Gesundheitswesen/-markt

 
----- Original Message -----
Sent: Thursday, March 27, 2014 10:05 AM
Subject: Gesundheitswesen/-markt
 
Hallo zusammen,
 
für diejenigen unter Euch, die sich für die Zukunft unseres Gesundheitswesens und vor allem dessen Bezahlbarkeit interessieren - zur Vorbereitung auf eine mögliche Diskussionsrunde.
 
Das sind die aktuellen Positionen der Piratenpartei zur Gesundheitspolitik und dem Schwerpunkt "Finanzierung des Gesundheitswesens":

Grundsatzprogramm:

"Die Piraten stehen für eine zukunftsfähige und solidarische Gesundheitspolitik mit folgenden Zielen:
Bei den Piraten steht der Mensch im Mittelpunkt des Gesundheitssystems.
Die Piraten streben eine am Patientennutzen orientierte Gesundheitsversorgung an.
Mit den Piraten wird das Gesundheitswesen über solidarische Beiträge finanziert und effizient organisiert.
Mit den Piraten steht im Gesundheitswesen das Wohl der Menschen im Vordergrund und nicht die Gewinnmaximierung.

Alle Bürger beteiligen sich an der Finanzierung des Gesundheitswesens. Die individuelle finanzielle Leistungsfähigkeit wird berücksichtigt. Privilegien der Privaten Krankenversicherungsunternehmen sind im Interesse einer einkommens- und vermögensunabhängigen Gesundheitsversorgung abzuschaffen."


Wahlprogramm anläßlich der jüngsten Bundestagswahl:

"Die Piraten orientieren sich in ihren gesundheitspolitischen Positionen am Wohl der Patienten, ohne die Seite der Leistungserbringer und Dienstleister im Gesundheitswesen zu vernachlässigen. Dabei berücksichtigen wir, dass auch in der Gesundheitsversorgung jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann und daher kluges Haushalten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln notwendig ist. Für uns zeichnet sich eine gute Gesundheitsversorgung durch ihren niedrigschwelligen Zugang aus, der allen Menschen in Deutschland eine zugewandte Behandlung nach aktuellem Stand der Erkenntnis ermöglicht.

Die Finanzierung des Gesundheitssystems betrachten wir als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher sehen wir in der Einbeziehung sämtlicher Bürgerinnen und Bürger in die Sozialversicherung unter Berücksichtigung möglichst aller Einkommensarten ein sinnvolles Modell zur Finanzierung dieses Systems. Wir erkennen allerdings die Einschränkungen der Wahlfreiheit in dieser Art der Finanzierung für Bürgerinnen und Bürger sowie die Anbieter privater Krankenversicherungen an und verstehen ihre Bedenken. Daher setzen wir uns für einen Volksentscheid ein, um einen gesellschaftlichen Konsens in dieser wichtigen Frage des gemeinschaftlichen Zusammenlebens zu erreichen."

Diese Positionierungen halte ich für nicht liberal, für nicht freiheitlich, teilweise aufgrund entsprechender Urteile des Bundesverfassungsgerichts sogar für verfassungswidrig, aber vor allem für nicht zielführend. Darüber hinaus gehen sie nach meinem Wissen von zum Teil falschen Voraussetzungen aus. So genießen z. B. nicht die privaten Krankenversicherer Privilegien in vielen Bereichen, sondern die gesetzlichen Krankenkassen und müssen Privatpatienten für gleiche Leistungen höhere Preise und Gebühren zahlen.
 
Der Mensch, der Patient soll im Mittelpunkt, sein Wohl an erster Stelle stehen. Die Gesundheitsversorgung soll sich am Nutzen für die Patienten orientieren, es soll wirtschaftlich und effizient sein und gleichzeitig dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen.
 
Diese Ziele würde ich sofort unterschreiben. Es stellt sich aber die Frage, wie man diese Ziele erreichen kann.
 
Sicher ist die Lösung kein Gesundheitsmarkt, auf dem die unsichtbare Hand des Marktes alles schon richten wird. Eine Zentralverwaltungswirtschaft mit einem unfehlbaren und allwissenden Lenker wird aber wohl auch nicht die Lösung sein. Den gibt es nämlich (leider) nicht. Und der Gesetzgeber mit Blick auf den nächsten Wahltermin ist auch nicht unbedingt der beste Gesundheitsexperte.
 
Der Gesundheitsmarkt, das Gesundheitswesen ist sehr komplex. Es gibt viele Akteure, deren Interessen nicht unbedingt gleich, oft sogar gegensätzlich sind. Es muß also Anreizsysteme für die Beteiligten und Betroffenen geben, um diese Interessen in eine gewisse Übereinstimmung zu bringen. Es muß eindeutige Regeln und Rahmenbedingungen geben und natürlich auch eine Instanz, die deren Einhaltung kontrolliert und bei Bedarf Korrekturen vornimmt, ohne zu sehr von der aktuellen Tagespolitik abhängig zu sein.
 
