Rede des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner bei der Dreikönigskundgebung 2018

 

 

Von: Wolfgang Gerstenhöfer [mailto:wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de]
Gesendet: Freitag, 16. Februar 2018 09:35
An: 'christian.lindner@bundestag.de'
Cc: Konstantin Kuhle; 'Michael Kauch'
Betreff: Ihre Rede bei der Dreikönigskundgebung 2018

 

 Bearbeitete Mitschrift der Rede des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner bei der Dreikönigskundgebung 2018 in Stuttgart

 

Sehr geehrter Herr Lindner,

 

krankheitsbedingt dieses Mal etwas später als gewohnt, aber hier kommt nun doch noch meine Rückmeldung zu Ihrer Rede:

 

Kann es sein, daß Sie immer länger reden, aber immer weniger zu sagen haben? Sie sollten endlich damit aufhören, sich Ihre Reden von einer Werbeagentur schreiben zu lassen. Oder liegt es daran, daß Sie mal Inhaber einer Werbeagentur waren?

 

Und wieder treiben Sie eine neue Sau durchs Dorf: das Projekt "Neue Generation Deutschland" Was ist denn aus "German Mut" geworden? Hat Sie der Mut schon verlassen?

 

Und eine liberale Partei, sogar eine liberale Traditionspartei soll Ihre "neue" FDP nun auch wieder sein. Lesen Sie Ihre Reden eigentlich auch selbst?

 

Schön, daß Sie sich daran erinnern, warum und wofür die Freie Demokratische Partei vor fast 70 Jahren gegründet wurde, fast als Liberaldemokratische Partei, wenn es nicht so viele Deutschnationale gegeben hätte.

 

Um sich von diesen endgültig abzugrenzen, wurde 1976 der Zusatz "Die Liberalen" eingeführt.

 

Sie haben ihn Anfang 2015 - sicher ganz bewußt - beseitigt und durch Freie Demokraten ersetzt. Warum? Um die FDP den Deutschnationalen, den Wählern und Anhängern der AfD (wieder) zu öffnen?

 

Die FDP als Mutprobe für ihre Mitglieder zu bezeichnen, ist schon sehr aufschlußreich.

 

Es ist auch kein Zufall, daß Sie zu Beginn Ihrer Rede "exemplarisch, weil sie hier vorne sitzt, unsere verdienstvolle liebe Freundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nennen".

 

Sie gehört noch zu den Liberalen unter den Freien Demokraten. Sie ist für Sie als liberales Feigenblatt wichtig. Sie könnte Ihnen und Ihren Ambitionen gefährlich werden. Sie hätte bereits seit 2011 Bundesvorsitzende der Freidemokraten sein sollen.

 

"Wir haben nach der Wahl aus den Augen verloren, welche Ideen und Werte unsere Anhänger vor der Wahl begeistert haben und diese historische Lektion haben wir gelernt."

 

Was haben Sie gelernt? Haben Sie das Buch "Zwischen zwei Leben: Von Liebe, Tod und Zuversicht", geschrieben von Guido Westerwelle gemeinsam mit Dominik Wichmann, gelesen, dessen Inhalt verstanden?

 

Sie hätten die Chance gehabt, aus der FDP (wieder) eine ganzheitlich liberale Partei, die Liberale Partei Deutschland zu machen, Sie haben aus ihr eine freie und demokratische Partei gemacht ... Marketing und Populismus statt Politik und Liberalismus.

 

Bei Ihnen liest sich das dann so:

 

"Warum sind wir selbst Freie Demokraten und warum braucht es eine Partei wie die FDP in Deutschland? Und die Antwort ist die Einstellung zum Leben. Es ist der Wunsch nach Selbstbestimmung und die Bereitschaft, zum eigenen unabhängigen Urteil. Es ist die Schaffensfreude und die Offenheit für den Wandel und es ist die Neugier auf neue Technologien und die Toleranz gegenüber Menschen, die ihr Leben anders führen wollen als man selbst. Wir haben uns befreit aus der taktischen Abhängigkeit anderer Parteien. Wir haben uns befreit von der Ängstlichkeit vor Kritik. Und wir haben uns befreit vom Einfluss organisierter Interessen."

