Ihre Kritik an der Rede von Herrn Martin Schulz (14.2.2014)
Sehr geehrter Graf Lambsdorff,
wenn ich den Medien Glauben schenken darf, dann sind Sie mit den Passagen der Rede von Herrn Martin Schulz nicht einverstanden, die am
12.2.2014 zu einem Eklat in der Knesset geführt haben.
Bitte glauben Sie mir, daß ich mich schon oft über Äußerungen von Herrn Martin Schulz geärgert habe. Ich bin sicher keiner seiner
Anhänger.
In diesem Fall hat er allerdings meine grundsätzliche Zustimmung, teilweise hätte ich mir sogar noch deutlichere Worte gewünscht.
Sind Sie der Ansicht, daß der Staat Israel unter den Staaten unserer Welt eine Sonderstellung einnehmen und Privilegien gegenüber anderen
Staaten und Völkern genießen sollte?
Die Verbrechen der Deutschen unter der Herrschaft der Nationalsozialisten vor allem an Menschen jüdischer Herkunft und/oder jüdischen Glaubens
rechtfertigen kein Unrecht des Staates Israel durch Tun oder Unterlassen.
Sie sind auch keine Entschuldigung und keine Begründung dafür, Mißstände nicht in aller Deutlichkeit beim Namen zu nennen und öffentlich
anzuprangern.
Ganz im Gegenteil: Sie müssen Ansporn dazu sein, gegen jede Art von Verbrechen gegen die Menschlichkeit aktiv und konsequent vorzugehen.
Nach meinem Eindruck von seiner Rede hat Herr Schulz noch nicht einmal konkrete Vorwürfe erhoben, sondern eher Fragen gestellt.
Es würde gerade der FDP, wenn sie denn eine liberale Partei sein bzw. (wieder) werden will, gut zu Gesicht stehen, sich nicht hinter den
Verbrechen des "Dritten Reiches" zu verstecken, sondern auch dem Staat Israel, den Menschen jüdischer Nationalität und den Angehörigen des Judentums auf Augenhöhe zu begegnen.
Der Liberalismus umfaßt nach meiner Überzeugung sowohl den Grundsatz, alle Menschen und damit auch alle Völker gleich zu behandeln, als auch
Nationalbewußtsein und Patriotismus, wie er bei anderen Völkern und Nationen völlig selbstverständlich ist, nur bei uns Deutschen seit 1945 nicht mehr.
Wir dürfen uns nicht größer, aber wir sollten uns auch nicht kleiner machen, als wir es sind - trotz und wegen unserer Geschichte.
Es wundert mich schon lange nicht mehr, daß gerade jüngere Menschen dieses Verhalten und das Gerede von Kollektivschuld und -scham nicht
mehr ertragen wollen und sich von rechten "Rattenfängern" ködern lassen. Auch den sogenannten Pro-Parteien und der AfD nutzt dieses immer wieder zur Schau getragene
Minderwertigkeitsgefühl.
Zum Teil findet es sich auch wieder in der Rede von Herrn Schulz. Leider. Von ihm als Sozialdemokrat hätte ich es allerdings auch nicht anders
erwartet.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn die FDP hier den richtigen Mittelweg finden und beschreiten und dabei helfen würde, daß die Deutschen -
egal welcher ethnischen Abstammung und welcher Religion oder Weltanschauung - wieder ein angemessenes Selbstwertgefühl bekommen.
Meines Erachtens würde dies auch die Integration von Einwanderern erleichtern. Warum sollen sich Menschen zu Deutschland bekennen und mit
Deutschland identifizieren, wenn sich diejenigen, die als Deutsche geboren wurden, dafür schämen und quasi immer wieder dafür um Entschuldigung bitten?
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich schreibe Ihnen so offen und direkt, weil Sie und Ihre politischen Ansichten mir grundsätzlich sehr
sympathisch sind, und ich Sie - neben Herrn Christian Lindner - für einen der liberalen Hoffnungsträger halte.
Mit freundlich-liberalen Grüßen und den besten Wünschen für die bevorstehende Europawahl
Ihr Wolfgang Gerstenhöfer
Noch am Rande: Ich empfinde große Hochachtung vor Ihrem Onkel, dem "Marktgrafen". Ein Bild von ihm mit einer Widmung steht auf meinem
Schreibtisch.