75 Jahre FDP - Gerstenhöfer versus Schneider

Die Freie Demokratische Partei, vielleicht auch inzwischen schon die Freiheitliche Deutsche Partei, blickt am 11. und 12. Dezember 2023, auf 75 Jahre ihres Bestehens zurück.

 

Anlaß für einen Liberalen aus Überzeugung und Leidenschaft, Anna Schneider auf ihre Liebeserklärung an den Liberalismus zu antworten und sich mit der Entwicklung der FDP in den vergangenen zehn Jahren kritisch auseinanderzusetzen.

 

Fast wäre sie als Liberaldemokratische Partei Deutschlands gegründet worden. Wird sie nun nach 75 Jahren zur Freiheitlichen Partei Deutschlands?

75 Jahre FDP - Liberalismus, oder: mehr als Freiheit

Die Antwort eines Liberalen auf Anna Schneider, Freiheit beginnt beim Ich - Liebeserklärung an den Liberalismus, München 2022

 

Anna Schneider, geboren im Jahr 1990 in Klagenfurt, "Chefreporterin Freiheit" bei der deutschen Tageszeitung "Die Welt", untertitel ihr Buch mit "Liebeserklärung an den Liberalismus". Dabei verwechselt sie - wahrscheinlich ganz bewußt - Liberalismus mit Libertarismus. Denn sie ist keine Liberale, sondern eine Libertäre und versucht nach meinem Eindruck nach der Lektüre mit ihrem Buch, den Liberalismus zu diskreditieren. Am Ende ihres Buches wird sie sich als Libertin bezeichnen. Hätte sie dann nicht besser eine Liebeserklärung an den Libertinismus schreiben sollen? Dieser Begriff bezeichnet übrigens ein Abweichen von anerkannter Lehre oder Moral.

 

Freiheitsgrade, oder: Was ich meine, wenn ich Freiheit sage

 

"Freiheit ist Freiheit. So einfach ist das." Ist es wirklich so einfach? Nein. Liberale machen es sich nie leicht und einfach. Der Freiheit mag der Zeitgeist nichts anhaben können, die Ideologie der Freiheit, der Liberalismus ist allerdings nicht statisch, sondern entwickelt sich weiter.

 

Liberale wie David Hume, Immanuel Kant, John Locke, John Stuart Mill, Charles de Montesquieu, David Ricardo und Adam Smith waren ihrer Zeit zwar voraus, hatten aber keine Glaskugeln, wie sie Schneider übrigens beim Bundesverfassungsgericht sieht, und konnten daher auch nicht alle Entwicklungen voraussehen.

 

Dabei bleiben die Werte und Ziele unverändert: Die größtmögliche Freiheit jedes Einzelnen steht an erster Stelle. Gleichheit im Sinne von Rechts- und Chancengleichheit und Brüderlichkeit im Sinne von Solidarität, Subsidiarität und Hilfe zur Selbsthilfe ("Subjekt- statt Objektförderung") sind die Mittel, um Freiheit jedes einzelnen Menschen auf allen Feldern menschlichen Handelns, in allen Lebensbereichen zu verwirklichen. Weitere Instrumente des Liberalismus sind dabei Vielfalt, Transparenz, Wettbewerb und Teilhabe.

 

Schneider schreibt von Angst- und Schmuse-, von Vulgär- und Hyperliberalismus und von brutalliberal und Schönwetterliberalen. Interessant ist, daß sie an anderer Stelle ihres Buches schreibt, daß der Liberalismus keiner Adjektive und Präfixe bedürfe. Da kann ich ihr nur zustimmen.

 

"Linksliberal ist nicht liberal, sozialliberal ist nicht liberal, nationalliberal ist nicht liberal." Rechts- und wirtschaftsliberal sind aber auch nicht liberal, und Anarchismus, Libertarismus und Kapitalismus sind kein Liberalismus, auch der Libertinismus nicht.

 

Sie kritisiert den liberalen Grundsatz, nach dem die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die Freiheit des Anderen beginnt, der sinngemäß von Kant formuliert wurde.

 

Sie meint, ihn umdrehen zu müssen, und formuliert: "Die Freiheit des Anderen endet dort, wo die Freiheit des einzelnen beginnt."

 

Sie ist Juristin, hat in Wien studiert, zuerst Rechtswissenschaft und dann Kunstgeschichte und war auch mal für die seit 2015/2016 rechtskonservative bis -populistische Schweizer Tageszeitung "Neue Zürcher Zeitung" tätig, hätte sie Germanistik studiert, wüßte sie. daß sich der Sinn des Satzes dadurch nicht ändert. Denn sowohl der Andere als auch der Einzelne sind die Individuen, um die es Liberalen geht.

 

Ein Unterschied zwischen Liberalen und Libertären liegt darin, daß Liberale das Individuum nicht isoliert betrachten und auch nicht im ständigen Gegensatz zu seinen Mitmenschen sieht, sondern durchaus als soziales Wesen als Teil einer Gemeinschaft begreift, ohne paternalistisch zu sein.

 

Daraus ergibt sich für Liberale unter anderem die starke Verbindung zwischen der Freiheit auf der einen und der Verantwortung auf der anderen Seite. Verantwortung für sich selbst, Eigenverantwortung, aber auch für andere Menschen.

 

Schneider, übrigens von 2014 bis 2017 Referentin für Verfassung und Menschenrechte im Parlamentsklub der österreichischen Partei "NEOS", versucht sich dann an der Diskussion um eine Pflicht, sich gegen das SARS-CoV-2-Virus impfen zu lassen.

 

Die Partei "NEOS - Das Neue Österreich und Liberales Forum" ist nach meinem Eindruck eine liberale und keine libertäre Partei. An ihr wollte Christian Lindner nach der verlorenen Bundestagswahl im Jahr 2013 die Neuausrichtung der FDP orientieren. Seine Mitstreiter und er haben sich dann teilweise mehr an der FPÖ, an den österreichischen Freiheitlichen ausgerichtet. Aus den Liberalen wurden Frei(heitlich)e Demokraten.

 

Wenn es um Pflichten und Zwänge geht, dann müssen Liberale immer hellhörig werden. Sie fordern grundsätzlich ihren Widerspruch heraus. In dieser Hinsicht sind sich Libertäre und Liberale durchaus ähnlich, wie es auch Ähnlichkeiten zwischen Sozialisten und Kommunisten gibt.

 

Liberale lehnen Pflichten aber nicht generell ab. Sie können notwendig sein, wenn es darum geht, die Grundrechte zu schützen.

 

Die Autorin betont, daß sie Juristin sei und sich in ihrem Studium auch mit den Grundrechten befaßt habe. Sie führt das Recht auf körperliche Unversehrtheit an. Es ist auch das Recht auf Gesundheit und steht in einem engen Verhältnis zum Grundrecht auf Leben.

 

Eine mögliche Impfpflicht greift unter anderem in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein, kann und soll aber auch genau diesem Recht dienen. Es geht um die Gesundheit aller Menschen, aller Individuen.

 

Das ist das Dilemma, das Anna Schneider und andere Libertäre anscheinend ausblenden. Liberale können und wollen das aber nicht. Sie sehen alle Individuen und nicht nur das Ich, das eigene Ich, bei dem laut der Verfasserin die Freiheit beginnt.

 

Das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit haben nämlich - zumindest nach dem Freiheitsverständnis der Liberalen - auch die Menschen, die zu den sogenannten vulnerablen Gruppen gehören. Im weitesten Sinne geht es auch um den Schutz von Minderheiten vor möglichen Entscheidungen einer Mehrheit.

 

An anderer Stelle ihres Buches ist es gerade dieser Minderheitenschutz den Schneider sehr stark betont. Hier bemüht sie den Liberalen John Stuart Mill für ihre Zwecke.

 

Ein weiterer Höhepunkt des Buches besteht darin, Margaret Thatcher quasi als Liberale im Sinne der Autorin darzustellen, wenn es darum geht, die Existenz einer Gesellschaft und damit im Grunde die Tatsache zu bestreiten, daß der Mensch nicht nur ein Individuum, sondern grundsätzlich auch ein soziales Wesen ist, das die Gemeinschaft mit anderen Menschen braucht.

 

Möglicherweise sollte die österreichische Journalistin einmal das Gespräch mit Anthropologen und Psychologen suchen.

 

Sie bringt die liberale Idee der positiven Freiheit ("Freiheit zu ...") als Ergänzung zur Idee der negativen Freiheit ("Freiheit von ...") in Verbindung mit den Grünen und Robert Habeck und sieht in ihr Bevormundung und Etatismus.

 

Hat sie es nicht verstanden? Das kann ich mir nicht vorstellen. Sie will es nicht verstehen.

 

Die liberale Forderung nach Freiheit war und ist immer umfassend, beinhaltet die negative und die positive Freiheit.

 

Was nutzen alle Menschen-, Bürger- und Grundrechte sowie Chancen, wenn man sie nicht nutzen kann, Angst um seine wirtschaftliche Existenz, vor materieller Not haben muß?

 

Wer Angst hat, in Furcht lebt, kann nicht frei, nicht produktiv und kreativ sein. Dies hat die amerikanische Politologin Judith N. Shklar unter der Überschrift "Der Liberalismus der Furcht" gut ausgeführt.

 

Genau aus diesem Grund wird der liberale Wert der Freiheit auch immer von den liberalen Werten Gleichheit und Brüderlichkeit begleitet. Rechts- oder Verfahrensgleichheit sowie Chancengleichheit und Solidarität sind Mittel zum Zweck, sind Mittel, um größtmögliche Freiheit für alle Menschen zu erreichen.

 

Und dabei geht es auch Liberalen nicht um Gleichmacherei, um Ergebnisgleichheit oder soziale Gerechtigkeit, von der niemand weiß, wie sie zu erzielen und wann sie erzielt ist.

 

Sie schreibt von kollektiver und von sozialer Freiheit. Was kollektive Freiheit sein soll, weiß ich auch nicht.

 

Es gibt die politische und die wirtschaftliche Freiheit, man könnte auch noch von kultureller und gesellschaftlicher Freiheit sprechen - und durchaus auch von sozialer Freiheit. Freiheit ist für Liberale unteilbar

 

Unter der sozialen Freiheit verstehe ich die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit.

 

Anna Schneider und die Libertären halten es da wohl eher mit dem Recht des Stärkeren und dem Motto "Jeder ist seines Glückes Schmied." in Verbindung mit "Friß Vogel oder stirb.".

