Stellungnahme zur Rede von Christian Lindner, die er auf dem Dreikönigstreffen am 6. Januar 2021 gehalten hat

Text der Rede

 

Die Rede war auch in diesem Jahr weitestgehend gut. Reden kann Christian Lindner. Das habe ich nie bezweifelt.

 

Und dennoch gibt es ein Aber.

 

Hätte man den Zeitraum seit der Bundestagswahl im Jahr 2013 genutzt, um wieder glaubwürdig zu werden und weniger am rechten Rand zu fischen, dann könnte man ihm vielleicht glauben.

 

So gilt weiterhin:

 

Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.

 

Lindner bleibt wieder sehr abstrakt und oberflächlich. Allgemeinplätze, denen man gut und gern zustimmen kann.

 

Wo sind die konkreten Beispiele für Politik im Sinne der FDP, im Sinne seiner Rede aus den Ländern, in denen die FDP an der Regierung beteiligt ist?

 

Ein einziges Mal findet er ein Beispiel aus Schleswig-Holstein, von Heiner Garg, der ihn meinetwegen schnellstmöglich beerben sollte, vielleicht gemeinsam mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

 

Fordern und vorschlagen kann man viel, Opposition ist einfach. Glaubwürdigkeit muß man sich aber hart erarbeiten.

 

Die beste Rede, das beste Programm nutzen nichts, wenn man dem Redner, der Partei die Umsetzung nicht abnimmt, ihnen nicht zutraut - im Interesse der Menschen.

 

Nun zu den Details, in denen bekanntlich die Tücke liegt:

 

"... Nicht jeder Zweck heiligt alle Mittel. ... Auch der beste Zweck heiligt dabei nicht jedes Mittel. ..."

 

Nach meinem Verständnis heiligt der Zweck für Liberale niemals die Mittel. Sehen das Freie Demokraten anders, die sich seit dem Jahr 2015 nicht mehr als Liberale bezeichnen?

 

" ... Deshalb brauchen wir schnellstmöglich eine Öffnungsperspektive für die Schu-len. Gegebenenfalls unter veränderten Bedingungen. Und die jüngeren und die Abschlussjahrgänge zuerst, in Wechselmodellen, vielleicht auch an anderen Orten und danach erst wieder der volle Präsenzunterricht. Aber so schnell wie möglich, müssen wir dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche wieder ihr Bürgerrecht auf Bildung wahrnehmen können. ..."

 

Die FDP stellt seit dem 30. Juni 2017 in Nordrhein-Westfalen mit Yvonne Gebauer die Ministerin für Schule und Bildung, sie ist seit dem 18. Mai 2016 in Rheinland-Pfalz und seit dem 28. Juni 2017 in Schleswig-Holstein an der Landesregierung beteiligt.

 

Sie hat in allen drei Ländern und vor allem in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit, ihre Politik unter Beweis zu stellen, sich mit ihren Vorschlägen durchzusetzen und mit gutem Beispiel voranzugehen.

 

Was ist in diesen Ländern insbesondere seit dem 13. März 2020 geschehen - dank der FDP? Wie sieht es an den einzelnen Schulen mit Distanzunterricht, Wechselmodellen, Luftfiltern und anderen Konzepten aus?

 

Fehlanzeige? Ist das so? Warum berichtet Christian Lindner nicht darüber?

 

Die FDP erteilt zur Zeit im Bund und in den Ländern, in denen sie sich in der Opposition befindet, den jeweiligen Regierungen munter gute Ratschläge, macht es aber anscheinend in den drei Ländern, in denen sie an den Regierungen beteiligt ist, auch nicht besser, weder mit Hilfe der eigenen Minister - z. B. Yvonne Gebauer - noch als Teil der gesamten Regierung.

 

Wo sind die guten Beispiele, die für die FDP als "Regierungspartei" werben?

 

Und wieder geht es um Glaubwürdigkeit, um Vertrauen!

 

Die FDP hat mit dem Thema Glaubwürdigkeit spätestens seit dem Jahr 1961 so ihre Schwierigkeiten, die nach der sogenannten Bonner Wende im Jahr 1982 unter Rösler und Brüderle zwischen den Jahren 2011 und 2013 einen traurigen Höhepunkt erreicht haben.

 

"... Warum haben wir keine systematische Teststrategie in Alten- und Pflegeheimen? Warum in Klassenräumen keine Luftreiniger, die auch dort dann ein Unterrichtsgespräch ermöglichen? Warum kann man sich in Israel auf einer Webseite für den Impftermin anmelden, warum sind die Novemberhilfen im Januar immer noch nicht ausgezahlt, ... Wir müssen sprechen mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, die sowieso millionenfach jedes Jahr impfen, die müssen wir einbeziehen in den Impfprozess, um das Tempo zu erhöhen. Wir brauchen mobile Impfteams, die Menschen mit einem besonderen Risiko vielleicht auch zu Hause besuchen. Wir müssen also alles unternehmen dafür, dass diejenigen, die es wollen, einen Impfschutz erhalten. ..."

