Offener Brief an Herrn Sebastian Nerz (24.10.2015)

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-10/sebastian-nerz-fdp-piratenpartei-gastbeitrag


"... Deshalb ist es gut, dass sich die FDP in einem Prozess der Neuausrichtung zu Freien Demokraten gewandelt hat. Sie hat dabei ihren Wesenskern wiedergefunden und zum Programm gemacht. Das kann nur ein Anfang sein, aber er macht Hoffnung. ..."

 

Lieber Sebastian,

 

die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Auch ich hatte, als Herr Christian Lindner den Bundesvorsitz der FDP übernommen hatte, große Hoffnungen auf ihn gesetzt und gehofft, daß er aus der FDP endlich die Liberale Partei Deutschland(s) macht.

 

Du warst einer der wesentlichen Gründe, warum ich zusätzlich zu meiner Mitgliedschaft in der FDP, die fast 30 Jahre meine politische Heimat gewesen ist, zu Beginn des Jahres 2012 meine Aufnahme in die Piratenpartei Deutschland beantragt hatte.

 

Dazu habe ich damals in meinem Profil im Piratenwiki geschrieben:

 

"... Mit der FDP (im Kölner Karneval: Forgänger der Piraten) hat es seit 1948 erstmals eine liberale Partei in Deutschland gegeben. Mit der Piratenpartei Deutschland gibt es nach meiner Überzeugung nun wieder zwei liberale Parteien in Deutschland. Das halte ich für sehr schade und unglücklich.

 

Mit meiner Doppelmitgliedschaft - ein bißchen vergleichbar mit einer doppelten Staatsangehörigkeit - möchte ich einen (kleinen) Beitrag dazu leisten, daß es in absehbarer Zeit wieder eine einzige Partei des organisierten Liberalismus in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Auch die doppelte Staatsangehörigkeit ist ein schwieriges Thema, aber nicht unmöglich.

 

Hinzu kommen die aktuellen Entwicklungen bei der FDP vor allem seit der jüngsten Bundestagswahl [2009] und der Regierungsbeteiligung. Es ist leider kein wirklich neues Thema, daß die FDP ihr liberales Profil z. B. auf Wirtschaftsthemen verkürzt und insbesondere die sozialen Aspekte ausklammert. Das beste Grundsatzprogramm hilft aber nicht, wenn es nicht auch gelebt wird.

 

Liberale können sich vor allem in Deutschland - davon bin ich zutiefst überzeugt, auch und gerade mit Blick auf die Geschichte - keine zwei Parteien leisten.

 

Wie heißt es seit einiger Zeit bei der FDP so schön: Ich bin und bleibe ein Freund der Freiheit. ..."

 

Satzungsrechtlich ließ die FDP leider keine Doppelmitgliedschaft zu und auch die Wahlgesetze stehen dieser entgegen, so daß meine Mitgliedschaft in der FDP automatisch beendet wurde.

 

Ich war und bin immer noch davon überzeugt, daß die Piratenpartei im Jahr 2006 in liberalem Geiste gegründet worden ist. Leider wurde sie ab dem Jahr 2012 von Linksradikalen, die sich selbst gern als cool-progressiv bezeichnet haben, gekapert und hat sie es bis heute nicht (wieder) geschafft, sich von dem dadurch entstandenen Image zu befreien. Das ist bisher auch Herrn Stefan Körner nicht gelungen. Leider.

 

Als ich in den Medien zum ersten Mal von den Piraten gehört hatte, war mein erster Gedanke, warum gründen die eine neue Partei und engagieren sich nicht in der FDP.

 

Eines habe ich aber bis heute nicht verstanden:

 

Wie kann man bei der inneren Sicherheit dem Staat und der Politik so skeptisch gegenüber stehen, was ich als Liberaler befürworte, und gleichzeitig zum Beispiel bei der sozialen Sicherheit so sehr auf Staat und Politik setzen, indem man sich für eine Bürgerversicherung (Euphemismus für eine "Zwangs-Staats-Einheits-Krankenkasse") einsetzt?

 

Als ich 1983 vor der Entscheidung stand, mich in einer liberalen Partei zu engagieren, gab es neben der FDP aufgrund der sogenannten Wende auch die Liberalen Demokraten. Ich habe mich damals bewußt für die FDP entschieden, weil ich den liberalen Spaltpilz nicht unterstützen wollte. Leider ist es bis heute nicht gelungen, alle Liberalen in einer Partei zu vereinen - ganz im Gegenteil.

 

Herr Christian Lindner hat mich sehr enttäuscht; ich hatte mir von ihm eine deutlichere Neupositionierung erwartet. Der Sprech - wie es so schön heißt - hat sich nach meinem Eindruck nicht wirklich verändert. Ich hatte erwartet, daß er da weiter macht, wo Herr Dr. Guido Westerwelle leider kapituliert hatte, als es zu der "Hartz-IV-Debatte" gekommen war. Es wäre nach meiner Überzeugung eine sehr gute Gelegenheit gewesen, die FDP als soziale Partei zu etablieren, ohne sozial mit Gleichmacherei oder Paternalismus gleichzusetzen.

 

Er schafft es einfach nicht, deutlich zu machen, daß, wie und warum die liberale Marktwirtschaft im Sinne des Ordo- bzw. des Neoliberalismus, im Sinne der Freiburger Schule der Nationalökonomie, die der liberale Bundeswirtschaftsminister Prof. Dr. Ludwig Erhard ab 1949 in der Bundesrepublik Deutschland einführen wollte, sozial ist und nicht viel mit der Wirtschaftsordnung zu tun hat, die wir zur Zeit haben und Soziale Marktwirtschaft nennen.

 

Und seit dem 6. Januar dieses Jahres haben die Freidemokraten dann auch noch auf den Zusatz "Die Liberalen" verzichtet und nennen sich nun Freie Demokraten. Zuerst verbrennen sie den Begriff "liberal" und dann distanzieren sie sich von ihm.

 

Hat die FDP also wirklich ihren Kern wiedergefunden? Ich habe da meine Zweifel. Für mich ist und bleibt der Begriff "Liberalismus" als die Weltanschauung der größtmöglichen Freiheit für alle Menschen positiv besetzt. Dafür werbe ich und engagiere ich mich - im Rahmen meiner Möglichkeiten.

 

Dir, lieber Sebastian, wünsche ich, daß sich Deine Erwartungen, die Du an Deine Mitgliedschaft in der FDP knüpfst, erfüllen. Vielleicht willst und kannst Du innerhalb der FDP dazu beitragen, daß es irgendwann doch noch eine Partei gibt, die alle Liberalen vereint und ihnen eine politische Heimat gibt.

 

Eine Partei, die den Liberalismus mit allen seinen Aspekten und Komponenten - also ganzheitlich - und in allen Lebensbereichen und auf allen Politikfeldern konsequent vertritt und umsetzt.

 

Das ist meine große Hoffnung, die ich nicht aufgeben werde.

 

Beste Grüße

Wolfgang

liberal - sozial und trotzdem freiheitlich