 

Der Liberalismus ist per se sozial. Er braucht keine Attribute. Er läßt niemandem im Regen stehen.

 

Es geht ihm um die Freiheit aller Individuen, aller Menschen - unabhängig von sozialer Herkunft, Einkommen und Vermögen, von Geschlecht, sexueller Identität und Orientierung, ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung und Alter, um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.

 

Die Verfasserin kritisiert im Zusammenhang mit dem Beschluß des Ersten Senats vom 24. März 2021 zum Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 das Bundesverfassungsgericht, den Hüter der deutschen Verfassung, weil es nicht nur die Grundrechte der heute lebenden Menschen, sondern auch die nachfolgender Generationen zu schützen sucht.

 

Auch hier zeigt sich wieder der Unterschied zwischen Liberalen und Libertären, zwischen Liberalismus und Libertarismus.

 

Es geht wieder um Verantwortung. Selbstverständlich soll die Freiheit der Menschen weder zu Lasten der Zeitgenossen noch künftig Geborener gehen, soweit dies abzuschätzen ist, auch ganz ohne die bereits erwähnten Glaskugeln.

 

Dabei spielen nicht die Motive eine Rolle, sondern die tatsächlichen Folgen.

 

Schneider meint, man müsse nur dann Verantwortung übernehmen, wenn man absichtlich einen Schaden herbeiführt, wenn der Schaden das primäre Ziel sei.

 

Das mag juristisch im Straf- und Zivilrecht grundsätzlich sinnvoll sein, im politischen und gesellschaftlichen Leben ist es das nicht.

 

Ein Unternehmen mag mit seinen Emissionen keinen Schaden bezwecken, sondern Produkte erzeugen und damit Gewinne erzielen wollen. Trotzdem muß es für die Folgen der Emissionen Verantwortung übernehmen.

 

Für Liberale ist das selbstverständlich, für Libertäre anscheinend nicht. Gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht.

 

Daher sind Liberale zwar dem Staat gegenüber wachsam und skeptisch, sehen ihn aber als demokratischen Verfassungs-, Rechts- und Sozialstaat auch als Mittel zum Zweck.

 

Regeln und Verbote sind ihnen nicht fremd. Sie wollen keine Anomie und keine Anarchie und weder einen Nachtwächter- oder Minimalstaat noch einen Polizei-, Nanny- oder Wohlfahrtsstaat, kein freies Spiel der Kräfte, keine Willkür, nicht die Macht des Stärkeren und keine Ellbogengesellschaft,

 

Freiheitserwachen, oder: Das liberale Ich ist keine Schneeflocke

 

Anna Schneider sieht sich als Dynamit und freut sich, wenn sie als Freiheitsextremistin oder libertäre Kalaschnikow bezeichnet wird.

 

Warum behauptet sie, eine Liebeserklärung an den Liberalismus zu schreiben, wenn sie gar keine Liberale ist und dies offensichtlich auch gar nicht sein möchte?

 

Liberale lehnen jede Form von Extremismus, Fanatismus und Fundamentalismus ab.

 

Ihren Ausführungen rund um die Forderungen nach Quotenregelungen für die Besetzung der Parlamente kann ich als Liberaler weitgehend zustimmen.

 

Als Liberaler stehe ich den Themen "Politische Korrektheit", "Cancel Culture", "kulturelle Aneignung" und "Wokeness" ebenfalls kritisch gegenüber. Jede Form von Zensur, "Politsprech" und eine Gedankenpolizei sind sowohl mit dem Liberalismus als auch mit dem Libertarismus unvereinbar.

 

Sinn und Zweck der repräsentativen, der parlamentarischen Demokratie ist es, möglichst alle politischen Ansichten, alle politischen Ideologien so widerzuspiegeln, wie sie bei den Wählern und damit beim Volk als Inhaber der Souveränität vertreten sind.

 

Ob ein Mann Frauen - und auch alle Männer -, eine Frau Männer - und auch alle Frauen - repräsentieren kann, ist ein schwieriges Thema. Diese Auflistung ließe sich nun beliebig um diverse Eigenschaften erweitern.

 

Dabei besteht hoffentlich Einigkeit darüber, daß auch innerhalb einer bestimmten Gruppe von Menschen, in einer "Community" nicht alle völlig gleich sind und die gleichen Bedürfnisse, Interessen, Vorlieben und Abneigungen haben. Fraglich ist auch, wie weit man differenzieren kann, bevor man nämlich letztendlich beim Individuum ankommt.

 

Und genau um dieses Individuum geht es den Liberalen. Jeder Mensch ist - bei allen Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen - einzigartig, und dem wollen Liberale mit ihrer Politik Rechnung tragen.

 

Und deshalb lehnen Liberale jede Form von "Schubladendenken", Diskriminierung, Antisemitismus, Ableismus, Rassismus, Sexismus (einschließlich Misandrie und Misogynie) und Klassismus, von Homo-, Trans- und Xenophobie ab.

 

Daher muß ich auch der Behauptung Schneiders widersprechen, daß das Private nicht politisch sei. Alles ist politisch - und das hat nichts mit Kollektivismus, Konformismus oder Totalitarismus zu tun.

 

Denn wenn jeder grundsätzlich so leben darf, wie er möchte, dann ist es die Sache der Politik, dafür zu sorgen.

 

Widersprechen muß ich auch der Aussage, daß Sprache keine Gewalt sein könne. Auch hier empfehle ich Schneider, das Gespräch mit Experten, in diesem Fall zum Beispiel mit Psychotherapeuten zu suchen.

 

Man kann mit Worten Menschen sehr schwer verletzen, und oft sind solche seelischen Verletzungen deutlich schwieriger zu heilen als körperliche Verletzungen.

 

Die Ausführungen zum Thema Rassismus und Antirassismus und zu den verschiedenen Quoten kann ich weitestgehend teilen.

 

Niemand darf auf einzelne Eigenschaften wie Geschlecht oder Hautfarbe reduziert werden.

 

Jeder Mensch ist anders und deutlich mehr als die Summe seiner persönlichen Merkmale, aber durchaus grundsätzlich in der Lage, nicht nur seine eigenen Bedürfnisse und Interessen zu vertreten.

 

Unter dem Begriff Gleichstellung verstehe ich - im Gegensatz zu Schneider - keine Gleichmacherei. Für mich hat es mit dem Stellenwert eines Menschen zu tun, und der muß bei allen Menschen identisch sein.

 

Insofern halte ich das Engagement für Gleichberechtigung, Gleichstellung und Gleichbehandlung aller Menschen, aller Geschlechter für liberal.

 

Die Einzige, oder: Mean Girl Ayn Rand

 

Dieses Kapitel widmet Anna Schneider der russisch-US-amerikanischen Bestsellerautorin Ayn Rand, die als Alissa Sinowjewna Rosenbaum im Jahr 1905 in Sankt Petersburg geboren wurde. Sie ist eine Vertreterin des Libertarismus, auch wenn sie das selbst möglicherweise nicht so sehen wollte. In ihr scheint Schneider nicht nur eine große Denkerin, sondern auch ihr großes Vorbild zu sehen.

 

Eine Liberale, wie Schneider behauptet, ist sie allerdings ebenso wenig wie Schneider selbst.

 

Während für Ayn Rand, bürgerlich Alice O’Connor, die Hauptfeinde ihrer radikalen Philosophie des Objektivismus der Kollektivismus und der Altruismus waren, gehe ich noch einen Schritt weiter und behaupte, daß es gar keinen Altruismus gibt.

 

Niemand macht etwas freiwillig, wenn er nichts davon hat - und wenn es nur gute Gefühle oder ein gutes Gewissen sind. Einen "gesunden" Egoismus an sich halte ich nicht für schlecht. Er darf nur nicht zu Lasten Dritter gehen.

 

Alles, was Menschen machen, machen sie letztendlich für sich selbst. Auch der Idealismus ist eine Form des Egoismus. Menschen, die vermeintlich selbstlos sind, befriedigen damit auch ihre eigenen Bedürfnisse.

 

Ich sehe das aber nicht negativ - ganz im Gegenteil. Auch der Kategorische Imperativ und die (liberale) Goldene Regel "Was du nicht willst, daß man dir tu´, das füg´ auch keinem andern zu." basieren letztendlich auf dem natürlichen Egoismus des Menschen, dem Selbsterhaltungstrieb, dem Willen zum Überleben.

 

Man könnte auch sagen: Altruismus ist gesunder und richtig verstandener Egoismus. Es gibt keinen Altruismus, der nicht egoistisch motiviert ist.

 

Wer immer nur an sich denkt und dies immer zu Lasten anderer macht, schadet letztendlich nur sich selbst. Kein Mensch ist autark, übrigens auch kein Staat. Daher würde ich den Satz "Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht." nicht völlig verteufeln.

 

Denn niemand kennt die eigenen Interessen, Bedürfnisse und Wünsche so gut wie man selbst. Wer sich nur auf andere verläßt, ist verlassen.

 

Eine Gesellschaft ist nur so gut, wie sie dem einzelnen Individuum nützlich ist. Eigennutz, Gemeinnutz, Nichtsnutz ...

 

Übrigens ist so auch der Dreiklang Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit entstanden. Es ist immer ein Geben und Nehmen, ein Ausgleich von Interessen. Die erfolgreichste Gemeinschaft ist die, deren Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung sich den natürlichen Egoismus des Menschen, seinen Selbsterhaltungstrieb zu Nutze macht.

 

Es muß Regeln geben, aber diese Regeln müssen das natürliche Verhalten der Menschen in Bahnen lenken, von denen alle einen Nutzen haben, ohne die Menschen mehr als unbedingt nötig zu bevormunden, zu gängeln und zu beeinflussen.

 

Daher bin ich ein glühender Verfechter des Liberalismus - und der liberalen und damit sozialen und ökologischen Marktwirtschaft im Sinne des Ordoliberalismus.

 

Diese Weltanschauung, die im Humanismus und im Rationalismus wurzelt, stellt den Menschen in den Mittelpunkt und zwar den Menschen mit allen seinen Stärken und Schwächen und kein Menschenbild, das nicht der Realität entspricht, das die Stärken und Schwächen der Menschen ignoriert, wie es nach meiner Überzeugung sowohl im Anarchismus und Libertarismus als auch im Sozialismus und Kommunismus der Fall ist.