Die Gewinnmaximierung soll nicht im Vordergrund stehen. Der sehr menschliche, sehr natürliche Wunsch, mehr Geld zu bekommen oder weniger Geld ausgeben zu müssen, ist aber nach wie vor ein gutes Mittel, um Anreize für bestimmte Verhaltensweisen zu geben. Das mag uns nicht gefallen, ist aber so.
 
Deshalb kann (liberale) Marktwirtschaft funktionieren. Denn sie nimmt die Menschen so, wie sie sind, und geht nicht von einem idealistischen Menschenbild aus.
 
Auch das Gesundheitswesen ist ein Markt mit Kunden (Patienten) und Dienst- und Sachleistern (Erbringer medizinischer Leistungen). Patienten sind Kunden besonderer Art, denn sie befinden sich oft in einer Lage, in der sie sich keinen Überblick über den Markt verschaffen können. Aber auch die Erbringer medizinischer Leistungen sind Dienst- und Sachleister der besonderen Art, denn sie bestimmen die Nachfrage nach ihrem Angebot weitgehend selbst.
 
Dabei haben Patienten selbst gegensätzliche Interessen. Als Patient wollen sie eine möglichst optimale Gesundheitsversorgung nach der Devise "Koste es, was es wolle.". Andererseits haben sie als diejenigen, die die Gesundheitsleistungen direkt oder indirekt bezahlen müssen, ein Interesse an einer kostengünstigen und effizienten Behandlung.
 
Gleichzeitig ist jeder Patient ein Individuum mit unterschiedlichen Prioritäten und Bedürfnissen, die sich auch im Laufe des Lebens verändern. So unterscheidet sich auch die Bereitschaft, Geld für die Gesundheit auszugeben und selbst Gesundheitsvorsorge zu treffen. Zusätzlich wird diese Bereitschaft durch das zur Verfügung stehende Einkommen begrenzt.
 
Alle diese Aspekte sollten meiner Meinung nach bei einer Reform unseres Gesundheitswesens berücksichtigt werden. Kollektivismus, Paternalismus, Gleichmacherei, Monopole und Verstaatlichung bzw. Verbeamtung sind dazu nach meiner Überzeugung nicht hilfreich. Wir brauchen Vielfalt, Transparenz, Wahlfreiheit, Wettbewerb, ein System der gegenseitigen Kontrolle und eine funktionierende staatliche Rechts- und Fachaufsicht.
 
Beste Grüße
Wolfgang
 
 
Warum kann es mit dem Umlageverfahren (Finanzierungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung seit den 1880er Jahren) nicht weiter gehen?
 
Mit dem Umlageverfahren wurde in den 1880er Jahren die klassische Versorgung der Menschen im Alter und in Krankheit durch Kinder und Enkel quasi institutionalisiert. Die Menschen hatten viele Kinder, zu deren ungeschriebenen Pflichten es gehörte, sich um ihre Eltern, teilweise auch ihre Großeltern zu kümmern. Dieses System basiert darauf, daß es mit zunehmenden Alter immer weniger Menschen gibt. Der Bevölkerungsaufbau entspricht einer Pyramide. So sah es auch in Deutschland rund um 1900 noch aus. Aus der "Bevölkerungspyramide" ist aber aufgrund des demographischen Wandels inzwischen ein Baum geworden und sehr bald wird es ein Pilz sein. Es gibt also mit zunehmendem Alter nicht immer weniger, sondern immer mehr Menschen. Es müssen also immer mehr ältere Menschen von immer weniger jüngeren Menschen finanziert werden. Das kann nicht funktionieren. Eine Ausweitung dieses Systems auf alle Bürger löst das Problem nicht, sondern verschiebt es nur etwas weiter in die Zukunft - frei nach dem Motto "Nach uns die Sintflut." Diese Politik wird bereits seit den 1960er Jahren betrieben. Bereits damals war das Problem abzusehen. (Hinzu kommt, daß eine Ausweitung auf alle Bürger wahrscheinlich nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren wäre. Die Grundrechte gelten nun einmal auch für Privatversicherte und deren private Krankenversicherer.)
 
 
Meine Ideen für eine Reform der Finanzierung unseres Gesundheitswesens, die diesen Namen wirklich verdient und die zu einem freiheitlichen und nachhaltigen(generationengerechten) und gleichzeitig sozialen und solidarischen Krankenversicherungssysterm führen würde:
 
Dabei geht es mir nicht um das bestehende Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, nicht für Kassenpatienten einerseits und Privatpatienten andererseits, denn ich weiß um die vielen Schwächen und Nachteile der heutigen privaten Krankenversicherung ebenso wie um die der heutigen gesetzlichen Krankenversicherung.