 

Dahinter verbirgt sich das eine oder andere liberale Gedankengut. Gar keine Frage. Es ist aber nur ein kleiner Ausschnitt. Das mag freiheitlich sein, aber liberal - freiheitlich und gleichzeitig sozial - ist es nach meinem Verständnis nicht.

 

Und dafür, daß die Freien Demokraten wirklich kritikfähig und unabhängig von Lobbyisten und einem politischen Lagerdenken geworden sind, fehlen mir noch mehr Beweise. Im Zusammenhang mit den Sondierungsgesprächen habe ich da eher einen anderen Eindruck gewonnen.

 

"Wir jedenfalls ... wollen als Antwort an Frankreich und andere auch an einer neuen Generation Deutschland arbeiten. In der alte Ideen und schwach gewordene Konzepte durch neue ersetzt werden. Wir wollen Teil einer neuen Generation, einer politischen Generation Deutschland, Teil eines Erneuerungsprojektes sein."

 

Frei nach dem Motto "Wasch´ mir den Pelz, aber mach´ mich nicht naß." ist das eine Absage an den Liberalismus im gleichen Atemzug mit der Behauptung, die FDP sei eine liberale Partei - oder doch "nur" eine Partei der Mitte, des vernünftigen Arguments und des Wandels.

 

Der Begriff "Liberalismus" ist nicht gesetzlich geschützt; es gibt keine Realdefinition. Das nutzen Sie sehr geschickt. Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich glauben, daß Sie aus Hameln stammen ...

 

Sie wollen einen "flexiblen Sozialstaat", eine "neue Wachstumsagenda" und eine "andere Bundespolitik, die die Probleme wieder klein macht, die die AfD vorher groß gemacht haben", erklären den Erhalt der wirtschaftlichen Stärke zur Staatsräson.

 

Wie soll diese Politik aussehen? AfD light? "Neoliberal" im Sinne von kapitalistisch? Wachstum um jeden Preis?

 

Ich mußte dabei an die Rede von Philipp Rösler denken, die er auf dem Dreikönigstreffen am 6. Januar 2012 gehalten hat. War das Ihre Absicht?

 

Von Bürgergeld, einem (bedingungslosen) Grundeinkommen oder einer negativen Einkommensteuer keine Rede mehr. Subjekt- statt Objektförderung? Fehlanzeige! Der Wahlkampf ist vorbei ...

 

Nein, da kommt noch etwas: Für Akademiker, die sich selbständig machen wollen, soll es ein Grundeinkommen von 1000 Euro für zwölf Monate geben.

 

Woran erinnert mich das nun wieder? FDP - Partei der Besserverdienenden, der Akademiker ...

 

In der Manier der Populisten reißen Sie einen Satz von Angela Merkel aus dem Zusammenhang und interpretieren ihn für Ihre Zwecke.

 

"Was soll die deutsche Antwort darauf sein? Dieser inzwischen auch legendäre Satz der Bundeskanzlerin am Tag nach der Bundestagswahl: 'Ich weiß nicht, was wir hätten anders machen sollen.'"

 

War es nicht eher so?

 

"Auf der Pressekonferenz nach Beratungen der CDU-Spitze zum Ausgang der Bundestagswahl forderte eine Journalistin die Kanzlerin auf, einen Blick zurückzuwerfen auf den Wahlkampf vor dem Hintergrund des Ergebnisses und der Wählerwanderung zur AfD. 'Ganz konkret: Was haben Sie als Kanzlerkandidatin und die CDU vielleicht auch falsch gemacht, was hätte man anders machen müssen?', fragte die Journalistin.

 

Darauf antwortete Merkel: 'Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten. Ich habe diesen Wahlkampf gut durchdacht. Ich habe ihn so gemacht, wie ich ihn gemacht habe.' Und am Tag danach habe sie dazu auch keine andere Meinung als 'gestern oder vorgestern oder vor zwei Wochen'. Die vielzitierte Aussage Merkels bezog sich also auf Fehler im Wahlkampf.

 

Auf eine Frage, ob sie eine personelle oder inhaltliche Neuausrichtung für erforderlich halte, antwortete Merkel: 'Über inhaltliche Fragen müssen wir natürlich reden. Was sind die Themen, die die Menschen bewegen?' ... Es stimmt aber nicht, dass Merkel aufgrund des Wahlergebnisses keinerlei Handlungsbedarf formulierte."

(Quelle)

 

Traurig und beschämend, daß sich ein Bundesvorsitzender der FDP auf dieses Niveau begeben muß ...

