"Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen."
75 Jahre Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949, ist das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, unsere Verfassung verkündet worden und am 24. Mai 1949 in Kraft getreten.
Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes - darunter auch sechs Vertreter der FDP - Max Becker, Thomas Dehler, Theodor Heuss, Hermann Höpker-Aschoff, Hermann Schäfer und Hans Reif - haben vom 1. September 1948 bis zum 8. Mai 1949 sehr gute Arbeit geleistet.
Sie haben die Würde des Menschen, jedes Menschen zum Verfassungsprinzip erhoben.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Die Notwendigkeit der sogenannten Tafeln, Pfandflaschen sammeln und "Containern" zu müssen, Obdach- und Wohnungslosigkeit, das Betteln in öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch der Umstand, von einer Vollzeittätigkeit und der gesetzlichen Zwangsrente nicht deutlich über dem Existenzminimum leben zu können, sind mit der vom Grundgesetz postulierten Menschenwürde nicht vereinbar.
Haben die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes sich das nach 75 Jahren im 21. Jahrhundert so vorgestellt? Leider können wir sie nicht mehr fragen. Ich kann es mir aber nicht denken.
Und sie wußten, daß weniger oft mehr ist. So hieß es in Artikel 16 Absatz 2 Satz 2: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."
Schaut man sich den später hinzugefügten Artikel 16a an, der diesen Satz ersetzt hat, dann weiß man, was ich meine.
Im ersten Entwurf des Artikels, der das Asylrecht im Grundgesetz garantiert, sollte dieses nur für Deutsche gelten, die wegen "Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden" im Ausland verfolgt werden, da der Redaktionsausschuß ein Asylrecht für alle politischen Flüchtlinge der Welt als "zu weitgehend" ansah, weil es ihm zufolge gegenüber diesen "möglicherweise die Verpflichtung zur Aufnahme, Versorgung usw. in sich schließt" und daher für die Bundesrepublik nicht finanzierbar sei.
Und dennoch wurde es so beschlossen und nicht anders - aufgrund der schrecklichen Ereignisse und Erlebnisse zwischen den Jahren 1933 und 1945 und dank der Rechtswissenschaftler und Politiker Carlo Schmid (SPD) und Hermann von Mangoldt (CDU).
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Alliierte Kontrollrat von den Besatzungsmächten als oberste Besatzungsbehörde für Deutschland westlich der Oder-Neiße-Linie eingesetzt und übte die höchste Regierungsgewalt aus. Er trat am 30. Juli 1945, während der Konferenz von Potsdam, zu seiner ersten Sitzung zusammen. Rechtliche Grundlage seiner Tätigkeit waren das Londoner Abkommen über Kontrolleinrichtungen in Deutschland vom 14. November 1944 und die Berliner Viermächteerklärung vom 5. Juni 1945.
Schon im Jahr 1947 gab es von Seiten der Alliierten Aufforderungen an die in den Besatzungszonen politisch aktiven Deutschen, sich Gedanken über einen neuen Staatsaufbau Deutschlands zu machen.
So forderte der britische Militärgouverneur, Sir Brian Robertson, am 12. Juni 1947 den in seiner Besatzungszone eingerichteten Zonenbeirat auf, sich zur Struktur eines deutschen Nachkriegsstaates zu äußern.
Während in dieser Besatzungszone die Absicht der SPD, eine starke Zentralinstanz zu schaffen, noch relativ aussichtsreich erschien, überwog im Süden Deutschlands mit seinen starken föderalistischen Traditionen in Bayern, Württemberg und Baden die Ansicht, nach dem nationalsozialistischen Einheitsstaat lieber wieder die in Deutschland traditionelle Gliederung in Länder mit Eigenstaatlichkeit und Selbständigkeit einzuführen.
Der Begriff "Bundesrepublik Deutschland" wurde von den französischen Besatzungsbehörden in Württemberg-Hohenzollern erstmals im Mai 1947 verwendet.
Während die Landesvertreter relativ stark in dem verfassungsrechtlichen Diskurs mitwirken konnten, blieben die Führungen der Parteien weithin ohne Einfluß, zumal sie sich noch nicht deutschlandweit konstituieren konnten und damit als gesamtstaatsbezogene Interessenverbände ausschieden.
Dennoch ergab sich bereits in den Jahren 1947 und 1948 eine deutliche Differenz zwischen der Union, die im April 1948 ihre "Grundsätze für eine Deutsche Bundesverfassung" mit stark föderalistischer Prägung vorstellten, und der SPD, die schon im Jahr 1947 mit ihren Nürnberger Richtlinien jeglichen Separatismus verurteilte und die "Reichseinheit" unbedingt bewahren wollte.
Der Weg zum Grundgesetz und damit zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde von der Londoner Sechsmächtekonferenz geebnet - eine Außenministerkonferenz der drei westlichen Besatzungsmächte Deutschlands sowie der Benelux-Staaten als direkten Nachbarn Westdeutschlands.
Die Möglichkeit zur Erarbeitung einer Verfassung für die drei westlichen Besatzungszonen eröffneten die Siegermächte im Zuge der Spannungen des aufkommenden Kalten Krieges: Nach dem Februarumsturz in der Tschechoslowakei im Jahr 1948 strebten primär die USA und Großbritannien eine westdeutsche Staatsgründung an, um Westdeutschland gegen eine weitere Expansion des sowjetischen Machtbereichs zu sichern und sie perspektivisch in das militärische Sicherheitsbündnis einzubeziehen, an deren Gründung sie gerade arbeiteten.
Eine Einladung an die Sowjetunion erging daher nicht. Die Ergebnisse der Konferenz gingen an die sechs Regierungen der beteiligten Staaten und wurden als Londoner Empfehlungen bekannt.
Die Sechsmächtekonferenz dauerte vom 23. Februar bis zum 2. Juni 1948. Sie bestand dabei aus zwei Sitzungsperioden. Die erste begann am 23. Februar im alten India Office und endete am 6. März. Die zweite begann am 20. April und endete am 2. Juni.
Teilnehmer waren George C. Marshall (USA), Ernest Bevin (Großbritannien), Georges Bidault (Frankreich), Paul-Henri Spaak (Belgien), Pim van Boetzelaer van Oosterhout (Niederlande) und Joseph Bech (Luxemburg).
Auch der Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone Lucius D. Clay nahm an der Konferenz teil. Auf dem vorangegangenen fünften Treffen des Rats der Außenminister der vier Hauptsiegermächte in London vom 25. November bis zum 12. Dezember 1947 war dessen fünfter und letzter Versuch gescheitert, Einigkeit der westlichen und der sowjetischen Vorstellungen zur Deutschlandpolitik herzustellen.
Ziel der Konferenz war es, die Grundlage für die Beteiligung eines demokratischen Deutschlands an der Völkergemeinschaft zu schaffen, das heißt vor allem, auf dem Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen einen föderalistischen, demokratischen deutschen Staat zu gründen.
Die Sowjetunion protestierte in einer Note bereits am 13. Februar 1948 gegen die Durchführung der Konferenz. Am 23. Februar wurde durch den Botschafter der Tschechoslowakei in Großbritannien, Bohuslav G. Kratochvíl, die Prager Erklärung übergeben. Darin forderten die Außenminister Polens, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens eine Beteiligung an den kommenden Deutschlandbesprechungen. Sie verwiesen darauf, daß die Londoner Konferenz im Widerspruch zum Potsdamer Abkommen stehe.
Die Westmächte antworteten Ende Februar und verwiesen darauf, daß das Abkommen die Möglichkeit zur Beratung mehrerer Besatzungsmächte über Fragen von gemeinsamem Interesse nicht ausschließe. In der amerikanischen und britischen Note wurde der Sowjetunion vorgeworfen, den Grundsatz der Wirtschaftseinheit Deutschlands nicht beachtet zu haben. Die französische Regierung erklärte, nicht an die Potsdamer Beschlüsse gebunden zu sein, an deren Zustandekommen sie nicht beteiligt war.
Die drei Besatzungsmächte verfolgten zunächst recht unterschiedliche Interessen: Während das zentral organisierte Vereinigte Königreich keine Präferenzen bezüglich der Frage "Zentralstaat oder Föderalismus?" hatte, sondern vielmehr die möglichst problemlose Vereinigung der Trizone mit der sowjetisch besetzten Zone im Auge hatte, plädierten die Vereinigten Staaten für einen nur aus der Trizone bestehenden deutschen Föderalstaat. Für die Franzosen wiederum war die möglichst deutliche Schwächung eines jeden deutschen Staates Hauptziel: Dementsprechend traten sie für eine möglichst lange Besatzungszeit ohne Staatsgründung und für die Einbeziehung des Saarlandes in den französischen Staatsverband ein. Da sie sich mit der Position der Verhinderung einer Staatsgründung jedoch nicht durchsetzen konnten, befürworteten die Franzosen einen föderalen Staatsaufbau mit internationaler Kontrolle der Montanindustrie.
Schließlich enthielt das Schlußkommuniqué der Konferenz die Aufforderung an die Deutschen in den westlichen Ländern, einen föderalen Staat aufzubauen. Allerdings sollte dieser föderale westdeutsche Staat kein Hindernis für eine spätere Einigung mit der Sowjetunion über die deutsche Frage darstellen.
Die Bestätigung dieses Beschlusses durch Frankreich erfolgte erst nach massivem Druck der beiden anderen Alliierten und einer äußerst knappen Abstimmung (297:289) in der Nationalversammlung.
Aus der Konferenz gingen die drei Frankfurter Dokumente, die als die "Geburtsurkunde der Bundesrepublik" gelten, an die obersten Repräsentanten der Westzonen hervor, die Ministerpräsidenten der damaligen neun Länder und die Bürgermeister von Bremen und Hamburg.
Nachdem die Londoner Beschlüsse in Deutschland eher negativ aufgenommen worden waren, sollten die den Ministerpräsidenten am 1. Juli 1948 überreichten Frankfurter Dokumente in einem für Deutschland freundlicheren Ton gehalten werden.
Diese wurden darin beauftragt, bis zum 1. September 1948 eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die eine Verfassung für einen zu gründenden Weststaat erarbeiten sollte. Außerdem sollten die Ministerpräsidenten über die Grenzen ihrer Länder beraten und gegebenenfalls Änderungswünsche formulieren.
Die Übergabe fand im I.G.-Farben-Haus in Frankfurt am Main statt, daher stammt der Name der Dokumente. Die drei westlichen Militärgouverneure Lucius D. Clay (USA), Marie-Pierre Kœnig (Frankreich) und Sir Brian Robertson (Großbritannien) unterbreiteten das Angebot zur Errichtung eines westdeutschen Staates und formulierten Grundsätze für dessen Verfassung.
Anwesend waren Peter Altmeier (Rheinland-Pfalz), Karl Arnold (Nordrhein-Westfalen), Lorenz Bock (Württemberg-Hohenzollern), Max Brauer (Hamburg), Hans Ehard (Bayern), Wilhelm Kaisen (Bremen), Hinrich Wilhelm Kopf (Niedersachsen), Hermann Lüdemann (Schleswig-Holstein), Reinhold Maier (Württemberg-Baden), Christian Stock (Hessen) und Leo Wohleb (Baden).
Im ersten der drei Dokumente erhielten die Ministerpräsidenten folgende "Empfehlungen":
Es sollte eine Verfassunggebende Versammlung einberufen werden, die bis zum 1. September 1948 zusammentreten und eine auf demokratischen Grundsätzen beruhende föderalistische Verfassung ausarbeiten sollte, welche "am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen", indem sie die Rechte der beteiligten Länder schütze, eine angemessene Zentralinstanz schaffe und die individuellen Rechte und Freiheiten garantiere (bundesstaatlicher Aufbau und Grundrechtsgarantie).
Diese Verfassung sollte zunächst von den Militärregierungen genehmigt werden, anschließend sollte ein Referendum in den Ländern die Verfassung ratifizieren. Die jeweils einfache Mehrheit in zwei Dritteln aller elf westdeutschen Länder sollte für die Ratifizierung genügen.
Verfassungsänderungen müßten von den Militärgouverneuren genehmigt werden.
Das zweite Dokument forderte die Ministerpräsidenten auf, Vorschläge über die territoriale Neugliederung der Länder zu machen:
Die Grenzen der einzelnen Bundesländer sollten überprüft, und es sollten, wenn nötig, unter Berücksichtigung "überlieferter Formen" neue Länder geschaffen werden, wobei keines im Vergleich zu den anderen zu groß oder zu klein sein sollte.
Das dritte Dokument informierte über den Rahmen eines Besatzungsstatuts, das nach dem Willen der Siegermächte gleichzeitig mit einer Verfassung für Deutschland in Kraft gesetzt werden sollte.
Der deutsche Außenhandel werde auch weiterhin von den Militärgouverneuren kontrolliert. Die Internationale Ruhrbehörde werde den Militärregierungen unterstellt.
Die bereits in den Potsdamer Beschlüssen genannten Themen Reparationen, erlaubtes Ausmaß an Industrie, Dekartellisierung, Abrüstung und Entmilitarisierung blieben auch weiterhin bei den Alliierten.
Die Alliierten behielten sich das Recht vor, die zukünftige Bundesregierung und die Länderregierungen bei der Demokratisierung des politischen Lebens, der Regelung der sozialen Beziehungen und beim Erziehungswesen zu beobachten und zu beraten.
Die Militärgouverneure wollten dabei den Eindruck vermeiden, den Deutschen Verfassungsgrundsätze zu diktieren; sie unterließen es auch, den Ministerpräsidenten eine Frist zur Beantwortung der Dokumente zu setzen. Die Ministerpräsidenten erbaten sich ihrerseits eine Frist für ihre Antwort und beschlossen, zu einer gesonderten Besprechung zusammenzukommen.
Zu dieser Besprechung lud Peter Altmeier, seit einem Jahr Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, die Länderchefs der westlichen Besatzungszonen in das Berghotel auf dem Rittersturz im damaligen Regierungssitz Koblenz ein; da das außerhalb der Stadt gelegene Gebäude den Krieg unbeschadet überstanden hatte, konnte das Treffen hier relativ leicht organisiert werden und ungestört ablaufen. Die meisten Teilnehmer kamen in Begleitung mehrerer Kabinettsmitglieder.
Auch die kommissarische Oberbürgermeisterin von Berlin, Louise Schroeder, war demonstrativ eingeladen worden, obwohl Berlin von den Londoner Empfehlungen und Frankfurter Dokumenten nicht betroffen war.
Die Einladung der ostdeutschen Ministerpräsidenten war gar nicht mehr in Betracht gezogen worden. Die Ministerpräsidenten waren sich einig, daß für sie die Gründung eines Weststaates nicht in Frage kam, der die Spaltung Deutschlands zementieren würde. Auch eine verfassunggebende Versammlung lehnten sie aus diesem Grund ab. Carlo Schmid (SPD), der stellvertretende Staatspräsident (=Ministerpräsident) Württemberg-Hohenzollerns, plädierte dafür, es bei einem bloßen Provisorium zu belassen, bis es möglich sein werde, "gemeinsam den Staat aller Deutschen zu errichten". Um diesen Provisoriumscharakter zu betonen, wollten die Ministerpräsidenten auch nicht von einer Verfassung sprechen, sondern nur von einem Grundgesetz, ein Begriff, den der Hamburger Erste Bürgermeister Max Brauer bereits zuvor vorgeschlagen hatte.
Zwölf Regierungschefs nahmen an den Beratungen teil, in Begleitung politischer und juristischer Berater: Leo Wohleb (CDU), Staatspräsident von Baden, Hans Ehard (CSU), Ministerpräsident von Bayern, Wilhelm Kaisen (SPD), Bürgermeister von Bremen, Louise Schroeder (SPD), kommissarische Oberbürgermeisterin von Berlin, Max Brauer (SPD), Erster Bürgermeister von Hamburg, Christian Stock (SPD), Ministerpräsident von Hessen, Hinrich Wilhelm Kopf (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, Karl Arnold (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peter Altmeier (CDU), Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Hermann Lüdemann (SPD), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Reinhold Maier (FDP/DVP), Ministerpräsident von Württemberg-Baden und Lorenz Bock (CDU), Staatspräsident (=Ministerpräsident) von Württemberg-Hohenzollern.
Maßgeblichen Anteil an den Beratungen hatte der Justizminister und stellvertretende Staatspräsident (=Ministerpräsident) von Württemberg-Hohenzollern, der sozialdemokratische Staatsrechtler Carlo Schmid. Er machte sich besonders für den provisorischen Charakter der neu zu schaffenden politischen Einheit stark. Die beiden großen Parteien wurden durch Konrad Adenauer, damals CDU-Vorsitzender in der britischen Zone, durch Josef Müller, Vorsitzender der CSU, sowie durch den stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD, Erich Ollenhauer, repräsentiert, der Kurt Schumacher vertrat. An den Verhandlungen nahmen sie jedoch nicht teil.
Ergebnis der sogenannten Rittersturz-Konferenz vom 8. bis zum 10. Juli 1948 waren schließlich die Koblenzer Beschlüsse, die in einer Antwortnote an die Militärgouverneure formuliert wurden. Zu jedem der drei Frankfurter Dokumente wurde eine detaillierte Stellungnahme verfaßt, und eine Mantelnote vorangestellt, in der sie ihre grundsätzliche Bewertung der Dokumente darstellten.