 

Liberale wollen die Menschen nicht umerziehen. So halte ich das theoretische Modell eines Nutzenmaximierers (Homo oeconomicus) zur Beschreibung menschlichen Handelns durchaus für ein sehr realitätsnahes Bild vom Menschen, vom animal rationabile, vom vernunftbegabten Wesen.

 

Der (ethische) Egoismus ist grundsätzlich positiv, ein kreativer und produktiver Egoismus, und er ist eine wesentliche Triebfeder sowie als Individualismus ein elementarer Bestandteil der Idee des Liberalismus.

 

Freie Radikale, oder: Vom (Un-)Sinn einer liberalen Partei

 

Ganz amüsant ist, wie sich die Österreicherin, daß sie dies ist, betont sie immer wieder selbst, über die Obrigkeitshörigkeit und die Rufe nach Verboten der Deutschen mokiert. Sie erkennt die Ironie selbst und schreibt, daß ihre Landsleute nicht als Freiheitshelden bekannt seien.

 

Dies wird auch dadurch sehr deutlich, daß es in Österreich zwischen 1909 und 1993 keine liberale Partei mehr gab, lediglich zwischen 1979 und 1986 gab es den Versuch des liberalen Flügels in der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), diese zu einer liberalen Partei zu machen. Er ist gescheitert und fand sein endgültiges Ende in dem im Jahr 2006 eingeführten Namenszusatz "Die soziale Heimatpartei".

 

Schneider sieht die FDP als liberale Partei Deutschlands. Sie schließt dies wohl daraus, daß sich die FDP in ihrer Satzung immer noch als "die liberale Partei in Deutschland" bezeichnet, obwohl sie bereits am 6. Januar 2015 öffentlichkeitswirksam auf den Zusatz "Die Liberalen" verzichtet hat, der im Jahr 1976 aus guten Gründen eingeführt worden war.

 

Und wieder wird die Politik während der COVID-19-Pandemie bemüht: Die Autorin vertritt die Auffassung, daß die FDP als vermeintlich liberale Partei zu spät und zu wenig gegen die Einschränkung der Grundrechte opponiert hätte.

 

Ob die Tatsache, eine sicher nicht unerheblich große Zahl an Menschen sehenden Auges krank, teilweise sehr schwer krank werden und in nicht wenigen Fällen sterben zu lassen, obgleich man es hätte verhindern könne, libertär ist, wage ich nicht zu beurteilen. Ich bin kein Libertärer.

 

Liberal ist es sicher nicht. Für mich erinnert es eher an Fatalismus und eine besonderes zynische und perfide Form des Sozialdarwinismus.

 

Warum in die natürliche Auslese eingreifen? Überlassen wir die Menschen doch einfach ihrem Schicksal!

 

Trotz der für Schneider offensichtlich unerträglichen Eingriffe in ihre Grundrechte und -freiheiten hat das Virus SARS-CoV-2 seine Opfer vor allem in den unteren Schichten gefunden.

 

Wie hätte das ohne jeden Eingriff ausgesehen? Ich möchte mir das gar nicht vorstellen.

 

Jeder Kranke, jeder Tote sind mindestens einer zu viel - nicht nur mit Blick auf die betroffene Person und ihre Angehörigen, sondern auch auf unsere Gesellschaft und Wirtschaft.

 

Für Liberale sind die Gesundheit und das Leben jedes Menschen, jedes Individuums schützenswert. Auch hier gilt: Was nutzen alle Menschen-, Bürger- und Grundrechte, wenn man tot oder auch sehr schwer krank ist?

 

Selbstverständlich wissen auch Liberale, daß man nicht jeden Menschen vor jeder Erkrankung schützen kann, zumindest nicht mit verhältnismäßigen Mitteln.

 

Und trotzdem: Waren die Freiheitsbe- und -einschränkungen wegen einer Pandemie - auch und gerade mit Blick auf die Maßnahmen in anderen Ländern - wirklich so unverhältnismäßig, so unangemessen?

 

War es liberal, daß einer der Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, des höchsten Organs der Gesetzgebung, die Verletzung von Rechtsvorschriften legitimiert hat? Schneider nennt ihn "unverwüstlichen Freiheitsrabauken". Ich nenne ihn einen Freiheitlichen Demokraten.

 

Wann wurde aus dem Liberalen Wolfgang Kubicki ein Freiheitlicher Demokrat? Der Schock durch das Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag muß sein Weltbild völlig über den Haufen geworfen haben. Anders kann ich es mir nicht erklären. Als "Enfant terrible" der FDP war er mir gar nicht unsympathisch.

 

Sie meint, daß die FDP bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 11,5 Prozent der Zweitstimmen und bei den Erstwählern sogar 23 Prozent der Zweitstimmen bekommen habe, läge an ihrer Haltung zu den "Corona-Maßnahmen" und dem Versprechen eines "Freedomdays" zur Markierung des Endes aller dieser Maßnahmen.

 

Das sehe ich insofern auch so, als ich der Meinung bin, daß die 11,5 Prozent tatsächlich einen nicht geringen Anteil an Wählern enthalten, die vorher die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) gewählt haben oder nicht gewählt haben, weil sie die AfD zwar gewählt hätten, aber dann doch wegen ihrer Verfassungsfeindlichkeit nicht wählen wollten. Das spricht aber nicht für die FDP, schon gar nicht für die FDP als eine liberale Partei.

 

Lindner, Kubicki und ihre Mitstreiter haben sich nach der Bundestagswahl am 22. September 2013 auf eine populistische Strategie konzentriert, um wieder in den Bundestag zu kommen, quasi um jeden Preis, und sind dabei eher in Richtung FPÖ abgebogen. Nur die zusätzliche Parteifarbe magenta erinnert noch an das ursprüngliche Vorhaben, sich an der Partei "NEOS" zu orientieren.

 

Lindner und Konsorten wie Nicola Beer, Bijan Djir-Sarai, Marco Buschmann, Wolfgang Kubicki, Joachim Stamp, Katja Suding, Michael Theurer und Linda Teuteberg haben immer wieder am rechten Rand gefischt.

 

Politik wurde durch Marketing und Liberalismus durch Populismus ersetzt. Eine Werbeagentur versuchte sich an politischer Kommunikation.

 

Wie sagte der Liberale Walter Scheel? "Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen."

 

Zwischenzeitlich hatte ich den Eindruck gewonnen, daß Lindner versucht, die "neue" FDP irgendwo zwischen dem Wirtschaftsrat der CDU e. V., den er gern und oft mit positiver Resonanz besucht, und der AfD-Interessengemeinschaft Alternative Mitte Deutschland (gemäßigte Liberal-Konservative), der Partei "Liberal-Konservative Reformer" und dem Bundesarbeitskreis Homosexuelle in der AfD zu positionieren.

 

Bis zur Bundestagswahl im Jahr 2017 wurde dann das Wort liberal zwar wieder entdeckt, aber - zumindest aus meiner Sicht - nicht mit liberalen Inhalten gefüllt. Dabei meine ich nicht die Programme, sondern Aussagen, Botschaften und Forderungen der wesentlichen Repräsentanten der FDP.

 

Immer wieder wurde - verstärkt seit dem Herbst 2015 - durch zweideutige, manchmal auch eindeutige Formulierungen versucht, Wähler und Anhänger der AfD und der Partei "Liberal-Konservative Reformer" abzuwerben, nicht indem man versucht, sie vom Liberalismus zu überzeugen, sondern indem man sich ihren Positionen annähert.

 

Das eine oder andere Beispiel:

 

Die Aussagen von Christian Lindner unter anderem in der ARD-Sendung "hart aber fair" vom 25. Januar 2016 rund um das Thema Flüchtlinge haben mich mehr an die AfD und die FPÖ als an die liberale FDP erinnert: "Sollte die Bundeskanzlerin mit den anderen EU-Staaten keinen fairen Kompromiss bei der Lastenverteilung erreichen, muss Deutschland künftig bereits an der Grenze wieder von der derzeitigen Dublin III-Regelung Gebrauch machen und mit Ausnahme von Familien mit kleinen Kindern sämtliche Bewerber in die europäischen Nachbarländer zurückweisen." Das ist für mich - mit oder ohne Schießbefehl - "AfD light" und nicht liberal. (Beschluß des FDP-Präsidiums vom 18.2.2016)

 

In einem Interview mit der deutschen Tageszeitung "Die Welt" sagte Lindner am 28. Februar 2018: "Merkels Erbe ist kulturelle Entfremdung im eigenen Land“. Dazu paßt, daß Katja Adler, eine FDP-Bundestagsabgeordnete, in einem Tweet vom 3. Januar 2023 schreibt: "Und wieder wird jeder Gedanke an eine kulturelle Überfremdung fast schon reflexhaft in die rechte, gar radikale Ecke geschoben." Überfremdung? Aus welcher Ecke sollte dieses Wort denn sonst kommen? (Tweet vom 3.1.2023, veröffentlicht von Chris(toph) Pyak  im Internet)

 

Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) wählte "Überfremdung" im Jahr 1993 mit folgender Begründung zum deutschen Unwort des Jahres:

 

"Ausschlaggebend für die Kritik an diesem auf den ersten Blick harmlos erscheinenden Wort war die Feststellung, dass 'Überfremdung‘ nach wie vor im Sinne einer rassistischen Uminterpretation verwendet wird […] 'Überfremdung‘ wurde zur Stammtischparole, die auch die undifferenzierteste Fremdenfeindlichkeit 'argumentativ‘ absichern soll.“ (Wikipedia 8.8.2023)

 

Weiter geht es mit einem Auszug aus der Rede, die Lindner auf dem Bundesparteitag der FDP am 12. Mai 2018 gehalten hat:

 

"Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenen Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler Künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer. Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen, und Angst vor ihm haben, sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich auch legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und nur gebrochen Deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt."

 

Hält Lindner "geduldete Ausländer" tatsächlich grundsätzlich für kriminell? Gibt es unter den Menschen, die sich legal in Deutschland aufhalten, einschließlich der deutschen Staatsangehörigen keine Kriminellen? Was ist bei der "neuen" FDP, bei den Freien Demokraten aus dem liberalen und rechtsstaatlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung geworden?

