FDP und Liberalismus - zwei Welten?

Von: Wolfgang Gerstenhöfer [mailto:wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de]
Gesendet: Samstag, 30. Oktober 2021 10:50
An: 'c.koektuerk@mfh-bochum.de'
Cc: 'info@gruene-bochum.de'; 'info@gerhart-baum.de'
Betreff: E-Mail an Frau Cansin Köktürk: FDP und Liberalismus - Ihre Teilnahme an der Sendung Markus Lanz am 27.10.2021

 

Sehr geehrte Frau Köktürk,

 

bitte sehen Sie es mir nach, daß ich diese E-Mail-Adresse nutze. Ich hatte zunächst auf der Seite der Bochumer Grünen gesucht, bin dort aber leider nicht fündig geworden.

 

Mir hat Ihr Auftritt in der Sendung Markus Lanz gut gefallen. Es gibt einige Übereinstimmungen - auch und gerade mit Blick auf die Hilfe für Menschen, die vor Krieg und Gewalt und/oder vor politischer Verfolgung ihre Heimat, ihren Kulturkreis, ihre Freunde und ihre Familie verlassen müssen, um ihr Leben zu retten, und die menschenwürdige Unterstützung brauchen, bis sie wieder in ihre Heimat zurückkehren oder sich bei uns ein neues Leben aufbauen können, aber auch einige Unterschiede.

 

https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-27-oktober-2021-100.html

 

Vor allem habe ich den Eindruck, daß Sie ein getrübtes Bild vom Liberalismus haben. Möglicherweise liegt es daran, daß Sie die FDP, vor allem die "neue" FDP á la Christian Lindner mit Liberalismus gleichsetzen. Das ist allerdings ein Fehler.

 

Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich das so deutlich schreibe. Diesen Fehler machen leider auch so manche Journalisten - manche unbewußt, viele wahrscheinlich auch ganz bewußt.

 

Lassen Sie mich zunächst etwas über mich schreiben:

 

Mein Schlüsselerlebnis, um mich für die Tagespolitik zu interessieren und letztendlich auch um mich (partei)politisch zu engagieren, war das konstruktive Mißtrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt am 1. Oktober 1982. Geschichtlich und damit auch politisch interessiert, habe ich daraufhin begonnen, mich mit den Programmen der im Deutschen Bundestag vertretenen, aber auch der anderen beim Bundeswahlleiter registrierten Parteien zu befassen.

 

Im Januar 1984 bin ich mit 16 Jahren - von den Ideen, Grundwerten und -sätzen des Liberalismus überzeugt - aufgrund des Wahlprogramms der F.D.P. zur Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 "Unser Land soll auch morgen liberal sein", beschlossen auf dem Bundesparteitag in Freiburg am 7. Juni 1980, Mitglied dieser Partei (und der Jungen Liberalen) geworden. Ich habe mich damals übrigens bewußt für die FDP und nicht für die 1982 gegründeten Liberalen Demokraten entschieden, weil ich den "liberalen Spaltpilz" nicht unterstützen wollte.

 

(Bei Interesse: https://gerstenhoefer.jimdofree.com/die-geschichte-der-liberalen-parteien/)

 

Die Idee des Liberalismus, im Humanismus und im Rationalismus wurzelnd und dem Geist der Aufklärung verpflichtet, hatte mich schon aufgrund meines historischen Interesses überzeugt und fasziniert.

 

(Bei Interesse: https://gerstenhoefer.jimdofree.com/liberalismus-wie-ich-ihn-sehe/)

 

Von 1984 bis 1995 und noch einmal ab 2007 war ich dann Mitglied der FDP. Ab 2011 habe ich gewisse Hoffnungen auf die Piratenpartei gesetzt, deren Mitglied ich von 2012 bis 2014 war. Dadurch endete meine Mitgliedschaft bei der FDP automatisch. Spätestens nach dem Verzicht auf den Zusatz "Die Liberalen" und die Umbenennung in Freie Demokraten am 6. Januar 2015 hätte ich die Partei aber ohnehin verlassen. Aus liberalen Freidemokraten wurden Freie Demokraten.

 

Nun zu einigen Ihrer Aussagen vom 27. Oktober 2021:

 

Sie meinen, daß liberale Freiheit immer zu Lasten anderer Menschen ginge. Wie kommen Sie darauf?