 

Kritik ist richtig und wichtig. Sie ist sicher auch berechtigt, aber sie sollte möglichst konstruktiv sein und auch Selbstkritik miteinschließen.

 

Ich leite die Fragen, die Christian Lindner hier aufwirft, an die FDP Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein weiter und verweise auf das, das ich oben bereits rund um das Thema Glaubwürdigkeit geschrieben habe.

 

Wieder Fehlanzeige?

 

Wo sind die guten Beispiele aus diesen Ländern? Wo ist die der FDP in diesen Ländern und in deren Regierungen zu verdankenden Vorbildfunktion? Wie heißt es so schön neudeutsch Best Practice!

 

Da werden Landeswirtschaftsminister kritisiert, weil sie die Fehler nicht ausbügeln, die auf Bundesebene trotz vollmundiger Versprechen von Peter Altmaier und Olaf Scholz gemacht werden.

 

Wie verhalten sich aber der nordrhein-westfälische Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, Andreas Pinkwart, der rheinland-pfälzische Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, Volker Wissing, und der schleswig-holsteinische Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus, Bernd Klaus Buchholz, von der FDP?

 

Ist Volker Wissing nicht erst vor kurzem sogar zum Generalsekretär der FDP gemacht worden?

 

Sind sie Vorbilder? Was tun sie für die Wirtschaft in ihren Ländern?

 

"... Vertrauen wir also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, dass ihr Handeln auch ethisch begründet ist. ..."

 

Natürlich sollten wir zunächst einmal davon ausgehen, daß jeder Mensch sich ethisch und rechtskonform verhält. Leider gibt es aber Menschen, die dies nicht machen, denen eigene Vorteile wichtiger sind. Auch Wissenschaftler sind Menschen.

 

"... Wir müssen dafür sorgen, dass solche Karrieren in Forschung und Wirtschaft möglich sind, indem wir auch die Rollenmuster in der Familie überdenken, indem wir auch die Möglichkeiten der Betreuung außerhalb der Familie so verbessern, dass Frauen sich nicht mehr entscheiden müssen zwischen beruflichem Erfolg, wo auch immer, und dem Bemühen um die eigene Familie, der Sorge um die eigenen Kinder. Das ist keine repräsentative Karriere von Frauen in Deutschland, die Frau Türeci gemacht hat. ... Fast nirgendwo sonst auf der Welt bestimmt die familiäre Herkunft den Lebensweg wie in Deutschland. ..."

 

Und jetzt bitte die konkreten Maßnahmen, die die FDP als Teil der Regierungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein eingeleitet hat und zur Zeit umgesetzt werden.

 

Schon wieder Fehlanzeige? Wie kann das sein?

 

"... Es ist eine Grundsatzentscheidung, ob Sie eher daran glauben, dass die Zukunft unseres Landes in einer neuen Staatsfrömmigkeit besteht, bei dem wir alle Entscheidungen an Regierungen abtreten oder in der Rückbesinnung auf die Freiheitsliebe und den Gedanken der Eigenverantwortung, den Ideenwettbewerb um die besten Lösungen. Wenn Sie auf die Freiheitsliebe vertrauen, dann sind wir Freie Demokraten Ihr Ansprechpartner. Wir glauben, dass bei der Neugründung unseres Landes der Gedanke der Liberalität wieder im Zentrum stehen muss. Und zwar in einem umfassenden Sinne. Liberalität der Gesellschaft, Liberalität der Wirtschaft. ..."

 

Freiheitsliebe und Liberalität statt Liberalismus? Ist das nun die "neue" FDP á la Lindner und Kubicki?

 

Liberalität und Liberalismus sind zwei Paar Schuhe. Das sollten gerade Freidemokraten wissen und nicht verwechseln. Auch daher halten sich übrigens so manche für Liberale, obgleich sie gar keine sind.

 

Man sollte immer sehr genau zwischen liberal im zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen Sinne (Liberalität) und liberal im politischen, weltanschaulichen Sinne (Liberalismus) unterscheiden.

 

Muß die Bundesrepublik Deutschland neu gegründet werden? Was soll das bedeuten?

 

An wen soll sich dieser Appel richten? Reichsbürger? Querdenker? Reichen die Anhänger der AfD nicht mehr?

 

"Meine" FDP á la Heuss, Dehler, Scheel, Genscher und Westerwelle stand immer fest zu unserem Staat, der am 23. Mai 1949 gegründet wurde und zu seiner Verfassung, unserem Grundgesetz mit seiner freiheitlich demokratischen Grundordnung.

 

Zieht die "neue" FDP, ziehen die Freien Demokraten das jetzt in Zweifel?

