Stellungnahme zur Rede von Christian Lindner, die er auf dem Dreikönigstreffen am 6. Januar 2020 gehalten hat
Christian Lindner ist ein guter Rhetoriker. Keine Frage. Das muß ihm der Neid lassen, wie man so schön sagt.
Weiten Teilen seiner Rede kann ich auch inhaltlich zustimmen, auch wenn ich mir - nach wie vor - von ihm bei dem einen oder anderen Thema konkretere Aussagen wünschen würde.
Wie so oft liegt die Tücke im Detail. Man weiß also nicht so wirklich, wie Lindner das eine oder andere meint. Offen bleibt auch, wie glaubwürdig seine Aussagen und er sind.
Sowohl mit Blick auf die Regierungsbeteiligung der FDP zwischen 2009 und 2013 als auch seinem Verhalten bei den Sondierungsgesprächen im Jahr 2017 habe ich mit seiner Glaubwürdigkeit so meine
Probleme.
Auch aus den Bundesländern, in denen die FDP an der Regierung beteiligt ist, kommen mir zu wenige Belege dafür, daß Anspruch und Wirklichkeit übereinstimmen.
Nun zu einzelnen Passagen seiner Rede:
Angela Merkel kann es ihm mal wieder nicht recht machen. Erst
engagiert sie sich zu viel außenpolitisch, aktuell angeblich zu wenig. Es gibt inzwischen gute Alternativen zu persönlichen Gesprächen. Ich denke, daß dies auch Lindner weiß. Fordert er nicht
immer wieder gern ein Digitalministerium?
Wie man es macht, macht man es nun einmal falsch. Würde sie noch öfter nach Washington und in andere Hauptstädte fliegen, würde Lindner dies wahrscheinlich auch zur Kritik nutzen - zu Lasten der
Innenpolitik, vielleicht auch des Klimas.
Er muß sich von Merkel sehr verletzt fühlen. Solche Befindlichkeiten, menschlich sehr verständlich, sind kein guter Ratgeber für einen Politiker.
"... Es ist ein beschämender Mangel an Fairness, dass unser Sozialstaat diejenigen behindert, die sich aus eigener Kraft aus der Bedürftigkeit befreien wollen. ... Zehn Jahre her, nichts
passiert. ... deshalb sollten wir die Zuverdienstgrenzen von Hartz IV so gestalten, dass jede Stunde Mehrarbeit sich für jede und jeden auch persönlich lohnt. ..."
Das ist sicher sinnvoll. Daran gibt es keine Zweifel. Was hat die FDP seit 2010 in dieser Angelegenheit getan und wann hat die FDP entsprechende Anträge im Bundestag gestellt oder auch im
Bundesrat stellen lassen? War sie dann nicht sogar noch drei Jahre an der Regierung beteiligt?
Probleme habe ich dann aber mit dieser Formulierung:
"... Da gibt’s politisch linke Parteien, die sprechen jetzt über die Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV, für diejenigen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Dann gibt’s andere
Parteien, die sprechen über das "bedingungslose Grundeinkommen" ..."
Zum einen stellt sich mir die Frage, ob Lindner unser Bundesverfassungsgericht inzwischen für eine linke Partei hält. Zum anderen frage ich mich, wie viele Empfänger von Arbeitslosengeld II
Christian Lindner persönlich kennt.
Selbstverständlich sollte jeder Mensch seinen Verpflichtungen nachkommen, erst recht, wenn er von der Gemeinschaft finanziell unterstützt wird.
Dazu sollte man sich aber auch einmal die Verpflichtungen genau anschauen, die die Jobcenter den Menschen auferlegen, die sie Kunden nennen, aber in vielen Fällen leider nicht als Kunden
behandeln, vor allem psychisch angeschlagene oder sogar kranke Menschen.
Außerdem mag es durchaus auch gute Gründe geben, warum Verpflichtungen nicht nachgekommen wird.
Nun zum "bedingungslosen Grundeinkommen":
Der Grundwert der Brüderlichkeit oder - moderner - der Solidarität im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe und Subsidiarität ist für mich - neben Freiheit und Gleichheit - zwingender Bestandteil des
Liberalismus. Daher ist nach meiner Überzeugung das (bedingungslose) Grundeinkommen in Form einer negativen Einkommensteuer, eines Bürgergelds auch eine liberale Forderung.