 

Das hat mit dem liberalen Freiheitsbegriff gar nichts zu tun - ganz im Gegenteil.

 

"Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt."

Immanuel Kant (1724-1804)

 

"Die Freiheit besteht darin, daß man alles das tun kann, was einem anderen nicht schadet."

Matthias Claudius (1740-1815)

 

"Wer anderen die Freiheit verweigert, verdient sie nicht für sich selbst."

Abraham Lincoln (1809-1865)

 

"Nur wer die Freiheit anderer achtet, ist selbst der Freiheit wert."

Johann Jacoby (1805-1877)

 

"Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“

Immanuel Kant (1724-1804)

 

Ich bin übrigens auch ein leidenschaftlicher Verfechter und überzeugter Anhänger der liberalen Idee (Juliet Rhys-Williams, Milton Friedman) eines (bedingungslosen) Grundeinkommens (Bürgergeld/negative Einkommensteuer).

 

(Bei Interesse: https://de.wikipedia.org/wiki/Negative_Einkommensteuer)

 

Es würde dazu beitragen, die Artikel 1 und 2 unseres Grundgesetzes ("Die Würde des Menschen ist unantastbar." und "Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit") endlich zu verwirklichen, und für ein Mehr an "Waffengleichheit" zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sorgen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber würden sich im Sinne der Marktwirtschaft ("Vertragsfreiheit") eher auf Augenhöhe begegnen und ehrenamtliche und gesellschaftliche Arbeit, die unbezahlbar ist - wie z. B. die Erziehung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen -, mehr Anerkennung erfahren.

 

Dabei spricht das liberale Menschenbild dafür, daß Menschen grundsätzlich arbeiten, Leistungen erbringen und damit auch Anerkennung bekommen wollen. Menschen mögen bequem sein; sie sind aber von Natur aus nicht faul.

 

Was nutzen alle liberalen Freiheiten, Menschen- und Bürgerrechte, wenn man Angst um seine wirtschaftliche Existenz, vor materieller Not haben muß oder zu irgendeiner Arbeit gezwungen wird?

 

Das (bedingungslose) Grundeinkommen ist für mich die konsequenteste und unbürokratischste Variante der negativen Einkommensteuer, für Einkommensbezieher bzw. Steuerzahler haben wir es ansatzweise bereits in Form des Grundfreibetrags.

 

Dann hätten wir auch endlich einen sozialen Staat und nicht nur einen "Sozialstaat". Einen Staat, der sich nicht nur sozial nennt, sondern tatsächlich sozial ist, ohne die Menschen zu bevormunden und zu gängeln:

 

Dieser freiheitliche und gleichzeitig soziale Staat sorgt nicht selbst quasi bevormundend für die soziale Sicherheit seiner Bürger (z. B. durch Zwangssysteme wie die sogenannte Bürgerversicherung), läßt sie aber nach dem liberalen Grundwert der Brüderlichkeit auch nicht im Regen stehen und stellt daher sicher, daß jeder für seine soziale Sicherheit vorsorgt.

 

(Bei Interesse: https://gerstenhoefer.jimdofree.com/reform-der-krankenversicherung/)

 

Leider benutzen Sie auch den Begriff Neoliberalismus als Kampfbegriff und setzen ihn quasi mit Kapitalismus gleich.

 

(Bei Interesse: https://de.wikipedia.org/wiki/Neoliberalismus)

 

Ich halte nichts vom Kapitalismus, halte allerdings Politiker und Beamte auch nicht für die besseren Unternehmer und daher auch nichts von einer Planwirtschaft, von Dirigismus und Interventionismus.

 

Für mich stellt die liberale und damit soziale und ökologische Marktwirtschaft ("Konkurrenzkapitalismus") im Sinne des Ordoliberalismus, im Sinne der Freiburger Schule der Nationalökonomie die bestmögliche Wirtschaftsordnung dar, freiheitlich und gleichzeitig sozial.

 

Ich bin sicher kein Freund von Wirtschaftswachstum um jeden Preis, aber jeder Euro, der Menschen helfen soll, muß erwirtschaftet werden. Geld einfach zu drucken, ist leider keine Option.

 

Daher brauchen wir eine funktionierende Wirtschaftsordnung. Daher sehe ich aber auch eine Vermögensteuer sehr skeptisch.

