Rede von Christian Lindner am 6.1.2015

Von: Wolfgang Gerstenhöfer [mailto:wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de]
Gesendet: Freitag, 23. Januar 2015 09:36
An: Lindner, Christian
Betreff: Ihre Rede am 6.1.2015

 

Lieber Herr Lindner,

 

hier kommt spät, aber doch noch meine versprochene Rückmeldung zu Ihrer Rede, die Sie auf dem Dreikönigstreffen der FDP gehalten haben:

 

Leider verstehe ich Sie inzwischen gar nicht mehr. Dabei hatte ich so hohe Erwartungen in Sie gesetzt. Sie haben mich sehr enttäuscht.

 

Genug gejammert, zur Sache:

 

http://www.liberale.de/content/lindner-rede-wir-sind-freie-demokraten

 

Ich fange mal ausnahmsweise mit dem Ende Ihrer Rede an. Sie sagen, daß die FDP ihre liberale Überzeugung nicht versteckt, sondern wieder zu ihrem Kern zurückkehrt. Sie wollen die Dosierung an Liberalismus in Programm und Auftreten erhöhen. Dann frage ich mich allerdings, warum Sie gleichzeitig ganz offiziell und öffentlichkeitswirksam auf den Zusatz "Die Liberalen" verzichten.

 

Dieser Zusatz ist doch 1976 aus gutem Grund eingeführt worden. Denn es war und ist eben nicht selbstverständlich, daß Freidemokraten auch Liberale sind.

 

Da hätte ich mir noch eher die Umbenennung der FDP in Liberale Partei Deutschland(s) gewünscht.

 

Zunächst sollte die spätere FDP Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, dann Demokratische Partei Deutschlands - in Anlehnung an die Deutsche Demokratische Partei der "Weimarer Republik" - und schließlich Liberaldemokratische Partei heißen.

 

Warum wurde es dann Freie Demokratische Partei? Ganz einfach: Dies war der Kompromiß, der gemacht werden mußte, weil Freidemokraten eben nicht per se liberal waren bzw. sind. Denken Sie an die "Naumann-Affäre".

 

Bereits der Name Demokratische Partei Deutschlands war ein Kompromißvorschlag, der Zusatz "Freie" war dann ein Zugeständnis an die Liberalen.

 

Vor diesem Hintergrund ist Ihre folgende Aussage schon sehr gewagt: "Theodor Heuss und seine Mitgründer haben den besten Namen für eine Partei gefunden, ..."

 

Nun haben Sie sich vom Liberalismus verabschiedet. Die FDP ist also die Partei der Freien Demokraten und nicht mehr die der Liberalen. Diese brauchen nun endgültig eine neue Partei.

 

Ansonsten hat mir Ihre Rede zwar gut gefallen, aber sie bleibt leider erneut an der Oberfläche. Man kann nicken, zustimmen, aber es bleibt sehr abstrakt. Was heißt das alles ganz konkret? Konkret auf die Schaffung oder auch die Abschaffung oder Änderung von Rechtsvorschriften bezogen? Was heißt das für die Menschen und deren Familien, die Angst um ihre wirtschaftliche Existenz haben - und das werden immer mehr - oder die bereits am Existenzminimum leben?

 

Beispiele:

 

"Wir machen DICH größer – und nicht den Staat."

 

Ein sehr schöne Idee! Und nun? Wie soll das funktionieren? Dazu kommt leider nichts. Hier würde z. B. nach meiner Ansicht das Bürgergeld, die negative Einkommensteuer, das bedingungslose Grundeinkommen gehören. Darin liegt nämlich die Chance, mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, die Angst um ihre wirtschaftliche Existenz - vor allem wenn man eine Familie zu versorgen hat - zu verkleinern und dann auch den Mut zu entwickeln, neue Wege zu gehen.

 

Freiheit ist gut und schön, aber ganz ohne Sicherheit ist Freiheit eine leere Hülse - das gilt für die innere und äußere, aber eben auch für die finanzielle und soziale Sicherheit. Ich nenne das die (liberale) Forderung nach sozialer Freiheit, die sich für mich aus dem Kategorischen Imperativ oder etwas volkstümlicher aus der Goldenen Regel ergibt. Für mich das Grundgesetz des Liberalismus.

 

"... wenn wir als Individuen und als Land neue, bessere Wege zu gehen wagen, wenn wir bremsende Gewohnheiten ablegen."