"... Unser Herz und unsere Leidenschaft aber, die gehören all denjenigen, die es überhaupt noch mit Fleiß, Sparsamkeit und Einsatzbereitschaft zu etwas bringen wollen im Leben. ..."
Das wäre meine Partei. Das könnte zu einer liberalen Volkspartei passen, einer Partei, die nicht nur für die Menschen da ist, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen, sondern grundsätzlich für
alle Menschen.
Leider kann ich diese Botschaft Christian Lindner so gar nicht abnehmen. Ich bedauere dies sehr, aber dies verkörpert für mich zum Beispiel Heiner Garg, möglicherweise auch Martin Hagen, Lindner stellt eine solche FDP nicht (mehr) glaubhaft dar. Da hilft es auch nicht, daß er als Generalsekretär mal vom
"mitfühlenden Liberalismus" gesprochen hat.
Es geht nämlich nicht um Mitgefühl, um Mitleid, sondern um Würde, um Menschenwürde, um einen liberalen Sozialstaat, der sich nicht nur sozial nennt, sondern auch sozial ist: Herz statt "Hartz".
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." (Artikel 1 unseres Grundgesetzes)
Ich kann nur immer wieder das Buch von Guido Westerwelle mit Dominik Wichmann,
Zwischen zwei Leben: Von Liebe, Tod und Zuversicht empfehlen.
"... Wir brauchen doch endlich, das ist doch die Lehre aus BER und vielen anderen Projekten, wir brauchen doch endlich andere Planung und Genehmigungsverfahren bei großen Infrastrukturvorhaben,
..."
Gegen kürzere Planungsverfahren kann man nichts haben - ganz im Gegenteil. Liegt die Tatsache, daß der Bau des Flughafens Berlin Brandenburg "Willy Brandt" (BER) nicht vom 5. September 2006 bis zum 30. Oktober 2011 gedauert hat,
sondern bis heute andauert, an dem Planungsverfahren? Das kann ich nicht sehen.
Die Kritik daran, daß man "Atomstrom" aus Deutschland durch "Atomstrom" aus Frankreich und "Kohlestrom" aus Polen ersetzt, kann ich nur unterstreichen. Das kann nun wirklich nicht der Sinn der
Sache sein.
"... Wir sollten nicht erst den Verstand abschalten und danach die Technologien abschaffen, für die wir noch keinen Ersatz haben, sondern wir sollten erst Technologiealternativen haben, bevor wir
auf die herkömmlichen verzichten, die wir gegenwärtig noch brauchen. ..."
Gibt es denn zu diesem Themenkomplex entsprechende Anträge der FDP im Bundestag und im baden-württembergischen Landtag oder auch im Bundesrat? Lindner erwähnt sie nicht.
"... Vor 20 Jahren waren es noch 800.000 Deutsche, die Spitzensteuersatz gezahlt haben, heute sind es bald drei Millionen Menschen. Nicht nur Millionäre, sondern inzwischen Millionen Menschen,
die den Spitzensteuersatz zahlen. ... Es ist Zeit, ... , dass wir das Ziel einer breitflächigen Steuerentlastung, vom Mittelstandsbauch bis zum Solidaritätszuschlag, vom Sparerfreibetrag bis zur
Grunderwerbssteuer wieder auf die Tagesordnung setzen. ... Denn es gibt nicht nur die Solidarität mit denjenigen, die von staatlichen Leistungen leben, es gibt auch eine Solidarität, das ist auch
eine Frage der Gerechtigkeit, mit denjenigen, die von ihrer harten Arbeit überhaupt die Staatstätigkeit finanzieren müssen. ..."
Volle Zustimmung. War es das nicht, daß der FDP im Jahr 2009 maßgeblich 14,6 Prozent der Wählerstimmen gebracht hat? Leider fällt es mir auch bei diesem Thema sehr schwer, an eine Umsetzung durch
die FDP noch zu glauben. Leider.
Bei Lindners Aussagen rund um Norbert
Walter-Borjans bin ich zu 100 Prozent bei ihm. Keinerlei Widerspruch.
