Was haben Sie getan? (24.9.2013)
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe ehemalige Parteifreunde, liebe Mit-Liberale und Freunde der Freiheit,
obgleich Sie und andere Repräsentanten und Funktionäre der FDP mich in den vergangenen Jahren sehr enttäuscht und mich dazu gebracht haben, die FDP - meine politische Heimat seit 30 Jahren - zu verlassen, habe ich bei der jüngsten Bundestagswahl meine Zweitstimme der FDP gegeben, um eine rot-(rot-)grüne Bundesregierung zu verhindern.
Und doch bin ich heute froh darüber, daß es diese FDP nicht wieder in den 18. Deutschen Bundestag geschafft hat, und hoffe sehr, daß diese sehr deutliche Zäsur einen tatsächlichen Neubeginn möglich macht und die stärkt, die wissen, was Liberalismus ist und sich für Freiheit und Verantwortung auf allen Politikfeldern und in allen Lebensbereichen einsetzen.
Was haben Sie getan? Sie haben die FDP, die eigentlich die liberale Partei Deutschlands, die Partei des Liberalismus in Deutschland sein sollte, (wieder) zu einer Funktionspartei ("Nur mit uns") degradiert. Das ging vielleicht in den 1950er bis 1970er Jahren, möglicherweise auch noch in den 1980er Jahren, aber spätestens seit 1990 nicht mehr.
Die FDP muß wegen ihrer Weltanschauung, ihres Programms und vor allem ihrer Politik gewählt werden. Das erfordert von ihren Repräsentanten unbedingte Glaubwürdigkeit, uneingeschränkte Vertrauenswürdigkeit, klare und konsequente Botschaften. Offenheit, Transparenz und Fingerspitzengefühl sind gefragt - zum Beispiel beim Thema Spenden, aber nicht nur da ...
Wieso soll man denn eine Partei wählen, deren Ideologie und Programm noch so überzeugend sein können, wenn ihre Vertreter es nicht schaffen, diese Positionen in der Öffentlichkeit deutlich zu machen und auch in einer Koalition durchzusetzen?
Und wenn man Kompromisse machen muß, wie dies in einer Koalition nun einmal notwendig ist, dann muß man auch klar machen, wieso man seine Forderungen nicht umgesetzt hat bzw. nicht umsetzen konnte und was die eigenen Vorstellungen gewesen wären bzw. sind.
Es ist leider kein wirklich neues Thema, daß die FDP ihr liberales Profil z. B. auf Wirtschaftsthemen verkürzt und insbesondere die sozialen Aspekte ausklammert. Das beste und umfangreichste Grundsatzprogramm hilft aber nicht, wenn es nicht auch gelebt wird.
Für mich sind und bleiben Freiheit und damit auch der Liberalismus unteilbar. Ich lehne Bindestrich-Liberalismen ab. Politische und wirtschaftliche Freiheit sind für mich zwei Seiten derselben Medaille.
Wir brauchen endlich eine Partei der Bürgerrechte auf der einen und der Marktwirtschaft auf der anderen Seite. Nur auf diesen beiden Säulen - gleich stark und groß - kann eine liberale Partei stehen.
Ein ganzheitlich verstandener und konsequent angewandter Liberalismus ist immer sozial. Die soziale Gerechtigkeit ist quasi systemimmanent, ohne zu Gleichmacherei zu werden.
Die liberale Forderung nach einer negativen Einkommensteuer, einem Bürgergeld oder einem (bedingungslosen) Grundeinkommen ist daraus entstanden.
Deshalb ist der Sozialstaat für Liberale ein Staat, der nicht selbst für die soziale Sicherheit seiner Bürger bevormundend sorgt, sondern der dafür Sorge trägt, daß jeder in der Lage ist, für seine soziale Sicherheit zu sorgen, und dieser Eigenverantwortung auch nachkommt.
Dies muß immer wieder klar und deutlich gesagt und überzeugend vertreten werden.
Eine liberale Partei ist eben nicht die Partei der Besserverdienenden, der Karrieristen und der Glücksritter, sondern grundsätzlich eine Partei für alle Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung.
Fast alle Politiker - Anhänger und Gegner der Marktwirtschaft - behaupten immer wieder, wir würden in Deutschland in einer sozialen Marktwirtschaft leben. Deshalb muß es doch auch nicht verwundern, wenn nun viele Menschen glauben, dass diese Wirtschaftsordnung für die aktuelle Situation (Banken-, Finanz-, Wirtschafts-, Schulden- und Währungskrise) verantwortlich sei und Wachstum um jeden Preis ablehnen oder ihm zumindest skeptisch gegenüberstehen.
Richtig ist - zumindest nach meiner Überzeugung -, daß wir schon lange nicht mehr in einer (sozialen) Marktwirtschaft leben, wie sie von Adam Smith mit seinem Buch "Der Wohlstand der Nationen" begründet, von Walter Eucken mit seinem Buch "Grundlagen der Nationalökonomie", Wilhelm Röpke mit seinem Buch "Die Lehre von der Wirtschaft" und Milton Friedman mit seinem Buch "Kapitalismus und Freiheit" (z. B. mit dem Thema negative Einkommensteuer/Bürgergeld/bedingungsloses Grundeinkommen) aktualisiert bzw. verfeinert und von Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack versucht wurde, in Deutschland umzusetzen.
Spätestens seit der 1. Großen Koalition von 1966 bis 1969 und der Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) vom 8. Juni 1967 und dann der 1. sozialliberalen Koalition ab 1969 hat sich die Politik mehr oder weniger von der praktischen Umsetzung der sozialen Marktwirtschaft verabschiedet.
Während auf der einen Seite Politiker versuchen, die besseren Unternehmer zu sein, haben sie ihre Aufsichtspflichten sträflich vernachlässigt und vor allem Konzernen freie Hand gelassen, die "Spielregeln" einseitig zu ihren Gunsten zu verändern.
Von Markt, von Leistungswettbewerb, von Chancengleichheit, Transparenz und von Haftung und Verantwortung ("Eigentum verpflichtet") ist doch in vielen Bereichen längst nichts mehr zu sehen.
Deshalb muß eine wirklich und nachhaltig liberale Partei sich dafür einsetzen, die mittlerweile gern als Raubtierkapitalismus oder auch fälschlich als Neoliberalismus bezeichneten Mißstände zu beseitigen und endlich eine (soziale) Marktwirtschaft in Deutschland einzuführen.
Sie muß auch endlich den Mut aufbringen, für eine Krankenversicherung zu werben, die freiheitlich und nachhaltig (generationengerecht) und gleichzeitig sozial und solidarisch ist. Ein erstes Konzept dazu liefere ich Ihnen bei Interesse gern. Sie müßten es aber bereits kennen.
Ich hoffe sehr, daß es bald (wieder) eine liberale Partei in Deutschland gibt. Die Piratenpartei, auf die ich eine gewisse Zeit lang meine Hoffnungen gesetzt hatte, wird es sicher nicht. Ob es die FDP doch noch werden kann, bleibt eine offene Frage.
Mit freundlich-liberalen Grüßen
Ihr Wolfgang Gerstenhöfer