 

"Wenn wir eines aber gewiss nicht mehr sind, dann ist es Steigbügelhalter für irgendwelche anderen."

 

Waren für Sie FDP-Vorsitzende wie Theodor Heuss, Thomas Dehler, Erich Mende, Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff und Guido Westerwelle Steigbügelhalter und nicht mehr?

 

Warum sollte man eine Partei, in diesem Fall die "neue" FDP wählen, wenn sie nicht willens und/oder in der Lage ist, ihr Programm bzw. zumindest wesentliche Teile davon umzusetzen, Schlimmeres zu verhindern und Verantwortung für unser Land zu übernehmen?

 

Warum haben Sie nicht am 19. November um 23.49 Uhr konkret gesagt, warum man die Sondierung für gescheitert hält, und sich stattdessen in Allgemeinplätzen ergangen?

 

Sie wollten sich nach meiner Einschätzung nicht verweigern wie die SPD, wollten aber von Anfang an lieber in die Opposition gehen und (noch) keine Regierungsverantwortung übernehmen. Das Trauma von 2010 bis 2013 sitzt tief ...

 

Es geht dabei primär um die Art und Weise und den Zeitpunkt des Ausstiegs aus den Gesprächen - und nicht um den Umstand, daß es zu keinen Koalitionsverhandlungen gekommen ist. Der Ausstieg war sehr gut vorbereitet und inszeniert - zu gut.

 

Man hätte gemeinsam zu der Entscheidung kommen können, daß die Sondierungen negativ verlaufen sind, oder darstellen müssen, warum man noch nicht einmal zu einer gemeinsamen Beendigung kommt.

 

Ich habe den Eindruck, daß Sie von Anfang an kein wirkliches Interesse an einer Regierungsbildung hatten, daß Ihnen der Mut dazu gefehlt hat.

 

Leider war Ihr Auftritt vielleicht aus Marketingsicht gelungen, aus Kommunikationssicht nach meiner Überzeugung war er völlig daneben.

 

Selbst wenn die - nachgeschobenen - Gründe für den Ausstieg aus den Sondierungsgesprächen so zutreffen sollten, woran ich sehr große Zweifel hege, dann war es nach meiner Überzeugung kommunikativ mal wieder ein ziemliches Desaster - das hat bei der FDP vor allem seit 2010 tatsächlich schon Tradition. Leider.

 

Haben Sie sich wieder von "Ihrer" Werbeagentur beraten lassen? Danach sieht es leider aus. Es geht nicht um Marketing, sondern um Politik und Kommunikation.

 

Ich persönlich habe allerdings den Eindruck, daß Sie gehofft haben, daß die Sondierungsgespräche an CSU oder Bündnis 90/Die Grünen scheitern. Diesen Gefallen haben sie Ihnen nicht getan. Also mußten Sie die Notbremse ziehen.

 

Selbstverständlich gibt es auch für die Kompromißbereitschaft Grenzen. Gerade ich habe in meiner Zeit als Mitglied der FDP - damals noch "Die Liberalen" - immer wieder Kritik in dieser Hinsicht geübt. Es war auch das Thema meiner ersten Rede auf einem Kreisparteitag der Kölner FDP im Jahr 1984 - übrigens im Beisein von Gerhart Baum.

 

Öfter wurden das Programm und damit auch der Markenkern den politischen Gegebenheiten, dem Willen des jeweiligen Koalitionspartners, der Koalitionsräson untergeordnet bzw. geopfert.

 

Der Liberalismus wurde nicht mit allen seinen Aspekten und Komponenten - also ganzheitlich - und in allen Lebensbereichen und auf allen Politikfeldern konsequent vertreten, sondern nur in Teilgebieten - mal mehr im Bereich der Innen-, Rechts- und Gesellschaftspolitik, mal mehr der Außen-, Finanz- und Wirtschaftspolitik.

 

Trotzdem gehören Koalitionen zu einer parlamentarischen Demokratie und bleibt eine Beteiligung an der Regierungsbildung für eine Partei der beste Weg, Einfluß auf die Gesetzgebung und die Politik zu nehmen, auch um "Schlimmeres" zu verhindern.

 

Was soll es Ihren Zuhörern sagen, daß Sie gelernt haben, näher bei Macron als bei den Grünen zu sein, mit Macron leichter Koalitionsverhandlungen abschließen zu können als mit Jürgen Trittin? Ist das nicht logisch?