 

Was verstehen Sie darunter? Wie soll das aussehen? Welche Gewohnheiten meinen Sie? Heißt das "Friß Vogel oder stirb´."? Also doch die Partei der Überflieger, und Glücksritter, der Karrieristen und Workaholics, der Besserverdiener und Steueroptimierer?

 

"... weltbeste Bildung das Schlüsselprojekt des Gesamtstaates werden! Das wäre die Bildungsrevolution, die wir brauchen!"

 

Das ist doch keine neue Forderung der FDP. Mich hat neben meiner Begeisterung für den Liberalismus der Inhalt des Wahlprogramms der FDP anläßlich der Bundestagswahl 1980 in die F.D.P. geführt. In diesem Programm wurde bereits "eine Neuordnung der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern, damit

die Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit des Bildungsföderalismus verbessert und ein Mindestmaß an Einheitlichkeit in wichtigen Grundfragen der Bildungspolitik gesichert werden kann."

 

http://www.freiheit.org/files/288/1980_Bundestagswahlprogramm.pdf

 

http://gerstenhoefer.jimdo.com/liberalismus-wie-ich-ihn-sehe/

 

Nun stellt sich für mich aber die Frage, was FDP-Politiker seit 1980 im Bund und in den Ländern dafür getan haben, um dieses Ziel zu erreichen. Und dann stellt sich sehr schnell die Frage nach der Glaubwürdigkeit, nach Vertrauen und Zuverlässigkeit.

 

"60 Prozent der Lehrer beklagen nach Umfragen, dass sie zu wenige Gestaltungsmöglichkeiten im Unterricht haben."

 

Wenn ein Mehr an Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten der Schüler genutzt würde, dann bin ich dafür. Leider habe ich die Erfahrung gemacht, daß der Erfolg der Kinder in unserem Bildungssystem sehr von dem Zufall abhängt, welche Schule, welche Lehrer und welche Mitschüler man "erwischt". Bekommt man den "richtigen" Lehrer zugeteilt, hat man Glück. Anderenfalls hat man die A-Karte gezogen. Pädagogische Freiheit gut und schön, aber im Mittelpunkt sollten die Schüler, sollten die besten, die erfolgreichsten Unterrichtsmethoden und -materialien stehen.

 

Treten Sie in Nordrhein-Westfalen nicht immer noch für G8 ein, obgleich sie genau wissen, daß die Umsetzung eine Katastrophe ist? Auch Sie und Ihre Landtagsfraktion haben sich doch unter dem "Runden Tisch" versteckt. G8 ist gut, wenn die Voraussetzungen stimmen (würden), nicht vorher. Und das gilt auch für die Inklusion.

 

"Fangen wir damit an, die Existenzgründung so einfach zu machen wie einen Mietwagen zu nehmen ..."

 

"Wir brauchen eine neue Chancenkultur: Risikobereitschaft braucht Anerkennung – und wer scheitert, der hat einen neuen Anlauf verdient!"

 

Wieder eine gute Idee! Aber wie wollen Sie das machen? Wie wollen Sie das erreichen? Werden Sie konkret! Das sind Allgemeinplätze.

 

"Es müssen nicht nur die Folgen der Einführung einer Technologie untersucht werden, sondern auch die Folgen des Verzichts auf eine Technologie!"

 

Was wollen Sie damit sagen? Bleiben wir beim Thema Fracking. Ich habe nichts gegen neue Technologien, wenn sie ausgereift sind und man Chancen und Risiken einschätzen kann. Wenn sie die USA als Vorbild nehmen, dann vergleichen Sie Äpfel mit Birnen.

 

Machen Sie nicht den Fehler, den die FDP schon bei und mit der Kernenergie gemacht hat. Was hat sie 1980 formuliert? "Trotzdem ist der Einsatz von Kernenergie zur Deckung des Energiebedarfs nur dann gerechtfertigt, wenn wirk­lich nachweisbar jede andere Energiequelle nicht ausreicht, die äußersten Anstrengungen zur Energieeinsparung gemacht worden sind und hinreichende Sicherheit gewährleistet ist." Selbstbetrug? Und dann kam die Nuklearkatastrophe von Fukushima und alle waren ganz erstaunt und überrascht ... Soll uns das beim Thema Fracking auch so ergehen?

 

"Generell muss diese Branche also liberalisiert werden. Und das trifft auf andere auch zu. ... Aber wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Etablierten und den Newcomern, zwischen den Mächtigen und den Außenseitern schaffen, damit die Kunden entscheiden können – und sich die bessere Idee durchsetzt!"