In der Mantelnote nahmen die Ministerpräsidenten die in den Frankfurter Dokumenten erteilte Ermächtigung an. Sie begrüßten, "daß die [westlichen] Besatzungsmächte entschlossen sind, die ihrer Jurisdiktion unterstehenden Gebietsteile Deutschland zu einem einheitlichen Gebiet zusammenzufassen, dem von der Bevölkerung selbst eine kraftvolle Organisation gegeben werden soll". Eine Erweiterung der deutschen Kompetenzen innerhalb der drei Zonen gegenüber denen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes schien den Regierungschefs wünschenswert.
Sie nahmen mit Genugtuung von der Absicht Kenntnis, "die Beziehungen zu den Besatzungsmächten auf eine klare Rechtsgrundlage zu stellen". Sie hielten an der Vorstellung fest, die deutsche Nation wieder in einen gemeinsamen Staat aller Deutschen einzubringen. Allerdings sahen sie eine Vereinigung ganz Deutschlands unter den bestehenden Umständen für als einstweilen nicht realisierbar an. Die Alliierten hatten in den Frankfurter Dokumenten eine Verfassung gefordert, die eine föderalistische Regierungsform mit einer angemessenen zentralen Regierungsinstanz vorsahen. Das entsprach der Definition eines Bundesstaates, der auf die Westzonen beschränkt wäre. Die Ministerpräsidenten wollten aber nicht dazu beitragen, Deutschland in zwei Teile zu spalten. Für die Gründung eines Weststaates und damit für die Spaltung Deutschlands wollten sie keine Verantwortung übernehmen. Nicht ein Staat sollte gegründet werden, sondern ein "organisiertes Provisorium" in der Form eines "administrativen Zweckverbandes". Sie betonten, "daß, unbeschadet der Gewährung möglichst vollständiger Autonomie an die Bevölkerung dieses Gebietes alles vermieden werden müßte, was dem zu schaffenden Gebilde den Charakter eines Staates verleihen würde".
Anders als die Westmächte vorgeschlagen hatten, sollte jedoch keine Verfassunggebende Versammlung, sondern ein von den Mitgliedern der Landtage und Bürgerschaften zu bestellender "Parlamentarischer Rat" einberufen werden. Das ausgearbeitete Grundgesetz sollte von den Länderparlamenten ratifiziert werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne es nur um ein Provisorium gehen, nicht um einen westdeutschen Staat, nicht um einen Nachfolgestaat des Deutschen Reiches. Statt auf Staatsgründung durch eine Verfassung ging der Vorschlag der Ministerpräsidenten also in Richtung auf ein Verwaltungs- und Organisationsstatut mit der Bezeichnung "Grundgesetz". Als erstes sollte die Einheit der drei westlichen Zonen geschaffen werden. Ein Besatzungsstatut sollte von den Besatzungsmächten noch vor Beginn der Beratungen zum Grundgesetz als deren Grundlage erlassen werden. Darin sollte "deutlich" zum Ausdruck gebracht werden, "daß auch die nunmehr geplanten organisatorischen Änderungen letztlich auf den Willen der Besatzungsmächte zurückgehen, woraus sich andere Konsequenzen ergeben müssen. als wenn sie ein Akt freier Selbstbestimmung des deutschen Volkes wären". Schließlich empfahlen die Ministerpräsidenten, die Frage des Ruhrstatutes unabhängig vom Verfassungsstatut zu regeln.
Die Militärgouverneure reagierten verärgert auf die Koblenzer Beschlüsse, da sie ihrer Meinung nach in anmaßender Weise die Londoner und Frankfurter Dokumente außer Kraft zu setzen versuchten. Dabei hatte der französische Militärgouverneur Pierre Kœnig deutsche Politiker unter der Hand zum Widerspruch ermuntert. Insbesondere der US-amerikanische Militärgouverneur Clay machte die Ministerpräsidenten dafür verantwortlich, daß nun die Franzosen wieder eine für die Deutschen nachteilige Revision der Londoner Beschlüsse fordern würden.
Am 14. Juli 1948 hielt Clay in Frankfurt den Ministerpräsidenten der amerikanischen Besatzungszone vor, sie hätten "eine goldene Chance verpaßt", denn nun seien die Frankfurter Dokumente außer Kraft gesetzt, er sei persönlich sehr enttäuscht. Seine Verärgerung rührte von der Befürchtung her, daß von Seiten der Sowjetunion nun behauptet werden könnte, die Deutschen selbst wünschten keine Gründung eines Weststaates. Diese sei aber angesichts der Bedrohung durch die Sowjetunion unumgänglich. Zudem befürchtete er, daß die deutschen Vorbehalte der französischen Regierung Anlaß geben werde, die Weststaatslösung zu hintertreiben. In der Tat signalisierte der französische Militärgouverneur Kœnig den Ministerpräsidenten in seiner Zone, daß die Londoner Empfehlungen nicht das letzte Wort seien. Den beiden anderen Militärgouverneuren schlug er vor, es zunächst beim Erlaß eines Besatzungsstatutes zu belassen. Im Lauf der Zeit werde man sehen, welche Aufgaben von den Deutschen übernommen werden könnten. Clay und sein britischer Kollege Robertson hatten einige Schwierigkeiten, ihn dazu zu veranlassen, an den Londoner Vereinbarungen festzuhalten.
In einer weiteren Sitzung am 20. Juli 1948 in Frankfurt am Main wurden den Ministerpräsidenten die negativen Folgen eines Beharrens auf den Koblenzer Beschlüssen deutlich gemacht. So sprach der amerikanische Militärgouverneur Clay von "unverantwortlichen" Koblenzer Schritten seitens der Ministerpräsidenten, die "eine katastrophale Mißachtung des Ernstes der gesamteuropäischen Lage" dargestellt hätten. Es hatte sich herausgestellt, daß die Militärgouverneure keinerlei Verhandlungsspielraum hatten, von den Londoner Empfehlungen abzuweichen. Diese Londoner Empfehlungen stellten einen fragilen Kompromiß der Westmächte dar, der nicht mehr in Frage gestellt werden sollte. Sie lagen den Frankfurter Dokumenten zugrunde, waren der deutschen Seite aber nicht mitgeteilt worden. Obwohl eine Verfassung und kein vorläufiges Grundgesetz ausgearbeitet werden sollte, stimmten die Ministerpräsidenten schließlich den Forderungen der Militärgouverneure zu.
In der Folge kamen die Regierungschefs der Länder im Jagdschloß Niederwald bei Rüdesheim am Rhein zusammen, im Schatten des Niederwalddenkmals, das seinerzeit als Nationaldenkmal zur Erinnerung an die deutsche Reichsgründung 1871 errichtet worden war.
Die sogenannte Niederwaldkonferenz fand in Rüdesheim und in Frankfurt am Main mit insgesamt drei Sitzungsperioden statt. Die erste Konferenz fand am 15. und 16. Juli im "Grünen Salon" statt, beraten wurde die Reaktion der Militärgouverneure auf die Koblenzer Beschlüsse. Auf der zweiten Konferenz am 21. und 22. Juli wurden die Koblenzer Beschlüsse überarbeitet und durch eine neue Stellungnahme ersetzt. Am 26. Juli wurde diese Stellungnahme in einer dritten Verhandlungsrunde mit den Militärgouverneuren in Frankfurt beraten. Hier wurde die Übereinkunft erzielt, mit der Organisation der drei westlichen Besatzungszonen auf der Basis der Londoner Empfehlungen sofort zu beginnen. Die Abschlußkonferenz fand schließlich am 31. August statt.
Zu dieser Abkehr von den Koblenzer Beschlüssen hatte der Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter nicht unwesentlich beigetragen, der darauf hingewiesen hatte, daß Berlin im Osten nicht weiter ertragen könne, daß der Westen Deutschlands weiter in einem politisch unentschiedenen Status bleiben könne. Westberlin war gerade von der Berlin-Blockade durch die Sowjetunion bedroht, mit der es von jeder Versorgung durch die Westalliierten abgeschnitten werden sollte. Er hatte gegen Carlo Schmids Thesen eine "dynamische Kernstaatskonzeption" für Deutschland vorgetragen, die sich die Ministerpräsidentenkonferenz weitgehend zu eigen machte und nach der die Sowjetische Besatzungszone durch die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse des Westteils zum "gemeinsamen Mutterland" zurückkehren werde: "Wir sind der Meinung, daß die politische und ökonomische Konsolidierung des Westens eine elementare Voraussetzung für die Gesundung auch unserer Verhältnisse und für die Rückkehr des Ostens zum gemeinsamen Mutterland ist."
Weil die Voraussetzungen für eine gesamtdeutsche Regelung noch nicht gegeben seien und die deutsche Souveränität noch nicht ausreichend wiederhergestellt sei, könne keine Verfassung, sondern nur ein "Grundgesetz" ausgearbeitet werden. Nur eine Bestätigung durch die Parlamente der beteiligten Länder sei möglich, aber keine unmittelbaren Volksabstimmungen. Infolgedessen wurde beschlossen, keine verfassunggebende Versammlung zusammentreten zu lassen, sondern einen Parlamentarischen Rat. Zu den Ministerpräsidenten waren bei diesem Treffen auch einflußreiche Parteipolitiker hinzugenommen worden.
Nach einem Ultimatum Clays, sie hätten die Folgen für alle weiteren Verzögerungen zu tragen, willigten die Militärgouverneure schließlich ein, daß die elf Landtage der westlichen Länder Delegierte in einen Parlamentarischen Rat entsenden sollten. Eine vom Volk direkt gewählte, verfassungsgebende Versammlung war damit vom Tisch. Auch die Bezeichnung Grundgesetz statt Verfassung kam den Ministerpräsidenten in ihrem Wunsch entgegen, nur ein Provisorium zu errichten. Den Begriff Grundgesetz hatten die Ministerpräsidenten mit "basic constitutional law" übersetzt, um ihn den Alliierten schmackhaft zu machen.
Die Gegenvorstellung der Ministerpräsidenten, das Grundgesetz nicht durch ein Volksreferendum, sondern durch die Landtage zu ratifizieren, wurde zur letzten Entscheidung an die Regierungen der Westmächte verwiesen. Sie erfolgte später und folgte den deutschen Wünschen.
Offen war noch die Vorlage von deutschen Vorschlägen zur Änderung der Ländergrenzen. Hier wurde den Ministerpräsidenten von den Militärgouverneuren eine Frist bis zum 1. Oktober 1948 gewährt. Daraufhin wurde ein Ländergrenzenausschuß einberufen, der auch auf dem Niederwald tagte. Abgeschlossen wurden die Beratungen zur Neugliederung der Länder mit der dritten Konferenz der Ministerpräsidenten auf Schloß Niederwald im Rheingau am 31. August 1948 mit einer Entscheidung zur Schaffung eines Südweststaates.
Die Länderchefs der drei westlichen Besatzungszonen trafen am 26. Juli 1948 auf der Grundlage einer entsprechenden Verständigung mit den drei Militärgouverneuren vom selben Tage eine Vereinbarung der Ministerpräsidenten über den Parlamentarischen Rat. Darin verpflichteten sie sich, den Parlamenten ihrer Länder den Entwurf eines Gesetzes für die Wahl von Abgeordneten zu dem Parlamentarischen Rat vorzulegen und die Namen der gewählten Abgeordneten dem von ihnen am 15. Juli 1948 errichteten gemeinsamen Büro spätestens bis zum 16. August 1948 mitzuteilen. Ein Verfassungsausschuß arbeitete sodann ein Modell-Gesetz über die Errichtung des Parlamentarischen Rates aus, das von den Länderparlamenten ohne wesentliche Änderungen angenommen wurde. Nur der Landtag von Nordrhein-Westfalen verzichtete auf ein eigenes Wahlgesetz und wählte seine 17 Ratsmitglieder ohne weiteres am 6. August 1948.
Die fünfundsechzig stimmberechtigten Mitglieder wurden nicht in allgemeiner direkter Wahl, sondern von den einzelnen Landesparlamenten gewählt. Entsprechendes galt für die fünf nicht stimmberechtigten Mitglieder, die die Berliner Stadtverordnetenversammlung am 6. September 1948 wählte. Diese Verfassunggebende Versammlung war somit kein Parlament, sondern eine Parlamentarische Versammlung mit von den Landtagen der elf westdeutschen Länder gewählten Mitgliedern - 61 Männer und vier Frauen. Abgesehen davon entsprachen Aufbau und Struktur des Parlamentarischen Rates dem einer demokratischen Legislative mit Abgeordneten, Präsidium, Fraktionen und Ausschüssen.
Vorarbeiten zu leisten und einen abgestimmten Gesamtbericht dem Parlamentarischen Rat vorzulegen war der Auftrag eines Verfassungskonvents, "Sachverständigen-Ausschuß für Verfassungsfragen“ oder auch "Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz der westdeutschen Besatzungszonen".
Er sollte mehr aus Verwaltungsbeamten denn aus Politikern bestehen. Parteipolitische Erwägungen sollten ganz außen vor bleiben. Die Landesparlamente der amerikanischen und der französischen Besatzungszone hielten sich jedoch nicht an diese Empfehlungen.
Obwohl nicht klar war, ob die Mitglieder des Konventes einen kompletten Entwurf eines Grundgesetzes oder nur einen Überblick liefern sollten, kristallisierten sich in der Diskussion wichtige Punkte heraus, von denen einige schließlich im Grundgesetz verwirklicht wurden. Dazu zählen eine starke Bundesregierung, die Einführung eines neutralen und im Vergleich zur Weimarer Verfassung wesentlich entmachteten Staatsoberhauptes, der weitgehende Ausschluß von Volksabstimmungen und eine Vorform der späteren Ewigkeitsklausel. Die Ausgestaltung der Ländervertretung war bereits umstritten; sie sollte es über die gesamte Zeit der Beratungen des Parlamentarischen Rates bleiben.
Die richtungsweisenden Vorarbeiten des Konventes hatten erheblichen Einfluß auf den Grundgesetzentwurf des Parlamentarischen Rates. Gleichzeitig war der Herrenchiemseer Konvent die letzte große Einflußmöglichkeit der Ministerpräsidenten auf das Grundgesetz.
"In dem Bestreben, den Einfluß Bayerns auf die Gestaltung der künftigen Verfassung möglichst zu intensivieren," lud der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard den Konvent in das Alte Schloß auf der Herreninsel im Chiemsee ein. Damit wurde ein Ort gewählt, der fernab des politischen Alltags ein gemeinsames Arbeiten in Abgeschiedenheit erlaubte. Wie letztendlich Dokumente über gemeinsame Ausflüge, Spaziergänge über die Insel, Dinner- und Tanzveranstaltungen oder Sondersitzungen in einzelnen Hotelzimmern belegen, trugen auch Diskussionen außerhalb des Protokolls zum Ergebnis bei.
An den Beratungen des Konvents nahmen elf Delegierte teil, die von 14 sachverständigen Mitarbeitern begleitet wurden. Sechs Teilnehmer waren später auch Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Staatsminister Anton Pfeiffer, wurde von den Delegierten zum Vorsitzenden des Konvents gewählt und mit der technischen Leitung der Arbeiten beauftragt.
Bevollmächtigte der Länder waren für Baden Paul Zürcher, Mitgründer der BCSV, Präsident des Badischen Staatsgerichtshofs, für Bayern Josef Schwalber, CSU, Staatssekretär im Innenministerium, für Bremen Theodor Spitta, BDV, 2. Bürgermeister und Justizsenator, für Hamburg Wilhelm Drexelius, SPD, Senatssyndikus (Staatssekretär) im Rechtsamt, für Hessen Hermann Brill, SPD, Staatssekretär (Chef) der Staatskanzlei, für Niedersachsen Justus Danckwerts, Ministerialrat der Staatskanzlei, für Nordrhein-Westfalen Theodor Kordt, Professor für Völkerrecht und Diplomatie in Bonn, für Rheinland-Pfalz Adolf Süsterhenn, CDU, Justiz- und Kulturminister, für Schleswig-Holstein Fritz Baade, SPD, Direktor des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, für Württemberg-Baden Josef Beyerle, CDU, Justizminister und für Württemberg-Hohenzollern Carlo Schmid, SPD, stellvertretender Staatspräsident (=Ministerpräsident) und Justizminister. Nicht-stimmberechtigter Ländervertreter war für Berlin Otto Suhr, SPD, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung.
Mitarbeiter der stimmberechtigten Bevollmächtigten waren für Baden Theodor Maunz und Hermann Fecht, für Bayern Ottmar Kollmann und Claus Leusser, für Bremen Gerhart Feine, für Hamburg Johannes Praß, für Hessen Karl Kanka, für Niedersachsen Ulrich Jäger, für Nordrhein-Westfalen Hans Berger, für Rheinland-Pfalz Bernhard Hülsmann und Klaus-Berto von Doemming, für Schleswig-Holstein Friedrich Edding, für Württemberg-Baden Otto Küster und Kurt Held und für Württemberg-Hohenzollern Gustav von Schmoller.