 

Sagten Sie nicht vorher, daß es um "widersprüchliche Wahlprogramme von Parteien" geht? Genau diese sind die Grundlage einer Koalition, anderenfalls wäre es vielleicht eine Fraktionsgemeinschaft oder was auch immer ...

 

Und dann muß auch noch Ralf Dahrendorf für Ihre Zwecke herhalten:

 

"Vor 50 Jahren hat hier Ralf Dahrendorf gesprochen, 1968. Bei diesem Dreikönigstreffen. Und er hat seinerzeit gewarnt vor politischen Utopien, die einen anderen Menschen formen wollen, und er hat für die Offenheit der Gesellschaften geworben. Und als Voraussetzung für diese Offenheit der Gesellschaft hat Dahrendorf vor 50 Jahren an dieser Stelle dafür plädiert, auch das, was es an Unterschieden in einer Gesellschaft gibt, es auszuleben. Eine Gesellschaft, in der versucht wird, alles so in einem Gleichgewicht schwebend zu halten, in einer solchen Gesellschaft geht der Antrieb für Fortschritt und die Möglichkeit zur Korrektur von Fehlentscheidungen verloren. Und deshalb: Es gibt in unserer Demokratie nicht nur die Pflicht zum Kompromiss unter Demokraten, es gibt auch die Pflicht zur Kontroverse unter Demokraten, die den Wettbewerb lebendig hält."

 

Das soll nun Ihr Verhalten rechtfertigen? Schade, daß sich Dahrendorf gegen diese Vereinnahmung nicht mehr wehren kann. Als ob es zwischen 1949 und 2017 keine gegensätzlichen Wahlprogramme, keine politischen Kontroversen und trotzdem Koalitionen gegeben hätte.

 

Es folgt ein Zitat des liberalen Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich August von Hayek, das Sie dann gleich selbst ad absurdum führen.

 

"'Es waren immer die Konservativen, die dem Sozialismus Zugeständnisse gemacht haben und ihm zuvorkamen.' Das kann man natürlich heute nicht mehr wörtlich nehmen. Denn die CDU unter Angela Merkel ist ja keine konservative Partei mehr."

 

Gut, daß man, daß ich nicht alles verstehen muß. Mußte jetzt nach Dahrendorf von Hayek noch erwähnt werden, um die verbliebenen Links- und Wirtschaftsliberalen bei der Stange zu halten?

 

Es geht aber mit den Widersprüchen in sich munter weiter:

 

Sie befürworten eine Minderheitsregierung, die Sie zugleich nicht als Ideal achten und die Sie auch nicht empfehlen oder anstreben. Eine sehr interessante Position.

 

Ich halte eine Minderheitsregierung vor allem mit Blick auf die Außen- und Europapolitik für heikel.

 

"Denn wir haben in unserem Land schon sehr lange ein Übergewicht der Regierung über dem Parlament. Sehr lange schon."

 

Sie wissen aber schon, daß Sie der Vorsitzende der Partei sind, die fast 45 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland an dieser angeblich so übergewichtigen Regierung beteiligt war?

 

Sie werden sich irgendwann entscheiden müssen, ob Sie Ihre "neue" FDP noch in der Tradition der FDP von 1949 bis 2009 oder in ihr eine völlig neue Partei sehen. Beides wird auf Dauer nicht funktionieren, auch nicht wenn Sie an Ralf Dahrendorf erinnern oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als Freundin bezeichnen.

 

Und dann bringen Sie Neuwahlen ins Spiel, wohlwissend, daß die das Ergebnis mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht wirklich verändern werden. Obgleich ich grundsätzlich der Meinung bin, daß Demokratie nicht am Geld scheitern sollte, kann man die über 90 Millionen Euro sinnvoller verwenden.

 

Man kann und darf meines Erachtens nicht wählen lassen, bis man ein - wem auch immer - passendes Ergebnis hat. Nach meiner Überzeugung würden Neuwahlen nur die Politik-, Parteien- und Demokratieverdrossenheit fördern.