 

In einem Tweet vom 16. Juni 2018 schrieb Lindner: "Und im aktuellen Asylstreit sind wir näher bei der CSU als bei Frau Merkel und den Grünen." (Stern vom 16.6.2018)

 

Der deutschen Zeitung "Bild am Sonntag" sagte Lindner am 10. März 2019 mit Bezug auf die Demonstrationen im Rahmen der Aktion "Fridays for Future": "Das ist eine Sache für Profis." (Tagesspiegel vom 10.3.2019)

 

Eine Mehrheit der Delegierten stimmte auf dem Bundesparteitag am 15. Mai 2021 dafür, alle Drogen freizugeben. Nach der Abstimmung trat Lindner ans Pult und sagte “Nein!” - und die Delegierten gehorchten und änderten ihren Beschluß. Bankrotterklärung für jede demokratische Partei - aber besonders peinlich für eine Partei, die gern von Individualismus und der Vielfalt der Meinungen innerhalb der eigenen Partei spricht. Delegierte als Befehlsempfänger? (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.5.2021)

 

Porsche-Chef Oliver Blume soll laut dem ZDF-Satiremagazin "Die Anstalt" auf einer  Betriebsversammlung am 29. Juni 2022 gesagt haben, daß Porsche "sehr großen Anteil" daran gehabt habe, daß eine weitere Nutzung von synthetisch hergestellten E-Fuels für Verbrennungsmotoren "in den Koalitionsvertrag mit eingeflossen" sei. "Da sind wir Haupttreiber gewesen, mit ganz engem Kontakt an die Koalitionsparteien. Der Christian Lindner hat mich in den letzten Tagen fast stündlich auf dem Laufenden gehalten." (Tagesspiegel vom 23.7.2023)

 

Christian Lindner verband im August 2022 die Forderung nach einem vergünstigten Nahverkehr mit "Gratismentalität", die er wahrnehme aber nicht unterstützen werde. (Stern vom 9.8.2022)

 

Lindner forderte im Oktober 2022 eine Laufzeitverlängerung von fünf Kernkraftwerken bis ins Jahr 2024 trotz der damit verbundenen Risiken und der nach wie vor ungeklärten Entsorgung der radioaktiven Abfälle und eine Aufhebung des Fracking-Verbots, obgleich auch hier noch Fragen offen sind. (Der Spiegel vom 7.10.2022 und Zeit online vom 30.10.2022)

 

Das war die Haltung zur Kernspaltung "meiner" FDP vom 7. Juni 1980: "... Trotzdem ist der Einsatz von Kernenergie zur Deckung des Energiebedarfs nur dann gerechtfertigt, wenn wirklich nachweisbar jede andere Energiequelle nicht ausreicht, die äußersten Anstrengungen zur Energieeinsparung gemacht worden sind und hinreichende Sicherheit gewährleistet ist. ... Unabhängig von einem weiteren Ausbau müssen Betriebssicherung, Entsorgung, Strahlenschutz und Sicherung von Spaltmaterialien durch geeignete Maßnahmen gewährleistet werden. ..." Und es hatte gute Gründe, warum die Liberalen - noch keine Frei(heitlich)en Demokraten - am 6. und am 30. Juni 2011 die entsprechenden Entscheidungen zum Ausstieg aus der Kernkraft getroffen haben. Man hatte also über elf Jahre Zeit, sich darauf vorzubereiten.

 

Was ist das bei Nicola Beer mit ihrem undurchsichtigen Verhältnis zu Viktor Orbán und seiner Partei "Fidesz - Ungarischer Bürgerbund", das am 18. Januar 2019 Gegenstand eines Artikels im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" gewesen ist? Passend rief sie am 17. Juni 2020 gemeinsam mit “Wahren Finnen“, “Schwedendemokraten” und anderen rechten Politikern zum gemeinsamen Gebet auf. (E-Mail von Nicola Beer vom 17.6.2020, veröffentlicht von Chris Pyak im Internet)

 

"2018 wählte die FDP Bayern sie [Nadja Hirsch] erneut zur bayerischen Spitzenkandidatin für die Europawahl 2019, ihre Kandidatur auf dem FDP-Europaparteitag 2019 für die aussichtsreichen Listenplätze 2 und 6 blieb jedoch erfolglos. Grund hierfür soll ein Konflikt zwischen ihr und der FDP-Generalsekretärin und Spitzenkandidatin für die Europawahl 2019, Nicola Beer, gewesen sein, da Hirsch Beer 'fehlende Abgrenzung' und 'gute Beziehungen' zur ungarischen Regierung vorgeworfen hatte. Hirsch wurde letztlich auf Listenplatz 29 gewählt, zog daraufhin ihre Kandidatur für das EU-Parlament zurück und ist 2019 aus diesem ausgeschieden." (Wikipedia 9.8.2023)

 

Beer gehört auch zu den Leugnern des menschengemachten Klimawandels - wie übrigens auch Frank Schäffler, ein FDP-Bundestagsabgeordneter.

 

Bei Wikipedia (Stand: 8.8.2023) kann man lesen:

 

"Beer leugnete wiederholt öffentlich den Konsens der Klimawissenschaften. Beispielsweise sprach Beer im Jahr 2017 in einem Tweet vom 'angeblichen Auftreten von mehr Extremwettereignissen' und benutzte dabei den Hashtag '#Fakenews'. In einer Stellungnahme bezeichnete Beer die 'Kausalität von Extremwettersituationen und Klimawandel' als 'wissenschaftlich widerlegt'. Tatsächlich ist hingegen das vermehrte und intensivere Auftreten von Extremwetterereignissen durch den aktuellen Weltklimabericht des IPCC umfassend belegt."

 

"Schäffler bezweifelt den menschengemachten Klimawandel und fordert die Aufgabe der deutschen Klimaschutz-Ziele, da sie seiner Ansicht nach der Wirtschaft schaden (Stand 2011). Anlässlich der Veröffentlichung des dritten Teils des fünften Sachstandsberichts des Weltklimarats Mitte April 2014 bezeichnete Schäffler sich selbst als Klimaskeptiker. Er schrieb: 'Ich bekenne hiermit: Ich bin ein Klimaskeptiker. Und wird es dennoch ein wenig wärmer, dann freue ich mich über die besseren Ernteerträge, die milderen Winter und den besseren Wein.' In diesem von Christian Stöcker als 'sehr aggressive[m] Text' beurteilten Beitrag schrieb er hinsichtlich des Klimawandels von 'Klimahysterie', 'Schuldkomplex' und 'Umerziehungsversuche[n]' und behauptete, 'die Eisbären werden mehr'.

 

Schäffler lehnt die Energiewende ab und bezeichnet sie als obrigkeitsstaatlich verordnete 'Klimareligion'. Sein 'Prometheus-Institut' ist Mitglied im Atlas Network, wo vor allem marktradikal ausgerichtete und von der fossilen Energieindustrie finanzierte Organisationen Mitglied sind. Für das Blog Tichys Einblick verfasste er ein Schmähgedicht über den Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, das unter anderem die Zeile 'Die Eisbären knien ganz dankbar davor, hoch oben schwebt jubelnd Herrn Schellnhubers Chor' enthält. Im Hinblick auf die Klimaschutzaktivisten der Letzten Generation erklärte Schäffler, diese erinnere ihn 'erschreckend an die Frühphase' der linken Terrororganisation RAF. 'Letztlich' gehe 'es auch hier um den Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.'

 

Schäffler war beim Gebäudeenergiegesetz die treibende Kraft, den bereits in der Ampelkoalition abgestimmten Entwurf erneut zu torpedieren, dem die FDP bereits zugestimmt hatte. Das Gesetz nannte er eine 'Atombombe für unser Land', sammelte 101 Fragen, welcher er an Robert Habeck schickte, verlinkte bei Twitter einen 'Bild'-Artikel mit der Überschrift: 'Habeck plant den nächsten Heiz-Hammer' und kommentierte mit den Worten 'unfassbar dämlich'. Ferner schrieb er, gemäß seines Schornsteinfegers koste eine Wärmepumpenheizung im Altbau ca. 150.000 Euro. Kurz nach Änderung des Entwurfs offenbarte er in einer Talkshow, dass er sich gerade dazu entschieden habe, selbst eine Wärmepumpe in einem neugebauten Haus installieren zu lassen."

 

Leider paßt dazu der Inhalt eines Artikels in der Frankfurter Rundschau vom 27. April 2023:

 

"Die FDP beschäftigt ... einen Klimareferenten, der den menschengemachten Klimawandel mehr oder minder offen angezweifelt hat. ... Steffen Hentrich ... trat auch öffentlich auf. So etwa bei einer Podiumsdiskussion im Jahr 2019 ... 'Ich denke nicht, dass wir eine Klimakrise oder einen Klimanotstand haben. Ich denke, wir haben eine Krise der Politik, weil Politiker von Aktivisten getrieben werden', sagte er Archivaufnahmen zufolge damals. 'Steffen Hentrich ist in seiner Funktion wie jeder Referent immer dabei, wenn wir Diskussionen fachlicher Natur führen', bestätigte Lukas Köhler ... Dieser [Hentrich] sagte allerdings ... zu den Folgen der globalen Erwärmung auch schon einmal: 'So wie ich die Studien lese, werden wir selbst in den Worst-Case-Szenarien in einer Welt mit viel mehr Wohlstand leben'. 2021 kommentierte Hentrich auf Twitter eine Studie zum Zusammenhang zwischen Wetterextreme und Klimawandel. 'Global ist es in den letzten Jahren kaum wärmer geworden' ... 2013 ließ sich Hentrich auf einem Kongress der Klimaleugner-Bewegung ablichten. Vertreten waren Lobby-Thinktanks wie EIKE, ..."

 

Lukas Köhler wurde am 7. Dezember 2021 zum stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion mit den Zuständigkeiten Arbeit & Soziales, Gesundheit, Tourismus, Wirtschaft, Mittelstand und Handwerk sowie Klima und Energie gewählt.

 

Das Europäische Institut für Klima & Energie e. V. (EIKE) ist seit 2007 ein eingetragener Verein, der den wissenschaftlichen Konsens über die menschengemachte globale Erwärmung leugnet. (Wikipedia 11.8.2023)

 

Marco Buschmann warnte in einem Gastbeitrag im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vom 29. März 2020 im Zusammenhang mit der "Corona-Krise" vor einer "Revolution der Mittelschicht". Dabei erweckte er nicht den Eindruck, als fände er eine solche Reaktion auf die "Corona-Maßnahmen" besonders unverständlich:

 

"Wenn die deutsche Mittelschicht den Eindruck erlangen sollte, dass ihre Belange und Bedürfnisse angesichts der Bedrohung ihrer sozialen Lage nicht ins Zentrum der deutschen Politik rücken und dort zu einer klaren Änderung der Prioritäten führen, dann soll kein verantwortlicher Politiker behaupten, er habe nicht wissen können, was dann geschieht. Dann liegt irgendwann Revolution in der Luft."

