E-Mail an Christian Lindner vom 19.2.2020
Von: Wolfgang Gerstenhöfer [mailto:wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de]
Gesendet: Mittwoch, 19. Februar 2020 10:15
An: 'christian.lindner@bundestag.de'
Betreff: AW: "Freie Demokraten sind eine Partei der politischen Mitte" ???
Sehr geehrter Herr Lindner,
Ihre folgende E-Mail als Antwort auf eine Frage nach dem angekündigten Rücktritt von Herrn Kemmerich wurde an mich weiter geleitet. Gern nehme ich dazu Stellung.
Wer soll Ihnen das noch glauben, was Sie schreiben und sagen? Sie sind seit dem Jahr 1994 aktiv im Politikbetrieb, seit 26 Jahren.
Auch wenn Sie mal den Spitznamen Bambi bekommen haben, dürften Sie wissen, daß Sie keinen "Welpenschutz" mehr für sich in Anspruch nehmen können.
Wollen Sie sich wirklich dümmer darstellen, als Sie es sind? Das steht Ihnen gar nicht gut zu Gesicht.
Das gilt übrigens auch für Ihren Parteifreund, für Ihren Freund Herrn Thomas L. Kemmerich, auch wenn dieser noch nicht ganz so lange, seit dem Jahr 2006 politisch aktiv ist. Ist er nicht Unternehmensberater?
Sie behaupten nun im Nachhinein, daß die Kandidatur des Freien Demokraten Kemmerich ein politisches Signal sein sollte. Ein Signal gegen die Ränder. Eine Kandidatur gegen AfD und gegen die Linkspartei.
Man kandidiert nicht primär gegen jemanden, sondern um etwas. Manche Kandidaturen gehen gut aus, und manchmal wird man gewählt. Wer kandidiert, will auch gewählt werden. Das ist so. Alles andere ergibt keinen Sinn, ist unglaubwürdig.
Dafür spricht auch, daß Ihr Freund die Wahl, ohne zu zögern, angenommen, erst rund 72 Stunden danach - nach dem lauten Aufschrei der Zivilgesellschaft - seinen Rücktritt erklärt hat und trotz allem immer noch im Amt ist.
"... Ich habe mir nicht vorstellen können, dass die AfD einen Kandidaten nur zum Schein aufstellt, um unser demokratisches System zu verhöhnen und zu chaotisieren. Das ist eine neue Qualität des destruktiven Potenzials dieser Partei ... Das destruktive Verhalten der AfD ist ein taktischer Angriff auf die politische Kultur und alle Parteien des demokratischen Zentrums unseres Landes ..."
Wie lange sind Sie in der Politik? 26 Jahre! Wie lange gibt es die AfD? 7 Jahre!
Die AfD kennen wir, das Verhalten der Freien Demokraten wird nicht dadurch besser, daß Sie versuchen, den schwarzen Peter wegzuschieben. Sie haben ihn, und Sie behalten ihn auch. Die AfD hatte meines Wissens bei allen drei Wahlgängen einen Kandidaten. Im dritten Wahlgang schicken Sie Ihren Mann ins Rennen. Die AfD nutzt diese Gelegenheit, um zum "Königsmacher" zu werden, um eine Dankbarkeit und damit eine Abhängigkeit zu schaffen.
Herr Kemmerich wollte unbedingt die Chance nutzen, Ministerpräsident zu werden, und hatte dann nicht die Selbstdisziplin, als er sah, wem er den Wahlerfolg zu verdanken hat, die Annahme der Wahl abzulehnen. Die andere Variante wäre, daß es doch geheime Absprachen mit Herrn Höcke gegeben hat, und man es einfach darauf ankommen lassen wollte - ganz in der erprobten AfD-Manier. Das möchte ich aber gar nicht glauben.
Besser wird es aber dadurch nicht. Leider.
Ist es nicht so, daß Her Kemmerich an der Gründung eines liberal-konservativen Kreises mit Torsten Herbst beteiligt war? Haben Sie das nicht in Ihrer diesjährigen Dreikönigsrede selbst gesagt?
Sie schreiben, daß Herr Kemmerich auf alle Bezüge verzichtet habe. War es aber nicht so, daß er diese zunächst an den Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. (VOS) spenden wollte?
Das habe ich über diesen Verein gefunden:
"Der Verein VOS hat nicht wenige Verbindungen zur AfD und zur neurechten Szene. So kandidierte deren Vorsitzender Matthias Katze noch im Mai 2019 für die Thüringer AfD für den Erfurter Stadtrat. Katze trat zwar kurz darauf aus Protest wieder aus der AfD aus, weil diese die friedliche Revolution von 1989 “missbrauchen”, er war allerdings auch erst 2018 beigetreten – als Faschist Höcke schon jahrelang Vorsitzender der AfD Thüringen war. Auch nahm Katze und der Verein offiziell eine Einladung der AfD in den Thüringer Landtag an.