 

Gewinner von Neuwahlen wären die "Partei der Nichtwähler", vielleicht noch die AfD und die Partei "Die Linke". In einem parlamentarischen System müssen Koalitionen möglich sein - auch zwischen vier, fünf oder gar sechs Parteien. Das hat man selbst in der Zeit der "Weimarer Republik" geschafft - zumindest bis 1930. Sollten wir nicht 2018 weiter sein?

 

"Man kann also aus der Oppositionsrolle heraus gestalten. Wer das verneint, der verneint die Kraft des besseren Arguments und er drückt eine Geringschätzung gegenüber dem Parlamentarismus aus. Also das werden wir jetzt tun. Wir haben damit begonnen.

 

Wir haben damit begonnen, unsere erste Initiative war ein Gesetz zur Stärkung der Bürgerrechte. Es enthielt beispielsweise die Aufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Ein Gesetz, das grade ja traurige Aktualität hat. Wegen der völlig inakzeptablen Tweets und Postings von AfD-Politiker. Die AfD ist auch für die Aufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Offensichtlich, weil sie so einen Schmutz gerne weiter verbreiten will und ihn unter den Deckel der Meinungsfreiheit bringen will. Wir sind gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, weil wir glauben, dass solche Fragen nicht entschieden werden sollten von den Sachbearbeitern kommerzieller Dienste, sondern vom Staatsanwalt. Das ist der Unterschied zwischen uns und denen."

 

Die Opposition ist ein elementarer Bestandteil des Parlamentarismus. Wer bestreitet das? Es gibt allerdings auch unterschiedliche Arten, wie man Opposition in einem Parlament betreibt. In der Vergangenheit ist mir die FDP da nicht immer sehr konstruktiv aufgefallen.

 

Oft habe ich Sie nach entsprechenden Anträgen, Initiativen und Anfragen in den Landtagen und im Europäischen Parlament gefragt. Fehlanzeige!

 

Und eine Gesetzesinitiative seit der Konstituierung des Deutschen Bundestags am 24. Oktober 2017 mit 80 Abgeordneten sieht für mich auch nicht besonders produktiv aus.

 

Noch eine Frage: Wenn Sie die Unternehmen, die mit den diversen Beiträgen Geld verdienen, nicht in der Verantwortung sehen, dafür zu sorgen, daß die geltenden Rechtsvorschriften eingehalten werden, schlagen Sie denn dann auch eine entsprechende personelle Aufstockung der Staatsanwaltschaften und Gerichte vor und wie das finanziert werden soll?

 

Daß Sie sich an Hans-Dietrich Genscher und daran, daß er quasi der erste Umweltminister war, erinnern, freut mich sehr. Praktische Auswirkungen auf Ihre konkrete Politik kann ich leider eher weniger erkennen. Nehmen wir z. B. mal das Stichwort "Braunkohle".

 

Daß Sie zwei Absätze weiter Dirk Niebel in seiner Eigenschaft als "Entwicklungsminister" erwähnen, der vor der Wahl das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung noch abschaffen wollte, irritiert mich.

 

Die Idee der ökologischen Marktwirtschaft hingegen ist nicht neu. Da waren die Jungen Liberalen schon dran, als ich noch Mitglied dort war - und das ist schon sehr lange her.

 

Und Sie meinen, diese jetzt umsetzen zu können - in der Opposition? Ich sehe Ihrem Gesetzesentwurf mit großem Interesse entgegen.

 

Sie ergehen sich in Ankündigungen. Wo bleiben denn die Entwürfe eines Einwanderungsgesetzes und zur Veränderung des Bildungsföderalismus? Könnten, müßten die nicht längst vorliegen? Die Themen sind Ihnen doch angeblich so wichtig.

 

Gegen Ende Ihrer Rede versuchen Sie, Ihre "neue" FDP von FPÖ und AfD abzugrenzen. Bezeichnend, daß Sie es für erforderlich halten ... Wollten Sie sich nicht mal an der Partei "NEOS" orientieren? Magenta?

 

Sie behaupten, die FDP sei eine liberale, eine individualistische, eine weltoffene, eine progressive und säkulare Partei. Hört, hört!

 

Image folgt Fakten! Wo sind die Fakten, die Belege dafür? Wo sind die entsprechenden Anträge, Initiativen und Gesetzesvorschläge? Die FDP war zwar zwischen 2013 und 2017 nicht im Bundestag, aber sie war in diversen Landesparlamenten vertreten ... Und?