Als juristische Sachverständige nahmen Hans Nawiasky (Professor der Rechtswissenschaft in St. Gallen und München), Otto Barbarino (Ministerialrat im Bayerischen Finanzministerium), Herbert Fischer-Menshausen (Hauptreferent für Finanzen beim Länderrat der Bizone), Richard Ringelmann (Ministerialdirektor im bayerischen Finanzministerium) und Hans Storck (Finanzdezernent im deutschen Städtetag) teil.
Staatsminister Anton Pfeiffer eröffnete den "Herrenchiemseer Konvent" am 10. August 1948 im Zimmer Nr. 7, dem ehemaligen Speisezimmer König Ludwigs II. Nach einer einführenden Plenardebatte teilte sich das Gremium in drei Ausschüsse auf. Die Ergebnisse der Ausschußberatungen wurden in zwei Plenarsitzungen diskutiert und gebilligt.
Der vom Verfassungskonvent am 23. August 1948 verabschiedete "Herrenchiemsee-Bericht", 95 Druckseiten, enthielt einen ausführlichen darstellenden Teil und einen vollständigen Entwurf eines Grundgesetzes, den "Chiemseer Entwurf". Dieser bestand aus 149 Artikeln, mit einigen Alternativvorschlägen und Kommentaren. Alle damals in Westdeutschland wichtigen Verfassungsprobleme wurden in diesem Bericht diskutiert. Die darin konzipierte westdeutsche Staatsordnung wurde als "doppeltes (räumlich-zeitliches) Provisorium" verstanden. Mehrheitlich war beschlossen worden, es ginge nicht darum, "Deutschland staatlich neu zu konstituieren, sondern ausdrücklich darum, es - wenn auch unter Beschränkung auf seine westlichen Gebiete - provisorisch neu zu organisieren".
Eine Reihe von Punkten blieben auch am Ende des Konvents strittig: Fragen der Finanzverfassung und -verwaltung, die Aufteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen dem Bund und den Ländern sowie die Frage, ob eine "Zweite Kammer" als Bundesrat oder Senat ausgestaltet werden sollte.
Man einigte sich aber auf einige "unbestrittene Hauptgedanken":
Es bestehen zwei Kammern. Eine davon ist ein echtes Parlament. Die andere gründet sich auf die Länder.
Die Bundesregierung ist vom Parlament abhängig, sofern es zur Regierungsbildung fähig ist. Das Vertrauen einer arbeitsfähigen Mehrheit ist unerläßlich und jederzeit ausreichend, einen Mann an die Spitze der Regierung zu bringen.
Eine arbeitsunfähige Mehrheit kann dagegen weder die Regierungsbildung vereiteln, noch eine bestehende Regierung stürzen. Der Ausweg einer Präsidialregierung wird dabei vermieden.
Neben der Regierung steht als neutrale Gewalt das Staatsoberhaupt. Die Funktion wird zunächst behelfsmäßig versehen. Nach Herstellung einer angemessenen völkerrechtlichen Handlungsfreiheit und nach Klärung des Verhältnisses zu den ostdeutschen Ländern wird sie nach der überwiegenden Meinung von einem Bundespräsidenten übernommen.
Notverordnungsrecht und Bundeszwang liegen bei der Bundesregierung und der Länderkammer, nicht beim Staatsoberhaupt.
Bei der Bundesaufsicht leistet die Bundesjustiz Hilfestellung.
Die Vermutung spricht für Gesetzgebung, Verwaltung, Justiz, Finanzhoheit und Finanzierungspflicht der Länder.
Bund und Länder führen eine getrennte Finanzwirtschaft.
Es gibt kein Volksbegehren. Einen Volksentscheid gibt es nur bei Änderungen des Grundgesetzes.
Eine Änderung des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde, ist unzulässig.
Der stark föderale Charakter des Verfassungsentwurfs zeigte sich unter anderem in dem Grundsatz, daß "die Vermutung für Gesetzgebung, Verwaltung, Finanzhoheit und Finanzierungspflicht der Länder spricht".
Die Führer einiger Parteien standen dem "auf Grund einer privaten Vereinbarung der Ministerpräsidenten der deutschen Länder" entstandenen Konvent reserviert bis ablehnend gegenüber. Nur die Parteien seien legitimiert, Vorschläge für ein Grundgesetz zu machen und auszuarbeiten, nicht aber die Ministerpräsidenten. So erarbeiteten die großen politischen Parteien ebenfalls Verfassungsentwürfe und legten sie den Ministerpräsidenten vor. Der Herrenchiemsee-Bericht wurde an das ständige Büro der Ministerpräsidentenkonferenz in Wiesbaden geleitet. Die politischen Parteien erhielten ihn nicht auf direktem Weg. Zusammen mit den Entwürfen der Parteien wurde er am 31. August 1948 von der Ministerpräsidentenkonferenz auf Jagdschloß Niederwald beraten. Das gesammelte Material wurde schließlich dem Parlamentarischen Rat zugeleitet.
Die sehr weitgehenden Exekutivrechte, die der Verfassungsentwurf für den Fall eines Notstands der Bundesregierung bzw. den betroffenen Landesregierungen zubilligen wollte (Notverordnungsrecht inklusive Suspendierung von Grundrechten), wurden nicht ins Grundgesetz übernommen.
Am 13. August 1948 hatten die elf westdeutschen Ministerpräsidenten bzw. Bürgermeister (Hamburg, Bremen) beschlossen, daß der Parlamentarische Rat in Bonn eine Verfassung ausarbeiten sollte. Bonn wurde gegenüber Karlsruhe, Frankfurt und Celle vorgezogen. Die Entscheidung, daß Bonn der "vorläufige Sitz der Bundesorgane" sein soll, wurde am 11. Oktober 1948 auf einem vorbereitenden Verfassungskonvent in Düsseldorf von den Innenministern bzw. -senatoren getroffen.
Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates wurden häufig auch als "Väter des Grundgesetzes" bezeichnet; erst später erinnerte man sich an die Beteiligung der vier "Mütter des Grundgesetzes": Elisabeth Selbert, Friederike Nadig, Helene Wessel und Helene Weber. Elisabeth Selbert hatte dabei gegen heftige Widerstände die Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Art. 3 Abs. 2) durchgesetzt.
Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates wurden von den westdeutschen Landtagen entsprechend dem Bevölkerungsproporz und der Stärke der Landtagsfraktionen gewählt. Nordrhein-Westfalen entsandte 17, Bayern 13, Niedersachsen neun, Hessen sechs, die übrigen Länder zwischen fünf und einem Abgeordneten. Von den 65 Mitgliedern gehörten 27 der CDU oder CSU sowie 27 weitere der SPD an, die FDP entsandte fünf Mitglieder, die (nationalkonservative und föderalistisch ausgerichtete) Deutsche Partei (DP), das (katholische) Zentrum (DZP) und die (kommunistische) KPD je zwei Mitglieder. Das Patt zwischen den großen Parteien verhinderte, daß eine von ihnen dem Grundgesetz ihren Stempel aufdrückte, und zwang zur Einigung in den wesentlichen Fragen. Dabei war für den Inhalt und die Annahme einzelner Abschnitte auch das jeweilige Abstimmungsverhalten der kleineren Fraktionen ausschlaggebend.
Die Eröffnungsfeier des Parlamentarischen Rates fand im Rahmen eines Festaktes am 1. September 1948 im Museum Alexander Koenig in Bonn statt. Karl Arnold (CDU) hielt als gastgebender Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen die Eröffnungsrede. Anschließend sprach der hessische Ministerpräsident Christian Stock (SPD) als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Die konstituierende Sitzung am selben Tag, die Konrad Adenauer (CDU) zum Präsidenten und Adolph Schönfelder (SPD) sowie Hermann Schäfer (FDP) zu Vizepräsidenten des Rates wählte, fand wie alle weiteren Plenar- und Ausschußsitzungen in der Pädagogischen Akademie statt, dem späteren Bundeshaus. Als Plenarsaal diente die Aula.
Die CDU/CSU-Ratsfraktion kam in Königswinter unter, die SPD-Fraktion im Bad Honnefer Ortsteil Rhöndorf und die restlichen Fraktionen in Bonn. Die Besatzungsmächte unterhielten Verbindungsstäbe beim Parlamentarischen Rat: Frankreich und die USA in einer Doppelvilla in der Joachimstraße und Großbritannien in der Villa Spiritus.
Während der Beratungen des Parlamentarischen Rates legten sechs Abgeordnete ihr Mandat nieder und einer, Felix Walter (CDU), verstarb am 17. Februar 1949. Daher gab es sieben Nachrücker und insgesamt 77 Mitglieder. Ältestes Mitglied war der SPD-Abgeordnete Adolph Schönfelder (1875 - 1966), der auch zum Alterspräsidenten gewählt wurde; jüngster Abgeordneter war Kaspar Seibold (CSU/1914 - 1995). Zuletzt verstorbener Abgeordneter war Hannsheinz Bauer (SPD/1909 - 2005).
Die Abgeordneten schlossen sich zu Fraktionen (CDU/CSU, FDP/LDP/DVP und SPD) und Gruppen (DZP, DP und KPD) zusammen.
Sekretär des Parlamentarischen Rates war Oberregierungsrat Hans Troßmann (CSU). Es wurden die folgenden Ausschüsse gebildet: Hauptausschuß, Geschäftsordnungsausschuß und Ausschüsse für Zuständigkeitsabgrenzung, für das Besatzungsstatut, für Grundsatzfragen und Grundrechte, für Wahlrechtsfragen, für Finanzfragen, für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege.
Viele Abgeordnete hatten in der Zeit des Nationalsozialismus unter Verfolgung, Berufsverbot oder Inhaftierungen gelitten. Einige Abgeordnete hatten ins Ausland fliehen müssen, fünf Abgeordnete waren in einem KZ interniert gewesen.
Andere Abgeordnete blickten auf mehr oder weniger einflußreiche Karrieren während der NS-Zeit zurück oder waren in den Terror des NS-Regimes nach der "Machtergreifung" verstrickt gewesen. Zu diesem Personenkreis gehörten der CDU-Abgeordnete Hermann von Mangoldt (Professor für Öffentliches Recht), der FDP-Abgeordnete Höpker-Aschoff (Chefjurist der Haupttreuhandstelle Ost), der DP-Abgeordnete Hans-Christoph Seebohm (Mitbegründer der Egerländer Bergbau AG, die als "Auffanggesellschaft" zur Übernahme "arisierten" Eigentums gegründet wurde), der Arisierungsexperte der Dresdner Bank Paul Binder (CDU) und der frühere SA-Obertruppführer Adolf Blomeyer (CDU).
In bewußter Abgrenzung hierzu sowie zu Volksdemokratien sowjetischer Prägung bekannten sich die meisten Abgeordneten zur parlamentarischen Demokratie, zum Gedanken des materiellen Rechtsstaats und zum Prinzip der Gewaltenteilung.
Zu den vom Parlamentarischen Rat gezogenen Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik gehörten etwa die Festlegung materieller Schranken für Verfassungsänderungen in Art. 79 Absatz 3. Einigkeit bestand über den Vorrang und die Normativität der Verfassung, die Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung binden sollte. Vor allem wurden die Grundrechte gestärkt und die Rolle des Kanzlers aufgewertet. Zum Beispiel wurde statt eines einfachen das so genannte konstruktive Mißtrauensvotum eingeführt. Auch wurde die Stellung des Bundespräsidenten neu gestaltet.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren Vertreter einer streitbaren Demokratie und wollten dafür Sorge tragen, daß - anders als in der Weimarer Verfassung - Vorkehrungen getroffen wurden, die es Feinden der Demokratie unmöglich machen sollten, diese erneut auf legalem Wege zu untergraben. Als "Hüter der Verfassung" wurde ein mit umfassenden Kompetenzen ausgestattetes Verfassungsgericht vorgesehen. Es sollte sicherstellen, daß das Recht als Grundlage der menschlichen Gesellschaft anerkannt und nicht die politische Zweckmäßigkeit zum höchsten Prinzip erhoben wird. Recht sollte vor Macht gehen. Die Herrschaft des Rechts und die Rechtsbindung aller staatlichen Machtäußerung sowie ihre prozessuale Sicherung wurden in Artikel 20 Absatz 3 und Artikel 19 Absatz 4 festgeschrieben.
Oberstes Ziel des Grundgesetzes war die Herstellung der Einheit aller Deutschen, wie es in der Präambel und in Artikel 23 zum Ausdruck gebracht wurde. Dabei mußte jedoch auch auf die Interessen der (West-)Alliierten Rücksicht genommen werden, die in Detailfragen Nachbesserungen verlangten. Dies betraf insbesondere die Rolle Berlins, das nach dem Wunsch des Parlamentarischen Rats ein gleichberechtigtes deutsches Bundesland sein sollte, während die Siegermächte auf dem Sonderstatus der Stadt bestanden, der sich etwa darin ausdrückte, daß die Berliner Abgeordneten im Deutschen Bundestag kein Stimmrecht bekamen.
Auch die Hauptstadtfrage beschäftigte den Parlamentarischen Rat. Die alte Reichshauptstadt Berlin kam wegen des Viermächtestatus rechtlich nicht in Frage und war außerdem wegen der "Insellage" West-Berlins innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone und der Deutschen Demokratischen Republik unzweckmäßig. Deshalb mußte eine andere Stadt gefunden werden. Zunächst bewarben sich zwei westdeutsche Städte, Bonn und Frankfurt am Main.
Bonn wurde stark durch die britische Militärregierung unterstützt, während Frankfurt am Main aufgrund der (großdeutschen) Frankfurter Nationalversammlung geschätzt wurde; außerdem beherbergte sie den Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und wichtige Dienststellen der amerikanischen Militärregierung.
Am 27. Oktober 1948 konnte Hermann Wandersleb dem Ältestenrat die Vorzüge Bonns erläutern. Am 5. November 1948 warben Vertreter der Hessischen Landesregierung und der Stadt Frankfurt für ihre Alternative. General Walter M. Robertson sprach sich gegenüber Konrad Adenauer noch am 18. November 1948 für Frankfurt als Sitz der Bundesorgane aus. Einige Tage später erläuterte Adenauer dem amerikanischen Berater Robert Murphy die Vorzüge Bonns: als linksrheinische Stadt würde es den fortbestehenden Plänen der Vierten Französischen Republik entgegenwirken, die Grenzen der Länder neu zu ziehen. Sie zielten auf eine "besondere Regelung für das linke Rheinufer", das als Rheinstaat gegenüber dem Donaustaat (Bayern) und dem Elbestaat (Norddeutschland/Hamburg) abgetrennt werden sollte.
Als auch Kassel und Stuttgart ihre Kandidaturen angemeldet hatten, wurde am 27. Januar 1949 die Kommission zur Prüfung der Angaben der Städte Bonn, Frankfurt a.M., Kassel und Stuttgart betreff vorläufiger Sitz des Bundes gebildet. Ihre Mitglieder waren Konrad Adenauer (CDU), Johannes Brockmann (DZP), Paul de Chapeaurouge (CDU), Otto Heinrich Greve (SPD), Wilhelm Heile (DP), Karl Sigmund Mayr (CSU), Hermann Schäfer (FDP) und Fritz Hoch (SPD), der Anfang März 1949 durch Friedrich Wolff (SPD) abgelöst wurde.
Nachdem die Kommission die vier Städte vom 3. bis 9. Februar 1949 besichtigt hatte, wurde es wieder still um die Hauptstadtfrage. Erst als am 3. März 1949 im Ältestenrat die Frage aufgeworfen wurde, ob der Parlamentarische Rat überhaupt entscheidungsbefugt sei, drängte Franz Josef Strauß (CSU) auf eine Entscheidung; denn sonst wäre die Bundesrepublik wie "eine Dame ohne Unterleib". In das Grundgesetz sollte die Entscheidung über den Bundessitz wenigstens nicht aufgenommen werden, weil bei einer späteren Verlegung eine Grundgesetzänderung nötig würde. Die Kommission schloß ihre Arbeit im März 1949 mit einem neutralen Bericht ab und wies die Entscheidung (ohne Votum) an den Parlamentarischen Rat zurück.
Aufgrund der zu starken Kriegszerstörungen und seiner exponierten Lage unweit der Innerdeutschen Grenze schied Kassel als möglicher Regierungssitz aus. Stuttgart scheiterte in erster Linie an seinen finanziellen Problemen: Die Stadt hatte 1948 allein für Mietzahlungen eine Million Deutsche Mark aufzubringen.
Frankfurt am Main war Favorit der SPD. Bonn wurde von dem Kölner Adenauer und den meisten Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion favorisiert. Bereits am 5. Juli 1948 initiierte Walter Menzel die vorbereitenden Sitzungen des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee im Bonner Museum Koenig und in der Pädagogischen Akademie. Für den Verfassungskonvent waren Frankfurt, Karlsruhe und Celle als weitere Kandidaten in Betracht gekommen.
Noch kurz vor der Abstimmung im Parlamentarischen Rat am 10. Mai 1949 sah es nicht gut aus für Bonn. Die SPD hielt an Frankfurt fest; die hessischen CDU-Abgeordneten waren ebenfalls für ihre heimische "Metropole". Bei einer geheimen Probeabstimmung der 27köpfigen Unionsfraktion erhielt Bonn nur 21 von 27 Stimmen. Der Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb ließ bereits eine Dankesrede bei Radio Frankfurt aufnehmen.