 

Was heißt Liberalisierung? Geht es um den Abbau von Bürokratie und Formalismus? Oder geht es zu Lasten von Kunden und Mitarbeitern? Sollen Gesundheits-, Umwelt- und Sicherheitsstandards abgebaut werden, wie das auch bei den diversen Freihandelsabkommen befürchtet wird - neben dem Investorenschutz mit Hilfe privater Schiedsgerichte zu Lasten demokratischer Entscheidungen souveräner Staaten und/oder einzelner Gebietskörperschaften? Das wäre nämlich nicht liberal. Bitte Liberalisierung nicht mit Liberalismus verwechseln. Das sind zwei Paar Schuhe.

 

Sehr gut hat mir gefallen, daß Sie die Menschen, die Bedenken, Sorgen und Ängste wegen der steigenden Zahl an Flüchtlingen und Asylbewerbern haben, auch wenn diese noch so unbegründet und unberechtigt sein mögen, vor einer Pauschalverurteilung in Schutz nehmen.

 

Aber was kommt dann? Welches Fazit ziehen Sie, zieht die FDP aus den diversen "Alltagsbeobachtungen nicht gelungener Integration" (schöne Formulierung!)? Dazu kann ich nichts finden.

 

Soll die Lösung "nur" in einer Vereinfachung des Asylrechts, in schnelleren Entscheidungen liegen? Das erinnert mich eher an die CSU und die AfD als an eine liberale Partei.

 

"Dazu gehört die Idee des weltanschaulich neutralen Staates mit seiner liberalen Verfassung."

 

Setzt sich die FDP nun endlich wieder für eine Trennung von Staat und Kirche, von Staat und Religion(en) ein? Auch diese Forderung können Sie im Wahlprogramm von 1980 finden. Graben Sie das Thesenpapier "Freie Kirche im Freien Staat" wieder aus und aktualisieren es? Das wäre liberal.

 

"Für uns Freie Demokraten ist klar: Unser Platz ist immer an der Seite derjenigen, die sich weltweit für Freiheit, Menschenrechte, Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft einsetzen!"

 

Hier meinen Sie aber nicht wirklich die USA oder etwa doch? Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin weder für einen Austritt aus der NATO noch für die Verbrüderung mit Rußland, aber die USA als demokratischen Rechtsstaat und als Marktwirtschaft zu bezeichnen, halte ich für sehr gewagt. Sind die Enthüllungen eines Herrn Edward Snowden, die NSA-Affäre, Guantánamo oder der "CIA-Folterbericht" spurlos an Ihnen vorüber gegangen? Und im Bereich Wirtschaft würde ich bei den USA noch mehr von Kapitalismus, von Monopolkapitalismus sprechen als hier bei uns? Das ist keine (liberale) Marktwirtschaft.

 

Noch zum Schluß zum Anfang Ihrer Rede:

 

"Wir hatten über 250 Veranstaltungen. Über 15.000 Mitglieder der FDP haben sich beteiligt. Eine solch offene Debatte hat es in der FDP nie zuvor gegeben – kaum je auch in einer anderen Partei."

 

Nur die Änderung des für eine Partei so wichtigen Logos und des damit verbundenen Erscheinungsbilds wurde über die Köpfe der Mitglieder hinweg entschieden. Keine Mitgliederbefragung oder -beteiligung, schon gar kein Mitgliederentscheid. Soll das die Mitmach-Partei FDP sein? Ist das Ihre Vorstellung von innerparteilicher Demokratie und Mitbestimmung? Spricht das für den Einsatz der Freien Demokraten für ein Mehr an Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie? Oder steht das nicht (mehr) auf der Agenda einer freien Demokratie?

 

[Lassen Sie mich als Kommunikationsberater noch ein paar Worte zu der Arbeit der von Ihnen beauftragten Agentur schreiben: Das neue Logo und seine diversen Variationsmöglichkeiten ist nach meiner Einschätzung viel zu bunt und zu vielfältig. Es wirkt damit eher unseriös und unprofessionell. Die grundlegenden Anforderungen an ein einheitliches Erscheinungsbild, eines Corporate Design werden damit nicht erfüllt. Aber das ist ein Thema für sich ...]

