Ihre Rede anläßlich des Dreikönigstreffens der FDP am 6.1.2016
http://www.christian-lindner.de/files/204/16_01_05_Rede_3K16.pdf
Von: Christian.Lindner@landtag.nrw.de [mailto:Christian.Lindner@landtag.nrw.de]
Gesendet: Montag, 11. Januar 2016 21:35
An: wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de
Betreff: Re: Ihre Rede anläßlich des Dreikönigstreffens der FDP am 6.1.2016
Sehr geehrter Herr Gerstenhöfer,
das bestätige ich gerne: Anregungen und Gedanken zur Kenntnis genommen! Für umfängliche Korrespondenz fehlt mir aber in der Tat leider die Zeit in der Wahlkampfphase.
Beste Grüße und alles Gute,
Christian Lindner
Von: Wolfgang Gerstenhöfer [mailto:wolfgang.gerstenhoefer@gmx.de]
Gesendet: Montag, 11. Januar 2016 19:35
An: Lindner, Christian
Betreff: Ihre Rede anläßlich des Dreikönigstreffens der FDP am 6.1.2016
Sehr geehrter Herr Lindner,
wie bereits über Facebook angekündigt, kommt hiermit meine Rückmeldung zu Ihrer Rede, die Sie am 6. Januar 2016 auf dem Dreikönigstreffen Ihrer Partei in Stuttgart gehalten haben. Ich hoffe sehr, daß Sie sich dafür etwas Zeit nehmen können und werden. Vielen Dank.
Als sehr positiv habe ich es empfunden, daß die Rede in diesem Jahr noch am gleichen Tag in verschrifteter Form vorlag. Mein Kompliment an Ihr Team. Auch dafür ein herzliches Dankeschön!
Ihre Rede hat mir in einigen Passagen sehr gut gefallen und zwar (fast) immer dann, wenn Sie konkret geworden sind. Dies habe ich an Ihren Reden in der Vergangenheit schon öfter vermißt. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß Sie in diesem Jahr verbindlicher waren als in den Vorjahren.
Nun zum Inhalt:
"Den Einzelnen stark zu machen für ein selbstbestimmtes Leben, die Menschen und dieses Land in die Lage zu versetzen, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen - das war und ist der Grund, warum es ..." Liberale "... gibt."
Das sehe ich grundsätzlich auch so.
Und trotzdem: Auf das Wie kommt es an. Hier geben Sie im weiteren Verlauf Ihrer Rede Antworten; es bleiben aber auch viele Fragen offen. Ich kann mich nur wiederholen: Werden Sie so konkret wie irgendmöglich, sagen Sie den Menschen, wie das funktionieren soll, wie Sie und die FDP das machen wollen.
Beim Abschnitt "Flüchtlingspolitik" bin ich völlig bei Ihnen, kann ich Ihnen uneingeschränkt zustimmen und halte ich Ihre Position für eindeutig liberal.
Erstens, zweitens, drittens - volle Zustimmung.
Auch die Forderung nach polizeilichen Sicherheitskonzepten und der deutliche Hinweis auf Defizite beim Vollzug von Gesetzen, bei der Anwendung vorhandener Rechtsvorschriften ist meiner Ansicht nach berechtigt und liberal. Es geht um den liberalen Rechtsstaat. Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze; sie gehören zusammen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Und doch gibt es ein Aber: Es geht um Glaubwürdigkeit.
Vollzugsdefizite hat gerade die FDP in der Vergangenheit immer wieder beklagt. Immer wieder war sie aber auch in Verantwortung - im Bund und in den Ländern. Hat sie, haben ihre Vertreter genug dafür getan, um die Defizite zu beseitigen, um Recht und Gesetz ausreichend Geltung zu verschaffen?
Beispiele wären gut gewesen, um Vertrauen zu schaffen, um glaubwürdig zu werden und zu sein.
Auch beim Abschnitt "Europa" kann ich Ihnen weitgehend zustimmen, sehe ich sehr positive Ansätze für liberale Politik.