Wenige Stunden vor der Abstimmung präsentierte Konrad Adenauer jedoch den CDU-Abgeordneten eine durch den Deutschen Pressedienst verbreitete "vertrauliche Meldung". Sie besagte, daß bei einer Vorstandssitzung der SPD in Köln am Vormittag der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher sich darüber erfreut gezeigt habe, daß es eine "sichere Niederlage" der Konservativen beim Hauptstadtvotum geben werde. Dieses Gerücht reichte für einen Stimmungsumschwung bei den hessischen CDU-Abgeordneten.
Adenauer hatte seinen Abgeordneten allerdings verschwiegen, daß die von ihm verlesene angebliche Agenturmeldung nie veröffentlicht worden war. Der CDU-nahe Journalist Franz Hange hatte die Nachricht gemeinsam mit dem Kollegen Heinrich Böx in den Fernschreiber getippt, sie jedoch nicht an die dpd-Zentrale geschickt. Wohl aber gelangte sie an Adenauer, der sie für seine Zwecke benutzte und damit die von ihm gewünschte Mehrheit für Bonn erzielte. Er hatte seinen Wohnsitz bekanntlich im Zennigsweg 8c in Bad Honnef-Rhöndorf, 13 Kilometer vom Tagungsort des Parlamentarischen Rates entfernt.
Nach zum Teil heftigen Debatten über die Lehren, die aus dem Scheitern der Weimarer Republik, dem "Dritten Reich" und dem Zweiten Weltkrieg zu ziehen seien, wurde der Entwurf des Grundgesetzes genau vier Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges vom Parlamentarischen Rat am 8. Mai 1949 um 23.55 Uhr nach 36maligen Nachbesserungen mit 53 zu 12 Stimmen verabschiedet. Gegen das Grundgesetz stimmten jeweils die beiden Abgeordneten der KPD, der DZP, der DP und sechs der acht CSU-Abgeordneten.
Als Datum wurde bewußt der Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht gewählt, weshalb Adenauer die Abstimmung kurz vor Mitternacht forcierte.
Am 12. Mai 1949 wurde der Entwurf von den Militärgouverneuren der britischen, französischen und amerikanischen Besatzungszone genehmigt, allerdings mit einigen Vorbehalten.
Die Parlamente der Bundesländer stimmten vom 18. bis zum 21. Mai 1949 über den Entwurf ab.
Zehn Länderparlamente nahmen das Grundgesetz an. Nur der Bayerische Landtag stimmte in einer Sitzung in der Nacht vom 19. auf den 20. Mai 1949 mit 101 zu 63 Stimmen bei neun Enthaltungen gegen das Grundgesetz (sieben der 180 Abgeordneten waren abwesend bzw. entschuldigt). Der Vorschlag zur Ablehnung stammte von der Staatsregierung. Die CSU, die über eine Mehrheit im bayerischen Landtag verfügte, lehnte im Unterschied zur SPD und FDP das Grundgesetz ab. Sie fürchtete zu viel Einfluß des Bundes und forderte eine stärkere föderale Prägung, beispielsweise eine Gleichberechtigung des Bundesrates bei der Gesetzgebung. Die Verbindlichkeit des Grundgesetzes für den Freistaat Bayern, falls bundesweit zwei Drittel der Länder das Grundgesetz ratifizieren würden, wurde aber in einem gesonderten Beschluß mit 97 von 180 Stimmen bei 70 Enthaltungen und 6 Gegenstimmen akzeptiert. Dies war der Fall.
Eine Volksabstimmung gab es mithin nicht. Dies und der Verzicht auf die Bezeichnung als "Verfassung" sollte den provisorischen Charakter des Grundgesetzes und der mit ihm gegründeten Bundesrepublik Deutschland betonen. Der Parlamentarische Rat war der Auffassung, daß das Deutsche Reich fortbestehe und eine neue Verfassung für den Gesamtstaat daher nur von allen Deutschen oder ihren gewählten Vertretern beschlossen werden könne. Weil die Deutschen in der Sowjetischen Besatzungszone und im Saarland aber gehindert waren, mitzuwirken, sollte für eine Übergangszeit ein "Grundgesetz" als "vorläufige Teilverfassung Westdeutschlands" geschaffen werden: Die ursprüngliche Präambel hob den Willen des deutschen Volkes zur nationalen und staatlichen Einheit hervor.
"Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein -Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden."
Das Grundgesetz wurde am 23. Mai 1949 in einer feierlichen Sitzung des Parlamentarischen Rates durch den Präsidenten und die Vizepräsidenten ausgefertigt und verkündet. Die Verfassungsurkunde wurde zunächst von 63 der 65 stimmberechtigten Mitglieder des Parlamentarischen Rates, also von allen außer den beiden ablehnenden kommunistischen Abgeordneten, unterzeichnet. Danach unterzeichneten die nicht stimmberechtigten West-Berliner Abgeordneten, die Ministerpräsidenten und Landtagspräsidenten der elf westdeutschen Länder und schließlich Otto Suhr und Ernst Reuter als Stadtverordnetenvorsteher bzw. Oberbürgermeister von Groß-Berlin.
"Heute, am 23. Mai 1949, beginnt ein neuer Abschnitt in der wechselvollen Geschichte unseres Volkes: Heute wird die Bundesrepublik Deutschland in die Geschichte eintreten. Wer die Jahre seit 1933
bewußt erlebt hat, der denkt bewegten Herzens daran, daß heute das neue Deutschland ersteht."
(Konrad Adenauer in einer Ansprache nach der feierlichen Unterzeichnung des Grundgesetzes)
Es trat mit Ablauf des 23. Mai 1949 in Westdeutschland (außer zunächst im Saarland, das erst im Januar 1957 Teil der Bundesrepublik wurde) in Kraft; der Zeitpunkt wird teils als 23. Mai, 24.00 Uhr, teils als 24. Mai, 0.00 Uhr bezeichnet. Damit war die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Dieses Ereignis ist in der Eingangsformel beurkundet.
Das Grundgesetz wurde in der Nummer 1 des Bundesgesetzblattes veröffentlicht. Die Originalurkunde ("Urschrift des Grundgesetzes") wird im Bundestag aufbewahrt. Das Grundgesetz galt auch in und für Berlin (West), allerdings nur insoweit nicht Maßnahmen der Besatzungsmächte seine Anwendung beschränkten. Deren Vorbehalt schloß aus, daß Bundesorgane unmittelbar Staatsgewalt über Berlin ausübten.
Zwei Tage nach Verabschiedung des Grundgesetzes, am 10. Mai 1949, stellte Otto-Heinrich Greve im Namen der SPD-Fraktion an das Plenum einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung. Er wollte einen Paragraphen eingefügt wissen, der entgegen den Gepflogenheiten des Parlamentarischen Rates eine geheime Abstimmung ermöglichen sollte, wenn sie von zehn Abgeordneten beantragt würde. Dem widersprach allein Max Reimann (KPD). Die Parlamentarier hätten vor der Öffentlichkeit die Verantwortung für ihre Arbeit am Grundgesetz übernommen und wollten sich nun in die Anonymität zurückziehen; jeder Abgeordnete solle "frei vor der Öffentlichkeit zeigen, wie er steht". Bei Ablehnung durch die Kommunistische Partei Deutschlands wurde Greves Antrag angenommen. Die abschließende Plenumsdiskussion ist dokumentiert.
Mit 33 von 62 gültigen Stimmen in geheimer Abstimmung fiel die Entscheidung für Bonn als "vorläufigen Sitz der Bundesorgane". Sie war in der Öffentlichkeit mit größter Spannung erwartet worden und fand beim überwiegend Bonner Publikum auf der Tribüne tosenden Beifall - was nach parlamentarischen Gepflogenheiten verpönt war. Auf Frankfurt entfielen 29 Stimmen.
Der siegessichere Frankfurter Oberbürgermeister Kolb hatte bereits ein "Regierungsviertel" an der Bertramstraße ausweisen und - um Fakten zu schaffen - sogar einen Plenarsaal für das Parlament bauen lassen. Das Gebäude (Funkhaus am Dornbusch) beherbergt heute den Hessischen Rundfunk. Der sogenannte "Rundbau", in dem bis zum Jahr 1999 alle Hörfunkstudios untergebracht waren, sollte ursprünglich als Plenarsaal des Deutschen Bundestages genutzt werden. Der Rundbau wurde in Anlehnung an die gleichfalls runde Frankfurter Paulskirche errichtet, um an die Paulskirchenverfassung von 1848 zu erinnern. An diese dem Gebäude zugedachte Funktion erinnert heute noch die denkmalgeschützte "Goldhalle", die der Vorraum zum Plenarsaal des Bundestages hätte werden sollen und heute als Ausstellungsraum und als Teil des Foyers vom später seitlich angebauten Sendesaal dient.
Offizielle Hauptgründe der Entscheidung gegen Frankfurt war zum einen der Büro- und Wohnraummangel durch die Luftangriffe auf Frankfurt am Main. Zum anderen war es fraglich, ob man die Amerikaner dazu bewegen konnte, ihr militärisches Hauptquartier im I.G.-Farben-Haus zu verlegen, denn der neue Regierungssitz sollte besatzungsfrei sein.
Das Wahlgesetz zum 1. Deutschen Bundestag und zur 1. Bundesversammlung wurde im Bundesgesetzblatt am 15. Juni 1949 (BGBl. Nr. 2) sowie eine Ergänzung am 5. August 1949 (BGBl. Nr. 3) verkündet. Der Parlamentarische Rat löste sich nach diesen Vorbereitungen auf. Die Wahl zum ersten Deutschen Bundestag fand am 14. August 1949 statt.
Nach der Verabschiedung des Grundgesetzes und den ersten Bundestagswahlen kamen die Ministerpräsidenten am 25. und 26. August 1949 noch einmal auf dem Rittersturz zusammen. Sie beschlossen die Einberufung von Bundestag und Bundesrat für den 7. September und die der Bundesversammlung für den 12. September 1949 in Bonn. Für den Bundesrat wurden Wahl und Stellung seines Präsidenten sowie Umfang und Aufgaben seines Sekretariats diskutiert und für die Bundesversammlung die Anzahl der von den einzelnen Ländern zu entsendenden Delegierten festgelegt. Damit trafen die Ministerpräsidenten die letzten im Zuge der Staatsgründung noch ausstehenden Entscheidungen. Als ihr Sprecher verlas der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Altmeier eine Proklamation an das Deutsche Volk, in der betont wurde, daß diese Gründung nur ein Schritt auf dem schweren Weg zur Vereinigung ganz Deutschlands sein sollte.
Auf Grund eines Antrags der SPD-Fraktion vom 3. September 1949 erörterte der 1. Deutsche Bundestag am 3. November 1949 erneut die Hauptstadtfrage. Frankfurt unterlag wiederum, mit 176 gegen 200 Stimmen bei drei Enthaltungen. Für Bonn ausschlaggebend waren auch die unzerstörten und repräsentativen Bauten und die von den Alliierten sofort veranlaßte Räumung der belgischen Garnison in Duisdorf. In derselben Sitzung wurde auch der Status Berlins als deutsche Hauptstadt mit überwältigender Mehrheit bekräftigt: "Die leitenden Bundesorgane verlegen ihren Sitz in die Hauptstadt Deutschlands, Berlin, sobald allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in ganz Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführt sind."
Gleichzeitig wurde von den alliierten Militärgouverneuren das Statut zur Einsetzung der Hohen Kommissare erlassen, nach welchem die besatzungsfreie Enklave Bonn ("Bundeszone Bonn") geschaffen und dafür auch aus der britischen Zone herausgenommen wurde. Diese den Hohen Kommissaren direkt unterstellte Sonderzone reichte weiträumig um das Stadtgebiet herum und war dem US-amerikanischen District of Columbia nachempfunden, der ebenfalls keinem Bundesstaat angehört und selbst auch kein solcher ist.
In den 75 Jahren seit seiner Verkündigung hat sich das Grundgesetz bewährt, weil es offen für Änderungen war. Ursprünglich als Provisorium geplant, gilt es seit der Wiedervereinigung in Form des Beitritts der DDR gemäß Artikel 23 als gesamtdeutsche Verfassung. In den vergangenen 75 Jahren gab es 67 Gesetze, durch die nicht weniger als 240 Artikel und die Präambel geändert, neu hinzugefügt oder aufgehoben wurden. Waren es ursprünglich 146 Artikel, sind es inzwischen 197 Artikel.
Als die DDR zusammengebrochen war, beriet dort ein Runder Tisch über Verfassungsfragen. Heraus kam ein Entwurf, der zwar als Alternative zum Grundgesetz geplant war, sich aber inhaltlich von diesem eher in Marginalien unterschied.
Welche bessere Bestätigung könnte es für eine Verfassung geben, die - in den Ruinen der Nachkriegszeit entstanden - den wirtschaftlichen, politischen und demokratischen Wiederaufbau, die deutsche Einigung und die europäische Integration mitgestaltet und überstanden hat und immer noch den Anspruch erheben kann, auch für die Zukunft gestaltend zu wirken?
Der Ausbau der Grund- und Menschenrechte war von Anfang an ein zentrales Anliegen der Grundgesetzentwicklung. Im Parlamentarischen Rat hatte eher die Vorstellung dominiert, daß die Freiheit gegen den Staat geschützt werden müßte. Freiheitsrechte waren als Verbote an die öffentliche Hand formuliert, die Freiheit der Menschen zu beeinträchtigen. Das entsprach den elementaren Menschenrechtsstandards der damaligen Zeit. Politische Mitwirkungsrechte und soziale Garantien fanden sich allenfalls in Ansätzen.
Hier hat die Rechtsprechung fördernd gewirkt. Verfassungsänderungen haben kaum neue Grundrechte geschaffen, am ehesten noch die Diskriminierungsverbote (Art. 3 Abs. 2, 3 GG) eingeführt: Alte Vorrechte der Männer im Familienrecht wurden aufgehoben, wenn auch erst sehr spät und gegen nicht unerhebliche Widerstände. Die Gleichstellung von Frauen, Behinderten und anderen benachteiligten Gruppen ist rechtlich erleichtert. Für die Ausländer aus der Europäischen Union hat insbesondere das Europarecht zahlreiche Benachteiligungen beseitigt oder zumindest gemildert.
Doch bleibt die Bilanz insgesamt ambivalent: Verfassungsänderungen blieb es vorbehalten, einzelne Grundrechte erheblich einzuschränken: Beschränkungen des Post- und Fernmeldegeheimnisses wurden zum Zweck des Schutzes der Verfassung erleichtert; die Unverletzlichkeit der Wohnung durch Zulassung des "Großen Lauschangriffs" eingeschränkt; das Asylrecht politisch Verfolgter in weiten Teilen abgeschafft.
Offen ist bis heute der Auftrag des Verfassungsgebers an den Gesetzgeber, der Verfassungsbefehl, das Bundesgebiet neu zu gliedern:
"Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können."
"Die Neugliederung soll vor Ablauf von drei Jahren nach Verkündung des Grundgesetzes und, falls sie als Folge des Beitrittes eines anderen Teiles von Deutschland notwendig wird, innerhalb von zwei Jahren nach dem Beitritt geregelt sein."
So sind die Stadtstaaten ein Atavismus. Im Heiligen Römischen Reich gab es rund hundert Stadtstaaten, sogenannte Freie Städte und Reichsstädte. Nach dem Wiener Kongreß 1815 gab es im Deutschen Bund noch vier Stadtstaaten: Bremen, Freie Stadt Frankfurt, Hamburg und Lübeck. Warum also die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg? Berlin war nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Wiedervereinigung im Jahr 1990 geteilt, West-Berlin war somit von der DDR umgeben und hatte als Stadtstaat einen Sonderstatus. Es war nicht offizieller Bestandteil der Bundesrepublik, wurde aber weitgehend so behandelt. Berlin als Ganzes stand bis zum Jahr 1990 unter dem sogenannten Viermächte-Status und war in der Rechtsprechung beeinflußt durch die Besatzungsmächte.
Berlin sollte zu Brandenburg, Bremen zu Niedersachen und Hamburg zu Schleswig-Holstein. Auch das Saarland stellt einen Anachronismus dar. Es sollte mit Rheinland-Pfalz vereinigt werden. Dabei sollte auch das Land Nordrhein-Westfalen auf den Prüfstand. Zu bedenken wäre auch die Vereinigung der Länder Hessen und Thüringen und eine Neuordnung der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Offen ist auch noch der Umgang mit plebiszitären Elementen:
"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen…ausgeübt."
Von Volksbegehren und -entscheiden war allerdings nur im Zusammenhang mit der Neugliederung des Bundesgebietes die Rede. Hinzu kommt die Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung als Ergebnis einer Volksabstimmung.
Hier besteht nach meiner Überzeugung nach 75 Jahren Handlungsbedarf:
Daher bin ich für bundesweite Volksabstimmungen (Referenden) und andere plebiszitäre Elemente (Volksinitiative, -begehren, -entscheid, -befragung, -klage und -wahl des Bundespräsidenten) in unserem Grundgesetz, aber nicht ohne vorbereitende und begleitende Maßnahmen, um Demagogen und Populisten nicht das Feld zu überlassen.