Als sehr gut und als einen wichtigen Schritt hin zu mehr Glaubwürdigkeit habe ich die folgende Passage empfunden:
"... Es waren nicht nur CDU/CSU und SPD, wir haben auch einige Jahre regiert. Die Grünen haben über das ganze Jahrzehnt über den Bundesrat die Politik in Deutschland mitbestimmt. In der
Wirtschaft, auch in unserem hochgeschätzten Mittelstand, wurde in den vergangenen zehn Jahren auch nicht nur investiert, es wurden auch viele Gewinne ausgeschüttet. Weshalb wir im internationalen
Vergleich eben nicht auch bei unseren Mittelständlern, bei Forschung und Entwicklung, Technologie dastehen, wo wir können.
Ja, es ist offen, in welche Richtung sich unser Land entwickelt. Die schlechte Nachricht ist: Wir können nicht einige wenige dafür verantwortlich machen. Die schlechte Nachricht ist, wir alle in
Wirtschaft, Politik, tragen irgendwie mit Verantwortung für die gegenwärtige Situation unseres Landes. ..."
Die Kritik an der generellen Bonpflicht seit dem 1.1.2020 teile ich ebenfalls. Erstaunt hat mich allerdings, daß diese meines Wissens bereits mit der Verordnung zur Bestimmung der technischen Anforderungen
an elektronische Aufzeichnungs- und Sicherungssysteme im Geschäftsverkehr vom 26. September 2017 eingeführt wurde.
Was hat die FDP im Vorfeld dieser Verordnung und im Herbst 2017 dagegen unternommen? Auch dazu schweigt Lindner in seiner Rede. Warum?
"... In Hessen werden jetzt die Ziffernoten in den Schulen abgeschafft oder können teilweise abgeschafft werden. Ein Zugeständnis der CDU an die Grünen. Um die Kinder vor der traumatisierenden
Erfahrung der Fünf zu bewahren. ..."
Für mich ist gar nicht das größte Problem, daß man auch die Zwei abschafft, die aus der Fünf vielleicht werden könnte, sondern daß man den Schülern die Möglichkeit nimmt, auf negative Erfahrungen
professionell vorbereitet und dabei begleitet zu werden. Die Traumatisierungen kommen dann später und in einem anderen Umfeld.
Was unternimmt die FDP in Hessen in dieser Angelegenheit? Nichts?
Nach German Mut und Innovation Nation kommt nun das Großdenken. Dabei kommt man zumindest ohne Anglizismus aus. Das gefällt mir. Trotzdem: Weniger ist mehr.
"... Bei den grade unlängst vorgestellten neuen Pisa-Ergebnissen, da ist Deutschland abgefallen. Im Bereich der Mathematik stehen wir inzwischen wieder auf dem Niveau des Jahres 2003. Und in der
Frage Lesen/Schreibkompetenz sind wir zurückgefallen auf das Jahr 2009, als hätte es das gesamte vergangene Jahrzehnt nicht gegeben. Und deshalb müssen wir in Deutschland in der Bildungspolitik
wieder groß denken.
Am Beginn der sozialliberalen Koalition 1969/1970, da stand das Ziel, wie man damals sagte, der Bildungsexpansion. Damit war gemeint, mehr Menschen von den unteren, mittleren hin zu akademischen
Abschlüssen zu führen. Heute brauchen wir wieder eine Bildungsexpansion. Sie muss beginnen mit einer Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung. Sie muss sich fortsetzen über die vernünftige
Ausstattung der Schulgebäude auch mit digitaler Infrastruktur und vor allen Dingen muss sie enden bei einem neuen, kompletten zweiten Bildungssystem: nämlich das für das lebensbegleitende Lernen.
Denn was wir in Bildung investieren, gibt die beste Rendite auch für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und öffnet Lebenschancen. Also denken wir groß. Denken wir groß! ..."
Nicht nur reden, auch machen. In Nordrhein-Westfalen stellt die FDP seit dem 30. Juni 2017 mit Yvonne Gebauer die Ministerin für Schule und Bildung, sie ist darüber hinaus noch an zwei weiteren Landesregierungen beteiligt und in zwölf
Landesparlamenten vertreten.