Doch auch zuvor fiel der Verein wegen extremer muslimfeindlicher und antisemitischer Äußerungen auf. Im November 2006 legte der damalige Bundesvorsitzende Stichler sein Amt nieder, nachdem er Juden und Muslime als “Besatzungsmächte” bezeichnet hatte. 2015 trat ein anderer Bundesvorsitzender zurück, der erklärte: “Moslems lügen”, “Islam heißt Unterwerfung” und “der Gott der Mohammedaner ist der Teufel”. Er hatte ebenfalls neurechten Publikationen Interviews gegeben. Auch Vera Lengsfeld wurde 2012 zur Landesvorsitzenden des Vereins gewählt.
Lengsfeld ist eine rechtspopulistische Publizistin, die in verschiedenen neurechten Blogs und Zeitungen veröffentlicht, mit Beatrix von Storch bis 2015 gemeinsam im Vorstand einer selbsterklärt rechten Gruppierung war, mit der damaligen AfD-Vorsitzenden Petry und auch mit Thilo Sarrazin und Jörg Meuthen gemeinsam auftrat. Unter Pseudonym veröffentlichte sie auch für eine AfD-nahe Propagandazeitung, die im Verdacht steht illegale Parteienförderung für die AfD zu sei."
Was sagen Sie dazu? Alles falsch? Was soll man davon halten?
Glauben können Ihnen nur noch diejenigen, die Ihnen unbedingt glauben wollen. Wird die "neue" FDP unter Ihrer Führung zu einer Sekte und Sie zu ihrem "Guru"?
"... In meiner ersten Reaktion am Mittwoch habe ich mein Amt als Parteivorsitzender daran gebunden, dass die FDP auf keiner Ebene mit der AfD kooperiert. ... Dass mir der FDP-Bundesvorstand am Freitag mit einem sehr starken Ergebnis das Vertrauen ausgesprochen hat, bestärkt mich in unserem gemeinsamen Wertekonsens. ..."
Sie fischen seit fünf Jahren mit ein- und vor allem zweideutigen Aussagen und Schwerpunktsetzungen am rechten Rand, werben für die einstmals liberale FDP neue Mitglieder aus dem Vor- und Umfeld der Parteien "Liberal-Konservative Reformer" und "Alternative für Deutschland" und versuchen mit Erfolg einen Ihrer Gefolgsleute, zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen wählen zu lassen, dank der Stimmen der AfD, des sogenannten Flügels, von Faschisten.
Keine Kooperation mit der AfD? Gemeinsamer Wertekonsens?
"... Wir Freie Demokraten haben mit der AfD nichts gemein. Die AfD ist eine Partei, die völkisches Gedankengut pflegt, während wir eine liberale, eine an das Individuum glaubende Partei sind. Die AfD setzt auf Abschottung, wo wir für Weltoffenheit plädieren. ..."
Das können Sie noch so oft schreiben und sagen. Es wird durch Wiederholung nicht glaubhafter. Die Botschaften, die Sie senden, haben andere Inhalte.
Eine Bitte um Entschuldigung genügt nicht. Was soll man entschuldigen? Soll man Sie und Ihre Mitstreiter dafür von Schuld freisprechen, daß Sie die Reaktion der Öffentlichkeit und auch eines Teils Ihrer eigenen Mitglieder falsch eingeschätzt haben, daß nicht jeder Parteifreund Ihr Freund und Gefolgsmann ist?
Sie haben aus der Partei der Liberalen, die Partei der Freien Demokraten und inzwischen eine "AfD light" gemacht.
Es war im Jahr 1976 nach der sogenannten "Naumann-Affäre" und den Entwicklungen ab dem Jahr 1956 und vor allem seit dem Jahr 1969 eine sehr bewußte Entscheidung, den Zusatz "Die Liberalen" einzuführen und aus den Freidemokraten Liberale zu machen, und so war es auch zu Beginn des Jahres 2015 ein klares und deutliches Signal, öffentlichkeitswirksam den Zusatz "Die Liberalen" abzuschaffen und durch den Ausdruck Freie Demokraten zu ersetzen.
Trotzdem gab und gibt es noch einige Liberale in "meiner" FDP, auch wenn Sie es gemeinsam mit Herrn Kemmerich mit Ihrer Aktion in Erfurt geschafft haben, weitere Liberale aus der Partei zu treiben.
Beenden Sie endlich Ihr Projekt "AfD light", treten Sie von Ihren Ämtern zurück und machen Sie Platz für einen Liberalen, der aus der FDP á la Lindner endlich (wieder) eine ganzheitliche liberale Partei macht - freiheitlich und gleichzeitig sozial.
Sie hatten die Chance nach der Bundestagswahl im Jahr 2013. Sie haben sie nicht nur nicht genutzt, Sie haben sie vertan. Sie haben der FDP ihren Markenkern, ihren genetischen Code genommen. Hören Sie damit auf.