Denn bei so manchen komplexen Themen habe ich leider erhebliche Bedenken, ob alle Stimmberechtigten willens und in der Lage dazu sind, sich intensiv genug mit der Materie und den jeweiligen Zusammenhängen und Abhängigkeiten zu befassen.
Politik ist anstrengend und mühsam. Es geht nicht immer um "Bauchgefühle", manchmal muß man sich auch sehr intensiv mit den Argumenten dafür und dagegen beschäftigen.
Plebiszitäre Elemente, vor allem wenn sie denn verbindlich sein sollen, setzen meines Erachtens deutlich mehr Anstrengungen voraus, die Menschen fit für die politische Meinungs- und Willensbildung zu machen.
Dazu brauchen wir nach meiner Überzeugung eine grundlegende Reform unseres Bildungssystems im Bereich der politischen Bildung und die Einführung eines entsprechenden "Informationssystems". Das Bundesgesetzblatt per E-Mail ist ein erster guter Schritt in diese Richtung.
Denn so ganz ohne Grund hat man sich nicht für eine repräsentative Demokratie entschieden.
Kinder müssen sehr frühzeitig mit der Demokratie vertraut gemacht werden. Sich für die Gemeinschaft, für das Gemeinwesen zu engagieren und einen Gemeinsinn zu entwickeln, sollte ein Ziel unseres Bildungssystems sein.
Es hat unter anderem die Aufgabe, aus Kindern demokratische Staatsbürger und Mitglieder der Gesellschaft zu machen. Politische Bildung und Geschichte finden in den Schulen kaum noch statt, und alle wundern sich dann über die politische Einstellung oder die Politik-, Parteien- und Demokratieverdrossenheit vieler Menschen.
So brauchen wir nach meiner Überzeugung in den Schulen viel mehr politische Bildung ("Staatsbürgerkunde") und auch viel mehr gelebte Demokratie, "politischere" Schulen, die sich durchaus auch für ihr Umfeld, für ihre Nachbarschaft engagieren dürfen.
Zusätzlich sollten auch die Wahlen den Wahlberechtigten mehr Möglichkeiten geben, auf die Zusammensetzung der zu wählenden Körperschaft Einfluß zu nehmen - zum Beispiel durch Panaschieren und Kumulieren.
Auf den Prüfstand muß auch die sogenannte Sperrklausel, die dafür sorgt, daß nicht alle Wähler in den gesetzgebenden Körperschaften angemessen vertreten sind und Stimmen quasi ungültig werden. Dies widerspricht der Idee der repräsentativen Demokratie und dem Wahlgrundsatz, daß alle Stimmen gleich berücksichtigt werden.
Auch eine Reform einzelner Bundesorgane, der Zuständigkeiten und des Verhältnisses zu den Kirchen ist sinnvoll:
a) Der Bundesrat sollte in eine Länderkammer umgewandelt werden, deren Mitglieder entweder von den Landesparlamenten oder auch direkt vom Volk gewählt werden und nicht an Weisungen gebunden sind (Senatslösung).
b) Der Bundespräsidenten sollte als Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt und seine Rolle im Gesetzgebungsverfahren gestärkt werden. Dazu sollte er ein aufschiebendes Vetorecht erhalten und an seiner Seite ein Verfassungsrat errichtet werden, der zu einer Hälfte aus den ehemaligen Bundespräsidenten, Präsidenten des Deutschen Bundestages, Bundeskanzlern, Präsidenten des Bundesrates und Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes und zu einer Hälfte aus vom jeweiligen Bundespräsidenten berufenen Verfassungsjuristen besteht.
c) Der Bund sollte gesetzgeberisch für die Regelung der Dauer der Bildungspflicht, der Übergänge und Abschlüsse im Bildungswesen, für die berufliche Bildung und für die Lehrerausbildung und die Anerkennung der Abschlüsse zuständig sein.
d) Es sollte ein Bundesbürgerrat mit dem Recht errichtet werden, zu Gesetzentwürfen Stellung zu nehmen und selbst Gesetze zu initiieren. Seine Mitglieder sollten durch Losverfahren aus allen Wahlberechtigten bestimmt und alle zwei Jahre sollte ein Drittel der Mitglieder ausgetauscht werden, um einerseits eine gewisse Kontinuität in der Arbeit zu gewährleisten und andererseits immer wieder neue Ideen zu generieren.
c) Die Regelungen zur Organisation des Bundesverfassungsgerichtes, zur Wahl seiner Richter und zur Bedeutung seiner Urteile sollten aus dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht ins Grundgesetz überführt werden.
d) Eine strikte Trennung von Kirchen und Staat, von Religionen und Politik sollte durch eine Überarbeitung des Artikels 140 vorgenommen werden.
e) Für die Judikative sollten Justizräte nach dem Rätesystem errichtet werden, um die Unabhängigkeit der Gerichte und die Gewaltenteilung zu stärken. Der Bundesjustizrat besteht aus Vertretern der Landesjustizräte, diese aus Vertretern der Bezirksjustizräte und diese aus Vertretern der Stadt- und Kreisjustizräte. Die Mitglieder der Stadt- und Kreisjustizräte werden von den Richtern innerhalb der Stadt bzw. des Kreises aus ihrer Mitte gewählt. Neue Richter werden auf deren Vorschlag vom Oberbürgermeister bzw. vom Landrat mit Zustimmung der Mehrheit des Stadtrates bzw. des Kreistages berufen.
Ein weiteres Defizit besteht mit Blick auf den Artikel 3 Absatz 3:
"Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung , seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."
Am 14. Juli 1953 wurde ein Mann, der wegen des §175 StGB angeklagt wurde, freigesprochen. Das Gericht begründete das Urteil damit, daß §175 StGB nicht mit dem Artikel 3 des Grundgesetzes vereinbar sei. Das Urteil wurde allerdings später aufgehoben.
Einige Richter hatten große Bedenken, den ihrem Rechtsempfinden widersprechenden § 175 StGB anzuwenden. So verurteilte im Jahr 1951 das Landgericht Hamburg zwei homosexuelle Männer lediglich zu einer Ersatzgeldstrafe von drei Deutsche Mark.
Offiziell wurde mit dem Grundgesetz alles bis dahin geltende Recht übernommen, "soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht" (Art. 123 Abs. 1 GG).
In einer Reihe von Entscheidungen schloß sich der Bundesgerichtshof hinsichtlich der Auslegung des § 175 StGB der Rechtsprechung der Zeit des Nationalsozialismus an, wonach der Tatbestand der Unzucht keine gegenseitige Berührung voraussetzt. Bestraft werden könne auch gleichzeitige Masturbation oder der Zuschauer beim Triolenverkehr. Allerdings wird aus dem Merkmal "Treiben" abgeleitet, daß das Handeln "stets eine gewisse Stärke und Dauer haben" müsse. Auf dieser Grundlage kam es zwischen 1950 und 1969 zu mehr als 100.000 Ermittlungsverfahren und etwa 50.000 rechtskräftigen Verurteilungen.
Schließlich wies das Bundesverfassungsgericht am 10. Mai 1957 eine Verfassungsbeschwerde zurück, die 1952 bzw. 1954 von zwei Männern mit der Begründung eingereicht worden war, die §§ 175 und 175a StGB seien schon allein deshalb nichtig, weil sie auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes erlassen worden seien. Außerdem verstießen sie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 und 3 GG) und das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). Die beiden Strafbestimmungen seien "formell ordnungsgemäß erlassen" worden und "nicht in dem Maße 'nationalsozialistisch geprägtes Recht'", daß ihnen "in einem freiheitlich-demokratischen Staate die Geltung versagt werden müsse". Die unterschiedliche Behandlung männlicher und weiblicher Homosexualität wurde auf biologische Gegebenheiten und das "hemmungslose Sexualbedürfnis" des homosexuellen Mannes zurückgeführt. Als zu schützendes Rechtsgut wurden "die sittlichen Anschauungen des Volkes" genannt, die sich maßgeblich aus den Lehren der "beiden großen christlichen Konfessionen" speisen.
Ein im Jahr 1962 von der - unter Bundeskanzler Adenauer von CDU/CSU und FDP gebildeten - Bundesregierung vorgelegter Entwurf eines Strafgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland rechtfertigte - entgegen dem Vorschlag der Großen Strafrechtskommission von 1959, in der Vertreter von CDU/CSU selten anwesend waren - die Beibehaltung des § 175 StGB wie folgt:
"Vor allem stände auch für die Homosexuellen nichts im Wege, ihre nähere Umgebung durch Zusammenleben in eheähnlichen Verhältnissen zu belästigen…Ausgeprägter als in anderen Bereichen hat die Rechtsordnung gegenüber der männlichen Homosexualität die Aufgabe, durch die sittenbildende Kraft des Strafgesetzes einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens zu errichten, das, wenn es um sich griffe, eine schwere Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke bedeuten würde...Die von interessierten Kreisen in den letzten Jahrzehnten wiederholt aufgestellte Behauptung, daß es sich bei dem gleichgeschlechtlichen Verkehr um einen natürlichen und deshalb nicht anstößigen Trieb handele, kann nur als Zweckbehauptung zurückgewiesen werden…Wo die gleichgeschlechtliche Unzucht um sich gegriffen und großen Umfang angenommen hat, war die Entartung des Volkes und der Verfall seiner sittlichen Kraft die Folge."
Ab dem Jahr 1965 zeichnete sich der allgemeine Wertewandel in der Gesellschaft auch zunehmend in der Statistik der Verurteilungen durch sinkende Zahlen ab.
Auch wenn der Deutsche Bundestag mit dem 29. Strafrechtsänderungsgesetz am 31. Mai 1994 die ersatzlose Aufhebung des § 175 StGB beschlossen und das absolute Schutzalter für sexuelle Handlungen einheitlich auf 14 Jahre festgelegt hat, wird es nach 75 Jahren nun höchste Zeit, um ganz deutlich zu machen, daß eine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung nicht mit unserem Grundgesetz zu vereinbaren ist.
"Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität (Geschlecht) und Orientierung, seiner Abstammung, seiner Ethnie ("Rasse"), seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."
Informationsquelle: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie
Gerhart Baum, Rettet die Grundrechte! - Bürgerfreiheit contra Sicherheitswahn - Eine Streitschrift
Ernst Heinrich von Bernewitz und Konrad von Bonin, Das Grundgesetz verstehen - didaktisches Sachbuch zu Verfassungsrecht und Gesellschaftswirklichkeit - Erläuterungen - Materialien - Arbeitsvorschläge
Christian Bommarius, Das Grundgesetz - Eine Biographie
Hildegard Hamm-Brücher, Der Politiker und sein Gewissen - Eine Streitschrift für mehr Freiheit
Gustav W. Heinemann, Unser Grundgesetz ist ein großes Angebot
Wie gut ist unser Grundgesetz? - Moderatorin Sandra Maischberger und ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam checken das deutsche Grundgesetz.
Exkurs Staatsbezeichnung
"Der Parlamentarische Rat hat am 23. Mai 1949 in Bonn am Rhein in öffentlicher Sitzung festgestellt, daß das am 8. Mai des Jahres 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossene Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der Woche vom 16. - 22. Mai 1949 durch die Volksvertretungen von mehr als Zweidritteln der beteiligten deutschen Länder angenommen worden ist. Auf Grund dieser Feststellung hat der Parlamentarische Rat, vertreten durch seine Präsidenten, das Grundgesetz ausgefertigt und verkündet."
Die Diskussion über die Bezeichnung des neuen Staates hatte schon eingesetzt, als die drei westlichen Besatzungsmächte die Ministerpräsidenten der elf Länder der Westzonen mit den Frankfurter Dokumenten am 1. Juli 1948 zur Einberufung einer "Verfassunggebenden Versammlung" autorisierten.
Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, der daraufhin im August 1948 im Auftrag der Ministerpräsidenten einen Verfassungsentwurf erarbeitete, der dem Parlamentarischen Rat als Grundlage seiner Beratungen dienen sollte, hatte die Bezeichnungen "Union deutscher Länder" und "Deutsche Staatengemeinschaft" erwogen, schließlich aber "Bund deutscher Länder" vorgeschlagen.
Im Ausschuß für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, der maßgeblichen Einfluss auf die Namenswahl nehmen konnte, weil ihm die Erarbeitung der Präambel des Grundgesetzes oblag, verwarf man diese Bezeichnungen. Die Mehrheit der Ausschußmitglieder wollte den neuen Staat weder "Bund deutscher Länder", noch "Deutschland", "Deutsche Republik" oder "Republik Deutschland" nennen. Auch der schillernde Begriff "Deutsches Reich" wurde mit großer Mehrheit verworfen. Nur die Deutsche Partei (DP) trat noch bis zur abschließenden Beratung des Grundgesetzes für diesen Namen ein, mit dessen Wahl sie zum Ausdruck bringen wollte, daß der westdeutsche Teilstaat der Nachfolger des 1871 gegründeten und 1945 untergegangenen Nationalstaats der Deutschen war.
Anhänger der Bezeichnung "Deutsches Reich" fanden sich aber nicht nur in der Deutschen Partei, sondern ebenso in der CDU/CSU-Fraktion. Doch bei der entscheidenden fraktionsinternen Abstimmung votierte letztlich auch in ihren Reihen am 12. Oktober 1948 nur eine kleine Minderheit für diese Bezeichnung. Maßgeblich für diese Ablehnung waren außenpolitische Bedenken. Der Begriff "Deutsches Reich" hatte - nicht nur nach Auffassung einer Mehrheit in der CDU/CSU-Fraktion - im Ausland einen unguten Klang angenommen. In den umliegenden Staaten schien sich mit ihm ein Anspruch der Deutschen auf Superiorität und Hegemonie zu verbinden, der durch die Verbrechen des Nationalsozialismus unerträglich geworden war. Der Begriff "Reich" - so brachte Theodor Heuss die im Parlamentarischen Rat vorherrschende Meinung auf den Punkt - "[ist] von der Geschichte konsumiert". In Abgrenzung zur Reichsmetaphorik wollte deshalb eine Mehrheit ganz bewußt eine sachliche Bezeichnung für den neuen deutschen Staat wählen.
Die schließlich gefundene Staatsbezeichnung ist in einem Verfassungsentwurf offenbar zum ersten Mal am 13. April 1948 in den "Grundsätzen für eine Deutsche Bundesverfassung" des Ellwanger Kreises der CDU/CSU verwandt worden, in dem sich die Anhänger einer föderalen Staatsbildung zusammengefunden hatten. Obwohl "Bundesrepublik Deutschland" nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion den Vorzug besaß, den gewünschten dezentralen Staatsaufbau angemessen zum Ausdruck zu bringen, stellte diese Bezeichnung doch nicht ihre erste Wahl dar, da sie den provisorischen Charakter des neuen Staates nur ungenügend zu verdeutlichen schien. In der entscheidenden Fraktionssitzung stimmte am 12. Oktober 1948 deshalb eine Mehrheit für die Bezeichnung "Bundesstaat Deutschland". Breiter Konsens bestand aber dahingehend, daß "Bundesrepublik Deutschland" als "Eventualvorschlag" in die Beratungen des Ausschusses für Grundsatzfragen eingebracht werden konnte, falls sich die bevorzugte Bezeichnung gegen den Widerstand der Sozialdemokraten nicht durchsetzen lassen würde.
Der Vorstand der SPD hatte schon am 13. und 14. März 1947 "Richtlinien für den Aufbau der Deutschen Republik" beschlossen, die ganz im Zeichen des Zentralismus standen. Dementsprechend hatte die SPD-Fraktion im Parlamentarischen Rat nicht die Absicht, dem neuen Staat einen Namen zu geben, der auf einen föderalen Staatsaufbau hinwies. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates beharrte sie deshalb auf "Republik" und bekräftigte, daß bei der Wahl des Staatsnamens "unter keinen Umständen" auf dieses Wort verzichtet werden sollte. In Zusammenhang mit der Wahl der Staatsbezeichnung traten damit zwischen den beiden großen Fraktionen dieselben Frontlinien zutage, die sich im Parlamentarischen Rat auch bei den Beratungen über die Länderkammer gebildet hatten, deren Ausgestaltung zu den umstrittensten Teilen des Grundgesetzes gehörte. Trat die CDU zum Großteil und die CSU ohne Ausnahme für eine betont föderale Staatsbildung ein, plädierte die SPD-Fraktion mehrheitlich für eine starke Zentralgewalt. Während die Fragen nach der Zusammensetzung und der Kompetenz der Ländervertretung erst zu einem relativ späten Zeitpunkt gelöst werden konnten, fand die entscheidende Debatte über den Staatsnamen bereits am 13. Oktober 1948 in der 10. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen statt. Als in ihrem Verlauf der bayerische Staatsminister und Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Anton Pfeiffer die Bezeichnung "Bundesstaat Deutschland" durchzusetzen versuchte, traf er auf den Widerstand des Vorsitzenden der SPD-Fraktion Carlo Schmid, der erklärte, daß seine Fraktion keinem Vorschlag zustimmen werde, der nicht den Begriff "Republik" umfasse. Ein Kompromiß konnte erst gefunden werden, als Pfeiffer zuletzt nur noch insistierte: "aber der Begriff 'Bund' muß herein" und Schmid mit den Worten einlenkte: "Meinetwegen sagen wir dann 'Bundesrepublik'".