 

Vielleicht gibt es Menschen, die sich die Vermögen so vorstellen wie die Geldspeicher von Dagobert Duck, der dort in seinen Goldstücken badet.

 

In der Realität ist es aber doch eher so, daß die Vermögen "arbeiten" und damit Arbeitsplätze schaffen und erhalten.

 

Würde eine Vermögensteuer für mehr Arbeitsplätze oder dafür sorgen, daß das Geld in anderen Ländern investiert und ausgegeben wird?

 

Ich bin für eine grundlegende Steuer- und Sozialreform, die sich an dem Kirchhof-Modell (niedrig, einfach und "gerecht") orientiert und ein (bedingungsloses) Grundeinkommen einführt, mit dem quasi alle Sozialleistungen und die gesamte Sozialbürokratie beseitigt werden.

 

Nimmt man die aktuellen direkten und indirekten Aufwendungen und Kosten für alle Transferleistungen aller Gebietskörperschaften zusammen, dürfte sich kein allzu großer zusätzlicher Finanzierungsbedarf ergeben - falls überhaupt.

 

Nun noch zur FDP, die fast 30 Jahre meine politische Heimat gewesen ist, auch mangels Alternativen:

 

Die Freie Demokratische Partei wurde 1948 mit dem Ziel gegründet, alle Liberalen (wieder) zu vereinen und für alle Aspekte des Liberalismus zu stehen - mit Blick auf den Staat, die Gesellschaft und die Wirtschafts- und Sozialordnung. Daher sollte sie auch Liberaldemokratische Partei heißen. Das scheiterte an Deutschnationalen und (ehemaligen) Nationalsozialisten, die sich der FDP bedienen wollten, ähnlich wie im Verband der Unabhängigen in Österreich, aus dem die FPÖ hervorgegangen ist.

 

Nachdem man sich vermeintlich von diesen Kreisen getrennt hatte, hat man dies im Jahr 1976 mit dem Zusatz "Die Liberalen" deutlich gemacht, ohne den eingeführten Parteinamen zu ändern.

 

Am 6. Januar 2015 hat man mit dem öffentlichkeitswirksamen Verzicht auf den Zusatz "Die Liberalen" mindestens einen Schritt zurück gemacht. Man hätte nach der Bundestagswahl am 22. September 2013 die Chance gehabt, sich neu aufzustellen und sich quasi als ganzheitlich liberale Volkspartei neu zu etablieren. Aus der FDP hätte endlich die Liberale Partei Deutschland werden können, eine Partei für alle Menschen, denen Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung wichtig sind - unabhängig von sozialer Herkunft, Einkommen und Vermögen.

 

Diese Chance wurde vertan. Statt ein liberales Grundsatzprogramm zu erarbeiten, das den Liberalismus konsequent und radikal auf allen Politikfeldern und in allen Lebensbereichen vertritt und obgleich behauptet wurde, sich an der Partei "NEOS - Das Neue Österreich und Liberales Forum" orientieren zu wollen, hat man lediglich ein Leitbild entwickelt und das visuelle Erscheinungsbild überarbeitet.

 

Lindner, Kubicki und ihre Mitstreiter haben sich auf eine populistische Strategie konzentriert, um wieder in den Bundestag zu kommen, und sind dabei eher in Richtung FPÖ abgebogen. Nur die zusätzliche Parteifarbe magenta erinnert noch an das ursprüngliche Vorhaben.

 

Ich hatte mal sehr große Hoffnungen in Lindner gesetzt, als er Generalsekretär der FDP war, auch wenn ich von seiner Formulierung "mitfühlender Liberalismus" nichts gehalten habe, weil gelebter, ganzheitlich und konsequent angewandter Liberalismus für mich per se sozial ist.

 

Lindner und Konsorten wie Nicola Beer, Marco Buschmann, Wolfgang Kubicki, Joachim Stamp, Katja Suding und Linda Teuteberg haben immer wieder am rechten Rand gefischt. Zwischenzeitlich hatte ich den Eindruck gewonnen, daß Lindner versucht, die "neue" FDP irgendwo zwischen dem Wirtschaftsrat der CDU e. V., den er gern und oft mit positiver Resonanz besucht, und der AfD-Interessengemeinschaft Alternative Mitte Deutschland (gemäßigte Liberal-Konservative), der Partei "Liberal-Konservative Reformer" von Bernd Lucke und dem Bundesarbeitskreis Homosexuelle in der AfD zu positionieren.