 

Wurde hier aus taktischen Erwägungen mit der Gefahr eines Umsturzes gespielt? Was wollte Buschmann damit erreichen und vor allem wen?

 

War es nicht auch Marco Buschmann, der für die Freien Demokraten am 27. Oktober 2021 mit Blick auf die seit Mitte Oktober stark steigenden Zahlen erklärt hat, daß das Gesundheitssystem nicht an seine Grenzen stoßen wird? Hätten die Freien Demokraten seinerzeit nicht wirkungsvolle Kontaktbeschränkungen verhindert, wäre vielen Menschen sehr viel Leid erspart geblieben. (Zeit online vom 27.10.2021)

 

Und Bijan Djir-Sarai sympathisiert mit den politischen Ansichten von Matteo Salvini von der rechtspopulistischen und nationalistischen Partei "Lega".

 

Als außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion rechtfertigte er laut Wikipedia (Stand: 8.8.2023) die Festnahme von Kapitänin Carola Rackete. Diese hatte am 12. Juni 2019 als Kapitänin der Sea-Watch 3 insgesamt 53 aus Libyen kommende Flüchtlinge bzw. Migranten im Mittelmeer aus Seenot gerettet und lief nach dem Warten auf eine Genehmigung in der Nacht zum 29. Juni trotz eines Verbots durch italienische Behörden den Hafen der Insel Lampedusa an.

 

Er argumentierte, daß Rechtsstaatlichkeit "außerordentlich gefährdet" sei, "wenn unter Berufung auf gesinnungsethische Motive Gesetze gebrochen werden".

 

Es ging aber nicht um gesinnungsethische Motive, sondern darum, das Leben von Menschen zu retten. Der Rechtsstaat wurde nicht von Rackete, sondern vom damaligen italienischen Innenminister Salvini gefährdet.

 

Hätte Djir-Sarai die 53 aus Libyen kommenden Flüchtlinge bzw. Migranten lieber im Mittelmeer ertrinken lassen? Ich habe auf diese Frage übrigens nie eine Antwort von ihm bekommen, obgleich ich sie ihm mehrfach gestellt habe.

 

"Deutschland ist für viele besonders attraktiv, weil sie hier vom hohen Sozialstandard profitieren“, sagte Djir-Sarai in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" am 23. Juni 2023. "Ich sage ganz klar: Diese Migration wollen wir nicht. Deswegen wäre es aus meiner Sicht richtig, Pullfaktoren abzuschaffen, indem Asylbewerber keine finanziellen Mittel mehr erhalten, sondern nur Sachleistungen zur Verfügung gestellt bekommen.“ Will die FDP das Grundrecht auf Asyl endgültig abschaffen?

 

Im Juli 2023 warnte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai vor ähnlichen Verhältnissen wie in Frankreich und rief dabei zur Begrenzung der Zuwanderung auf: "Die Politik in Deutschland sollte sich intensiv mit den Ereignissen in Frankreich beschäftigen." Damit schürte er Ängste und Vorbehalte vor Menschen aus anderen Ländern. Besonders perfide, da er selbst anscheinend anderen Menschen nicht das Glück und die Möglichkeit gönnt, die er selbst hatte. (Merkur.de vom 5.7.2023)

 

Wolfgang Kubicki hat sich spätestens mit seinem Interview, das er am 21. September 2021 der Boulevardzeitung "Bild" gegeben hat, endgültig desavouiert, indem er sich als "Lockdown-Brecher" bekannt hat. Wie kann man sich als ein Vizepräsident des Deutschen Bundestages damit brüsten, daß man sich nicht an die Regeln hält, die genau dieses Gremium verabschiedet hat? Und das war nicht der erste und einzige Fauxpas, den er sich geleistet hat, um am rechten Rand zu fischen.

 

Hat er nicht auch sehr schnell Thomas L. Kemmerich zur Wahl zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen nur dank der Stimmen der AfD-Abgeordneten gratuliert?

 

Hat er nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mitschuld an den rechtsextremen Übergriffen in Chemnitz im August 2018 gegeben? "Die Wurzeln für die Ausschreitungen liegen im 'Wir-schaffen-das' von Kanzlerin Angela Merkel“, sagte Kubicki den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Und Nicola Beer hat nichts Besseres zu tun, als ihm per Twitter zuzustimmen. (Die Welt vom 28.8.2018)

 

Am 7. August 2019 kann man im Tagesspiegel lesen: "Vergangene Woche stieß der westfälische Fleischfabrikant Clemens Tönnies mit einer rassistischen Bemerkung ins gleiche Horn. Er kritisierte eine geplante Steuer auf Kohlendioxid und sagte, stattdessen solle man lieber jährlich 20 Kraftwerke in Afrika finanzieren. Dann würden die Afrikaner auch aufhören, im Dunkeln Kinder zu produzieren." In einem Tweet dazu schreibt Kubicki: "Die ziemlich drastische Aussage von Clemens Tönnies war nicht nur zulässig, sondern vielleicht auch notwendig, ..." (Tweet von Wolfgang Kubicki, veröffentlicht von Chris Pyak im Internet)

 

Kubicki forderte im Juni 2022 die Entlassung von Lothar H. Wieler als Präsident des Robert Koch-Institutes, weil die Datenlage zur Pandemie angeblich unzureichend sei, und im August 2022, die Ostseepipeline Nord Stream 2 zu öffnen. (t-online vom 1.7.2022 und Tagesspiegel vom 19.8.2022)

 

Bei einem Wahlkampfauftritt im September 2022 nannte er, immerhin einer der Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan eine "Kanalratte". Liberale beleidigen niemanden, schon gar nicht das Staatsoberhaupt eines offiziell befreundeten Staates, auch wenn seine Politik noch so kritikwürdig sein mag. (Tagesspiegel vom 27.9.2022)

 

Kubicki sagte im Juli 2023 der Boulevardzeitung "Bild", daß  Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, mit ihren Ideen für eine Reform des Gleichbehandlungsgesetzes die Diskussion in der Ampel-Koalition "mit einem solch unausgegorenen Vorschlag leider schon jetzt belaste". (t-online vom 21.7.2023)

 

In der ARD-Sendung "Überzeugt uns! Der Politikercheck" am 21. August 2017 hatte Katja Suding für die Freien Demokraten erklärt, daß sie für ein Mehr an Zeitarbeitsverträgen, an befristeten Arbeitsverträgen sei. Die Menschen müßten sich an die sich verändernde Arbeitswelt, an die Wirtschaft anpassen. Für mich ist das nicht liberal, sondern eher kapitalistisch. So muß man sich auch nicht darüber wundern, wenn die Freien Demokraten, wenn die FDP nach wie vor mit dem Kampfbegriff "neoliberal" belegt wird. In der liberalen Marktwirtschaft ist aber nicht der Mensch für die Wirtschaft, sondern ist die Wirtschaft für die Menschen da Ein liberaler Staat muß mit seiner Wirtschaftsordnungspolitik dafür sorgen, daß die Menschen und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen.

 

War es nicht Joachim Stamp, der sich im August 2018 für die Abschiebung von Sami A. und gegen eine Rückholung ausgesprochen hat, obgleich es ein gegenteiliges Urteil eines Gerichts gegeben hat? Wollte er nicht auch vor allem Familien mit Kindern in den Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln helfen? Fehlanzeige! (Zeit online vom 15.8.2018)

 

"Auf Anfrage hieß es am Montag [23.12.2019], die katastrophale Situation in den griechischen Lagern sei bekannt. ... Der Minister kann sich jedoch vorstellen, Familien mit kleinen Kindern aus den Lagern zu holen. ... Pauschal jedoch alle von den Inseln in Griechenland auf das Festland zu holen, sei ein Fehler. Das - so Stamp - würde nur das Geschäft der Schlepperbanden begünstigen." Hier wurde wieder am rechten Rand gefischt.

 

Dazu paßte dann auch die Aussage, als es um Flüchtlinge aus Afghanistan ging, daß ein genereller Abschiebestop von Schleppern propagandistisch ausgeschlachtet und als Generaleinladung uminterpretiert würde. Was soll das, wenn es um das Leben von Menschen geht? (Der Spiegel vom 12.8.2021)

 

Linda Teuteberg hat als Generalsekretärin am 1. September 2019 in der Berliner Runde (ARD) der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" vorgeworfen, daß diese die Maghreb-Staaten nicht uneingeschränkt als sichere Herkunftsstaaten anerkennen würde, obgleich dort Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden.

 

Am 10. Mai 2020 kann man im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" lesen, daß der Tübinger Oberbürgermeister Olaf Palmer ("Bündnis 90/Die Grünen") wegen des Satzes "Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären" nicht nur einmal mehr für Aufregung gesorgt, sondern auch von Michael Theurer, Vorsitzender der FDP Baden-Württemberg ein Aufnahmeangebot bekommen hat. Während der Landesvorstand der Grünen ihn zum Parteiaustritt aufforderte, sagte Theurer: "Bei uns in der FDP Baden-Württemberg ist Boris Palmer herzlich willkommen. Wir sind eine Heimat für kritische Köpfe."

 

"Am 2. September 2021 verglich Theurer den durch den baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz veranlassten Aufbau einer Internetplattform zur anonymen Anzeige von Steuerhinterziehern mit der Nazi-Diktatur und sprach von einer 'Blockwart-Mentalität'." (Wikipedia 10.8.2023)

 

Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung der FDP war die Annahme der Wahl zum thüringischen Ministerpräsidenten durch Thomas L. Kemmerich - ausschließlich dank der Stimmen der AfD am 5. Februar 2020. Wäre er ein Liberaler, hätte er diese Wahl niemals annehmen dürfen, spätestens jedoch am nächsten Tag seinen Rücktritt erklären und auch auf eine Geschäftsführung verzichten müssen.

 

Kemmerich war 29 Tage lang Ministerpräsident des Freistaates Thüringen von AfD Gnaden, hat seinen Rücktritt nur nach massivem Druck erklärt. Das wäre für einen Liberalen unerträglich gewesen.