Wie denkt sie denn nun in diesen Bundesländern in Sachen Bildung groß? Welche Taten untermauern die Aussagen von Lindner? Das Image folgt immer den Fakten. Welche Fakten wurden geschaffen?
Ich muß leider feststellen, daß ich über meine beiden Töchter in Nordrhein-Westfalen noch nichts von einer "FDP-Bildungsexpansion" gemerkt habe. Bedauerlicherweise.
"... Vor zehn Jahren bei diesem Dreikönigstreffen hier, hab ich seinerzeit gesprochen über die faszinierende Perspektive, Klimaschutz zu erreichen, indem wir etwa in Nordafrika in der Sahara
Fotovoltaik auch mit europäischer Technologie und unserem Kapital fördern. Jetzt ist das zum Greifen nah. Wir diskutieren über Energieknappheit in unserem Land. Wenn eins nicht knapp ist, dann
ist es die Energie. Wir haben nämlich die Sonne.
Die Lösung liegt aber nicht alleine in Deutschland in unseren nationalen Grenzen, sondern groß zu denken in Europa, beispielsweise in Südeuropa mit unserer Technologie, mit unserem und
europäischem Kapital im industriellen Maßstab, synthetischen Wasserstoff, synthetischen Kraftstoff zu produzieren, der uns die Energiewende hierzulande auch erleichtert, denken wir doch einmal
groß über unser nationalen Grenzen hinweg. ..."
Dieser Ansatz hat mir vor zehn Jahren schon sehr gut gefallen. Seinerzeit - als er Generalsekretär bei Guido Westerwelle war - hatte ich gewisse Hoffnungen für die Zukunft auf Lindner gesetzt, auch sein Rücktritt im Dezember
2011 hatte mir imponiert. Für das Amt des Bundesvorsitzenden im Dezember 2013 war er mit seinen 34 Jahren einfach noch zu jung. Ich hatte damals übrigens für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
geworben - wie schon nach dem Rücktritt von Guido.
Welche parlamentarischen Initiativen hat die FDP in den vergangenen zehn Jahren auf diesem Gebiet entwickelt? Gibt es zum Beispiel im Rahmen der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) oder sogar der Liberale Internationale gemeinsame Vorhaben, Initiativen?
Nur Forderungen zu stellen, halte ich für zu wenig - zumindest für eine Partei, die immer gern von Eigenverantwortung, Verantwortungsbereitschaft und -bewußtsein spricht. In der Opposition kann
man immer gut reden und fordern. Opposition hat die FDP seit 1998 gelernt. Hat sie das Regieren verlernt?
"... Das Ziel müsste aber sein, unser Sozialstaat muss werden wie ein Fingerhandschuh, der schützt, aber Beweglichkeit eröffnet. Am Ende dieses Jahrzehnts sollten wir einen enkeltauglichen
Sozialstaat haben, der sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht die Menschen zwingt, sich an seinen Strukturen im Leben zu orientieren. Also denken wir groß! ..."
Das hört sich alles gut an, sagt sich auch alles relativ einfach. Was bedeutet das aber alles ganz konkret? Das interessiert die Menschen, die Wähler. Das ist mir alles viel zu allgemein, zu
oberflächlich. Die Knochen sind da, das Skelett macht auch einen guten Eindruck, aber das Fleisch fehlt (noch).
"... wir waren und wir sind bereit zur Übernahme von Verantwortung, wenn die politischen Inhalte stimmen, das stellen wir jeden Tag unter Beweis in unseren drei Regierungsbeteiligungen in den
Ländern. ..."
Ist das so? Das mag für Heiner Garg, Joachim Stamp und Volker Wissing gelten, aber gilt es auch für Christian Lindner. Ich sehe
das nicht. Marketing und Populismus statt Politik und Liberalismus. "Seine" Werbeagentur Heimat läßt grüßen ... Lindner mag Marketing können, Politik kann er nicht. Mehr Schein als Sein. Mein
Eindruck.
"... Aber Grenzen schützen, Steuern senken, das ist in Deutschland nicht an den Grünen gescheitert, sondern bereits an der Merkel-CDU. ... Unverändert blockieren die Grünen ja etwa die Einstufung
der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer, um die Asylverfahren und um die Abschiebungsverfahren zu beschleunigen, ..."
