Stellungnahme zur Rede von Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender, anläßlich des Dreikönigstreffens am 6. Januar 2024

"Alles für die Zukunft, Alles für die Bildung, Alles für die Wirtschaft! Alles, außer unentschieden."

 

Das liest sich wieder einmal sehr nach Werbeagentur. "Alles für die Bürger! Alles für den Liberalismus!" hätte ein gutes Motto für eine liberale Partei sein können, falls sich die FDP doch wieder dazu entschließen sollte, eine solche Partei zu sein bzw. zu werden.

 

Bei der Mitgliederbefragung haben rund 18,9 Prozent der Freien Demokraten für den Verbleib in der Ampelkoalition, in der sogenannten Fortschrittskoalition gestimmt (13.613 von 72.100 Mitgliedern; 52,24 Prozent der Abstimmenden).

 

Wofür hat sich die FDP nun entschieden? Regierung oder Opposition? Beides geht nicht.

 

Ampelkoalition - FDP-Mitgliederbefragung

 

Ergebnis der Mitgliederbefragung

 

"… Aber die Betroffenen können sich auch über diesen Tag hinaus darauf verlassen, dass wir solidarisch sind. Wir Freie Demokraten, wir wollen den Staat nicht für alles zuständig machen. Er kann auch nicht für alles zuständig sein. Wer aber unverschuldet in Not gerät, der kann sich auf die Solidarität unserer Gesellschaft verlassen. …"

 

Ist das wirklich so? Spielt der liberale Grundwert der Brüderlichkeit, der Solidarität bei den Freien Demokraten, bei den Freiheitlichen in der FDP noch eine Rolle? Ich habe da erhebliche Zweifel. Man sieht es auch daran, was sie aus der liberalen Forderung nach einem Bürgergeld, aus dem Konzept des liberalen Bürgergelds gemacht haben, haben machen lassen.

 

Bei vielen Themen gab es geradezu Aufstände in der FDP gegen Vorschläge aus den Reihen der Koalitionspartner, sogar gegen gemeinsame Beschlüsse. Beim Thema Bürgergeld Fehlanzeige.

 

Bei diesem Konzept der noch weitgehend liberalen FDP ging und geht es um Vereinfachung, um Bürokratieabbau und um Menschenwürde.

 

Es war, ist und bleibt das Arbeitslosengeld II, meinetwegen "Hartz IV 2.0". Ein (liberales) Bürgergeld war und ist es nicht

 

"… Manche werden nach Europa geschickt, damit sie von der Bildfläche verschwinden. Marie-Agnes Strack-Zimmermann geht nach Brüssel, damit die Stimme der Freiheit unüberhörbar wird. Sie ist die doppelte Kampfansage der FDP: Die Kampfansage an Ursula von der Leyen, die aus dem faszinierenden europäischen Gemeinschaftswerk ein Bürokratieprojekt machen will, und die Kampfansage an all die Rechts- und Linkspopulisten, die das europäische Einigungsprojekt geschichtsvergessen zerstören wollen. …"

 

Die Liberale Marie-Agnes Strack-Zimmermann wird ein großer Gewinn für die Europäische Union, für das Europäische Parlament sein, vor allem wenn man an ihre Vorgängerin Nicola Beer denkt - und deren Verhältnis zum Klimawandel, zu Viktor Mihály Orbán und zum Nationalismus.

 

Ich hätte Strack-Zimmermann der FDP, einer wieder durch und durch liberalen FDP spätestens ab Mai 2021, eigentlich schon seit April 2019 als Bundesvorsitzende gewünscht. Sattdessen mußte sie im April 2019 Nicola Beer Platz machen. Gut, daß diese nun für sie Platz machen mußte … Vizepräsidentin der Europäischen Investitionsbank…

 

So gesehen könnte man schon auf den Gedanken kommen, daß man sie aus Berlin nach Brüssel schickt, damit sie Lindner und den Freiheitlichen in der FDP nicht doch noch gefährlich wird. Geschichtsvergessen ist da durchaus ein gutes Stichwort: "Nie gab es mehr zu tun."