 

Hinzu kommt seine Teilnahme am 9. Mai 2020 als Redner an der Demonstration unter dem Motto "Corona-Exit mit Maß und Mitte" in Gera, auf der er sich von dem Veranstalter als "einziger aktuell legitimer Ministerpräsident" hat bezeichnen lassen, ohne eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen und die Abstandsregelungen einzuhalten. (Wikipedia 8.8.2023)

 

Schneider kann den medialen Trubel um diese Wahl absolut nicht nachvollziehen. Es gäbe keinen Grund, die FDP auch nur in irgendein rechtes Eck zu rücken. Kennt sie die Geschichte der FDP? Ob ihr Namen wie Ernst Achenbach, August-Martin Euler, Friedrich Middelhauve, Werner Naumann, Theodor Oberländer und Siegfried Zoglmann etwas sagen? Ich bezweifle es sehr.

 

Nach der Bundestagswahl am 24. September 2017, bei der die FDP den Einzug in den Bundestag wieder geschafft hatte, kam es zu Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU, der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" und FDP. Christian Lindner hat nach fast vier Wochen diese Sondierungsgespräche, noch keine Koalitionsverhandlungen, einseitig beendet.

 

Lindner wollte nach meiner Einschätzung sich nicht verweigern wie die SPD, wollte aber von Anfang an lieber in die Opposition gehen und (noch) keine Regierungsverantwortung übernehmen. Später gab es Stimmen, die sagten, die FDP wäre noch gar nicht wieder regierungsfähig gewesen. Ob das so war, lasse ich dahingestellt.

 

Ich persönlich habe den Eindruck, daß Lindner gehofft hat, daß die Sondierungsgespräche an CSU oder der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" scheitern. Diesen Gefallen haben sie ihm nicht getan. Also mußte er die Notbremse ziehen.

 

Schneider bejubelt es, daß "Lindner 2017 mit einem phänomenalen Satz die Jamaika-Koalitionsverhandlungen mit der Union und den Grünen sprengte", und meint, daß "seine damalige Entscheidung vielleicht der größte Dienst sei, den er der Freiheit je geleistet hat".

 

Auch die COVID-19-Pandemie wurde von den Freien Demokraten leider dazu genutzt, sich bei den Anhängern der AfD und bei den sogenannten Querdenkern anzubiedern.

 

Man wird nicht dadurch glaubwürdig, daß man in der Opposition Maßnahmen kritisiert und Forderungen stellt, die man als Teil der Regierung selbst unterstützt oder nicht durchsetzen kann oder will.

 

Außerdem hat man immer wieder so getan, als ob man über die Regierungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein sowie ab dem 16. September 2021 in Sachsen-Anhalt nicht auch Teil der Ministerpräsidentenkonferenz gewesen wäre.

 

"Nie gab es mehr zu tun" - Schneider sieht darin einen passenden Titel für das Wahlprogramm und das Ende des freiheitlichen Dornröschenschlafs, freiheitlich, nicht liberal.

 

Wollte die "neue" FDP á la Lindner und Kubicki damit tatsächlich sagen, daß es nach der Bundestagswahl im Jahr 2021 mehr zu tun gebe als nach der Bundestagswahl im Jahr 1949?

 

Was würden wohl Thomas Dehler, Theodor Heuss, Hermann Höpker-Aschoff, Erich Mende, Fritz Neumayer, Karl Georg Pfleiderer, Victor-Emanuel Preusker, Hans Reif, Hermann Schäfer und Eberhard Wildermuth dazu meinen?

 

Wie geschichtsvergessen kann man sein?

 

Sprüche von Werbetextern, die ganz offensichtlich von Politik und Geschichte und damit auch von politischer Kommunikation keine Ahnung haben.

 

Die Verantwortung dafür liegt aber nicht bei den Textern, sondern bei den Menschen, die für die FDP entscheiden.

 

Schneider hat´s auch gefallen. Sie bezeichnet allerdings auch die Menschen, die sich im Rahmen der Aktion "Fridays for Future" engagieren, und die Mitglieder der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" pauschal als "wohlstandsverwahrloste Neomarxisten". Es fehlte nur noch der Ausdruck "linksgrün versifft".

 

Ging es ihr nicht darum, Menschen nicht "über einen Kamm zu scheren", sie nicht in Schubladen zu stecken, sondern als Individuum zu betrachten?

 

Eine Seite weiter lobt sie die ihrer Meinung nach von Lindner unschön geschaßte ehemalige Generalsekretärin Linda Teuteberg dafür, daß sie in der Schweizer Tageszeitung "Neue Zürcher Zeitung" gesagt habe, Menschen in unentrinnbare Gruppenzugehörigkeiten einzuteilen, ..., sei eine zutiefst illiberale Methode.

 

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es eben noch lange nicht dasselbe. Und ich bin mit Sicherheit weit davon entfernt, ein Sympathisant der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" zu sein, deren Entwicklung ich seit ihrer Gründung im Jahr 1980 mit kritischem Interesse verfolge.

 

Zurück zu den vielen Erstwählern, die bei der Bundestagswahl im Jahr 2021 die FDP gewählt haben: Ich könnte mir gut vorstellen, daß ein großer Teil von ihnen die FDP tatsächlich aufgrund ihres Programms gewählt haben. Ein nach wie vor weitestgehend liberales Programm.

 

Die FDP hat seit 1948 schon so manche guten Programme, liberale Programme gehabt. Papier und Dateien sind aber sehr geduldig.

 

Die besten liberalen Programme nutzen nichts, wenn sie von den führenden Vertretern einer Partei nicht (überzeugend) vertreten werden, man diesen Repräsentanten nicht abnimmt, daß sie auch bereit und in der Lage dazu sind, diese wirklich umsetzen zu wollen, und von diesen immer wieder eigene Schwerpunkte gesetzt werden, die nur sehr schwer oder sogar gar nicht mit der Programmatik zu vereinbaren sind: Image folgt Fakten.

 

Nur zwei Beispiele:

 

Linda Teuteberg hat sich als FDP-Generalsekretärin am 6. Mai 2019 grundsätzlich gegen Mehrehen ausgesprochen. In einem "Bild“-Talk sagte sie: "Die Mehrehe ist ein unserer Rechtsordnung fremdes und die Frauenrechte missachtendes Ehemodell." Dies mag vielleicht für eine Mehrehe nach dem islamischen Recht gelten, weil Männer vier Frauen, aber Frauen nur einen Mann heiraten dürfen. Das hat sie aber so nicht gesagt, obgleich die Idee der Verantwortungsgemeinschaft bereits Teil der FDP-Programmatik war. (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6.5.2019)

 

Bei der Abstimmung im Europäischen Parlament am 26. März 2019 stimmt nur Nadja Hirsch gegen die Reform des Urheberrechts, das sogenannte Uploadfilter vorsieht, obgleich die Beschlußlage der FDP deren Ablehnung vorsieht. (Tagesspiegel vom 26.3.2019)

 

Bei ihrer Kritik an der FDP, die Schneider nicht libertär genug ist, verwechselt sie Gleichstellung erneut mit Gleichmacherei. Versteht sie es nicht oder will sie es nicht verstehen?

 

Es geht um die Stellung in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, im Arbeitsleben. Will Schneider doch einen Ständestaat? Wettert sie nicht ansonsten immer gegen die Einteilung in Gruppen, in Klassen?

 

Dann versteigt sie sich dazu, den Volkswirt Roland Baader, der alles andere als ein Liberaler gewesen ist, dem Bundesminister a. D. Gerhart Baum gegenüberzustellen. Ein Libertärer auf der einen und der Grandseigneur des Liberalismus auf der anderen Seite.

 

Warum wollen so viele Libertäre anscheinend Liberale sein oder zumindest für liberal gehalten werden? Libertarismus bleibt Libertarismus, auch wenn man ihn als klassischen Liberalismus bezeichnet. Der Liberalismus braucht keine Zusätze. Er ist freiheitlich und gleichzeitig sozial.

 

Ist das bei Kommunisten und Sozialisten auch so? Wollen Kommunisten sich unbedingt als Sozialisten darstellen?

 

Ich weiß es nicht. Man muß aber auch nicht alles und jeden verstehen.

 

Roland Baader gehört in jedem Fall zu den glühendsten Verfechtern des Libertarismus.

 

Es gibt allerdings ein Zitat von ihm, das mir sehr gut gefällt und das grundsätzlich auch für den Liberalismus gilt, auch wenn es bei der konkreten Anwendung Unterschiede geben mag.

 

"Das Gegenteil von (politisch) ‚links‘ ist nicht ‚rechts‘ - und das Gegenteil von 'rechts' ist nicht 'links'. Der braune Sozialismus war und ist nur eine Variante des roten Sozialismus. Das Gegenteil von ‚links‘ (und von ‚rechts‘) ist: ‚freiheitlich‘ und ‚offen‘, sowie ‚rechtsstaatlich‘ im ursprünglichen Sinne des Wortes."

 

Die Verfasserin echauffiert sich über den Titel eines Gastbeitrags von Baum in der deutschen Tageszeitung "Handelsblatt": "Die Liberalen müssen ihr Misstrauen gegenüber staatlichen Eingriffen überwinden".

 

Ich weiß nicht, ob Baum diesen Titel selbst gewählt oder dieser dem Beitrag von der Redaktion gegeben wurde. Es ist aber auch unerheblich.

 

Denn Liberale sehen im Staat grundsätzlich keinen Feind. Sie lehnen ihn nicht ab, sie wollen ihn für ihre Zwecke nutzen. Sie lehnen den Obrigkeits-, den Polizei-, den Überwachungs-, den Wohlfahrts-, den "Nanny"-Staat ab. Sehen aber den freiheitlichen und demokratischen Verfassungs- und Rechtsstaat sowie den Sozialstaat als Mittel zum Zweck.

 

Sie führt in diesem Zusammenhang auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann an, die auf dem FDP-Bundesparteitag am 19.September 2020 gesagt habe, daß es sie nerve, daß die Partei von außen oder auch von innen in Wirtschaftsliberale, Sozialliberale oder gar böse Linksliberale gespalten werde. All diese Begriffe bedingten einander, gehörten zusammen.

 

Schneider widerspricht und meint, wer liberal ist, ist nicht links, und wer links ist, ist nicht liberal. Sie versucht, dies damit zu begründen, daß Linkssein notwendig  voraussetze, Menschen in bestimmte Gruppen zu sortieren, das würde Schneider selbst nie tun ..., und durch Umverteilung Gerechtigkeit (vulgo Gleichstellung) zu erreichen.

