. ist der Markenkern der FDP?

Ist es die Idee der größtmöglichen Freiheit für alle Menschen - unabhängig von Einkommen, Vermögen und sozialer Herkunft, ist es die Idee, die Weltanschauung des Liberalismus?

Die FDP, die Freie Demokratische Partei wurde im Dezember 1948 gegründet. Es war nach der Deutschen Fortschrittspartei (1861 bis 1867) der erste Versuch, alle Anhänger der freiheitlichen und freisinnigen Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung des Liberalismus in einer Partei zu vereinen.

 

Sollte sie zunächst Liberaldemokratische Partei heißen, einigte man sich mehrheitlich auf Freie Demokratische Partei. Denn es waren nicht nur Liberale, sondern auch Deutschnationale an der Gründung beteiligt. Dies gipfelte 1952/53 in der sogenannten Naumann-Affäre, dem Versuch von Nationalsozialisten, die FDP zu unterwandern. (Hier sei ein Blick auf die FPÖ und ihre Entwicklung erlaubt.)

Immer wieder kam es zu Abspaltungen - FVP (1956), NLA (1970), LD (1982), BFD (1990), BFB (1994) und Neue Liberale (2014) - oder zu Neugründungen - ddp (2004), Piraten (2006), AfD (2013) und ALFA (2015). (Das ist wahrscheinlich die Schattenseite der großen Individualität von uns Liberalen. Der Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.)

Im Jahr 1961 handelte sich die FDP das Image der Umfallerpartei, des Fähnleins im Wind ein, als sie entgegen ihrem Wahlversprechen Dr. Konrad Adenauer wieder zum Bundeskanzler wählte, um wieder an der Regierung beteiligt zu werden.

Mit dem Zusatz "Die Liberalen" wollte man im Jahr 1976 endlich ein Versäumnis der Vergangenheit nachholen und deutlich machen, daß die FDP sich als liberale, als die liberale Partei Deutschlands sieht.

 

Bereits sehr früh entwickelte sich die Programmpartei zu einer Funktions- und Klientelpartei. Öfter wurden das Programm und damit auch der Markenkern den politischen Gegebenheiten, dem Willen des jeweiligen Koalitionspartners, der Koalitionsräson untergeordnet bzw. geopfert.

Der Liberalismus wurde nicht mit allen seinen Aspekten und Komponenten - also ganzheitlich - und in allen Lebensbereichen und auf allen Politikfeldern konsequent vertreten, sondern nur in Teilgebieten - mal mehr im Bereich der Innen-, Rechts- und Gesellschaftspolitik, mal mehr der Außen-, Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Ich selbst - sehr an Geschichte interessiert - habe mich sehr früh mit den Grundwerten des Liberalismus - im Humanismus und im Rationalismus wurzelnd - und seinem Menschenbild identifiziert. Die sogenannte Wende von 1982 hatte dann auch mein Interesse an der praktischen Politik geweckt.

Im Laufe des Jahres 1983 hatte ich mich mit den Grundsatz- und Wahlprogrammen vor allem der im Bundestag vertretenen Parteien befaßt. Für die "F.D.P. - Die Liberalen" hatte ich mich aufgrund des Wahlprogramms anläßlich der Bundestagswahl von 1980 entschieden. Gleichzeitig begrüßte ich damals das Ende der sozialliberalen Koalition.

 

In vielen Wahlkämpfen, die ich für die FDP geführt habe, wurde ich damit konfrontiert, daß sie von nicht wenigen Menschen - auch von Liberalen - als Partei der Ellenbogengesellschaft, der sozialen Kälte, des "Manchesterkapitalismus" (arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindlich und arbeitgeberfreundlich), der Pöstchenjäger und der Prinzipienlosigkeit bzw. des Opportunismus empfunden wurde.

Das hatte mich immer persönlich sehr getroffen, weil ich im Liberalismus eine politische Leitlinie gesehen habe, um Antworten und Lösungen zu finden, die sozial bzw. human und trotzdem oder gleichzeitig freiheitlich bzw. libertär sind.

Manche Vorwürfe trafen mehr oder weniger zu, manche sicher nicht. Das ist aber letztendlich egal. Entscheidend war und ist nicht das Selbstbild, sondern einzig und allein das Fremdbild. Image folgt Fakten. Deshalb müssen Fakten geändert und geschaffen werden.

Programme sind gut, aber geduldig. Und die FDP hatte und hat viele gute Programme - die Piratenpartei übrigens auch. Die Inhalte müssen aber von den Repräsentanten gelebt und in die Parlamente getragen werden - auch ohne sichere Mehrheiten dafür zu haben.

 

Bleibt die Frage, welchen Kern die FDP, die Freien Demokraten (wieder) gefunden haben. Ich weiß es nicht.

Ich kenne keine Links-, National-, Rechts-, Sozial- oder Wirtschaftsliberale und auch keine Freien Demokraten, sondern nur Liberale. Wir brauchen eine Partei für alle Menschen, denen Freiheit im Sinne von Unabhängigkeit, Selbst- und Mitbestimmung sowie Eigenverantwortung und -vorsorge, Gleichheit im Sinne von Rechts- und Chancengleichheit und Brüderlichkeit im Sinne von Solidarität und Subsidiarität wichtig sind - und zwar unabhängig von Einkommen, Vermögen und sozialer Herkunft.

Der Grundsatz des Liberalismus ist für mich der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant ("Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.") oder die sogenannte Goldene Regel ("Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu."). Hinzu kommen das Bekenntnis zum freiheitlichen und demokratischen Verfassungs- und Rechtsstaat mit den garantierten Menschen- und Bürgerrechten und zur liberalen und damit sozialen Marktwirtschaft im Sinne des Ordo- bzw. des Neoliberalismus, im Sinne der Freiburger Schule der Nationalökonomie.

 

Das ist nach meiner Überzeugung der Markenkern der Liberalen Partei Deutschland(s). Ist es aber auch der Kern der (neuen) FDP?

Nur am Rande:

Als am Dreikönigstag dieses Jahres aus den liberalen Freidemokraten Freie Demokraten wurden, haben die Parteien "Liberale Demokraten - die Sozialliberalen (LD)" und "Neue Liberale (Liberale)" sowie die Verbraucherschutzpartei (VS) bekanntgegeben, daß sie Gespräche über eine künftige Zusammenarbeit aufnehmen wollen. Es sollen gemeinsame politische Grundsätze formuliert und die Möglichkeit eines Zusammenschlusses der drei Parteien besprochen werden. Die Mitglieder aller drei Parteien können die Gespräche mit einer möglichen Mehrfachmitgliedschaft unterstützen und vernetzen.

Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre es, wenn sich die FDP und die Piratenpartei Deutschland auch an diesen Gesprächen beteiligen würden. Vielleicht kann Sebastian Nerz mit seinen neuen und alten Kontakten zu Christian Lindner, Stefan Körner und ins Frankfurter Kollegium eine Brücke bauen.

 

Und dann wären da möglicherweise noch:

Partei der Humanisten
deutsche demokratische partei
Ökoliberale Deutschland
Bürgernahe Liberale Union
Bürgerrechtspartei für mehr Freiheit und Demokratie - Die Freiheit
Demokratische Partei
Deutsche Säkular-Humanistische Allianz
Freiheitlichen Partei Deutschlands
Sozialliberales Forum

(Mit den meisten dieser Parteien habe ich mich bisher nicht näher beschäftigen können. Ich weiß also nicht, ob sie tatsächlich zur Familie der liberalen Parteien gehören. Ihre Namen sprechen dafür.)