 

"… Die Bundesregierung handelt. Sie ist nicht fehlerfrei. Wer wäre das? Aber wir entscheiden mehr richtig als falsch. Denn sonst würde die FDP dieser Regierung nicht angehören. … Wir haben verstanden, dass bei der Kraftfahrzeugsteuer und dem Wegfall des grünen Kennzeichens viel Bürokratie entstanden wäre und auch, dass der Verzicht auf den Agrardiesel, um Überforderungen zu vermeiden, schrittweise erfolgen sollte. Dagegen kann man immer noch sein. …"

 

Pfeifen im Wald? Niemand sollte daran gehindert werden, klüger zu werden. Wie sagte schon Konrad Adenauer: "Aber meine Herren, es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden."

 

Nichtsdestotrotz wäre es nach vier Wochen Beratung zwischen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (15.11.2023) und dem Haushalts-Kompromiß (13.12.2023) sinnvoll und möglich gewesen, zu anderen, zu durchdachteren Entscheidungen zu kommen, bevor es zu den entsprechenden Reaktionen gekommen ist.

 

Hatten wir das nicht schon bei dem sogenannten Heizungsgesetz? Da wird  mehrere Wochen um einen Kompromiß gerungen, dann hat man ihn angeblich erzielt und er wird sofort wieder in Frage gestellt. Was will man damit erreichen?

 

Will man Christian Lindner loswerden, ohne ihn zu stürzen? Will man die Koalition platzen lassen? So hat es die "alte" FDP sicher nicht geschafft, zwischen 1949 und 1998 über 40 Jahre an der Bildung der Bundesregierung beteiligt zu sein.

 

Hat die "neue" FDP, haben die Frei(heitlich)en Demokraten mit Leitbild und neuem Design auch ihre Regierungsfähigkeit verloren? Eine Koalition funktioniert anders.

 

Ist die FDP noch koalitionsfähig?

 

"… Und auch in unserem Land selbst gibt es doch politische Kräfte, die destabilisieren wollen und die aus Krisen Kapital schlagen wollen. Denen geht es doch in Wahrheit nicht um eine andere Politik. Den Rechtspopulisten geht es um eine andere Gesellschaft. Sie wollen ein autoritäres Deutschland, und dem stellen Liberale sich entgegen. Die politische Kultur in Deutschland hat sich verändert. Auch in unserem Land gibt es eine starke Polarisierung. Manche sind darauf aus, den demokratischen Rechtsstaat selbst zu delegitimieren. Und deshalb muss sich jede und jeder fragen, wenn man mit Regierungsvorhaben unzufrieden ist: Will ich eine andere Politik oder möchte ich ein anderes System? Wer hetzerische WhatsApp-Kacheln im Freundeskreis verschickt, wer Ressentiments toleriert, wer die Verächtlichmachung demokratischer Politikerinnen und Politiker belacht und wer sich für Fakten nicht mehr interessiert, der schwächt nicht nur die liberale Demokratie, sondern gefährdet am Ende auch die eigene Freiheit. …"

 

Leider sind die Freiheitlichen in der FDP an diesem Haß und dieser Hetze bestimmter Gruppierungen nicht ganz unschuldig: "Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen."

 

75 Jahre FDP

 

"… Die gefährliche Situation, in die mein Kollege Robert Habeck gekommen ist, war völlig inakzeptabel. Die Sachbeschädigungen, auch die angekündigten Blockaden sind unverhältnismäßig. Wie sonst auch kann es hier nur eine Konsequenz geben: Landfriedensbruch, Nötigung und Sachbeschädigung -  das sind Fälle für den Staatsanwalt. …"

 

Dem ist nichts hinzuzufügen. Wenn politische Demonstrationen mit Androhung und Anwendungen von Gewalt, mit Nötigung und Landfriedensbruch verwechselt werden, dann müssen Exempel statuiert werden.

 

Traktoren quasi als Waffen einzusetzen, ist nach meinem Rechtsverständnis weder ein legales noch ein legitimes Mittel des Protestes unter den Bedingungen einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie sie uns unser Grundgesetz bietet.

 

"… Wir sind Freie Demokraten, weil wir von der Zukunft nichts befürchten, sondern etwas erwarten. Ich bin mir sicher, in unserem Land gibt es viele Menschen, die einen Aufbruch wollen, die den Missmut satt sind und die nur auf den ersten Achtungserfolg des Optimismus warten. Jetzt ist es an uns. Es ist unsere Aufgabe, dieses Land wieder mit unserem liberalen Tatendurst anzustecken. Das ist nichts, was man delegieren kann, wie auch die bürgerliche Mitte es in Deutschland gelegentlich tut, sondern es ist die Aufgabe für jede Einzelne und jeden Einzelnen von uns: …"

 

Liberaler Tatendurst? Liberale? Freie Demokraten, Frei(heitlich)e Demokraten …

 

Freie Demokraten oder Liberale?