Daß Deutschland im vergangenen Jahr in der Flüchtlingspolitik zu oft im Alleingang gehandelt hat, sehe ich allerdings nicht. Ich sehe auch kein Chaos. Das sieht für mich anders aus, aber das ist bekanntlich relativ, und Sie müssen natürlich auch Wahlkampf machen - sehr bald in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt und später noch in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Und wer befördert Herrn Recep Tayyip Erdoğan zum Hoffnungsträger und EU-Beitrittskandidaten?
Ich bin sicher kein Fan von Frau Dr. Angela Merkel und schon gar nicht von der CDU und hätte es vor zehn Jahren schon gar nicht und noch vor einigen Monaten auch noch nicht für möglich gehalten, aber sie hat sich meinen höchsten Respekt verdient. Zur Zeit halte ich sie als Bundeskanzlerin tatsächlich für "alternativlos". Sie hat Deutschland ein menschliches Gesicht gegeben und gezeigt, daß Recht und Gesetz den Menschen zu dienen haben und kein Selbstzweck sind.
Menschen in Not mußte spontan, mußte unverzüglich geholfen werden. Das hat sie möglich gemacht - mit der tatkräftigen Hilfe und dem Engagement vieler Menschen vor Ort - ohne Wenn und Aber. Und das war und ist gut so. Wenn Deutschland, wenn der Bund dies nicht gemacht hätte und nicht schaffen würde, dann wäre dies ein gewaltiges Armutszeugnis für unser Land und seine Bevölkerung.
Wir leben nicht in einem Einheits-, sondern in einem Bundesstaat. (Die FDP stand dem von den Alliierten geforderten Föderalismus übrigens mal sehr skeptisch gegenüber ...) Nach meiner Einschätzung haben wir es eher mit einem Chaos, um bei dem von Ihnen gewählten Begriff zu bleiben, auf der operativen Ebene zu tun. Hier sind vor allem die Bundesländer und die Kommunen gefragt. Die aktuelle Situation verstärkt lediglich das Organisations- und Zuständigkeitswirrwarr, das aber nicht wirklich neu ist.
Es gibt nun einmal unterschiedliche Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Das dürfte Ihnen vor allem als Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags und ehemaligen Mitglied des Deutschen Bundestags nicht unbekannt sein. Ich halte es deshalb für falsch, die Bundeskanzlerin und/oder die Bundesregierung für Defizite anderer Gebietskörperschaften verantwortlich zu machen, auch wenn ich nicht viel von der Großen Koalition und den an ihr beteiligten Parteien halte. Den Menschen zu helfen, hatte und hat für mich die oberste Priorität.
Was hätten Sie denn getan, wenn Sie am 4. September 2015 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewesen wären? Das würde mich sehr interessieren!
Der Abschnitt "Terror" sagt mir zu. Da wird seit Jahren über die völlig wirkungslose Vorratsdatenspeicherung diskutiert, aber an ein "Gesetz zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken" hatte bis zum Dezember 2015 noch niemand mit Verantwortung gedacht.
"Deutschland-Update"? Nach "German Mut" ein neues Schlagwort, ein neuer Anglizismus. Auch hier die Frage: Was soll das konkret sein? Dieser Abschnitt Ihrer Rede bleibt - so mein Empfinden - wieder sehr unverbindlich. Da ist für jeden oder niemanden etwas dabei. Werden Sie konkret. Bitte keinen "Katheder-Liberalismus".
Beim Abschnitt "Bildung" kann ich Ihnen wieder uneingeschränkt folgen, auch wenn die Forderung nach einer Reform des Bildungsföderalismus für die FDP nicht neu ist. Sie stand schon im Programm der FDP anläßlich der Bundestagswahl im Jahre 1980, das mich zur FDP geführt hat. Leider ist sie - wie so manche gute und vor allem liberale FDP-Programmatik - im Eifer des Tagesgeschäfts und der Koalitionsdisziplin in Vergessenheit geraten.
Ich bin schon sehr gespannt, ob dies dieses Mal anders sein wird. Und da ist das Thema Glaubwürdigkeit wieder ...