 

Die FDP muß (wieder) den Weg zum Liberalismus, zum ganzheitlichen Liberalismus, ohne Wenn und Aber, ohne Bindestriche und Attribute finden und den Platz in unserem Parteienspektrum einnehmen, auf dem sich inzwischen die Verbotspartei "Bündnis 90/Die Grünen" tummelt und der einer liberalen, der Liberalen Partei Deutschland zusteht.

 

Der Liberalismus stellt nicht eine bestimmte Wertordnung oder Heilslehre, sondern den einzelnen Menschen mit seinen Wünschen und Bedürfnissen und sein Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung sowie die freie Entfaltung seiner sachlich und vorurteilsfrei denkenden, selbständig und eigenverantwortlich handelnden und der Gemeinschaft verpflichteten Persönlichkeit im Rahmen einer freiheitlichen und demokratischen, das heißt, rechtsstaatlichen, sozialen und marktwirtschaftlichen Ordnung in den Mittelpunkt der Politik und bekennt sich zu einer Haltung gegenüber anderen, die deren Eigenheiten und Interessen anerkennt (Humanität) und ihre Auffassungen und Lebensweisen respektiert (Toleranz).

 

Die Grundlagen liberaler politischer Zielsetzung lauten unverändert: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

 

In der Abwägung zwischen diesen drei Grundwerten steht für Liberale die größtmögliche Freiheit jedes Einzelnen an erster Stelle.

 

Gleichheit im Sinne von Rechts- und Chancengleichheit und Brüderlichkeit im Sinne von Subsidiarität, Solidarität und Hilfe zur Selbsthilfe sind für den Liberalismus Mittel, um Freiheit jedes einzelnen Menschen auf allen Feldern menschlichen Handelns zu verwirklichen.

 

Die weiteren Instrumente der Liberalen, um dies zu erreichen, sind: Vielfalt, Wettbewerb, Transparenz und Teilhabe.

 

Zwar fordern und versprechen fast alle Weltanschauungen und damit Parteien "Freiheit", doch nur Liberale stellen den Menschen in den Vordergrund von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, treten für den Vorrang der Person vor der Institution ein ("Subjekt- statt Objektförderung") und entscheiden sich nicht nur im Zweifelsfalle für das Recht des Einzelnen auf Eigeninitiative, Selbstvorsorge und Selbstverwirklichung, ohne ihn im Regen stehen und sich völlig selbst zu überlassen, wenn er Unterstützung und Hilfe braucht.

 

Liberal - freiheitlich und gleichzeitig sozial!

 

Es geht darum, Vernunft und Einsicht an die Stelle von Autorität und Zwang zu setzen und aus dem hörigen Untertanen, den Bitt- und Antragsteller durch seine Befreiung aus Bevormundung und Abhängigkeit einen mündigen Bürger zu machen.

 

"... Wir sind bereit zur Übernahme von Verantwortung für unser Land, mehr noch, wir haben Lust auf Gestaltung, wir haben Lust darauf, nach dem Ende der Ära Merkel am nächsten Kapitel unseres Landes mitzuschreiben im Geiste der Freiheit. ..."

 

Ist das so?

 

Falls es doch nicht wieder einmal nur um Mandate, Ämter und Posten gehen sollte oder um mediale Aufmerksamkeit wie am 19. November 2017 um 23.49 Uhr, sollte die FDP die kommenden Woche und Monaten endlich nutzen, um durch konkrete Taten im Bund und vor allem in den Ländern dafür zu sorgen, daß man ihr diese Lust auf Gestaltung im Geiste der Freiheit, der liberalen Freiheit auch "abkauft" und vor allem zutraut.

 

Ansonsten sehe ich ziemlich schwarz für diese FDP und damit leider auch für den organisierten Liberalismus in Deutschland.

 

Denn ich sehe keine Partei, die diese Lücke in nächster Zukunft füllen könnte. Bedauerlicherweise!

 

Da gibt es die eine oder andere "sozialliberale" Klein- und Kleinstpartei und Parteien wie Volt, die Piratenpartei und die Liberal-Konservativen Reformer, die sich nicht entscheiden können oder wollen, wofür sie grundsätzlich stehen. Schade.

 

Auch deshalb vermisse ich Guido Westerwelle sehr. Er hätte aus der FDP - vor allem nach den Erfahrungen mit seiner Erkrankung - eine liberale Volkspartei machen können, eine Partei, die nicht nur für die Menschen da ist, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen, sondern grundsätzlich für alle Menschen. Davon bin ich überzeugt.

 

Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf. Vielleicht tritt doch noch ein Liberaler in seine Fußstapfen und macht aus der "neuen" FDP der Freien Demokraten, die sich nicht mehr Liberale nennen wollten, die Liberale Partei Deutschland, die sie bereits 1948 werden sollte.