 

Frei(heitlich)e Demokraten

 

"…Auch manch ein Handwerksmeister aus Sachsen zum Beispiel, wo ich neulich im Gespräch war, beklagt die Bürokratie in Deutschland. Der gleiche Mann in Russland würde aber die Bürokratie beklagen und danach wäre er im Gefängnis. Und dennoch gibt es in Deutschland Kräfte, die wollen aus wirtschaftlichen Gründen Konzessionen an Putin machen. Weidel und Wagenknecht, die sind für einen vielleicht kurzfristig sich tatsächlich ergebenden wirtschaftlichen Vorteil für unser Land offen dafür, über die Köpfe der Ukraine hinweg mit Russland zu verhandeln. Sie sind also bereit, wieder hinzunehmen, dass ein Staat einen anderen Staat zum Satelliten macht oder dass mit Gewalt Grenzen in Europa verschoben werden. Um es ein für alle Mal in aller Klarheit zu sagen: Wer die Freiheit der Ukraine opfert, der wird im Ernstfall auch nicht bereit sein, für unsere eigene Freiheit zu kämpfen. Deshalb unterstützen wir die Ukraine weiter finanziell und auch militärisch. Wir werden fortwährend weiter darüber sprechen müssen, was nötig ist an zusätzlicher wirtschaftlicher Unterstützung oder auch an Waffensystemen. Deutschland ist in Europa in einer führenden Rolle. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr. 50 Prozent der gesamten europäischen Unterstützung für die Ukraine werden von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aus Deutschland geleistet. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr, weil wir wissen, was auf dem Spiel steht. Wenn mehr nötig ist, wird allerdings nicht nur Deutschland alleine dies leisten müssen. Die Bedrohung besteht für Europa insgesamt. Also müssen auch andere sich an der Lastenteilung beteiligen. Es kann nicht darauf hinauslaufen, dass Deutschland mehr für die Ukraine tut, damit andere starke europäische Staaten weniger tun müssen. Jetzt muss sich zeigen, dass die Europäische Union eine Wertegemeinschaft ist, die in diesen Zeiten zusammensteht. …"

 

Auch dies findet uneingeschränkt meine Zustimmung. Ob die Europäische Union allerdings noch die Gemeinschaft der Werte ist, auf die Europa vor allem nach den Schrecken der beiden Weltkriege mal sehr stolz gewesen ist, stelle ich doch in Frage.

 

"… wir tragen Regierungsverantwortung nicht um unserer selbst willen, sondern weil wir dieses Land gestalten wollen. Wir sind auch als liberale Partei kein Debattierclub, der sich nur mit Lehrbuchweisheiten beschäftigen will, die nicht dem Realitätscheck standhalten müssen. … Und es sind doch jetzt wir, die europäische Außengrenzen schützen, Asylverfahren von außerhalb Europas einführen, die wir in Deutschland unsere Grenze kontrollieren, die wir einen Abschiebegewahrsam einrichten, sichere Herkunftsländer beschließen und beim Asylbewerberleistungsgesetz das Niveau reduzieren, um die Magnetwirkung nach Deutschland einzuschränken. Das sind doch wir, die diese Realpolitik in der Migrationspolitik umgesetzt haben. … ich nenne das fordernde Integrationspolitik. Das gehört zum neuen Realismus: eine fordernde Integrationspolitik. Denn Integration, das ist nicht zuerst die Leistung der aufnehmenden Gesellschaft. Integration ist vor allen Dingen die Erwartung der aufnehmenden Gesellschaft an jene, die kommen. Dafür muss das Angebot aber für alle zugänglich sein. Deshalb: Kein Kollektivismus, sondern jede und jeder darf diesen German Dream von Freiheit und Weltoffenheit und sozialem Aufstieg mit uns träumen. Wir fragen nicht nach der ethnischen Herkunft, nach den kulturellen Vorlieben oder nach dem Schmuck des Weihnachtsbaums, sondern nur danach, welchen Beitrag jemand für unser Land leisten will. …"

 

Liberale Partei? Rechtsstaatspartei? Es war einmal. Realpolitik in der Migrationspolitik?