Mit "Bundesrepublik" hatten CDU/CSU und SPD einen Konsens erzielt, dem sich die Liberalen umso leichter anschließen konnten, als Theodor Heuss, der Jahre später auch die Erfindung des Namens "Bundesrepublik Deutschland" für sich in Anspruch nahm, diese Bezeichnung zuerst, und zwar in der Plenarsitzung am 9. September, in die Beratungen des Parlamentarischen Rates eingebracht und seither im Ausschuß für Grundsatzfragen verfochten hatte. Daß die Wahl des Parlamentarischen Rates nicht auf den gleichfalls diskutierten Namen "deutsche Bundesrepublik", sondern "Bundesrepublik Deutschland" fiel, hatte seinen Grund darin, daß man sich von dieser Bezeichnung eine höhere Integrationskraft versprach. Im Substantiv "Deutschland" schien den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates ein - wie Heuss es formulierte - "gewisses Pathos" mitzuschwingen, das dem Adjektiv "deutsch" zu fehlen schien und auf das man bei der Wahl der Staatsbezeichnung doch nicht ganz verzichten wollte.
Die Überlegungen, die den Parlamentarischen Rat bei der Wahl der Staatsbezeichnung bestimmt hatten, faßte Carlo Schmid im Rahmen der Zweiten Lesung des Grundgesetzes im Plenum am 6. Mai 1949 schließlich mit den Worten zusammen: "In diesem Namen kommt zum Ausdruck, daß ein Gemeinwesen bundesstaatlichen Charakters geschaffen werden soll, dessen Wesensgehalt das demokratische und soziale Pathos der republikanischen Tradition bestimmt: nämlich einmal der Satz, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, weiter die Begrenzung der Staatsgewalt durch die verfassungsmäßig festgelegten Rechte der Einzelperson, die Gleichheit aller vor dem Gesetz und der Mut zu den sozialen Konsequenzen, die sich aus den Postulaten der Demokratie ergeben."
Quellen
Dr. Stefan Schmidt, Deutscher Bundestag, Fachbereich WD 1, Geschichte, Zeitgeschichte und Politik
Michael F. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948 - 1949: die Entstehung des Grundgesetzes, Göttingen 2008 [überarbeitete Neuausgabe, zuerst 1998]
Die CDU/CSU-Fraktion im Parlamentarischen Rat. Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion, Stuttgart 1981 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 2)
Der Parlamentarische Rat: 1948 - 1949; Akten und Protokolle. Hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv, bislang 13 Bde, Boppard am Main, später München, 1975-2002
Exkurs Nationalflagge
Die Flagge der Bundesrepublik Deutschland, offiziell Bundesflagge, ist ein deutsches Hoheitszeichen und Staatssymbol. Die Farben der Bundesflagge wurden in Artikel 22 des Grundgesetzes festgelegt: "Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold."
Die Flagge Deutschlands wird meistens schlicht als Schwarz-Rot-Gold bezeichnet. Gebräuchlich ist ferner das Synonym Bundesfarben oder umgangssprachlich "Deutschlandfahne". In Seglerkreisen wird sie in Anlehnung an den ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer manchmal als "Adenauer" bezeichnet.
Neben der Bundesflagge existieren auch die Bundesdienstflagge für Bundesbehörden, eine Dienstflagge der Seestreitkräfte und eine Truppenfahne der Bundeswehr.
Heraldisch beschreibt man die Flagge "Geteilt zu Schwarz, Rot und Gold". Die Handelsflagge entspricht der Bundesflagge.
Ergänzend dazu wurde in der Anordnung über die deutschen Flaggen vom 7. Juni 1950 geregelt, daß die Bundesflagge aus drei gleich großen Querstreifen besteht, oben schwarz, in der Mitte rot, unten goldfarben, und daß das Verhältnis der Höhe zur Länge des Flaggentuches 3 zu 5 beträgt. In der Ziffer I Nr. 1 der Flaggenanordnung vom 13. November 1996 wurde festgelegt, daß die Bundesflagge auch in Form eines Banners geführt werden kann, das aus drei gleich breiten Längsstreifen besteht, auf der am Mast stehenden Seite schwarz, in der Mitte rot, und goldfarben an der vom Mast abgewandten Seite.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Existenz deutscher staatlicher Institutionen eingestellt, die Besatzungsbehörden der alliierten Siegermächte verboten die Anzeige aller Arten von Nazi-Flaggen und die Besatzungszonen blieben ohne eine deutsche Flagge. Tatsächlich gab es im besiegten Feindstaat (lt. US-american Directive of Occupation JCS 1067) nur die Flaggen der Besetzer in den jeweiligen Zonen/Sektoren.
Am 12. November 1946 ordnete der Alliierte Kontrollrat im Kontrollratsgesetz Nr. 39 an, daß als Erkennungsflagge für deutsche Handelsschiffe der Buchstabe "C" mit einem dreieckigen Ausschnitt zu verwenden sei, der sogenannte C-Doppelstander. Per Beschluß der Alliierten hatten deutsche Schiffe ab 1945 den Stander C des Signalflaggenalphabets zu führen. "C" stand für "Capitulation" und wurde in demütigender Absicht festgelegt. Costa Rica erhob Einspruch, da es selber ein ähnliches Erkennungszeichen als Nationalflagge führt. So wurde der Stander C am fliegenden Ende rechtwinklig eingeschnitten. Nach Gründung der beiden deutschen Teilstaaten 1949 entfiel diese Praxis. Die Farben blau, weiß und rot repräsentierten dabei die Nationalfarben der vier Alliierten. Dieser Stander durfte auf See nicht gegrüßt werden, bzw. es durften ihm keine Ehrenbezeugungen erwiesen werden.
Die Vorbereitungen zur Erschaffung einer neuen deutschen Nationalsymbolik begannen während des "Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee", der zwischen dem 10. und 25. August 1948 tagte. Obwohl es Überlegungen gab, die Flaggenfrage bis zu einer Wiedervereinigung aufzuschieben, entschloß man sich schließlich doch, eine Entscheidung zu treffen. Dies geschah vor allen Dingen unter dem Eindruck des Verfassungsentwurfes der SED vom 22. November 1946, in dem Schwarz-Rot-Gold als die Farben einer zukünftigen "Deutschen Republik" bestimmt wurden.
Während die Sozialdemokraten für die Wiedereinführung der alten Weimarer Farben Schwarz-Rot-Gold plädierten, hielt man es auf Seiten der CDU/CSU sowie der konservativen Deutschen Partei für angemessener, die "Kreuzflagge" des 20. Juli 1944 als neue Deutsche Nationalflagge zu wählen. Diese von Josef Wirmer, einem Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, entworfene Flagge, die nach dem erfolgreichen Attentat auf Adolf Hitler als vorläufige Nationalflagge hätte Verwendung finden sollen, war Grundlage eines späteren Vorschlags der Unionsparteien vom 5. November 1948.
Josef Wirmers jüngerer Bruder Ernst war Mitglied des Parlamentarischen Rates und überzeugte am 26. Oktober 1948 die Delegierten der CDU/CSU zunächst, den Originalentwurf seines Bruders zu übernehmen. Josef Wirmers Idee, die Nationalfarben in der Form eines skandinavischen Kreuzes anzuordnen (Wirmer-Flagge), beruhte wohl auf der Vorstellung, daß man damit zum einen die Wehrmacht zufriedenstellte (durch Ähnlichkeit mit der Reichskriegsflagge) und zum anderen die demokratischen Kräfte berücksichtigte (durch Verwendung der traditionellen demokratischen Farben).
Einem ähnlichen Gedanken folgte der Entwurf seines Bruders Ernst, der einen schwarzen Streifen zwischen das gelbe und rote Feld einfügte, analog zum Balkenkreuz der Wehrmacht. Durch diesen Zusatz ergab sich allerdings wieder das von Josef Wirmer vermiedene heraldische Problem, daß Schwarz direkt an Rot grenzte. Jedoch entschied man sich am 3. November 1948, das traditionelle Angrenzen von Rot und Schwarz beizubehalten. Im Entwurf zum Gesetzestext hieß es dazu: "Die Flagge des Bundes zeigt auf rotem Grunde ein schwarzes liegendes Kreuz und auf dieses aufgelegt ein goldenes Kreuz."
Die Wirmer-Flagge wird seit Beginn des 21. Jahrhunderts häufig im Umfeld rechter und rechtsextremer Gruppen verwendet, insbesondere dem der sogenannten Reichsbürger und dem von Pegida.
Auch andere Politiker, Kunsthistoriker und Künstler befaßten sich mit der Flaggenfrage. Robert Lehr, ebenfalls ein Mitglied des Parlamentarischen Rates, schlug eine Flagge nach Vorbild jener der USA vor, bei der für jedes Bundesland ein goldener Stern in die schwarze Gösch der roten Flagge eingefügt werden sollte. Der Historiker Paul Wentzcke sprach sich für eine "Republikanische Trikolore" aus, die wie die französische Trikolore vertikal geteilt sein sollte. Die deutsche Teilung wollte der Kunsthistoriker Edwin Redslob durch einen weißen Querstreifen auf der schwarz-rot-goldenen Trikolore darstellen.
Daß schließlich eine Einigung zu Gunsten von Schwarz-Rot-Gold zustande kam, ist wohl vor allen Dingen der Tatsache zuzuschreiben, daß damit eine Rechtskontinuität zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland deutlich gemacht werden konnte.
Die Bevölkerung hatte die neue Flagge jedoch noch nicht vollständig angenommen. In der Wochenzeitung "Die Zeit" war zu lesen, daß ebenso viele Menschen Schwarz-Weiß-Rot wie Schwarz-Rot-Gold als Flagge annehmen - jeweils 25 Prozent. Eine Umfrage vom Institut für Demoskopie Allensbach lieferte andere Zahlen: 35 Prozent der Befragten würden sich für Schwarz-Rot-Gold entscheiden. Die Hälfte der Befragten wollte keine Entscheidung treffen. Trotz unterschiedlicher Ergebnisse zeigten die Umfragen ein höchst gespaltenes Meinungsbild in der Gesellschaft.
Die heraldische Kombination von Schwarz, Rot und Gold ist bereits seit dem Mittelalter bezeugt. Ein Vorläufer der deutschen Flaggen ist das Reichsbanner des Heiligen Römischen Reiches.
Ein Ursprung der Farben Schwarz-Rot-Gold liegt auch in den Befreiungskriegen 1813 gegen Napoleon, nämlich bei den Uniformen des Lützowschen Freikorps. Die Korps setzten sich zumeist aus Studenten zusammen, die sich gegen die Besatzung Deutschlands durch Frankreich formierten. Da die Freiwilligen unter dem preußischen Major Ludwig Adolf Wilhelm von Lützow aus allen Teilen Deutschlands stammten und von dort höchst unterschiedliche Uniformen und Zivilkleidung mitbrachten, war die einzige Möglichkeit, eine einheitliche Bekleidung herzustellen, die unterschiedlich farbigen Uniformen schwarz einzufärben. Hinzu kamen goldene (messingfarbene) Knöpfe sowie schließlich rote Aufschläge und Vorstoß. Zur Popularisierung hat die Tatsache beigetragen, daß die Farben die gleichen wie die des Reichsbanners im Heiligen Römischen Reich waren.
Diese Farbzusammenstellung wird auch durch einen (historisch verbürgten) Ausspruch aus den Befreiungskriegen bestätigt:
"Aus der Schwärze (schwarz) der Knechtschaft durch blutige (rot) Schlachten ans goldene (gold) Licht der Freiheit."
Am 17. Juni 1813 geriet die Truppe der "Schwarzen Jäger" bei Kitzen (nahe Leipzig) in einen Hinterhalt der Franzosen und wurde fast völlig aufgerieben. Am 12. Juni 1815 gründeten sieben Studenten, die im Lützowschen Freikorps gedient hatten und nun bei verschiedenen Corps des Senioren-Convents zu Jena aktiv waren, mit anderen national und republikanisch gesinnten Studenten die Urburschenschaft. Sie wählten die Farben "Schwarz-Rot-Gold".
Am vierten Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, am 18. Oktober 1817, zogen etwa 500 Studenten der Urburschenschaft und einige Professoren aus vielen deutschen Staaten unter der Losung "Nur im Ganzen ist Heil" mit der rot-schwarz-roten Fahne (golden waren lediglich die Fransen und ein Eichenzweig im schwarzen Streifen) auf die Wartburg bei Eisenach (Wartburgfest), um für Freiheit und ein einheitliches Reich zu demonstrieren.
Vom 27. bis zum 30. Mai 1832 demonstrierten 30.000 Teilnehmer auf dem Hambacher Fest für nationale und demokratische Ziele und führten erstmals eine schwarz-rot-goldene Fahne mit sich. Die Inschrift im mittleren roten Teil "Deutschlands Wiedergeburt" machte das Ziel der Beteiligten deutlich, die Errichtung eines deutschen Nationalstaates.
Die Farben Schwarz, Rot und Gold haben sich erst während der Periode des Deutschen Bundes (1815–1866) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als deutsche Nationalfarben durchgesetzt und etabliert. Am 9. März 1848 nahm der Bundestag des Deutschen Bundes diese Farben offiziell an und legte die Flagge mit den waagerechten Farben Schwarz-Rot-Gold fest.
Revolutionäre von 1848/49, die nicht eine deutsche Einheit als Monarchie, sondern als Republik haben wollten, wählten für sich auch eine senkrecht gestreifte schwarz-rot-goldene Trikolore in Anlehnung an die französische Flagge. Sie bezeichneten die Flagge als "Dreifarb", die deutsche Übersetzung des französischen Begriffs "Trikolore",
Im entstehenden Deutschen Reich von 1848/1849 beschloß die Frankfurter Nationalversammlung am 13. November 1848 ein Reichsgesetz betreffend die Einführung einer deutschen Kriegs- und Handelsflagge. Schwarz-Rot-Gold waren daher auch die Farben der Reichsflotte. Da die Farben so weit verbreitet waren und selbstverständlich schienen, wurden sie nicht ausdrücklich in der Reichsverfassung vom März 1849 genannt. Nach der Niederschlagung der Revolution im Mai/Juni 1849 wurde der Bundesbeschluß vom März 1848 nicht rückgängig gemacht, die Farben aber lange Zeit kaum öffentlich verwendet.
Im Jahr 1863 wehte die Flagge jedoch auf dem Bundespalais in Frankfurt, als der Frankfurter Fürstentag sich versammelte. Während des Deutschen Krieges 1866 kämpften einige deutsche Bundes-Korps unter der schwarz-rot-goldenen Flagge gegen Preußen.
Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck veranlaßte dementsprechend persönlich durch die am 1. Juli 1867 in Kraft getretene Verfassung des Norddeutschen Bundes die Annahme einer neuen Flagge für die Kriegs- und Handelsmarine: einer schwarz-weiß-roten Trikolore. Der Öffentlichkeit wurde erklärt, daß Schwarz-Weiß für die preußischen und Rot-Weiß für die Hansestädte stünden. Die Hanse selber hatte zwar als Städtebund nie eine eigene einheitliche Flagge, allerdings führten die Wappen fast aller Mitgliedsstädte die Farben Weiß und Rot.
Diese Farbgebung paßte mit den Farben des Königs von Preußen, Wilhelm I., insofern zusammen, als Schwarz-Weiß die Farben Preußens und Rot-Weiß die der Mark Brandenburg waren. Außer bei Wilhelm selbst, der die Kaiserwürde 1871 nur widerwillig übernahm und sich in erster Linie als Preuße verstand, gab es gegen die schwarz-weiß-rote Trikolore kaum Widerstand - auch den Anhängern der großdeutschen Farben Schwarz-Rot-Gold war der erste Schritt einer Vereinigung der deutschen Staaten wichtiger als die Farben der Flagge. Die bei der Reichsgründung 1871 als Reichsfarben übernommenen norddeutschen Bundesfarben wurden schließlich 1892 unter Kaiser Wilhelm II. zur schwarz-weiß-roten Nationalflagge des Deutschen Reiches und entwickelten sich zu einem in ganz Deutschland breit anerkannten patriotischen Symbol des Kaiserreichs.
Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde diese Flagge, die für das in der Novemberrevolution zusammengebrochene monarchische, militaristische und autoritäre System stand, in der Weimarer Republik wieder durch eine Flagge in den Farben Schwarz-Rot-Gold ersetzt (Art. 3 Satz 1 Weimarer Verfassung).
Die Einführung der schwarz-rot-goldenen Flagge war von einem Flaggenstreit begleitet, der noch bis weit in die 1920er Jahre hinein andauerte und die Lager der Anhänger der parlamentarischen Republik von ihren rechtsgerichteten Gegnern trennte, während die extreme Linke und die USPD die rote Revolutionsfahne bevorzugten.