 

Sie wollen nicht in die Nähe der AfD gerückt werden, vermischen aber doch, wie es deren Vertreter immer wieder machen, Migrations- und Flüchtlingspolitik. Sie differenzieren nicht zwischen Ein- oder Zuwanderern, Asylbewerbern bzw. Asylanten und Flüchtlingen.

 

"Die Migrationspolitik ist überall auf der Welt geeignet, Gesellschaften zu sprengen, ... Es ist eine der sensibelsten politischen Fragen, die es überhaupt gibt. Denn es [hat] mit Identität und mit Ängsten zu tun. Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel ist gescheitert. ..."

 

Bis heute habe ich keine Antwort von Ihnen auf die folgende Frage bekommen:

 

Welche Entscheidung hätten Sie getroffen, wenn Sie am 4. September 2015 Bundeskanzler gewesen wären?

 

Statt mir zu antworten oder antworten zu lassen, haben Sie mich lieber von Ihrem Team Lindner von Ihrer Facebook-Seite ausschließen lassen. Liberal?

 

"... die Frage ist doch nicht, ob dann die Leistungen reduziert werden, die eigentliche Frage ist doch, wieso kann es sein, dass Asylverfahren in Deutschland überhaupt 15 oder 36 Monate dauern, die müssen schneller abgeschlossen werden, statt solche Neiddebatten zu führen."

 

Ich stimme Ihnen hier zu 100 Prozent zu. Leider bleiben Sie die Antwort darauf schuldig, wie Sie die Asylverfahren beschleunigen wollen. Schon heute werden viele Entscheidungen, die anscheinend zu schnell, zu oberflächlich getroffen wurden, von den Gerichten geändert.

 

"Was für eine Blamage für das ganze deutsche Bildungssystem, das inzwischen höchst richterlich festgehalten wird, dass die Abiturnoten in den 16 Ländern nicht vergleichbar sind und deshalb kein zumindest alleiniger Maßstab für die Aufnahme eines Hochschulstudiums sein kann. Was für eine Situation."

 

Wieder uneingeschränkte Zustimmung meinerseits. In welchen Landesparlamenten war und ist die FDP vertreten, wo stellte und stellt sie die für das Bildungssystem zuständigen Minister? Ist es nicht auch eine Blamage für die Freidemokraten?

 

Mit dem Motto "Meckerst Du noch oder machst Du schon?" habe ich früher mal für die FDP und politisches Engagement geworben. Das kann man inzwischen wohl für die "neue" FDP mit den Freien Demokraten nicht mehr ...

 

"Wir wollen nicht nach links oder rechts, nach vorne! Nach vorne!"

 

Nach vorne wollen Sie also. Wo soll das sein? Das Bundeskanzleramt?

 

Und dann bemühen Sie zum Abschluß noch einmal Ralf Dahrendorf, der sich leider nicht mehr dagegen wehren kann.

 

Das liest sich für mich als Liberalen sehr gut, denn in der Partei von Dahrendorf bin ich einst Mitglied geworden. Ihre "neue" FDP ist diese Partei aber nicht (mehr) ...

 

Es genügt nicht, sich auf Traditionen zu berufen, sie müssen auch im aktuellen Verhalten, in der aktuellen Politik zum Ausdruck kommen.

 

Sicher wissen Sie, daß die AfD gerade versucht, Gustav Stresemann für sich zu vereinnahmen.

 

Einmal ganz abgesehen davon, daß ich von der FDP, falls sie sich doch noch einen Funken Liberalismus bewahrt haben sollte, erwarte, daß sie Christina und Walter Stresemann tatkräftig unterstützt, bisher habe ich dazu noch nichts gelesen, wird auch die AfD dadurch nicht (wieder) zu einer liberalen Partei werden.

 

Daß ich von Ihnen sehr enttäuscht bin, wissen Sie. Ich setze nun auf Ihre Nachfolger, denn noch gebe ich "meine" FDP, gebe ich die Idee der Liberalen Partei Deutschland und von einem ganzheitlichen Liberalismus nicht auf.

 

Sie könnten sich ein gutes Beispiel an den Jungen Liberalen nehmen, die sich erfreulicherweise auch nach wie vor als Liberale bezeichnen ... - und das sicherlich auch ganz bewußt.

 

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für das bevorstehende Wochenende
Ihr Wolfgang Gerstenhöfer
liberal - freiheitlich und gleichzeitig sozial