 

Es geht nicht um Zu- oder Einwanderung. Die muß entsprechend geregelt werden. Das ist gar keine Frage.

 

Das individuelle Grundrecht auf Asyl darf aber nicht angetastet werden. Menschen einschließlich Säuglinge, Kleinkinder und Kinder möglicherweise über Wochen und Monate unter haftähnlichen Bedingungen unterzubringen und ihnen den in einem freiheitlichen Rechtsstaat üblichen Rechtsweg mit einer entsprechenden juristischen Beratung und Unterstützung vorzuenthalten oder zumindest deutlich zu erschweren, ist nicht liberal.

 

Das ist eine Schande für die Partei, die sich mal als Rechtsstaatspartei verstanden hat. Noch gibt es Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gerhart Baum.

 

Die Änderung unseres Grundrechts auf Asyl im Jahr 1992 - mit Zustimmung der damals trotzdem noch weitgehend liberalen FDP - hat schon sehr deutlich an der "Ewigkeitsklausel" unseres Grundgesetzes gekratzt, auch wenn das Bundesverfassungsgericht dies seinerzeit nicht sehen wollte oder konnte. Es hat eben auch mal schlechtere und mal bessere Tage.

 

Nun soll anscheinend das beendet werden, das man mit diesem sogenannten Asylkompromiß seinerzeit begonnen hat. Arme FDP!

 

"… Auch unsere eigene Sicherheitslage steht ja wieder auf dem Prüfstand. Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat darauf hingewiesen, dass wir die Bundeswehr jetzt ertüchtigen. Diesen Weg werden wir weitergehen müssen. Gleichzeitig kommen auch alte Ideen wieder. Die Wiedereinführung oder Reaktivierung der allgemeinen Wehrpflicht in unserem Land wurde von Markus Söder aufgeworfen, garniert mit einem Foto aus Rekrutentagen. Das hat nichts mit Realpolitik zu tun. Das ist Romantik. Denn in dieser Lage, in der wir sind, über die allgemeine Wehrpflicht nachzudenken, trägt nicht zur Sicherheit bei. Wir schwächen uns nur in Zeiten von Arbeits- und Fachkräftemangel. Denn wir halten eine Generation davon ab, einen qualifizierten Beruf zu erlernen und auszuüben, um einige Monate als angelernte Kraft tätig zu sein. Wir greifen tief in individuelle Freiheiten ein, obwohl der Bezug zur Sicherheit nicht da ist. Denn im 21. Jahrhundert besteht Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr darin, wieder Kreiswehrersatzämter einzurichten, sondern darin, dass wir hoch hochqualifizierte Soldatinnen und Soldaten für eine Technologie-Armee finden. …"

 

Volle Zustimmung!

 

"… Wir müssen uns neu mit der Tatsache vertraut machen, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Gebot der Ökologie ist. Nachhaltigkeit ist auch eine Anforderung an die Ökonomie. Und deshalb müssen wir zurückkehren zu dem Grundsatz, dass der Staat dauerhaft nicht mehr Geld einsetzen kann, als die Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, ihm zur Verfügung zu stellen. … Wir brauchen wirksame Fiskalregeln, weil sich das wirtschaftliche Umfeld verändert hat. In den Zeiten, als der Zins für den Staat niedriger war als das Wachstum, da konnte er sich stark verschulden. Er hat seine Probleme gewissermaßen über die Zeit selbst und automatisch gelöst. Diejenigen, die das vertreten, benötigen für ihre Position allerdings ein Update, denn inzwischen ist der Zins höher als das Wachstum. Wir halten also die Schuldenbremse ein nicht aus Daffke, sondern um die Glaubwürdigkeit an den Kapitalmärkten zu erhalten, damit Deutschland Stabilitätsanker in Europa bleiben kann, damit wir neue Sicherheitspuffer aufbauen und damit nicht irgendwann dieses Land durch Zinsen und Tilgung stranguliert wird. Nicht aus Daffke, sondern als Gebot ökonomischer Vernunft halten wir an der Schuldenbremse fest. …"

 

Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben vom 1. September 1948 bis zum 8. Mai 1949 sehr gute Arbeit geleistet.