Die entscheidende Abstimmung über die Wahl der Nationalfarben fand am 3. Juli 1919 in der Weimarer Nationalversammlung statt. Dort ergab sich eine Stimmenmehrheit von 211 Stimmen für Schwarz-Rot-Gold bei 90 Gegenstimmen. Bei der Handelsflagge wurde ein Kompromiß geschlossen, indem einem schwarz-weiß-roten Grundtuch eine Gösch in den Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold beigegeben wurde (Art. 3 Satz 2 Weimarer Verfassung). Ein ähnlicher Kompromiß setzte sich im November 1920 auch für die noch stärker umstrittene, da für das Militär höchst symbolträchtige Reichskriegsflagge durch. In der Ersten Flaggenverordnung vom 31. Juli 1921 wurden weitere Flaggen festgelegt, wobei fünf schwarz-rot-goldene und fünf schwarz-weiß-rote Grundtücher besaßen. Diese komplizierte Regelung gefiel jedoch niemandem, jedes Lager betrachtete seine Farben als die wahren Farben Deutschlands.
Monarchisten und Gegenrevolutionäre betrachteten den Wechsel der Nationalfarben als Sinnbild für die von ihnen als illegitim begriffenen politischen Umwälzungen und verbanden die neuen Farben mit den Demütigungen des Kriegsausgangs. Neben den Militärs favorisierten anfänglich auch viele Nationalliberale eine Wiedereinführung der schwarz-weiß-roten Flagge, darunter im Jahr 1921 auch Gustav Stresemann.
Rechtsradikale Nationalisten und die Nationalsozialisten verspotteten die gültige Flagge als "Schwarz-Rot-Mostrich" (Mostrich = Senf). Schwarz-Rot-Gold wurde in den folgenden Jahren des sehr emotional geführten Flaggenstreits zum wichtigsten Identifikationssymbol der von gemäßigten Kräften gestützten demokratischen Verfassung, während sich die alten kaiserlichen Farben vom ursprünglich rein monarchistischen Symbol immer stärker zum allgemeinen Erkennungszeichen der antirepublikanischen Rechten entwickelten. Dadurch erhielten beide Trikoloren eine politische Bedeutung, die sie vorher in dieser Ausprägung nicht besaßen. Ausdruck dieser Polarisierung waren die Auseinandersetzungen und Straßenkämpfe zwischen den unter unterschiedlichen Bannern antretenden politischen Kampfverbänden wie dem republikanischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, dem Rotfrontkämpferbund der KPD und dem rechtskonservativen Kriegsveteranenverband Stahlhelm, der 1920 Schwarz-Weiß-Rot als seine Bundesfarben angenommen hatte und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in der SA aufging.
Im Jahr 1933 beseitigte das NS-Regime bald alle Spuren der verhaßten republikanischen Nationalfarben "Schwarz-Rot-Gold" aus den nationalen Symbolen und führten die kaiserlichen Nationalfarben "Schwarz-Weiß-Rot" wieder ein.
Mit Erlaß vom 12. März 1933 verfügte Reichspräsident Paul von Hindenburg, daß zwei Flaggen im Deutschen Reich "bis zur endgültigen Regelung der Reichsfarben" gemeinsam zu hissen sind: zum einen die alte Fahne mit den schwarz-weiß-roten Streifen und zusätzlich die Hakenkreuzflagge. Innenminister Wilhelm Frick legte am 29. April 1933 per Erlaß fest, daß auf Handelsschiffen Schwarz-Weiß-Rot am Heck und die Hakenkreuzflagge am Platze der Signalflaggen gezeigt werden muß.
In der Zeit des Nationalsozialismus trat die Hakenkreuzflagge der NSDAP schnell an die Seite der schwarz-weiß-roten Flagge und ersetzte sie schließlich ab dem Jahr 1935 ganz. Durch diesen Prozeß wurde die zunehmende Verschmelzung von Staat und Partei zu einer Diktatur auch symbolisch sichtbar gemacht.
Die schon im Sommer 1920 als Parteifahne der NSDAP eingeführte Hakenkreuzflagge, deren Farbenkombination rot-weiß-schwarz an die kaiserlichen Fahnen erinnert, will Adolf Hitler neben anderen Symbolen der Nationalsozialisten selbst entworfen haben. Er gab in seinem Buch "Mein Kampf" allerdings zu, daß ein Starnberger Zahnarzt - wahrscheinlich Friedrich Krohn - einen sehr ähnlichen Entwurf geschaffen und seinen wohl beeinflußt hatte. Er hatte das Hakenkreuz lediglich mit gebogenen Haken dargestellt.Hitler deutete die Flagge wie folgt:
"Das rote Tuch, die Farbe der eisernen sozialen Gerechtigkeit, das Weiß, unsere heilige nationale Begeisterung, und das Hakenkreuz als Zeichen der Arbeit."
Das Hakenkreuz war etwa seit der Jahrhundertwende ein beliebtes Symbol bei Anhängern der völkischen Bewegung und hatte sich in der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg unter völkisch eingestellten Soldaten, Freikorpskämpfern und Jugendlichen als Zugehörigkeitsemblem etabliert. Zu dieser Zeit wurde es auch vom Nationalsozialismus aufgegriffen. Noch vor Beginn der NS-Zeit war es unter anderem auch in Lettland und Finnland als militärisches Abzeichen in Gebrauch und wurde wahrscheinlich um 1919 von Baltikumer Kämpfern nach Deutschland gebracht, wo es sich bereits als rechtsnationales Freikorps- und Parteiemblem verbreitet hatte.
Etwa ein Jahr nach Hindenburgs Tod wurde im Reichsflaggengesetz vom 15. September 1935 beschlossen, von nun an sei ausschließlich die Hakenkreuzflagge (jetzt mit nach links versetztem Hakenkreuz) als Reichs- und Nationalflagge zu zeigen. Als Reichstagspräsident begründete Hermann Göring die Abschaffung der schwarz-weiß-roten Fahne: Es gelte zu verhindern, daß sie zum "Parteiwimpel" von Reaktionären "herabgewürdigt" werde.
Im Verfassungsentwurf des Runden Tisches für die DDR, der im Frühjahr 1990 der neu gewählten Volkskammer und der Öffentlichkeit übergeben wurde, war ebenfalls eine schwarz-rot-goldene Flagge, in der das DDR-Staatswappen - Ährenkranz mit Hammer und Zirkel - durch das Symbol der unabhängigen Friedensbewegung - "Schwerter zu Pflugscharen" - ersetzt wurde, als DDR-Staatsflagge vorgesehen. Mit der deutschen Wiedervereinigung wurden jedoch die Flaggen der Bundesrepublik auch im Osten gültig.
Während der Umgang der Deutschen mit ihrer Flagge und ihren Nationalfarben nach den Eindrücken des Zweiten Weltkrieges lange Zeit sehr zurückhaltend war, war anläßlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein massenhaftes Auftreten der deutschen Nationalflagge und der deutschen Nationalfarben an Häusern, Autos, Bekleidung, Fan-Artikeln und als Körperbemalung zu beobachten.
Exkurs Nationalhymne: Lied der Deutschen
Während die schwarz-rot-goldene Bundesflagge als nationales Symbol der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 22 des Grundgesetzes festgeschrieben wurde, gab es nach Gründung der Bundesrepublik keine gesetzliche Festlegung einer Nationalhymne.
Nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 7. Mai 1945 verbot der Alliierte Kontrollrat zwar den Gebrauch charakteristischer "nazistischer oder militärischer Grußformen", nicht aber das Lied der Deutschen oder auch nur dessen öffentlichen Gesang.
Nur in der amerikanischen Zone war "das Singen oder Spielen […] irgendwelcher Militär- oder Nazi-Lieder oder […] deutscher National- oder Nazi-Hymnen" untersagt. In der französischen und der britischen Zone gab es überhaupt kein Verbot. Eine Verordnung der britischen Militärregierung vom 15. September 1945 verbot lediglich "das öffentliche Singen oder Spielen militärischer oder Nazi-Lieder oder Melodien". Sämtliche dieser Verbote hob die Alliierte Hohe Kommission im Jahre 1949 nach Gründung der Bundesrepublik auf.
Nach der Verkündung des deutschen Grundgesetzes sangen die Mitglieder des Parlamentarischen Rates Hans Ferdinand Maßmanns Lied "Ich hab mich ergeben" (Gelübde), später wurde zu offiziellen Anlässen die erste Strophe von Schillers Gedicht "An die Freude" in der Vertonung von Ludwig van Beethoven aus dem vierten Satz der 9. Sinfonie als Ersatzhymne verwendet.
Der Vorschlag des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss, als Neuanfang die Hymne an Deutschland (Land des Glaubens, deutsches Land …) zu verwenden, konnte sich nicht durchsetzen.
Der Text des Gedichtes wurde von Rudolf Alexander Schröder im Jahr 1950 verfaßt; die Melodie stammt von Hermann Reutter. Als Komponisten hatte Heuss ursprünglich Carl Orff vorgesehen; dieser verwies Heuss jedoch an Reutter.
Zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentierte Heuss das Lied im Anschluß an seine im Rundfunk übertragene Neujahrsansprache zum Jahreswechsel 1950/51.
Die drei Strophen haben jeweils eine der christlichen Tugenden aus dem Hohen Lied der Liebe im 1. Korintherbrief (1 Kor 13,13 EU) Glaube, Hoffnung, Liebe als Leitwort: "Land des Glaubens, deutsches Land" - "Land der Hoffnung, Heimatland" - "Land der Liebe, Vaterland".
In der ursprünglichen Fassung Schröders begannen die drei Strophen mit "Herz der Treue, Vaterland" - "Herz der Hoffnung, Heimatland" - "Herz der Liebe, deutsches Land".
Heuss bestand jedoch auf den christlichen Werten Glaube, Hoffnung und Liebe aus dem 1. Korintherbrief.
Schröder protestierte gegen diese Verchristlichung seines Textes; Heuss’ Formulierung übernehme "zu willkürlich eine sakral gewordene Formel vom religiösen aufs säkulare Gebiet".
Heuss begründete dagegen in einem Brief an Schröder den von ihm gewünschten Liedanfang Land des Glaubens mit einer "spezifisch-religiöse[n] Mächtigkeit", die im deutschen Wesen vorhanden sei.
Land des Glaubens, deutsches Land,
Land der Väter und der Erben,
Uns im Leben und im Sterben
Haus und Herberg’, Trost und Pfand,
Sei den Toten zum Gedächtnis,
Den Lebend’gen zum Vermächtnis,
Freudig vor der Welt bekannt,
Land des Glaubens, deutsches Land!
Land der Hoffnung, Heimatland,
Ob die Wetter, ob die Wogen
Über dich hinweggezogen,
Ob die Feuer dich verbrannt,
Du hast Hände, die da bauen,
Du hast Herzen, die vertrauen,
Lieb’ und Treue halten stand,
Land der Hoffnung, Heimatland!
Land der Liebe, Vaterland,
Heil’ger Grund, auf den sich gründet,
Was in Lieb’ und Leid verbündet
Herz mit Herzen, Hand mit Hand.
Frei, wie wir dir angehören
Und uns dir zu eigen schwören,
Schling’ um uns dein Friedensband,
Land der Liebe, Vaterland!
In einer frühen repräsentativen Umfrage der Wiesbadener Forschungsstelle für Volkspsychologie sprachen sich nur 16 Prozent für, jedoch 43 Prozent gegen "Theos kleine Nachtmusik" (oder auch "Theos Nachtlied") aus, wie die Schröder-Reutter-Heuss-Hymne bald spöttisch genannt wurde. 41 Prozent war diese Frage gleichgültig.
Auch Politiker lehnten den Vorschlag des Bundespräsidenten ab. Die Kultusminister der Länder weigerten sich, den Hymnenvorschlag an den Schulen lehren zu lassen. Der SPD-Chef Kurt Schumacher schmähte die "Hymne an Deutschland" als "schwäbisch-protestantischen Nationalchoral", wie Heuss bitter vermerkte. Bundeskanzler Konrad Adenauer distanzierte sich indirekt, indem er sich wiederholt für die dritte Strophe des "Deutschlandliedes" aussprach.
"Einigermaßen betroffen" lenkte Heuss ein: "Es darf nicht der Zustand eintreten, daß die einen meinen, wenn man das singt, macht man dem Heuss, wenn man das andere singt, macht man dem Adenauer eine Freude."
Für das diplomatische Protokoll wurde aber eine offizielle Hymne benötigt. Adenauer empfand es als peinlich, daß zum Beispiel bei einem deutsch-belgischen Fußballspiel in Köln nach der belgischen Hymne der Karnevalsschlager "Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" gespielt wurde; er selbst wurde noch im Jahr 1953 bei seinem ersten Staatsbesuch in Chicago mit "Heidewitzka, Herr Kapitän" empfangen, das ebenfalls von dem Krätzchensänger Karl Berbuer stammte und obgleich zu diesem Zeitpunkt das Lied der Deutschen bereits wieder zur Nationalhymne erklärt worden war.
Am 18. April 1950 forderte Adenauer bei seinem ersten Besuch als Kanzler in Berlin seine Zuhörer im Titania-Palast dazu auf, die dritte Strophe des Deutschlandliedes zu singen. Sicherheitshalber hatte er vorher auf die Sitzreihen Textblätter legen lassen.
Einigkeit und Recht und Freiheit
für das deutsche Vaterland!
Danach laßt uns alle streben
brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
sind des Glückes Unterpfand:
Blüh im Glanze dieses Glückes,
blühe, deutsches Vaterland!
Damit löste Adenauer einen Eklat aus; denn während sich das Auditorium zum Gesang von seinen Plätzen erhob, blieben die drei anwesenden Stadtkommandanten ostentativ sitzen. Die meisten der anwesenden SPD-Politiker reagierten empört und verließen die Veranstaltung. Eine Ausnahme war der damalige Oberbürgermeister von West-Berlin Ernst Reuter.
Einige SPD-Politiker sprachen darauf von einem "Handstreich", während Kurt Schumacher sich positiv zum Deutschlandlied als Hymne äußerte. Das Echo im Ausland war ausgesprochen negativ: Das Londoner Foreign Office und das französische Außenministerium sprachen von Takt- und Geschmacklosigkeit. Eine französische Zeitung wertete den Gesang als Indiz für das "Fortbestehen einer nationalistischen Gesinnung". Adenauer rechtfertigte sich später gegenüber den Hohen Kommissaren mit der Behauptung, daß das Singen der dritten Strophe ja "unter den Nazis verboten war".
Bundespräsident Heuss gab, nachdem er auch die Unterstützung von Adenauer und der CDU/CSU verloren hatte, Anfang 1952 auf und folgte schließlich dem Drängen des Bundeskabinetts, die dritte Strophe des Deutschlandliedes zur Nationalhymne zu machen. Eine "feierliche Proklamation" lehnte er jedoch ab.
Er machte stattdessen einen Formulierungsvorschlag für einen Brief Adenauers an ihn und für seine Antwort darauf. Danach sollte der Bundeskanzler das "Ersuchen der Bundesregierung, die dritte Strophe des Hoffmann-Haydn’schen Liedes als Nationalhymne anzuerkennen", an Heuss richten. In seiner Antwort gestand Heuss ein, "den Traditionalismus und sein Beharrungsbedürfnis unterschätzt" zu haben, und fuhr fort: "Wenn ich also der Bitte der Bundesregierung nachkomme, so geschieht das in der Anerkennung des Tatbestandes".
Der Entwurf wurde seitens der deutschen Bundesregierung dahingehend geändert, daß Adenauer die "Bitte der Bundesregierung, das Hoffmann-Haydn’sche Lied als Nationalhymne anzuerkennen" äußerte und hinzufügte: "Bei staatlichen Veranstaltungen soll die dritte Strophe gesungen werden". Diese Abweichung von seinem Vorschlag nahm Heuss hin, und so wurden die beiden Briefe, datiert auf den 29. April 1952 und den 2. Mai 1952, am 6. Mai 1952 im Bulletin des Bundespresseamtes veröffentlicht.
Damit wurde das Lied der Deutschen mit Hervorhebung der dritten Strophe die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland.
Mit seiner widerstrebenden Zustimmung machte Bundespräsident Heuss als Träger der Ehrenhoheit des Bundes von seiner Befugnis Gebrauch, Staatssymbole - dazu zählt auch die Nationalhymne - zu bestimmen, soweit dem verfassungsrechtliche (Art. 22 GG) oder gesetzliche Bestimmungen nicht entgegenstehen. Dies ist ein ungeschriebenes Recht, das dem Amt des Staatsoberhauptes innewohnt.
Die Wahl der dritten Strophe zeigte in der Praxis, in der meist nur Musik per Kapelle oder Tonträger gespielt wurde, zunächst kaum Auswirkungen. Die Annahme der Hymne in der Öffentlichkeit zeigte sich eher bei Sportveranstaltungen durch den Grad der Beteiligung des Publikums per Mitsingen.
Bei der Siegerehrung nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 wurde im Wankdorf-Stadion vernehmlich der noch allen gewärtige Text der ersten Strophe angestimmt.
Vor allem ab den 1980er Jahren wurde die Hymne bei offiziellen Anlässen meist nur instrumental gespielt, da aufgrund der größtenteils akzeptierten Teilung Deutschlands der Text als politisch unpassend empfunden wurde.