 

Leider äußert sie sich nicht zu Rechtsliberalen. Das liegt aber bestimmt nur daran, daß diese von Strack-Zimmermann nicht erwähnt wurden.

 

Ich kenne auch nur Liberale, keine Links-, National-, Rechts-, Sozial- oder Wirtschaftsliberale, allerdings aus anderen Gründen als Schneider, eher auch aus Gründen wie Strack-Zimmermann. Leider gibt es in der FDP immer weniger (bekennende) Liberale wie Strack-Zimmermann, dafür immer mehr Frei(heitlich)e Demokraten.

 

Als ziemlich vermessen empfinde ich den Versuch, Guido Westerwelle vor ihren Karren zu spannen, indem sie auf sein Buch "Neuland" verweist.

 

Hat sie auch sein Buch "Zwischen zwei Leben: Von Liebe, Tod und Zuversicht" gelesen, das er zusammen mit Dominik Wichmann geschrieben hat? Ich habe da so meine Zweifel.

 

Ich vermisse Guido sehr. Er hätte aus der FDP - vor allem nach den Erfahrungen mit seiner Erkrankung - eine liberale Volkspartei, die Liberale Partei Deutschlands machen können, eine Partei, die nicht nur für die Menschen da ist, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen, sondern grundsätzlich für alle Menschen, denen größtmögliche Freiheit wichtig ist, auch die, die nicht oder nicht mehr zu den Leistungsträgern gehören - unabhängig von Herkunft, Einkommen und Vermögen.

 

Davon bin ich überzeugt. Und ich habe sein Buch "Neuland - Einstieg in einen Politikwechsel" aus dem Jahr 1998 auch gelesen.

 

Ich muß gestehen, daß ich zu Jürgen W. Möllemann - wie auch zu seinem Freund Wolfgang Kubicki - ein ambivalentes Verhältnis habe bzw. hatte. Es wäre meiner Meinung nach für die FDP bzw. den organisierten Liberalismus aber gut gewesen, wenn es Möllemann und Guido geschafft hätten, ein Tandem zu werden. Das hat nicht sollen sein.

 

Sicher hätte Guido nicht auf den Zusatz "Die Liberalen" verzichtet und versucht, am rechten Rand und unter "Querdenkern" und "Reichsbürgern" nach möglichen Wählern und Mitgliedern zu fischen.

 

Er hätte auch zu den vulnerablen Gruppen gehört. Ich bin mir sehr sicher, daß er nicht so mit der Gesundheit und dem Leben von Menschen gespielt hätte, wie es viele in der FDP getan haben.

 

Wen wollen diese Freien Demokraten erreichen? Libertäre? Egoisten? Menschen, denen ihre freie Entfaltung wichtiger ist als die Gesundheit ihrer Mitmenschen.

 

Wenn Schneider behauptet, Freiheit sei nicht gebunden, durch nichts und niemanden, auch nicht durch Verantwortung, entlarvt sie sich selbst. Das ist nicht liberal. Freiheit und Verantwortung sind für Liberale die zwei Seiten einer Medaille.

 

In der WDR-Wahlarena am 3. Mai 2022 haben sich vor allem Joachim Stamp für die FDP und Markus Wagner für die AfD gestritten. Das war insofern sehr interessant, als es für die Nähe dieser beiden Parteien spricht und dafür, daß sie inzwischen die gleiche Zielgruppe umwerben.

 

Je näher sich Parteien ideologisch sind, desto mehr versuchen sie, sich voneinander abzugrenzen und sich zu bekämpfen. Das war auch schon früher bei SPD und KPD so. Jetzt sehen wir es bei FDP und AfD.

 

Dies wurde auch durch eine Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag der Mediengruppe RTL bestätigt, die am 17. Februar 2021 im RTL/ntv-Trendbarometer veröffentlicht wurde:

 

"Die FDP-Anhängerschaft ist der der AfD ähnlicher geworden. 72 Prozent der FDP-Anhänger und 73 Prozent der AfD-Anhänger sind Männer. Die jetzigen FDP-Anhänger verorten sich selbst im politischen Spektrum deutlich weiter rechts als die FDP-Wähler der Bundestagswahl von 2017. Sie haben sich damit der Selbst-Definition der AfD-Anhänger angenähert. Während die große Mehrheit der Bundesbürger (72 %) die Verlängerung des Lockdowns zur Eindämmung der Corona-Pandemie gutheißen, sind die Anhänger von FDP und AfD mehrheitlich dagegen: 66 Prozent der FDP-Anhänger und 84 Prozent der AfD-Anhänger bewerten die Verlängerung des Lockdowns als 'nicht richtig'. Von der Gesamtbevölkerung äußern sich 25 Prozent ablehnend."

 

Eine "AfD light" braucht aber niemand, eine liberale Partei wird gebraucht, dringend. "Nur wer gesund ist, kann Freiheit genießen." Dieser Spruch stammt übrigens nicht von mir, sondern von der FDP Schleswig-Holstein ...

 

Es folgt bei Schneider ein kleiner Exkurs mit der Hypothese, daß liberale Politik gewissermaßen ein Widerspruch in sich sei und es eine liberale Partei eigentlich gar nicht geben dürfe.

 

Denn als Liberaler ginge man davon aus, daß die beste Politik darin bestehe, im besten Fall gar kein staatliches Handeln zu haben.

 

Auch hier wird wieder deutlich, daß Schneider nicht über den Liberalismus, nicht über liberale Politik und nicht über liberale Parteien schreibt.

 

Das ist Anarchismus, noch nicht einmal mehr Libertarismus.

 

Liberale wissen um die Natur des Menschen, sie haben ein positives Menschenbild, ignorieren aber seine Schwächen und Mängel nicht. Sie nehmen die Menschen so, wie sie sind.

 

Beipflichten kann ich Schneider wieder, wenn sie dieses ständige Gerede von der Mitte und das Bestreben, unbedingt die politische Mitte darstellen zu wollen, kritisiert.

 

Nicht links, nicht rechts, nicht Mitte, liberal, freiheitlich und gleichzeitig sozial.

 

Wie sie habe auch ich den Zirkus um die Sitzordnung im Deutschen Bundestag, den die Freien Demokraten veranstaltet haben, nicht nachvollziehen können.

 

Das Links-Rechts-Schema ist zwar längst überholt, aber gelernt. Daher hatte es auch gute Gründe, daß die FDP rechts von der Union sitzt.

 

War doch die FDP die einzige Partei, die sich von Anfang an für das Privateigentum und die Marktwirtschaft und gegen Verstaatlichungen eingesetzt hat, während die anderen Parteien - auch CDU und CSU - für sozialistische Experimente durchaus offen waren. Konservatives Ordnungs- und sozialistisches Planungsdenken vereinen Union und SPD.

 

Steht die neue Sitzordnung für den Abschied der Freien Demokraten von der Idee der liberalen und damit sozialen und ökologischen Marktwirtschaft im Sinne des Ordoliberalismus?

 

Sie sprechen zwar viel vom Mittelstand und von der Mittelschicht, engagieren sich aber mehr für die "Unternehmen ohne Unternehmer" und die Oberschicht. Nicht ohne Grund lassen sich Christian Lindner und auch sein Generalsekretär Bijan Djir-Sarai immer wieder gern vom Wirtschaftsrat der CDU e. V. einladen.

 

Schneider wünscht sich anscheinend eine libertäre FDP, die mit der AfD koaliert.

 

Interessant: Im Juni 2023 befürworteten 32 Prozent, fast ein Drittel, der Wähler dieser FDP eine Koaltion mit der AfD; bei allen Wählern sind es 25 Prozent, Unionswähler 14 Prozent, SPD-Wähler 8 Prozent und Bündnis 90/Die Grünen-Wähler 5 Prozent.

 

Dabei ist es Schneider gleichgültig, daß die AfD längst nichts mehr mit der AfD des Jahres 2013 - und damals war sie in Teilen bereits rechtspopulistisch unterwegs - zu tun hat, sondern eine rechtsradikale bis -extremistische Partei geworden ist.

 

Liegt es an Schneiders Lebensalter oder doch an ihrer Gesinnung, daß sie damit kein Problem hat?

 

Sie hält es nicht für unklug, wenn die FDP versucht, die Lücke zu schließen, die die unter Angela Merkel "sozialdemokratisierte CDU" hinterlassen habe. FDP als CDU der 1980er Jahre?

 

Gleichzeitig meint sie, die FDP habe panische Angst davor, mit der AfD in Berührung zu kommen.

 

Ist das so? Liegt es nicht doch daran, daß diese "neue" FDP à la Lindner und Kubicki und die AfD mittlerweile um die gleiche Zielgruppe buhlt? FDP als "AfD light"?

 

Sie versteht nicht, warum ein Christdemokrat wie Armin Laschet sagt, der Kampf gegen rechts gelänge nur mit klarer Kante.

 

Selbstverständlich weiß Schneider als politische Journalistin, was mit rechts in diesem Fall gemeint ist: rechtsradikal bis -extremistisch.

 

Dennoch wirft sie Laschet quasi Verrat am Konservativismus vor, der ein Teil der CDU ist, und meint, er müsse hirntot sein, weil er sich selbst den Krieg erkläre.

 

Schneider vertritt die Auffassung, alles gelte inzwischen als rechts, was nicht links sei. Daher ließe es sich "in Anbetracht der geistigen Verfassung der Bundesrepublik" nicht vermeiden, daß "freiheitliche Geister" als rechts gelten, freiheitlich, nicht liberal.

 

Hatte sie nicht an anderer Stelle geschrieben, es sei nicht gut, sich nur über die extremen Ränder zu definieren?

 

Liberale sind nicht rechts und auch nicht sozial kalt. Sie brauchen solche Labels daher auch nicht zu fürchten, wie Schneider meint.

 

Sie benutzt liberal und meint libertär, sie schreibt Liberalismus und meint Libertarismus - oder Libertinismus ...

 

Zum Schluß bemüht sie noch Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises. Zwischenzeitlich hatte sie sich auch mal auf Milton Friedman berufen.

 

Von Hayek war weitgehend liberal, driftete aber irgendwann in Richtung Libertarismus ab. Von Mises war ein Libertärer, ein wichtiger Theoretiker des Libertarismus bzw. des Libertarianismus. Milton Friedman war ein Liberaler, der aber von Libertären gern für ihre Zwecke ausgenutzt wird. So wie auch Adam Smith als Begründer des Kapitalismus und Karl Marx als Begründer des Marxismus gern fehlinterpretiert werden.