 

Schulden sollten - vor allem im Hinblick auf die Stabilität des Geldwerts - grundsätzlich vermieden werden. Keine Schulden zu machen, ist aber kein Selbstzweck.

 

Es ist die Aufgabe der Politik, Vor- und Nachteile abzuwägen und ihrer Verantwortung bewußt Entscheidungen zu treffen - zum Wohle des deutschen Volkes und mit dem Ziel, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden.

 

Diese Aufgabe und Verpflichtung kann und darf ihr auch das Grundgesetz nicht abnehmen. Wir sollten besser damit aufhören, das Grundgesetz, unsere Verfassung immer weiter zu "verschlimmbessern", um die Inhaber öffentlicher Ämter aus ihrer Verantwortung zu entlassen.

 

Mit einer Verfassung kann man nie alle Einzelfälle und alle Eventualitäten regeln - und sollte es auch nicht versuchen.

 

"… Die reduzierten Mehrwertsteuersätze, die verschobene Erhöhung des ursprünglich geplanten CO2-Preises, die Preisbremsen, all das waren notwendige, aber befristete Krisenmaßnahmen. Die eine oder der andere mag Sympathie haben, sie auf Dauer einzuführen. Aber dies geht nur dann, wenn man auf anderes verzichtet und Gegenfinanzierungen findet. Krisenmaßnahmen wie diese reduzieren den Preisdruck, der von den Weltmärkten über die Inflation kommt. Zur Realität gehört aber, sich einzugestehen: Der Staat kann nicht auf Dauer gestiegene Preise oder höhere Importkosten von den Weltmärkten ausgleichen. Der Staat kann ruinöse Preisspitzen dämpfen. Den Lebensstandard der Menschen in Deutschland sichern, das allerdings kann der Staat nicht. Das kann nur eine prosperierende Wirtschaft leisten. … Und wir werden in diesem Jahr auch nach vorne schauen müssen, wie sich die kalte Progression in den nächsten Jahren entwickeln wird. Ich sage voraus: Das wird für die nächsten Jahre 2025 und 2026 wieder eine intensive Diskussion in der Koalition geben, ob es möglich ist, auf die automatischen Steuererhöhungen der kalten Progression zu verzichten. Für uns aber ist dies eine Frage der Gerechtigkeit. Denn es dürfen nicht nur die Leistungen für diejenigen, die nicht arbeiten, an die Preisentwicklung angepasst werden. Genauso muss auch die Einkommensteuer an die Inflation angepasst werden für diejenigen, die den Sozialstaat mit ihrer Arbeit tragen. …"

 

Das entspricht auch meiner Meinung und meinem Verständnis von Liberalismus, freiheitlich und gleichzeitig sozial.

 

Libertarismus vs. Liberalismus

 

"… Das Bundesverfassungsgericht hat sich ja erstmals umfassend mit einer Auslegung der Schuldenbremse des Grundgesetzes beschäftigt. Dieses Grundsatzurteil war veranlasst durch eine Entscheidung der Bundesregierung und des Haushaltsgesetzgebers. Betroffen hat sie allerdings die Staatspraxis insgesamt. Es ist ein für uns und für mich peinliches Urteil, das uns aber in besonderer Weise jetzt in die Verantwortung nimmt, die neu gewonnene Rechtsklarheit zu befolgen. …"

 

Das ist für einen Bundesminister der Finanzen äußerst peinlich, der gleichzeitig Bundesvorsitzender der Partei ist, die immer betont, die Schuldenbremse sei Verfassungsrecht und in jedem Fall einzuhalten.

 

Ginge es Christian Lindner um Glaubwürdigkeit der FDP, hätte er spätestens am 16. November 2023 sowohl als Bundesminister als auch als FDP-Vorsitzender die politische Verantwortung übernehmen und zurücktreten müssen.

 

Man kann nicht mit "Zähnen und Klauen" die Schuldenbremse verteidigen, sie gleichzeitig zu umgehen versuchen und dann auch noch vom Bundesverfassungsgericht dabei erwischt werden, ohne dafür die persönliche Verantwortung zu übernehmen und die Konsequenzen zu ziehen.

 

Er verspielt immer wieder die ohnehin geringe Glaubwürdigkeit der FDP. Von wem wollen die Frei(heitlichen) Demokraten gewählt werden? Arme FDP.