Da ist es wieder. Das Fischen am rechten Rand. Lindner kann und will es einfach nicht lassen. Wahrscheinlich ist es ihm schon in Fleisch und Blut übergegangen.
Die von der FDP-Spitze immer wieder erhobene Forderung, die Maghreb-Staaten zu
"sicheren
Herkunftsländern" zu erklären, würde es queeren Menschen noch schwieriger machen, als Asylanten anerkannt zu werden - mit Blick auf die Klischees und Vorurteile, die z. B. im Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge gepflegt werden. Einer liberalen Partei wäre das wichtig. Leider habe ich bisher noch keine Rückmeldung von den Liberalen Schwulen und Lesben (LiSL) zu dieser Forderung bekommen.
Lindner ist vielleicht nicht inhaltlich, aber rhetorisch zu nah an der AfD. Falls er die FDP doch als liberale Partei sieht und nicht mehr nur als Partei freier Demokraten wie zu Beginn des Jahres 2015, dann muß er sich ganz klar von rechtspopulistischen Forderungen und Formulierungen abgrenzen und darf für
ein paar an die AfD verlorenen Mitglieder und Wähler keine liberalen und im Humanismus wurzelnden Werte in Frage stellen oder in Zweifel ziehen.
Wir brauchen eine ganzheitlich liberale Partei - weder eine wirtschaftsliberale und wertkonservative oder gar deutschnationale noch eine sozialliberale und etatistische Partei.
"... Oder ich lese in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" unlängst von einem Opel-Mitarbeiter. ... Er und seine Kolleginnen und Kollegen wählten inzwischen aus Protest FDP oder AfD. ...
Wir sind keine Protest-, wir sind eine Gestaltungspartei. Aber dennoch betrachte ich es als Teil unserer staatspolitischen Verantwortung, dass wir politisch Heimatlosen eine Alternative zu den
Rechtspopulisten bieten. Das ist Teil unserer staatspolitischen Verantwortung. ..."
Doch die "Freie Deutsche Protestpartei"? Das ist wohl übertrieben. Die SPD aber war nie liberal, wollte es auch nie sein - auch nicht nach dem Godesberger Programm - und ihre Anhänger waren und sind es auch
nicht.
Die FDP sollte endlich allen Liberalen (wieder) eine politische Heimat bieten - und weder Sozialdemokraten noch Protestwählern. Damit verabschiedet Lindner die FDP endgültig vom Liberalismus und
setzt seinen Anfang 2015 begonnenen Weg konsequent fort.
Anscheinend möchte er eine FDP, die sich an der Politik des "Kaschmir-Kanzlers", des "Genossen der Bosse" orientiert. Das hat nun mit einer liberalen Partei gar nichts mehr zu tun. Denn auch die
Agenda 2010 war alles, aber nicht liberal, freiheitlich und gleichzeitig
sozial.
Und dann präsentiert er Florian Gerster als neuen Freien
Demokraten.
"Dieser gab an, die SPD habe sich von dem Bürgertum entfernt und sei keine optimistische Partei mehr, sodass er keinen Sinn darin sehe, in ihr zu verbleiben."
Wenn das nicht mal ein Grund ist, Mitglied der "neuen" FDP zu werden. Ein Liberaler war, ist und wird Florian Gerster, der ehemalige Minister für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit des
Landes Rheinland-Pfalz, sicher nicht.
Auf seine Initiative hin wurde im Jahr 2004 die Bundesanstalt für Arbeit in Bundesagentur für Arbeit umbenannt. Dem Kind, einen neuen Namen zu geben, genügt aber nicht, um eine Verbesserung zu
erreichen.
Alten Wein in neuen Schläuchen braucht niemand. In dieser Hinsicht kann ich die Freundschaft zwischen Lindner und Gerster nachvollziehen.
Würden die Bundesagentur für Arbeit und die sogenannten Jobcenter ihre Arbeit professionell und mit der nötigen Empathie machen, dann gebe es auch weniger Fachkräftemangel. Man kann noch so viele
Umbenennungen vornehmen, es bleibt eine "Anstalt", die Bundesanstalt für Arbeit.
Da war mir die Bezeichnung als Bundesanstalt für Arbeit oder Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung doch deutlich lieber als ein Euphemismus, weil ehrlicher.