Als ich Ihre Rede gelesen habe, ist mir der folgende Spruch wieder eingefallen, der - wenn auch sehr pauschal - die Situation in einer Vielzahl unserer Schulen bedauerlicherweise sehr gut beschreibt: "Wir sind die Schüler von heute, die in den Schulen von gestern mit Lehrern von vorgestern und Methoden aus dem Mittelalter auf die Probleme von morgen vorbereitet werden." Obgleich ich nicht viel von Pauschalurteilen halte, denke ich, daß in diesem Spruch viel Wahrheit steckt. Es gibt viel zu tun - Packen wir´s an!
Was tun die Landespolitiker, die Bildungs- und Schulpolitiker der FDP? Auch bei diesem Thema wären ein paar Beispiele aus der Praxis durchaus sinnvoll gewesen - für die Glaubwürdigkeit.
Der Abschnitt "Infrastruktur" ist aus meiner Sicht in Ordnung. Ein bißchen Polemik muß in Wahlkampfzeiten sein, und Österreich und die Schweiz dürfen selbstverständlich nie vor Deutschland liegen. ;-)
Schwierig wird es mit dem nächsten Abschnitt - Freiheit und Regeln. Wie kann man das eine tun, ohne das andere zu lassen? Wie schafft man Freiheit, Freiräume für alle Menschen, für Unternehmer und Arbeitgeber ebenso wie für Arbeitnehmer und Arbeitssuchende ohne Bürokratismus und Bevormundung? Das ist die Frage, ist die Herausforderung für Liberale.
Sehen Sie in den (unbegrenzten) Möglichkeiten der Ausbeutung und der Selbstausbeutung eine großartige Chance, daß wir uns vom Stechuhrdenken befreien und die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer stärken? Oder sollte ich Sie da (bewußt) mißverstanden haben?
Bleiben wir bei Ihrem Beispiel: Flexible Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit und Werkverträge sind gut, wenn sie Einstiegschancen bieten, führen sie aber dauerhaft zu prekären Beschäftigungsverhältnissen, werden sie genutzt, mißbraucht, um reguläre Arbeitsverhältnisse zu umgehen, dann halte ich sie weder für liberal noch für mit einer Marktwirtschaft vereinbar.
Von Überregulierung halte ich nichts, von Liberalisierung als Selbstzweck ebenso wenig. Wir brauchen die "richtigen" Regeln, die dafür sorgen, daß eine Marktwirtschaft eine freiheitliche und gleichzeitig soziale Wettbewerbswirtschaft bleibt und weder zu einer Zentralverwaltungs- oder Planwirtschaft noch zu einem Raubtier-, Heuschrecken-, Turbo-, Kasino- oder Manchester-Kapitalismus wird. (Es gibt sicher noch mehr "schöne" Begriffe ...)
Ich wünsche mir von dem Bundesvorsitzenden einer Partei, die sich zum Liberalismus als Lebenseinstellung bekennt, Vorschläge, wie man prekäre Beschäftigungsverhältnisse vermeidet, Streß wirkungsvoll abbaut und damit die Zunahme von psychosomatisch bedingten Arbeits-, Berufs- und Erwerbsunfähigkeiten verhindert: Gewinne um jeden Preis, zu Lasten der Gesundheit und auf Kosten der Versichertengemeinschaften, der Allgemeinheit, des Staates sind nicht im Sinne einer Marktwirtschaft, die diese Bezeichnung verdient.
Im Mittelpunkt der Marktwirtschaft stehen nämlich die Kunden und nicht die Unternehmen/Arbeitgeber. Diese freiheitliche Wirtschaftsordnung dient dem Wohl aller Bürger als Verbraucher, Unternehmer, Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Steuerzahler. Die Marktwirtschaft ist keine Veranstaltung zur bloßen Gewinnmaximierung. Sie ist auch keine kollektive Hängematte. Sie ist die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Freiheit. Davon entfernt sich die "Soziale Marktwirtschaft" leider immer mehr - und das spätestens seit 1966/67 und noch mehr seit 1998/99.