 

"… Wir setzen jetzt das Instrument der Sanktionen bei den Verweigerern ein. Nicht nur, um damit Geld zu sparen, sondern auch, um zu erreichen, dass diese Menschen sich bewegen. Ehrlich gesagt kann ich nicht verstehen, dass Arbeitsminister Hubertus Heil für diesen Vorschlag aus der eigenen Partei und von Sozialverbänden kritisiert wird. Totalverweigerer zu sanktionieren, ist doch nicht das Problem. Das Problem wäre es, das nicht zu tun, weil Solidarität in dieser Gesellschaft keine Einbahnstraße ist. …"

 

Nur die Bezeichnung macht aus einer Sozialhilfe kein Bürgergeld. Dieses "Hartz IV 2.0" hat nichts mit der Idee eines (liberalen) Bürgergelds zu tun.

 

Wie lange soll der Begriff Bürgergeld noch mißbraucht werden? Es war, ist und bleibt das Arbeitslosengeld II, meinetwegen "Hartz IV 2.0".

 

Wenn man schon kein Bürgergeld einführen will, dann sollte die FDP nicht auch noch diesen Begriff verbrennen. Genügt es nicht, daß die Frei(heitlich)en Demokraten schon den Begriff liberal verbrannt haben?

 

"… Deshalb brauchen wir jetzt ein marktwirtschaftliches Klimaschutzgesetz, wo der eine Sektor dem anderen hilft. Nicht um weniger Klimaschutz zu erreichen, sondern um dafür zu sorgen, dass in dem Sektor, wo schneller und günstiger CO2 eingespart wird, die Effekte erzielt werden. Denn nicht am grünen Tisch sollte über den Weg in die Treibhausgasneutralität entschieden werden, sondern im marktwirtschaftlichen Ideenwettbewerb. … das Wachstumschancengesetz muss kommen. Es beinhaltet steuerliche Anreize für Investitionen und für Forschungsvorhaben. Es reduziert den bürokratischen Erfüllungsaufwand und weiteres mehr. … Und nun wird dieses Vorhaben ausgerechnet blockiert von der CDU/CSU, die sich nicht dafür öffnet, über dieses Gesetzgebungsvorhaben im Kontext des Vermittlungsausschusses zu sprechen. Die einen aus der CDU/CSU sagen, es sei zu wenig, es sei mickrig. Die anderen sagen, es sei zu viel, die Länder könnten es sich nicht leisten. Und im Ergebnis passiert nichts. Ich bin bereit, die Bundesregierung ist bereit, mit der CDU/CSU zu sprechen: Was sie genau will, was sie vorschlägt, wo das Gesetz kleiner werden soll oder wie es größer werden kann. Die Aufgabe ist aber, dass die Union sich für seriöse Verhandlungen öffnet. Wenn Friedrich Merz einen Führungsanspruch hat für das Land insgesamt, dann soll er ihn jetzt erst einmal in seiner eigenen Fraktion und gegenüber den eigenen Ländern beweisen und dafür sorgen, dass über dieses Vorhaben entschieden werden kann. …"

 

Grundsätzlich kann ich auch hier zustimmen. Nichtsdestotrotz muß das Konnexitätsprinzip gelten. Keine Gebietskörperschaft, auch nicht der Bund, darf zu Lasten der anderen Gebietskörperschaften Politik machen, schon gar nicht bevor man sich mit diesen abgestimmt und deren Zustimmung eingeholt hat. Länder und Kommunen immer wieder vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist kein akzeptabler Umgang.

 

Es ist schon erschreckend, wie diese FDP nun genau das macht, was sie während der Corona-Pandemie der Großen Koalition vorgehalten und unterstellt hat. So mit unterschiedlichen Maßstäben zu messen, hat nichts, aber auch gar nichts mit einer liberalen Partei zu tun, für die manche die FDP nach wie vor halten.

 

So gesehen ist es doch gut, daß sie sich ganz bewußt vom Zusatz "Die Liberalen" getrennt hat. Arme FDP!

