Die 4. Gewalt – vom Geburtshelfer zum Totengräber? (2.6.2010)

Journalisten – einst gehörten sie zu den Geburtshelfern des Liberalismus – betätigen sich immer mehr als sein Totengräber. Woran liegt das?

 

 

 

Die Pressefreiheit – eine wichtige Errungenschaft des Liberalismus – wurde durchgesetzt, um Tatsachen und Meinungen ungehindert verbreiten zu können. Sie diente dazu, sich eine eigene Meinung und einen eigenen Willen bilden zu können, damit man seine demokratischen Rechte und Pflichten verantwortungsbewusst wahrnehmen kann.

 

 

 

Inzwischen ist sie häufig weniger der Wahrheit verpflichtet als der Steigerung von Auflagen und Reichweiten durch möglichst sensationelle Nachrichten – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Krisen, Katastrophen und Skandale – darunter befassen sich viele Journalisten mit einem Thema gar nicht mehr. Das Motto „Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht“ hat mit der liberalen Pressefreiheit leider nicht mehr viel zu tun.

 

 

 

Würden die drei Gewalten – Legislative, Exekutive und Judikative – ihre Macht derart missbrauchen, wären die Medien – oft auch als 4. Gewalt bezeichnet – die ersten, die sich zu Wort melden würden – zu recht.

 

 

 

Da fordert die liberale Partei Deutschlands, die FDP, ein einfaches, gerechtes und niedriges Steuersystem und was machen Journalisten? Sie schreiben und berichten so lange dagegen, bis eine „demoskopische“ Mehrheit der Bürger sich – entgegen ihrer ureigensten Interessen – gegen eine Steuervereinfachung und -senkung ausspricht und stimmt.

 

 

 

Warum? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Oder doch „nur“ wegen Auflagen und Reichweiten?

 

 

 

Eine Partei, die ihr Wahlversprechen hält, ist eben nicht so interessant, hat keinen so hohen Nachrichtenwert wie Parteien, die ihre Versprechen brechen. Da die FDP den Medien diesen Gefallen nicht getan hat, musste man die Bürger dazu bringen, sich wieder von der Idee einer umfangreichen Steuerreform zu verabschieden und so Druck auf die FDP auszuüben.

 

 

 

Das muss man den beteiligten Journalisten schon zugestehen: eine beachtliche Leistung der Manipulation. Und dennoch kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Pressefreiheit. Propaganda statt Journalismus?

 

 

 

Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Es bleibt eine wichtige Aufgabe, bereits Kindern und Jugendlichen einen kritisch-distanzierten Umgang mit den Medien zu vermitteln und sie so früh wie möglich mit den Rechten und Pflichten vertraut zu machen, die eine Demokratie mit sich bringt.

 

 

 

Denn Demokratie ist auch unbequem. Ohne Wähler und aktive Bürger funktioniert sie nicht. Wer wählen darf, hat auch die moralische Pflicht, die Verantwortung, sich eine eigene Meinung zu bilden und dieses Recht auszuüben.

 

 

 

Demokratie ohne Demokraten gibt es nicht. Und dazu braucht man Menschen, die sich für das Gemeinwesen engagieren – man nennt sie auch Politiker – und Menschen, die die Fähigkeit und den Mut besitzen, Tatsachen, Zusammenhänge und Hintergründe verständlich aufzubereiten – man nennt sie auch Journalisten.

 

 

 

Auch und gerade der Rücktritt von Dr. Horst Köhler vom Amt des Bundespräsidenten und vor allem die Berichterstattung darüber machen sehr deutlich, dass Kritik von Politikern und Journalisten der Sache dienen muss, ohne Menschen und ihre Würde zu verletzen. Denn noch wesentlicher als Presse- und Meinungsfreiheit ist unter den liberalen Grundrechten die Würde des Menschen. Sie ist unantastbar, und das sollte sie nicht nur für Liberale sein.