 

Über die Tatsache, daß so viele Erstwähler die FDP gewählt haben, war ich auch sehr überrascht. Ich konnte sie nicht wählen. Ich kann nur hoffen, daß sie die Stimmen aufgrund ihres nach wie vor weitgehend liberalen Programms bekommen hat und nicht wegen der eindeutig zweideutigen Aussagen ihrer Repräsentanten insbesondere seit dem Herbst 2015.

 

Die FDP wird auf lange Sicht nach meiner Überzeugung nur als liberale Partei eine Existenzberechtigung haben, als Liberale Partei Deutschland - und nicht als "AfD light" oder eine "'bessere' CDU der 1980er Jahre".

 

Schade, daß Gerhart Baum nicht Jahrgang 1979 ist. Sein aktuelles Buch "Freiheit - ein Appell" kann ich übrigens sehr empfehlen.

 

Die FDP muß sich in der Tradition der Deutschen Demokratischen Partei und der Deutschen Volkspartei wieder auf ihre Wurzeln besinnen und sich voll und ganz und ohne Wenn und Aber zum Liberalismus, zu allen liberalen Grundwerten und -sätzen bekennen - und das nicht nur in Programmen und Wahlaufrufen.

 

Zu einem ganzheitlichen Liberalismus, der sich vom Sozialismus, Konservativismus und Nationalismus ebenso abgrenzt wie vom Anarchismus, Libertarismus und Kapitalismus, konsequent und radikal, freiheitlich und gleichzeitig sozial.

 

Mein Eindruck vom neuen Grundsatzprogramm Ihrer Partei: Die Partei "Bündnis 90/Die Grünen" könnte eine liberale Partei sein, wenn sie auf Paternalismus, Etatismus und Kollektivismus sowie auf Bevormundung, Gängelung und Verbote als Mittel der Wahl verzichten würde. Dies dürfte allerdings das Selbstverständnis vieler Grüner ziemlich erschüttern.

 

Ich verfolge die Entwicklung der Grünen seit ihrer Gründung am 12./13. Januar 1980. Die politische Bandbreite reichte von den K-Gruppen bis zu "wertkonservativen", teilweise auch nationalistischen Naturschützern. Es gab dort z. B. auch mal einen Herbert Gruhl, der von der CDU gekommen ist und später die ÖDP gegründet hat. Nachdem diese aus der Partei gedrängt worden sind, haben sich vor allem die (ehemaligen) Kommunisten, Sozialisten und Anarchisten durchgesetzt.

 

Sicher hat sich seit damals viel getan, aber da es nach wie vor keine verbindende Weltanschauung ("sozial, ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei") gibt, sind die Mitglieder der ehemaligen "Anti-Parteien-Partei" ideologisch doch immer noch recht bunt gemischt.

 

Liberale sind per se grün. Für Liberale sind Klima-, Umwelt-, Natur- und Tierschutz kein Selbstzweck. Sie dienen letztlich den Menschen und dem Erhalt ihrer natürlichen Lebensgrundlagen. Das entspricht dem Kategorischen Imperativ. Es hatte schon seinen Grund, warum ein Liberaler quasi der erste Bundesumweltminister gewesen ist.

 

Mit einer möglichen Ampelkoalition verbinde ich auch gewisse Hoffnungen auf eine entsprechende Entwicklung der FDP. Ich setze auf die Zeit nach Lindner und Kubicki und auf junge Liberale wie Jens Brandenburg, Marcel Hafke, Martin Hagen, Alexander Hahn, Lukas Köhler, Konstantin Kuhle, Ria Schröder, Benjamin Strasser, Jens Teutrine und Johannes Vogel, aber auch auf Heiner Garg, Christopher Gohl, Michael Kauch und Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Für Fragen und nähere Einzelheiten stehe ich Ihnen bei Interesse selbstverständlich gern zur Verfügung.

 

Ihnen wünsche ich alles Gute, für Ihren beruflichen Weg viel Erfolg auch im Interesse Ihrer Klienten und für Ihren persönlichen Lebensweg viel Glück, vor allem Gesundheit und Zufriedenheit.