 

"… Sorgen wir doch dafür, dass eine wieder starke und wachsende Wirtschaft uns die Mittel zur Verfügung stellt, die wir brauchen für Soziales, Ökologisches und die Sicherheitspolitik. Es ist kein Widerspruch, wirtschaftsfreundliche, wachstumsfördernde Politik zu machen oder sozial-ökologische. Im Gegenteil. Wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik ist die Voraussetzung dafür, überhaupt sozial-ökologische Politik machen zu können. Und deshalb brauchen wir in diesem Jahr nun die Wirtschaftswende. …"

 

Wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik? Eine liberale Partei sollte sich für eine liberale Wirtschaftsordnungspolitik stark machen, für eine liberale und damit soziale und ökologische Marktwirtschaft ("Konkurrenzkapitalismus") im Sinne des Ordoliberalismus, im Sinne der Freiburger Schule der Nationalökonomie. Diese braucht einen starken Staat, der für Vielfalt, Transparenz, Wettbewerb und Teilhabe und zum Beispiel dafür sorgt, daß natürliche Ressourcen wie auch das Klima und die Umwelt Preise haben und damit Kosten verursachen.

 

Marktwirtschaft

 

"… Die FDP ist nicht der wirtschaftspolitische Arbeitskreis der CDU, sondern eine eigenständige liberale Partei. Denn wir wissen: Eine im besten Wortsinne individualistische und vielfältige Gesellschaft kann man nicht zusammenbinden mit einem kollektivistischen Gesellschaftsverständnis. Wir brauchen individuelle Leitideen, die unabhängig von unserem eigenen Hintergrund akzeptabel sind. Und wir haben sie. Wir müssen sie nicht erfinden. Diese Leitideen sind die objektive Wertordnung des Grundgesetzes mit der Würde und Freiheit des Einzelnen und der Gleichberechtigung der Geschlechter. Zu unseren Leitideen gehört, dass unser Land sich seiner historischen Verantwortung stellt, sich deshalb bekennt zum Existenzrecht des Staates Israel - übrigens in friedlicher Koexistenz mit einem eigenen Palästinenserstaat - und dass wir uns jedem Antisemitismus entgegenstellen. …"

 

Ist die FDP, die "neue" FDP á la Lindner und Kubicki "nicht der wirtschaftspolitische Arbeitskreis der CDU"? Ich bin mir da nicht so sicher. Lindner war oft und gern Gast des Wirtschaftsrat der CDU e. V. Inzwischen tritt dort wohl auch öfter sein Generalsekretär Bijan Djir-Sarai auf.

 

Liberalismus war, ist und bleibt mehr als Wirtschaftspolitik, als der Hüter der "Sozialen Marktwirtschaft", die schon lange nicht mehr viel mit dem Konzept von Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack, dem Ordoliberalismus á la Eucken, Böhm, Miksch und Großmann-Doerth oder dem Neoliberalismus á la Röpke, Rüstow und Müller-Armack zu tun hat.

 

Der liberale und demokratische Verfassungs- und Rechtsstaat mit den garantierten Menschen- und Bürger-, Grund- und Freiheitsrechten und die liberale Marktwirtschaft mit dem liberalen Sozialstaat sind zwei Seiten der einen liberalen Medaille, gehören untrennbar zusammen, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, Freiheit und Verantwortung.

 

Liberal ... zeichnet sich ... aus

 

"… Ende des vergangenen Jahres haben ja die Jungsozialisten beschlossen, dass jeder junge Mensch am 18. Geburtstag ein Grunderbe vom Staat erhält in Höhe von 60.000 Euro. Jeder bekommt zum 18. Geburtstag 60.000 Euro vom Staat. Eine faszinierende Idee. 60.000 Euro sind eine Stange Geld für eine 18-Jährige oder einen 18-Jährigen. Auf Sicht der Lebensarbeitszeit relativieren sich aber 60.000 Euro. Deshalb bin ich überzeugt: Statt am 18. Geburtstag ein Grunderbe von 20.000 Euro oder 60.000 Euro auszuzahlen, sollte man in den 18 Jahren zuvor lieber in die Schul- und sonstige Ausbildung von Kindern und Jugendlichen investieren. Insbesondere ist das nötig nach den jüngsten Ergebnissen der PISA-Studie, die ja noch dramatisch schlechter waren als die zuvor. Wir können angesichts der Ergebnisse des deutschen Bildungssystems und seiner Schülerinnen und Schüler nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, denn hier stehen nicht nur individuelle Lebenschancen auf dem Spiel, sondern der Wohlstand unserer Gesellschaft insgesamt. … Die Bildungsmilliarde, von der ich im letzten Jahr hier gesprochen habe, kommt trotz aller Haushaltskonsolidierung. Denn überall mag man sparen  -  töricht aber wäre es, bei der Zukunft von Kindern und Jugendlichen zu sparen. …"