Mit freundlich-liberalen Grüßen
Wolfgang Gerstenhöfer
liberal - freiheitlich und gleichzeitig sozial
Zaunkönigweg 5
50189 Elsdorf/Rheinland
Von: Lindner Christian <christian.lindner@bundestag.de>
Datum: 11. Februar 2020
An:
Betreff: AW:
Sehr geehrte ...,
wir Freie Demokraten sind eine Partei der politischen Mitte. Wir stehen gegen die Ränder. In Thüringen hat Thomas Kemmerich dies durch eine Kandidatur gegen AfD und gegen Linkspartei symbolisch
unterstreichen wollen. Dieses lautere Motiv ist leider in katastrophaler Weise in das Gegenteil verkehrt worden, als er mit Stimmen von CDU und AfD gewählt wurde.
Heute kann man klar sagen: Es war ein Fehler von Thomas Kemmerich, im dritten Wahlgang angetreten zu sein. Und es war insbesondere ein Fehler, das Amt des Ministerpräsidenten unter diesen
Bedingungen angenommen zu haben. Dafür haben wir im Namen der Partei öffentlich um Entschuldigung gebeten.
Landesverband und Landtagsfraktion der FDP in Thüringen handeln in eigener Verantwortung. Aber viele von uns und auch ich selbst unterlagen einer Fehleinschätzung: Ich habe mir nicht vorstellen
können, dass die AfD einen Kandidaten nur zum Schein aufstellt, um unser demokratisches System zu verhöhnen und zu chaotisieren. Das ist eine neue Qualität des destruktiven Potenzials dieser
Partei und eine Herausforderung für alle Demokraten in der Zukunft. Im Wissen um das taktische Verhalten der AfD hätte ich Herrn Kemmerich von seiner nur symbolisch gemeinten Kandidatur
abgeraten.
Wir tragen Verantwortung für die Lage in Thüringen und darüber hinaus für die Debatte in Deutschland. Und wir übernehmen auch die Verantwortung für diese Lage. In meiner ersten Reaktion am
Mittwoch habe ich mein Amt als Parteivorsitzender daran gebunden, dass die FDP auf keiner Ebene mit der AfD kooperiert. Neuwahlen haben wir als erste ins Gespräch gebracht. Am Donnerstag bin ich
nach Erfurt gereist, um mit Herrn Kemmerich und der Fraktion zu beraten. Weniger als einen Tag nach der Wahl hat er seinen Rückzug politisch fixiert und hat auf alle Bezüge verzichtet. Die
Fraktion hat eine Initiative für die Selbstauflösung des Landtags vorgeschlagen. Die Freien Demokraten in Thüringen streben Neuwahlen an, um den Wählerinnen und Wählern wieder das Wort zu
geben.
Die Ereignisse in Thüringen haben unsere Position zu AfD und Linkspartei bestätigt: keine Kooperation mit der AfD, keine Koalition mit der Linkspartei. Dass mir der FDP-Bundesvorstand am Freitag
mit einem sehr starken Ergebnis das Vertrauen ausgesprochen hat, bestärkt mich in unserem gemeinsamen Wertekonsens. Wir haben in den Tagen danach gesehen, dass in anderen Parteien das Verhältnis
zu AfD und Linkspartei neu diskutiert werden muss.
Aus unseren Grundwerten erklärt sich: Wir Freie Demokraten haben mit der AfD nichts gemein. Die AfD ist eine Partei, die völkisches Gedankengut pflegt, während wir eine liberale, eine an das
Individuum glaubende Partei sind. Die AfD setzt auf Abschottung, wo wir für Weltoffenheit plädieren. Wir stehen in scharfem Kontrast zu dieser Partei. Deshalb ist es umso bedauerlicher, dass die
klare Positionierung der FDP durch die Ereignisse der letzten Tage angezweifelt werden konnte. Dass nun in ganz Deutschland Kommunalpolitiker beschimpft, bedroht und teilweise sogar angegriffen
werden und um das Wohl ihrer Kinder fürchten müssen, ist unerträglich. Wer andere Demokraten im Namen der Demokratie angreift, hat nichts verstanden.
Das destruktive Verhalten der AfD ist ein taktischer Angriff auf die politische Kultur und alle Parteien des demokratischen Zentrums unseres Landes. Wir sind alle gemeinsam gefordert, diese
Angriffe der AfD zu bewerten und aufzuarbeiten, unsere Konsequenzen für die Zukunft daraus zu ziehen. Wir Freie Demokraten werden alles daran setzen, das Vertrauen der Menschen in Deutschland
wieder zurück zu gewinnen.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Lindner
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Christian Lindner MdB
Bundesvorsitzender der FDP
Vorsitzender der Fraktion der
Freien Demokraten im Deutschen Bundestag
Deutscher Bundestag
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