 

Was bezweckt Schneider mit ihrem Buch? Will sie den Weg für eine Fusion von AfD und FDP ebnen? Will sie eine FPD á la FPÖ? Eine Freiheitliche Partei Deutschlands?

 

Die FDP wird auf lange Sicht nach meiner Überzeugung nur als liberale Partei eine Existenzberechtigung haben, als Liberale Partei Deutschlands.

 

Sie muß sich daher wieder auf ihre Wurzeln besinnen und sich voll und ganz und ohne Wenn und Aber zum Liberalismus bekennen - und das nicht nur in Programmen und Wahlaufrufen. Zu einem Liberalismus, der sich vom Sozialismus, Konservativismus und Nationalismus ebenso abgrenzt wie vom Anarchismus, Libertarismus und Kapitalismus, ganzheitlich, konsequent und radikal, freiheitlich und gleichzeitig sozial.

 

Liberal im politischen, im weltanschaulichen Sinne zeichnet sich nach meiner Überzeugung durch gemeinsame Grundwerte und -sätze aus - wie z. B. Freiheit (negative und positive, Freiheit von ... und Freiheit zu ...), Gleichheit (Rechts- und Chancengleichheit) und Brüderlichkeit (Subsidiarität und Solidarität), wie dem Kategorischen Imperativ von Immanuel Kant ("Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.") oder die sogenannte Goldene Regel ("Was du nicht willst, daß man dir tu´, das füg´ auch keinem andern zu."), wie dem Bekenntnis zum demokratischen und freiheitlichen Verfassungs- und Rechtsstaat mit den garantierten Menschen- und Bürgerrechten und zur liberalen und damit sozialen und ökologischen Marktwirtschaft ("Konkurrenzkapitalismus") im Sinne des Ordoliberalismus, im Sinne der Freiburger Schule der Nationalökonomie.

 

Wie sagte Ludwig Erhard? "Marktwirtschaft ist eine Veranstaltung für die Verbraucher, nicht für die Wirtschaft." Sie braucht einen starken Staat, der mit seiner Wirtschaftsordnungspolitik den Markt beaufsichtigt und überwacht, der dafür sorgt, daß die "Spielregeln" eingehalten werden, daß die Marktwirtschaft eine Veranstaltung für die Verbraucher und nicht für die Wirtschaft ist und vor allem auch bleibt. Denn Kapitalismus im Sinne von Manchester-, Monopol-, Anarcho-, Raubtier-, Heuschrecken-, Turbo- oder Kasinokapitalismus ist ebenso abzulehnen wie eine sozialistische oder kommunistische Zentralverwaltungswirtschaft, ein Staatsmonopolkapitalismus.

 

Der Staat betätigt sich selbst nicht als Unternehmer, setzt aber einen Rahmen, an den sich alle Beteiligten halten müssen. Dabei geht es primär darum, daß ein Markt mit einem produktiven Leistungswettbewerb erhalten bleibt (Vielfalt, Transparenz, Wettbewerb und Teilhabe) und alle Marktteilnehmer die gleichen Rechte und Pflichten und die gleichen Chancen haben und sich auf Augenhöhe begegnen.

 

Im Mittelpunkt der Marktwirtschaft stehen die Kunden, die Menschen und nicht die Konzerne, die Unternehmen und Arbeitgeber. Zur liberalen Marktwirtschaft gehört deshalb für mich auch der liberale Sozialstaat, ein Staat, der sich nicht nur sozial nennt, sondern tatsächlich sozial ist, ohne die Menschen zu bevormunden und zu gängeln: Dieser freiheitliche und gleichzeitig soziale Staat sorgt nicht selbst quasi bevormundend für die soziale Sicherheit seiner Bürger (z. B. durch Zwangssysteme wie die sogenannte Bürgerversicherung), läßt seine Bürger aber auch nicht im Regen stehen und stellt daher sicher, daß jeder für seine soziale Sicherheit vorsorgen kann - z. B. mit Hilfe des Konzepts der negativen Einkommensteuer, des liberalen Bürgergelds bzw. des (bedingungslosen) Grundeinkommens, wie es zum Beispiel von Juliet Rhys-Williams und Milton Friedman postuliert wurde.

 

Der Liberalismus ist für mich aus sich heraus eine Weltanschauung, die offen für neue Entwicklungen ist, die immer wieder alles auf den Prüfstand stellt, in Zweifel zieht und nach Lösungen sucht, die freiheitlich und gleichzeitig sozial sind. Liberale stehen meiner Ansicht nach für einen rationalen und wissenschaftlichen Umgang mit allen Problemfeldern der Politik. Es geht um sachorientierte bzw. expertengestützte Lösungen.

 

Die Geschichte zeigt, daß gerade die Liberalen sich eine Spaltung in mehrere Lager nicht leisten können. Sie müssen ihre Kräfte bündeln, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Die Liberalen müssen (wieder) zueinander finden. Sie brauchen endlich eine Partei, die die FDP bei ihrer Gründung im Jahr 1948 - vor 75 Jahren - sein und werden wollte, eine Partei, die allen Liberalen (20 bis 30 Prozent der Wahlberechtigten) eine politische Heimat gibt, die den Liberalismus mit allen seinen Aspekten und Komponenten - also ganzheitlich - und in allen Lebensbereichen und auf allen Politikfeldern konsequent vertritt und umsetzt, eine Partei, die freiheitlich und gleichzeitig sozial ist und eine Politik insbesondere für alle Menschen gestaltet, denen Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und (Eigen-)Verantwortung wichtig sind.

 

Literaturempfehlungen:

Karl-Hermann Flach, Noch eine Chance für die Liberalen

Hildegard Hamm-Brücher; Der Politiker und sein Gewissen

Hans-Dietrich Genscher, Meine Sicht der Dinge

Guido Westerwelle mit Dominik Wichmann, Zwischen zwei Leben: Von Liebe, Tod und Zuversicht

Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, Der Baum und der Hirsch - Deutschland von seiner liberalen Seite

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Haltung ist Stärke - Was auf dem Spiel steht

Heide Schmidt: Ich seh das so - Warum Freiheit, Feminismus und Demokratie nicht verhandelbar sind

Gerhart Baum, Freiheit - ein Appell

Gerhart Baum, Menschenrechte - ein Appell

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Streitbar - Was Deutschland jetzt lernen muss

 

Über die FDP:

Die Freie Demokratische Partei (FDP) wurde am 11. und 12. Dezember 1948 in Heppenheim an der Bergstraße gegründet. Sie war der Versuch, alle Liberalen (wieder) zu vereinen und für alle Aspekte des Liberalismus zu stehen - mit Blick auf den Staat, die Gesellschaft und die Wirtschafts- und Sozialordnung - nach der Deutschen Fortschrittspartei von 1861. Daher sollte sie auch Liberaldemokratische Partei heißen. Das scheiterte an Deutschnationalen und (ehemaligen) Nationalsozialisten, die sich der FDP bedienen wollten, ähnlich wie im Verband der Unabhängigen in Österreich, aus dem die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) hervorgegangen ist. Der Versuch scheiterte leider bereits im Jahr 1956 mit der Gründung der Freien Volkspartei (FVP). Viele weitere Abspaltungen sollten folgen. Nachdem man sich vermeintlich von diesen rechten Kreisen getrennt hatte, nach der sogenannten "Naumann-Affäre" und den Entwicklungen ab dem Jahr 1956 ("Jungtürken-Aufstand") und vor allem seit dem Jahr 1969 (sozialliberale Koalition), hat man dies im Jahr 1976 mit dem Zusatz "Die Liberalen" deutlich gemacht, ohne den eingeführten Parteinamen zu ändern. Aus den Freidemokraten wurden Liberale.

 

Über den Autor:

Wolfgang Gerstenhöfer, geboren am 29. Juni 1967 in Köln am Rhein, aus einer Familie, die aus dem ehemaligen Sudetenland vertrieben wurde, verwitwet, zwei erwachsene Töchter, Versicherungskaufmann mit dem Schwerpunkt Private Krankenversicherung, Öffentlichkeitsarbeit, Unternehmenskommunikation, Kommunikations- und Politikberater, Liberaler aus Leidenschaft.

 

Sein Lebensmotto lautet: "Mit Kopf und Herz verwalte, der Väter Erbe halte, geh' vorwärts, nie veralte." Und als Lebensweisheit begleitet ihn: "Was du nicht willst, das man dir tue, das füg' auch keinem anderen zu."

 

Schon sehr früh interessierte sich Gerstenhöfer zunächst für Geschichte und dann auch für Politik. Ein stärkeres Interesse für die Tages- und Parteipolitik entwickelte er aufgrund des konstruktiven Mißtrauensvotums am 1. Oktober 1982 gegen Helmut Schmidt, durch das Helmut Kohl Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde.

 

Seine Passion für Geschichte machte ihn auch mit der Weltanschauung des Liberalismus bekannt, im Humanismus und im Rationalismus wurzelnd und dem Geist der Aufklärung verpflichtet, die ihn überzeugte und ihn zu einem leidenschaftlichen Verfechter ihrer Ideen und zu einem glühenden Anhänger dieser Ideologie der Freiheit machte.

 

Daraufhin war die FDP von 1983/84 bis 2011/12 fast 30 Jahre seine politische Heimat. Bis heute hält er das Wahlprogramm der F.D.P. zur Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 "Unser Land soll auch morgen liberal sein", beschlossen auf dem Bundesparteitag in Freiburg am 7. Juni 1980, für eines der besten Programme der FDP.

 

Auch die Liberalen Demokraten, die nach der sogenannten Bonner Wende am 28. November 1982 gegründet worden waren, kamen in die engere Wahl. Er hat sich dann aber doch gegen den "liberalen Spaltpilz" entschieden, ohne übrigens den Koalitionswechsel an sich zu bedauern. Ihm gefiel nur die Art und Weise nicht, und die in Folge zunehmende Anpassung an die CDU - analog der an die SPD vor 1982.

 

Ihm wird "seine" FDP daher nie gleichgültig sein, er wird immer den Finger in die vermeintlichen Wunden legen und die Hoffnung auf eine liberale FDP niemals aufgeben. Er setzt auf die Zukunft und die Jungen Liberalen!