 

Mit freundlich-liberalen Grüßen

Ihr Wolfgang Gerstenhöfer

 

liberal - freiheitlich und gleichzeitig sozial

 

https://gerstenhoefer.jimdofree.com/

 

Liberal im politischen, im weltanschaulichen Sinne zeichnet sich nach meiner Überzeugung durch gemeinsame Grundwerte und -sätze aus - wie z. B. Freiheit (negative und positive, Freiheit von ... und Freiheit zu ...), Gleichheit (Rechts- und Chancengleichheit) und Brüderlichkeit (Subsidiarität, Solidarität, Hilfe zur Selbsthilfe und Subjekt- statt Objektförderung), wie dem Kategorischen Imperativ von Immanuel Kant ("Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.") oder die sogenannte Goldene Regel ("Was du nicht willst, daß man dir tu´, das füg´ auch keinem andern zu."), wie dem Bekenntnis zum demokratischen und freiheitlichen Verfassungs- und Rechtsstaat mit den garantierten Menschen- und Bürgerrechten und zur liberalen und damit sozialen und ökologischen Marktwirtschaft ("Konkurrenzkapitalismus") im Sinne des Ordoliberalismus, im Sinne der Freiburger Schule der Nationalökonomie.

 

Wie sagte Ludwig Erhard? "Marktwirtschaft ist eine Veranstaltung für die Verbraucher, nicht für die Wirtschaft." Sie braucht einen starken Staat, der mit seiner Wirtschaftsordnungspolitik den Markt beaufsichtigt und überwacht, der dafür sorgt, daß die "Spielregeln" eingehalten werden, daß die Marktwirtschaft eine Veranstaltung für die Verbraucher und nicht für die Wirtschaft ist und vor allem auch bleibt. Denn Kapitalismus im Sinne von Manchester-, Monopol-, Anarcho-, Raubtier-, Heuschrecken-, Turbo- oder Kasinokapitalismus ist ebenso abzulehnen wie eine sozialistische oder kommunistische Zentralverwaltungswirtschaft, ein Staatsmonopolkapitalismus.

 

Der Staat betätigt sich selbst nicht als Unternehmer, setzt aber einen Rahmen, an den sich alle Beteiligten halten müssen. Dabei geht es primär darum, daß ein Markt mit einem produktiven Leistungswettbewerb erhalten bleibt (Vielfalt, Transparenz, Wettbewerb und Teilhabe) und alle Marktteilnehmer die gleichen Rechte und Pflichten und die gleichen Chancen haben und sich auf Augenhöhe begegnen - auch mit Hilfe eines (bedingungslosen) Grundeinkommens, einer negativen Einkommensteuer, wie sie zum Beispiel von Milton Friedman postuliert wurde.

 

Im Mittelpunkt der Marktwirtschaft stehen die Kunden, die Menschen und nicht die Konzerne, die Unternehmen und Arbeitgeber. Zur liberalen Marktwirtschaft gehört deshalb für mich auch der liberale Sozialstaat, ein Staat, der sich nicht nur sozial nennt, sondern tatsächlich sozial ist, ohne die Menschen zu bevormunden und zu gängeln: Dieser freiheitliche und gleichzeitig soziale Staat sorgt nicht selbst quasi bevormundend für die soziale Sicherheit seiner Bürger (z. B. durch Zwangssysteme wie die sogenannte Bürgerversicherung), läßt seine Bürger aber auch nicht im Regen stehen und stellt daher sicher, daß jeder für seine soziale Sicherheit vorsorgen kann - z. B. mit Hilfe des Konzepts der negativen Einkommensteuer, des Bürgergelds bzw. des (bedingungslosen) Grundeinkommens.

 

Der Liberalismus ist für mich aus sich heraus eine Weltanschauung, die offen für neue Entwicklungen ist, die immer wieder alles auf den Prüfstand stellt, in Zweifel zieht und nach Lösungen sucht, die freiheitlich und gleichzeitig sozial sind. Liberale stehen meiner Ansicht nach für einen rationalen und wissenschaftlichen Umgang mit allen Problemfeldern der Politik. Es geht um sachorientierte bzw. expertengestützte Lösungen.

 

Die folgenden Bücher kann ich dazu sehr empfehlen: Karl-Hermann Flach, Noch eine Chance für die Liberalen, Guido Westerwelle mit Dominik Wichmann, Zwischen zwei Leben: Von Liebe, Tod und Zuversicht, Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, Der Baum und der Hirsch - Deutschland von seiner liberalen Seite und Hans-Dietrich Genscher, Meine Sicht der Dinge.