 

D'accord! Leider hat diese FDP mit ihrer Ministerin für Schule und Bildung in NRW von 2017 bis 2022 jede Glaubwürdigkeit auf dem Gebiet der Bildungspolitik endgültig verloren. Sie hat kläglich versagt und ihre Chance nicht genutzt, sich als Bildungspartei zu profilieren. Weltbeste Bildung!

 

Auch Bettina Stark-Watzinger als Bundesministerin für Bildung und Forschung wird diese Schlappe, dieses Versagen nicht heilen können. Startchancen-Programm? So wirklich kann ich an dessen Wirksamkeit und Erfolg noch nicht glauben. Ich lasse mich aber sehr gern positiv überraschen.

 

"… Wir werden kritisiert für das, was wir machen. Wir werden kritisiert für das, was wir nicht machen. Wir werden kritisiert für das, was wir verhindern. Das ist das Los der Liberalen. Das war nie anders. Die große Publizistin Marion Gräfin Dönhoff sagte einmal: 'Der Platz der Liberalen ist zwischen allen Stühlen'. Und als Liberaler fühlt man sich dort wohl, weil wir wissen, warum wir es tun. Für Frieden in Freiheit, für Stabilität und Wachstum. Für faire Chancen in einer vielfältigen Gesellschaft. Seit mehr als 75 Jahren setzen wir uns ein für den Gedanken von Liberalität und individueller Freiheit. Seit 75 Jahren setzen wir uns dafür ein, dass die und der Einzelne den Weg zum individuellen Glück geht, den sie oder er wünscht. Seit 75 Jahren setzen wir uns dafür ein, den Einzelnen zu schützen vor Bevormundung, vor Bürokratisierung, vor dem mundtot machen oder vor finanzieller Überforderung. Wir wollen alle stark machen, die eigenen Chancen zu ertüchtigen. Seit 75 Jahren setzen wir uns ein für den Wert der Freiheit, der nichts an Aktualität verloren hat. …"

 

Liberale? Freie Demokraten, Frei(heitliche) Demokraten, Freiheitliche …

 

Marion Gräfin Dönhoff war eine Liberale, keine Freiheitliche. Ich denke, auch sie hätte so ihre Schwierigkeiten mit dieser FDP gehabt.

 

Sie hat Flucht und Vertreibung am eigenen Leib erleben müssen: "Kindheit in Ostpreußen" und "Namen, die keiner mehr nennt: Ostpreußen - Menschen und Geschichte".

 

Ihr Name ist aber auch mit den folgenden Büchern verbunden:

"Von Gestern nach Übermorgen - Zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland"

"Amerikanische Wechselbäder - Beobachtungen und Kommentare aus vier Jahrzehnten"

"Weit ist der Weg nach Osten - Berichte und Betrachtungen aus fünf Jahrzehnten"

"Um der Ehre willen" - Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli"

 "Zivilisiert den Kapitalismus: Grenzen der Freiheit"

"Macht und Moral: Was wird aus der Gesellschaft"

 

Wann werden die Freiheitlichen die FDP wieder den Liberalen überlassen, dem Liberalismus, ohne Wenn und Aber, ganzheitlich und konsequent, freiheitlich und gleichzeitig sozial?

 

75 Jahre FDP - Höhen und Tiefen des organisierten Liberalismus

 

Die Geschichte der liberalen Parteien

 

Wohin wird die Reise der FDP gehen? Vergangenheit oder Zukunft? FPÖ oder NEOS? Rechtspopulismus oder Liberalismus?

 

"Schattenjahre - Die Rückkehr des politischen Liberalismus"

 

Gerhart Baum - das liberale Gewissen der FDP

 

14. Juli

 

Ist die FDP zurück?

 

FDP-Markenkern?

 

Liberalismus - wie ich ihn sehe

 

Liberale Partei Deutschlands

 

Vertieft ins Gespräch: Marion Gräfin Dönhoff mit Henry Kissinger (r.), Vicco von Bülow (2. v. r.) und Ralf Dahrendorf. Bild: dpa