 

Ich hatte wirklich gehofft, daß die FDP unter Ihrer Führung die Chance hat, die liberale Partei Deutschlands zu werden, daß die FDP die Partei wird, die alle Liberalen vereint und ihnen eine politische Heimat gibt. Eine Partei, die den Liberalismus mit allen seinen Aspekten und Komponenten konsequent vertritt und umsetzt - und nicht nur auf Teilgebieten, wie wir das bei der FDP in der Vergangenheit erleben mußten - abhängig von der jeweiligen Koalition. Sie war leider mehr Funktions- als Programmpartei, das bekannte Zünglein an der Waage - meistens mit Ergebnissen knapp über der Sperrklausel. Fast jede Wahl war eine Zitterpartie.

 

Und über die Zeit nach der sehr erfolgreichen Bundestagswahl 2009 bis zur Bundestagswahl 2013 brauchen wir doch nicht zu reden. Aber das sehen Sie - so habe ich den Inhalt Ihrer Rede verstanden - offensichtlich inzwischen auch so.

 

Deshalb freue mich sehr darüber, daß die Parteien "Liberale Demokraten" federführend, die "Neuen Liberalen" und die Verbraucherschutzpartei erklärt haben, über eine Zusammenarbeit bzw. einen Zusammenschluß zu verhandeln. Ich will und werde dies im Rahmen meiner Möglichkeiten mit Rat und Tat unterstützen. Leider fehlt hier noch die Piratenpartei Deutschland. Sie gehört meines Erachtens unbedingt mit dazu.

 

Sie können mir glauben, daß ich gar nichts von der Zersplitterung in mehrere Parteien halte. Ich stand 1983 auch vor der Wahl, mich den Liberalen Demokraten oder der F.D.P. anzuschließen. Ich habe mich ganz bewußt für die F.D.P. entschieden.

 

Ich kenne nur Liberale, keine Links-, National-, Rechts-, Sozial- oder Wirtschaftsliberale. Alle Liberalen müssen in einer Partei an einem Strang ziehen und zwar ganz klar in Richtung Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Hilfe zur Selbsthilfe. Liberal heißt sozial und trotzdem freiheitlich.

 

Denn die Geschichte zeigt, daß gerade wir Liberalen uns diese Spaltung in mehrere Lager nicht leisten können. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Bereits jetzt wird in Analogie zu den K-Gruppen von L-Gruppen gesprochen. Das schmerzt mich sehr.

 

http://gerstenhoefer.jimdo.com/die-geschichte-der-liberalen-parteien/

 

Sie setzen aber die Fehler der Vergangenheit munter fort. Sie schaffen es nicht, deutlich zu machen, daß der Liberalismus sozial und trotzdem freiheitlich ist, daß eine wirkliche Marktwirtschaft immer sozial ist, wir nur schon lange keine Marktwirtschaft mehr haben, keinen Neo- oder Ordoliberalismus.

 

http://gerstenhoefer.jimdo.com/liberalismus-wie-ich-ihn-sehe/marktwirtschaft/

 

Die FDP kommt einfach nicht raus aus den alten Spurrinnen - Klientelpolitik, "Mövenpick-Partei", soziale Kälte, Partei der Besserverdiener. Immer wieder werden die Klischees, die Vorurteile bedient statt sie mit konkreten Forderungen und Vorschlägen, mit deutlichen Worten zu entkräften.

 

Deshalb setze ich auf einen Zusammenschluß der sich noch liberal nennenden Parteien. Vielleicht stößt die FDP irgendwann dann wieder dazu - zumindest die, die nicht nur Freie Demokraten, sondern vor allem Liberale (geblieben) sind.

 

Bisher habe ich mich noch keiner neuen Partei wieder angeschlossen, sondern versuche, die Entwicklung des organisierten Liberalismus im Rahmen meiner Möglichkeiten so konstruktiv wie möglich zu begleiten.

 

Sehr gern würde ich irgendwann Mitglied der Liberalen Partei Deutschland(s) werden und in und mit ihr am Erfolg unseres Landes arbeiten. Mal schauen, wo die Reise der (deutschen) Liberalen hingeht. Ich bin sehr gespannt.

 

Sie wissen, daß ich Ihnen immer gern zum Dialog und als Sparringspartner zur Verfügung stehe.

 

Mit freundlich-liberalen Grüßen und den besten Wünschen für das bevorstehende Wochenende

Ihr Wolfgang Gerstenhöfer

liberal - sozial und trotzdem freiheitlich

 

http://gerstenhoefer.jimdo.com/