In dem 2007 erschienenen Buch "Macht und Ohnmacht" stellte Peter Hartz
fest: "Herausgekommen ist ein System, mit dem die Arbeitslosen diszipliniert und bestraft werden."
"... Das sind aber zugleich diejenigen, die sich auch von Claudia Roth
nicht die praktisch zu beobachtenden Probleme der Integration vor Ort ausreden lassen. Und genau diese Menschen, mit ihren Sorgen, die vorankommen wollen im Leben, die Arbeit wollen, die für ihre
Kinder eine gute Zukunft wollen, Bildung, die Chancen wollen, zum Beispiel auch auf Eigentumserwerb, wie es immer ein Ziel sogar der Bergleute an der Ruhr war am Ende des Berufslebens, das
abbezahlte Häuschen zu haben, die sind inzwischen in der politischen Landschaft heimatlos geworden und wenn diese Menschen eine politische Heimat suchen, dann laden wir sie ein. Möge in den
Medien geschrieben werden, jetzt sei die FDP die neue Arbeiter- und Bauernpartei.
Ich habe mir nie träumen lassen, ich würde mal Vorsitzender einer Arbeiter- und Bauernpartei sein. Es stimmt auch nicht. Wir sind keine Arbeiter- und Bauernpartei, so wenig wie wir eine
Apotheker- und Unternehmerpartei sind. Wir sind eine Partei der politischen Mitte. Und es ist ein Irrtum zu glauben, dass alle Facharbeiterinnen und Facharbeiter linke Politik wollen und alle
Landwirtinnen und Landwirte rechte Politik wollen, was die Menschen in unserem Land suchen, ist eine Alternative aus der und für die politische Mitte und das sind die Freien Demokraten. ..."
Große Worte ... Die Belange anzusprechen, ohne Lösungen anzubieten - zum Beispiel beim Thema Integration - genügt nicht, um Chef einer Arbeiter- und Bauernbewegung zu sein.
Lindner hat nach meinem Eindruck jeden Bezug zur Realität und zum Alltag der überwiegenden Mehrheit der Menschen verloren. Er mag die Themen benennen können, aber ihm fehlt die nötige Empathie,
ihm fehlen die Lösungen, liberale Lösungen.
Das Image folgt aber immer den Fakten. Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Als "AfD light", die Ressentiments gegen eine Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und Ausländer
schürt, wird das nichts werden. Dann wählen die Menschen leider eher das Original - oder eben die Partei "Bündnis 90/Die Grünen".
Es hat aber auch Folgen nach innen. Mit Interesse habe ich von einem liberal-konservativen Kreis (Torsten Herbst, Thomas Kemmerich), von einem sozialliberalen politischen Standort (Johannes Vogel) und von einem Öko-Liberalismus (Rudolf Rentschler, Michael Theurer) gelesen.
Lindner macht gute Miene zum "bösen Spiel". Er sagt:
"... Wir sind eine vielfältige Partei, wir sind eine Partei von Individualisten. Aber in unserer liberalen Partei verbinden wir Vielfalt mit Teamwork und deshalb schwächt uns diese politische
Vielfalt der Perspektive nicht, sie macht uns stärker. ... Und deshalb ist das Gemeinsame, was die Freien Demokraten verbindet, viel stärker als die unterschiedlichen Akzente, die wir in der
Tagespolitik wollen. ..."
Das nenne ich Zweckoptimismus. Hier zeigt sich deutlich, daß Lindner kein integrativer Vorsitzender ist, der dazu bereit und in der Lage wäre, allen Liberalen eine politische Heimat zu geben und
eine Politik insbesondere für alle Menschen zu gestalten, denen Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung wichtig sind - unabhängig von sozialer Herkunft, Einkommen und
Vermögen.
Ich kenne nur Liberale, keine Gesellschafts-, Katheder-, Links-, National-, Rechts-, Sozial-, Wirtschafts- oder sonstige Bindestrich-Liberale. Liberale neigen allerdings als Individualisten dazu,
mehr auf die Unterschiede und das Trennende zu achten. Das hat in der Vergangenheit immer zu mehreren liberalen Parteien geführt und führt auch aktuell wieder dazu. Der Spaltpilz ist die
Krankheit des organisierten Liberalismus.