Beim Abschnitt "Gegen den Etatismus" haben Sie wieder meine Unterstützung. Die Idee der Erbschaftssteuer mit dem Prinzip 10 Prozent ist sehr gut, sehr konkret. Politik zum Anfassen. D'accord.
Nun zu den Abschnitten "Mit Stabilität in die Offensive" und "Für Weltoffenheit statt Abschottung" [sic!]:
Auf der einen Seite gefällt mir, daß Sie sich (wieder) offensiv zum Liberalismus als Lebenseinstellung, als Weltanschauung bekennen. Andererseits verstehe ich gerade deshalb nicht und nehme es Ihnen auch sehr übel, daß Sie auf den Zusatz "Die Liberalen" verzichtet haben. Wenn die FDP eine oder sogar die liberale Partei in Deutschland sein will, dann ist gerade sie, deren Vertreter maßgeblich daran beteiligt waren, den Begriff zu verbrennen und beliebig zu machen, aufgefordert, für ihn einzutreten und ihn wieder positiv zu besetzen.
Ich hatte daher im vergangenen Jahr - vor dem Hintergrund eines neuen Medien-Beraters und einer neuen Agentur - eher damit gerechnet, daß Sie die FDP in Liberale Partei Deutschland (LPD) umbenennen, als aus Liberalen Freie Demokraten zu machen. Was soll das sein? Sehen Sie also christliche, soziale und freie Demokraten? Sind Freidemokraten also dann z. B. unsozial?
Es gab meines Erachtens sehr gute Gründe, den Zusatz im Jahre 1976 einzuführen, nachdem man sich schon bei der Gründung im Jahre 1948 mit dem Begriff liberal schwer getan hat. Die Beseitigung des Zusatzes in Verbindung mit einem beliebig erscheinenden Design geschah nach meiner Überzeugung völlig ohne Not.
Das ist und bleibt für mich der falsche Weg für den organisierten Liberalismus - auch und gerade mit Blick auf die AfD oder auch die ALFA.
Wir brauchen die Liberale Partei Deutschland(s). Eine Partei für alle Liberalen, für alle Freunde der Freiheit.
Wir - die Freunde der Freiheit - müssen den Begriff liberal mit Inhalten füllen, wieder positiv aufladen. Liberal heißt freiheitlich und zugleich sozial, steht für die Freiheit aller Menschen - unabhängig von Herkunft, Einkommen und Vermögen, fordert Verantwortungsbereitschaft und Rücksichtnahme. Bürgerrechte und Marktwirtschaft, demokratischer Rechtsstaat und freiheitlicher Sozialstaat, negative und positive Freiheiten: Freiheit und damit der Liberalismus sind unteilbar.
Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute und viel Erfolg im Interesse der liberalen Sache und werde Sie und Ihre Arbeit auch künftig sehr gern konstruktiv-kritisch begleiten. Über eine Antwort würde ich mich natürlich sehr freuen, erwarte sie mit Blick auf Ihr Engagement aber nicht. Wichtig ist mir nur, daß Sie meine Hinweise und Anregungen zur Kenntnis nehmen. Dafür danke ich Ihnen bereits im voraus.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Wolfgang Gerstenhöfer
liberal - freiheitlich und gleichzeitig sozial
http://gerstenhoefer.jimdo.com/
Falls Sie es wider Erwarten noch nicht gelesen haben sollten, lege ich Ihnen das Buch "Zwischen zwei Leben - Von Liebe, Tod und Zuversicht" von Guido Westerwelle mit Dominik Wichmann sehr ans Herz. Guido war auf einem guten Weg, die FDP als soziale Partei zu positionieren. Leider hat er sich durch die "Hartz-IV-Debatte" im Jahre 2010 ausbremsen lassen. Das würde ihm heute wahrscheinlich nicht mehr passieren. Ich würde mir für ihn und für den Liberalismus wünschen, daß er sich irgendwann wieder aktiv in die Zukunft des Liberalismus einmischt! (Ich werde ihm daher eine Kopie dieser E-Mail zukommen lassen und gehe davon aus, daß Sie nichts dagegen haben.)