Dies änderte sich in der Wendezeit. Laut Helmut Berschin hatte die Hymne ihre "historische Stunde" am 9. November 1989, als nach Bekanntwerden der Maueröffnung die an einer regulären Sitzung teilnehmenden Abgeordneten des Bundestages sich alle erhoben und spontan die dritte Strophe des Deutschlandliedes sangen.
Mit Beschluß vom 7. März 1990 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, daß dem Briefwechsel zwischen Adenauer und Heuss nicht ausdrücklich zu entnehmen ist, daß das Lied der Deutschen nur mit seiner dritten Strophe zur Hymne erklärt werden sollte.
Eindeutig, so das Bundesverfassungsgericht weiter, ist jedoch darin festgelegt worden, daß bei staatlichen Veranstaltungen die dritte Strophe gesungen werden solle, und dies entsprach bereits zum Zeitpunkt des Beschlusses einer jahrzehntelangen allgemeinen Praxis.
Jedenfalls im strafrechtlichen Sinne - für den Adressaten des § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB (Verunglimpfung der Hymne der Bundesrepublik Deutschland) - geht der erkennbare Wortsinn des Begriffs "Hymne der Bundesrepublik Deutschland" daher nicht über die dritte Strophe des Deutschlandliedes hinaus (BVerfGE 81, 298 ff.).
Der Bundesminister der Justiz, Hans A. Engelhard (FDP), hatte namens der Bundesregierung in diesem Verfahren erklärt, daß das gesamte, aus drei Strophen bestehende Deutschlandlied die Nationalhymne bilde und die Einschränkung, bei offiziellen Anlässen nur die dritte Strophe zu singen, davon zu unterscheiden sei. Diese Ansicht bestätigte das Bundesverfassungsgericht nicht.
Nach der deutschen Wiedervereinigung erklärte Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einem Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl am 19. August 1991 ausschließlich die dritte Strophe des Deutschlandliedes zur offiziellen Nationalhymne; Kohl stimmte dem in seinem Antwortschreiben vom 23. August zu. Der Briefwechsel wurde im Bulletin der Bundesregierung vom 27. August 1991 veröffentlicht und als Bekanntmachung vom 19. November 1991 noch einmal im Bundesgesetzblatt (BGBl. I S. 2135).
"Die 3. Strophe des Liedes der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben mit der Melodie von Joseph Haydn ist die Nationalhymne für das deutsche Volk."
(Aus dem Brief von Bundespräsident Richard von Weizsäcker an Bundeskanzler Helmut Kohl vom 19. August 1991)
"Der Wille der Deutschen zur Einheit in freier Selbstbestimmung ist die zentrale Aussage der 3. Strophe des Deutschlandlieds. Deshalb stimme ich Ihnen namens der Bundesregierung zu, daß sie Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland ist."
(Aus dem Antwortschreiben des Bundeskanzlers Helmut Kohl an den Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom 23. August 1991)
Das öffentliche Singen der ersten Strophe kann zu negativen Reaktionen in der Gesellschaft führen, da sie fälschlich teilweise nicht, wie von Hoffmann von Fallersleben, im Sinne des Gesamtdeutschen über den Einzelstaaten interpretiert wird, sondern im Sinne Deutschlands über den anderen Nationen.
Im am 18. Januar 1871 gegründeten deutschen Kaiserreich gab es keine offizielle Nationalhymne. Bei wichtigen Anlässen wurde oft "Heil dir im Siegerkranz" gespielt.
Mit der Revolution von 1918 verlor die Kaiserhymne ihre Bedeutung. Die Suche nach einer neuen Hymne für die Weimarer Republik ging schleppend voran. Vorstöße etwa des Präsidenten der Nationalversammlung, Constantin Fehrenbach (Zentrum), des Reichswehrministers Otto Geßler (DDP) und des Reichsinnenministers Erich Koch (DDP) blieben ungehört. Erst auf eine Anfrage der britischen Botschaft hin, die auf Geheiß ihres Außenministers Lord George Curzon tätig geworden war, kam im Sommer 1920 Bewegung in die Hymnenangelegenheit.
Es dauerte aber noch gut zwei Jahre bis zur amtlichen Proklamation der neuen Hymne. Dies lag zum einen an verschiedenen diplomatischen Verwicklungen, die ein Abwarten angezeigt erscheinen ließen, zum anderen daran, daß vor allem in der Mehrheitssozialdemokratischen Partei Vorbehalte gegen das favorisierte Deutschlandlied bestanden. Der Mord an Walther Rathenau (DDP) veranlaßte Reichsinnenminister Adolf Köster (SPD) auf Anraten von Arnold Brecht, für eine rasche Lösung der Hymnenfrage zu sorgen. Die Verantwortlichen hofften darauf, die gemäßigte Rechte so an die Republik zu binden.
Am 10. August 1922, dem Vorabend des Verfassungstages, erklärte Reichspräsident Friedrich Ebert das Lied der Deutschen mit allen drei Strophen zur Nationalhymne des Deutschen Reiches. Am 17. August 1922 wies Ebert die Reichswehr an, das Deutschlandlied "als Nationalhymne zu führen". Eine allgemeinverbindliche Verordnung zur Proklamation der Nationalhymne erließ der Reichspräsident dagegen nicht. Vielmehr vermittelte die nunmehr offizielle Anerkennung dem Deutschlandlied endgültig gewohnheitsrechtliche Geltung.
Dies alles geschah nach Abschluß der Pariser Vorortverträge, die von Deutschland und Deutschösterreich die Abtretung von in der ersten Strophe genannten Randgebieten verlangten und die Vereinigung der beiden deutschsprachigen Länder verboten.
Daher wurde die Hymne, in erster Linie von Anhängern des rechten politischen Spektrums, auch als Erinnerung an die abgetretenen Gebiete sowie an eine verwehrte Einigkeit im Sinne von Einheit interpretiert.
Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze
Brüderlich zusammenhält,
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt –
Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt!
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang,
Uns zu edler Tat begeistern
Unser ganzes Leben lang –
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Für das deutsche Vaterland!
Danach laßt uns alle streben
Brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand –
Blüh im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurden die zweite und die dritte Strophe des Liedes der Deutschen nicht mehr bei öffentlichen Anlässen gesungen. Wenn die Nationalhymne gespielt und gesungen wurde, folgte in der Regel das Horst-Wessel-Lied, die Parteihymne der Nationalsozialisten; 1940 wurde dies Vorschrift. Das Ziel war die Symbolisierung der Einheit zwischen NSDAP und Staat.
Mit dem Beibehalten wenigstens eines Teiles des Liedes der Deutschen knüpften die Nationalsozialisten aber nicht etwa an die Tradition der Weimarer Republik an: Vielmehr ging ihre Begeisterung für das Lied auf den Mythos von Langemarck zurück, nach dem deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg "Deutschland, Deutschland über alles" singend in die Schlacht gezogen sind.
Die Reihen fest geschlossen!
SA marschiert
Mit ruhig festem Schritt
Kam’raden, die Rotfront und Reaktion erschossen,
Marschier’n im Geist
In unser’n Reihen mit.
Die Straße frei
Den braunen Bataillonen
Die Straße frei
Dem Sturmabteilungsmann!
Es schau’n aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen
Der Tag für Freiheit
Und für Brot bricht an.
Zum letzten Mal
Wird Sturmalarm geblasen!
Zum Kampfe steh’n
Wir alle schon bereit!
Schon bald flattern Hitlerfahnen über allen Straßen
Die Knechtschaft dauert
Nur noch kurze Zeit!
In der DDR wurde bereits am 5. November 1949 das von Johannes R. Becher gedichtete und von Hanns Eisler vertonte "Auferstanden aus Ruinen" (die sogenannte "Becher-Hymne") zur Nationalhymne bestimmt. Es folgt in den ersten acht der neun Zeilen einer Strophe dem Versmaß der Kaiserhymne. Die Texte beider deutschen Hymnen harmonieren also teilweise mit der Melodie der anderen Hymne, können aber wegen des abweichenden Schlusses nicht wechselseitig gesungen werden.
und der Zukunft zugewandt,
laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
und wir zwingen sie vereint,
denn es muß uns doch gelingen,
daß die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.
Glück und Friede sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
schlagen wir des Volkes Feind.
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
daß nie eine Mutter mehr
ihren Sohn beweint.
Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
lernt und schafft wie nie zuvor,
und der eignen Kraft vertrauend,
steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
unsres Volks in dir vereint,
wirst du Deutschlands neues Leben.
Und die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.
Bechers Text wurde ab etwa 1970 auf Weisung der SED nicht mehr gesungen; denn die DDR hatte mittlerweile die deutsche Einheit aufgegeben. Die Zeile "Deutschland, einig Vaterland" paßte nicht mehr zur neuen Richtlinie, die DDR als eigenständige "sozialistische Nation" aufzufassen.
Im autonomen Saarland wurde im Jahr 1950 anläßlich des ersten Spiels der saarländischen Fußballnationalmannschaft mit dem Saarlandlied (auch Saarlied) eine eigene Nationalhymne eingeführt. Das Lied blieb dort auch im späteren Saarland als Bundesland Deutschlands (seit 1957) in Verwendung.
Im Vereinigungsprozeß setzten sich einige Bürgerinitiativen und verschiedene Medien erfolglos für die Kinderhymne Bertolt Brechts als neue deutsche Nationalhymne ein.
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.
Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reiche
Uns wie andern Völkern hin.
Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's
Und das Liebste mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.
Während der Verhandlungen zum Einigungsvertrag im Jahr 1990 schlug Lothar de Maizière, Ministerpräsident der DDR, vor, die dritte Strophe des Deutschlandliedes mit dem Becher-Text "Auferstanden aus Ruinen" zu verbinden.
Als staatliches Symbol und Verfassungswert ist die dritte Strophe des Deutschlandliedes als Nationalhymne gemäß § 90a StGB gegen Verunglimpfung geschützt. Der strafrechtliche Schutz ist aber dadurch eingeschränkt, daß Autoren von Nachdichtungen sowie Parodien der Nationalhymne sich ihrerseits im Einzelfall auf die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz berufen können.
Der Text wurde von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben am 26. August 1841 verfaßt. Es entstand auf einer Reise Hoffmanns auf die Insel Helgoland, damals britische Kronkolonie.
Der konkrete Anlaß für Hoffmann, das Lied zu verfassen, waren französische Gebietsansprüche auf das Rheinland in der Rheinkrise. Diese Ansprüche wies er mit dem Lied zurück. Er ergänzte dies mit weiteren Gedanken, vor allem mit dem der deutschen Einigkeit, die allein die Voraussetzung für Abwehr feindlicher Angriffe jeder Größenordnung bieten könne.
Im Sommer des Jahres 1840 erlitt Frankreich eine außenpolitische Niederlage in der Orientkrise gegen eine Koalition aus Großbritannien, Rußland, Österreich und Preußen. Die französische Öffentlichkeit fühlte sich gedemütigt; es war von einem "diplomatischen Waterloo" die Rede. Die Regierung unter Adolphe Thiers lenkte die wachsende nationale Empörung gegen die Verträge des Wiener Kongresses von 1815 und gegen die benachbarten deutschen Staaten: Anstelle von Eroberungen im Orient wurde nun der Rhein als "natürliche Grenze" Frankreichs das Ziel.
Frankreich hatte in den Revolutionskriegen das gesamte Gebiet links des Rheins eingenommen und dort vier Départements errichtet (Linkes Rheinufer); der Wiener Kongreß hatte jedoch 1814 die vorrevolutionäre Grenze wiederhergestellt, so daß der Rhein nur noch im - bereits seit dem 17. Jahrhundert französischen - Elsaß die deutsch-französische Grenze bildete, während die weiter nördlich gelegenen linksrheinischen Gebiete nicht zu Frankreich gehörten.
Nun forderte Thiers die gesamten linksrheinischen Gebiete. Man drohte dem Deutschen Bund offiziell und in der Presse monatelang mit Krieg und rüstete militärisch und moralisch auf. Französische Geistesgrößen wie etwa Edgar Quinet und Victor Hugo schlossen sich der Forderung nach der Rheingrenze an. Diese Rheinkrise sorgte für ein Aufleben der deutschen nationalen Bewegung, die zur Verteidigung beider Rheinufer aufrief. In Anlehnung an das Rheinlied von Nikolaus Becker entstanden weitere sogenannte Rheinlieder, wie "Die Wacht am Rhein" von Max Schneckenburger oder Ernst Moritz Arndts Kriegslied gegen die Wälschen.
In diesem Zusammenhang entstand auch das Lied der Deutschen. Anders als in den Rheinliedern wird im Lied der Deutschen jedoch weder Frankreich noch der Rhein genannt; Hoffmann zählt aber vier andere Gewässer auf, die den damaligen deutschen Sprachraum umreißen.
Der Dichter schuf sein Werk ausdrücklich zur Melodie des Liedes "Gott erhalte Franz, den Kaiser". In den ersten Jahrzehnten nach 1841 entstanden noch 58 weitere Vertonungen des Textes.
Joseph Haydn komponierte die Melodie (Hob XXVIa:43) in seinem Wohnhaus "Zu den sieben Schwaben" am heutigen Neuen Markt im 1. Wiener Gemeindebezirk auf Vorschlag von Franz Josef Graf Saurau in der Zeit zwischen Oktober 1796 und Januar 1797 auf einen Text von Lorenz Leopold Haschka für Franz II. als Kaiserhymne des Heiligen Römischen Reiches.
Es scheint, daß Haydn sich hierbei von einem kroatischen Volkslied inspirieren ließ, mit dessen ersten drei Takten die Hymne beginnt und das er aus seiner Kindheit oder von der Feldarbeit als Erwachsener gekannt haben dürfte und in burgenlandkroatischen Gebieten in verschiedenen Textfassungen unter dem Titel "Stal se jesem" ("Ich bin aufgestanden") gesungen wurde.
Erstmals aufgeführt wurde die Kaiserhymne am 12. Februar 1797 im Wiener Burgtheater anläßlich des 29. Geburtstags Franz’ II.
Nachdem dieser als Kaiser von Österreich (Franz I.) im Jahr 1804 das Kaisertum Österreich gegründet hatte und die römisch-deutsche Kaiserwürde im Jahr 1806 im Zuge der napoleonischen Kriege aufgeben mußte, war sie bis ins Jahr 1918 die Melodie der österreichischen Kaiserhymne, deren Text jeweils an den herrschenden Kaiser angepaßt wurde.
Am 5. Oktober 1841 wurde dem liberalen badischen Politiker Karl Theodor Welcker, der in Streit’s Hotel am Jungfernstieg in Hamburg wohnte, "ein Ständchen gebracht". Im Beisein Hoffmanns sangen Mitglieder der Hamburger Liedertafel und der Hamburger Turnerschaft von 1816 "bei Fackelschein und mit Hornmusik" des Hamburger Bürgermilitärs vor dem Hotel erstmals öffentlich "Deutschland, Deutschland über alles".
Im Jahr 1921 schrieb Albert Matthäi als Reaktion auf den verlorenen Weltkrieg und den Versailler Vertrag eine Ergänzung, die Aufnahme in das Liederbuch der Deutschen Kriegsmarine von 1927 fand und bis in die 1930er Jahre vor allem in Frontkämpferverbänden wie dem Stahlhelm und unter Deutschnationalen gesungen und von ihnen als "vierte Strophe" bezeichnet wurde. Sie war jedoch nie Bestandteil der Nationalhymne.
Deutschland, Deutschland über alles
Und im Unglück nun erst recht.
Nur im Unglück kann die Liebe
Zeigen ob sie stark und echt.
Und so soll es weiterklingen
Von Geschlechte zu Geschlecht:
Deutschland, Deutschland über alles
Und im Unglück nun erst recht.
Im Zuge der Debatte über Integration von Zugewanderten wurde im Jahr 2006 mit Verweis auf die spanische Version der US-amerikanischen Nationalhymne ins Gespräch gebracht, die Nationalhymne ins Türkische zu übersetzen. Der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele aus dem Bezirk Berlin-Kreuzberg mit hohem türkischstämmigen Einwohneranteil, der in der Debatte öffentlich kritisiert und angefeindet worden war, erklärte, er habe dies, anders als von einigen Medien berichtet, nicht vorgeschlagen, unterstütze es aber. Er wies darauf hin, daß es bereits mehrere Übersetzungen gebe, unter anderem eine bereits im Jahr 2000 vom Referat Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages veröffentlichte sowie eine von der türkischen Redaktion des WDR erstellte Version.
Im März 2018 schlug die Gleichstellungsbeauftragte im Bundesfamilienministerium, Kristin Rose-Möhring, vor, den Text der Nationalhymne geschlechtsneutral umzuformulieren. So sollte Vaterland gegen Heimatland sowie brüderlich gegen couragiert ausgetauscht werden. Als Vorbild dienten die geschlechtsneutralen Anpassungen der österreichischen Bundeshymne im Jahr 2011 und der Nationalhymne Kanadas im Jahr 2018. Die öffentlichen Reaktionen darauf reichten von verhaltener Zustimmung bis hin zu empörter Ablehnung.