Hier die FDP, 1948 der Versuch, endlich
(wieder) eine Partei des (ganzheitlichen) Liberalismus zu bilden - nach der Deutschen Fortschrittspartei von 1861 - dort die Parteien "Neue Liberale - Die Sozialliberalen" und "Liberale Demokraten - die Sozialliberalen", aber auch die Partei "Volt", der Verein "Progressive Liberale", der Verein "Frankfurter Kollegium" (Piratenpartei), die Jugend- und Entwicklungspartei Deutschlands, die Initiative "Vertrauen in die liberale Gesellschaft", die Partei der Humanisten und die Partei "Liberal-Konservative Reformer". Haben ich noch eine Gruppierung vergessen? Ganz bestimmt.
Die Geschichte zeigt aber, daß gerade wir Liberalen uns diese Spaltung in mehrere Lager nicht leisten können, wenn wir die Zukunft Deutschlands, Europas und der Welt gestalten wollen. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um gemeinsame Ziele zu erreichen.
Eine wirklich liberale Partei muß dem Liberalismus das Image der sozialen Kälte nehmen und gleichzeitig überzeugend für die liberale und damit soziale und ökologische Marktwirtschaft und den
demokratischen und freiheitlichen Verfassungs- und Rechtsstaat mit garantierten Menschen- und Bürgerrechten eintreten und zwar gleich stark und konsequent.
Im Mittelpunkt der liberalen Marktwirtschaft, kein Kapitalismus
("Neoliberalismus"), keine "Soziale Marktwirtschaft" und auch keine neuen Versuche einer Planwirtschaft, stehen nämlich die Kunden, die Menschen und nicht die Konzerne, die Unternehmen und
Arbeitgeber. Diese freiheitliche Wirtschaftsordnung dient dem Wohl aller Bürger als Verbraucher, Unternehmer, Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Steuerzahler.
Wie sagte der liberale Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard?
"Marktwirtschaft ist eine Veranstaltung für die Verbraucher, nicht für die Wirtschaft."
Darüber hinaus kann ich jedem die Lektüre des Programms der F.D.P. vom 7. Juni 1980 anläßlich der Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 ans Herz legen, das mich in den Jahren 1983 und 1984 zu
"meiner" FDP geführt hat. Dort hat die Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen schon eine sehr große Rolle gespielt - und das liegt nicht fünf, sondern 40 Jahre zurück. Dies gilt übrigens auch
für das Thema Bildung - als wichtige Aufgabe des Bundes.
Wahlprogramm 1980: "Unser Land soll auch morgen liberal sein"
Das sind meine Vorschläge für die von Lindner angestoßene Diskussion über das Leitbild der FDP, einer FDP, die sich den Zusatz "Die Liberalen" wieder verdient und zur Liberalen Partei
Deutschlands werden könnte, nachdem es im Jahr 1948 wegen der Deutschnationalen nicht zur Liberaldemokratischen Partei, sondern zur Freien Demokratischen Partei gekommen ist.
Ganz am Ende seiner Rede appelliert Linder im Zusammenhang mit dem aktuellen Verbotsfetischismus an den gesunden Menschenverstand. Was soll das sein? Mich erinnert "gesunder Menschenverstand" immer zu sehr an "gesundes Volksempfinden". Es gibt keinen "volonté général". Trotzdem sehe ich als
Liberaler Verbote immer als allerletztes Mittel. Denn für Liberale heiligt der Zweck keine Mittel.
Paßt dieser "gesunde Verstand der Menschen" zu einem Leitbild, mit dem einzelnen Menschen, nicht irgendeinem Kollektiv, nicht irgendeinem abstrakten Wir als Orientierungspunkt?
Ich hoffe und wünsche mir für das noch junge Jahr 2020 und für die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts, daß die Liberalen es wieder schaffen, innerhalb der FDP Mehrheiten zu organisieren und sich
Gehör zu verschaffen!
Viel Erfolg im Interesse eines ganzheitlichen Liberalismus, der die größtmögliche Freiheit aller Menschen in allen Lebensbereichen und auf allen Politikfeldern konsequent vertritt und umsetzt und
niemandem im Regen stehen läßt.